Antizionismus

 

Antizionismus ist eine gegen den Zionismus gerichtete politische Ideologie. Seit der Gründung des Staates Israel 1948 wendet sie sich gegen diesen als jüdischen Staat. Antizionismus wird sowohl säkular wie religiös begründet und findet sich auf dem gesamten Kontinuum des politischen Spektrums, mitunter bestehen enge Zusammenhänge zur Judenfeindlichkeit.

 

Jüdischer Antizionismus

 

Die meisten Juden lehnten den im späten 19. Jahrhundert entstandenen politischen Zionismus bis in die 1930er oder 1940er Jahre ab, da er ihren Zielen der Emanzipation, innerstaatlichen Gleichberechtigung, Assimilation und sozialen Integration in die Zivilgesellschaften der Länder, in denen sie lebten, widersprach, und kritisierten die Übereinstimmung der Ziele von Zionisten und Antisemiten.

 

Liberale Juden sahen sich als Bürger ihrer Nationalstaaten mit gleichberechtigter Konfession, vergleichbar mit Protestanten und Katholiken. Sie strebten nach voller Anerkennung in den vom Christentum dominierten Gesellschaften und zeichneten sich oft durch besonderen Patriotismus aus. Im Krieg 1870/71 wird namentlich der noch nicht 16-jährige jüdische Schlosserlehrling Michael Stolzenberg († 1913) in Königsberg (Preußen) als jüngster Kriegsfreiwilliger 1932 durch die Jüdische Wochenschrift genannt.

 

Den zionistischen Standpunkt, dass Juden eine „Nation in den Nationen“ seien, den auch die Volkstums-Ideologen vertraten, um Juden auszugrenzen und ihnen die vollen Staatsbürgerrechte zu verweigern, lehnten sie ab, einer Ansiedelung armer osteuropäischer Juden in Palästina standen sie dagegen positiv gegenüber. Im Deutschen Reich wandte sich etwa der 1893 gegründete liberale Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) dagegen, dass die Zionisten die Bindung an das Land Israel als Hauptkennzeichen des jüdischen Glaubens ansahen.

 

Innerhalb der jüdischen Arbeiterschaft in Osteuropa war die größte und wichtigste antizionistische Organisation der 1897 in Wilna gegründete allgemeine jüdische Arbeiterbund, die größte und bestorganisierte jüdische Arbeiterorganisation der damaligen Zeit.

 

Das orthodoxe Judentum verurteilte mit Ausnahme der 1902 gegründeten nationalreligiösen Mizrachi die Schaffung eines jüdischen Staates als Gotteslästerung und Bruch der Tora. Nur Gott könne die Juden aus der Diaspora befreien, worauf sie bis zur Ankunft des Messias zu warten hätten. Vertreten wurde diese Haltung von der 1912 in Kattowitz gegründeten Agudat Israel, die, obwohl strikt antizionistisch, die Ansiedlung von jungen osteuropäischen Juden in Palästina förderte. Die Agudah ist bis heute weltweit tätig und tritt in Israel als politische Partei auf. Diese religiös begründete antizionistische Überzeugung vertreten die meisten ultraorthodoxen aschkenasischen jüdischen Religionsgemeinschaften, sowohl innerhalb wie außerhalb Israels.

 

Namhafte Zionisten vertraten bis 1947 und darüber hinaus das Konzept eines binationalen Staates mit gleichen Rechten für in Palästina ansässige Araber und Juden. Teile der Linken innerhalb und außerhalb Israels befürworten auch heute einen binationalen Staat, ohne das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen. Ein erklärter jüdischer Antizionist ist etwa Uri Davis, Mitglied der Fatah und des Palästinensischen Nationalrats (PNC).

 

Arabisch-islamischer Antizionismus

 

Der arabische Antizionismus wurzelt unter anderem im Panarabismus, der vor und während des Ersten Weltkrieges gegen die osmanische Herrschaft, danach als Reaktion auf die durch Großbritannien erlaubte Besiedlung Palästinas gegen jüdische Siedler gerichtet war. Ein jüdischer Staat im Nahen Osten musste den Zielen des Panarabismus widersprechen, vom Atlantik bis zum Persischen Golf einen durchgängigen gemeinsamen Nationalstaat zu errichten. Seit den 1940ern und besonders seit den 1950ern wurde von den arabischen Bevölkerungen die Gewinnung der gesamten von Israel beanspruchten Gebiete als panarabisches Ziel internalisiert. Vor allem in Ägypten wurde dieses Ziel als Teil der ägyptischen Sicherheitsdoktrin und Würde definiert. Folgerichtig bekämpften die arabischen Staaten den von den Vereinten Nationen anerkannten Staat Israel u.a. im Israelischen Unabhängigkeitskrieg.

 

Der panarabische Antizionismus erreichte in den 1960ern seinen Höhepunkt unter dem ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, der in Ägypten selbst und in der Region beispiellose Popularitätswerte erreichte. Erst sein Nachfolger Anwar Sadat brach mit dieser Politik und schloss Frieden mit Israel.

 

Seit 1993 erkennen die meisten Staaten der Arabischen Liga Israel jedoch de facto an und haben zum Teil diplomatische Beziehungen zu ihm aufgenommen. Doch auch in diesen Staaten gibt es oft starke nationalistische und islamistische Oppositionsgruppen wie die Muslimbruderschaften, die die Anerkennung Israels ablehnen und ihre Regierungen deshalb bekämpfen. Andere Staaten wie Syrien und Iran haben Israel bis heute nicht anerkannt.

 

Unter dem Einfluss von Nasser und im Zuge des verlorenen Sechstagekriegs von 1967 gründeten sich auch palästinensische antizionistische Gruppen, wie die Fatah (1964), die PFLP (1968) und die DFLP (1969), die sich der 1964 gegründeten PLO anschlossen. Der von der Fatah seit 1993 getragene Oslo-Prozess führte zu einer Spaltung der PLO, wobei sich PFLP und DFLP radikaleren, islamistischen Gruppen anschlossen, welche den teilweisen Verzicht auf bewaffneten Kampf ablehnen.

 

Auch der Panislamismus und andere islamistische Bewegungen für eine staatliche Einheit aller Muslime in einem Kalifat sind dem Zionismus ideologisch entgegengesetzt. Das historische Palästina, in dem Israel liegt, ist für Islamisten als Dār al-Islām rechtmäßiger und ewiger Besitz der Muslime.

 

Unter anderem die 1988 gegründete Hamas, der Islamische Dschihad und die libanesische Hisbollah streben die Zerstörung Israels offen an. Diese islamistischen Gruppen werden von den Regierungen Syriens und des Iran finanziell, militärisch und ideologisch unterstützt und greifen im Kampf gegen Israel auf Terroranschläge zurück.

 

Andere prominente islamistische Gruppen, die die Zerstörung Israels zugunsten eines Kalifats anstreben, sind Al-Qaida und Islamischer Staat im Irak und der Levante.

 

Der Antizionismus ist heute besonders in den islamischen Staaten und vielen Dritte-Welt-Staaten verbreitet und enthält oft Elemente des europäischen Antisemitismus. Dennoch gibt es kritische Gegenbewegungen im arabischen Raum. Sowohl Kurden im Nordirak als auch iranische Oppositionelle und Kommunisten sind oft prozionistisch eingestellt.

 

Christlicher Antizionismus

 

Die europäischen Großkirchen und viele der Freikirchen vertraten bis 1945 fast durchgehend eine Substitutionstheologie, die die Enterbung des erwählten Gottesvolkes Israel und Ersetzung durch die Kirche behauptete, weil Juden Jesus Christus als Messias mehrheitlich abgelehnt hatten. Die biblischen Land-, Volk- und Zukunftsverheißungen an Israel seien seit der Kreuzigung Jesu, an der die Juden kollektiv und ewig schuldig seien, auf die Kirche übergegangen. Eine nationale und territoriale Zukunft könne das Judentum deshalb nicht haben.

 

Auf dem Hintergrund dieses traditionellen Antijudaismus lehnte die römisch-katholische Kirche ebenso wie die meisten evangelischen Kirchen Europas den Zionismus und sein Ziel eines Judenstaates in Palästina von Beginn an als gegen den Willen Gottes gerichtetes säkulares Vorhaben ab. Theodor Herzl berichtete von einer Privataudienz bei Pius X. im Januar 1904, der Papst habe ihm zur Besiedlung Palästinas gesagt: Sanktionieren können wir das niemals. Die Kirche werde die Juden im Heiligen Land mit Missionaren empfangen.

 

Erst mit dem Aufschwung nationaler und internationaler Missionsgesellschaften entstand der christliche Zionismus, der in der Umsiedlung der Diasporajuden nach Palästina eine mögliche „Lösung der Judenfrage“ sah. Auch er ging meist von antijudaistischen Prämissen einer Minderwertigkeit des Judentums aus.

 

Der christliche Antijudaismus wurde seit 1945 durch intensive Neubesinnung in der christlichen Theologie Europas und Nordamerikas allmählich zurückgedrängt, bestimmt aber weiterhin große Teile der kirchlich geprägten Bevölkerungen dieser Regionen. Seit 1993 erkennt der Vatikan das Existenzrecht Israels an und hat diplomatische Beziehungen zu ihm aufgenommen. In den Kirchen arabischer und fernöstlicher Staaten gibt es weiterhin starke antizionistische Strömungen.

 

In Deutschland wurden einerseits seit dem Rheinischen Synodalbeschluss von 1980 zahlreiche antijudaistische Formulierungen aus dem amtskirchlichen Sprachgebrauch getilgt, andererseits publizierte 2011 die Monatszeitschrift des Verbands evangelischer Pfarrerinnen und Pfarrer in Deutschland e.V. den Aufsatz „Vom Nationalgott Jahwe zum Herrn der Welt und aller Völker – Der Israel-Palästina-Konflikt und die Befreiung der Theologie“ des Theologen Jochen Vollmer, der wegen seines antizionistischen Inhalts Proteste erntete, aber keine Distanzierung von offizieller Seite der evangelischen Landeskirchen.

 

Rechtsextremer Antizionismus

 

Im europäischen Rechtsextremismus spielt seit jeher der Antisemitismus eine große Rolle. Aufbauend auf Verschwörungstheorien, die die Juden für verschiedene nationale und weltweite Missstände verantwortlich machen, bezeichnen rechtsextreme Gruppierungen und Parteien wie die deutsche NPD Israel immer wieder als einen Staat, der – zusammen mit den angeblich von Juden kontrollierten USA – die Welt versklaven wolle. Da das Aufrufen zur Vernichtung eines Staates oder einer Volksgruppe in Europa verboten ist, versuchen Rechtsextremisten dies zu implizieren. Mit Fragen wie „Wer stoppt Israel?“ veröffentlichten 2006 mehrere rechtsextreme Parteien und Gruppierungen Pamphlete und Schriften, die Israel (und den USA) vorwarfen, der „Aggressor Nr. 1“ zu sein und eine systematische Ausrottung arabischer Bevölkerung zu betreiben. Gleichzeitig gefällt man sich in der Opferrolle einer angeblich „jüdisch bedingten, medialen Meinungsdiktatur“. „Kritik an Israel“ sei in Deutschland „unter Strafe verboten“. Die „Kritik“ der NPD an Israel besteht in der Regel aus diffamierenden Phrasen: So wurde der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt im Juli 2006 wegen Volksverhetzung festgenommen, nachdem er auf einer Anti-Israel-Demo gemeinsam mit etwa 50 Neonazis „Israel – Internationale Völkermordzentrale“ skandiert hatte. Der neonazistische Antizionismus manifestierte sich in den 1980er und 1990er Jahren u.a. in der von Michael Kühnen und Ingrid Weckert in München ins Leben gerufen Antizionistischen Aktion. Ein in diesem Kontext in rechtsextremistisch-antisemitischen Kreisen verwendetes politisches Schlagwort ist die Rede vom ZOG, dem Zionist Occupied Government.

 

Antizionismus in den Vereinten Nationen

 

Nach dem Sechstagekrieg erreichte die Arabische Liga bei der UNO einige antiisraelische Resolutionen, die von einer Staatenmehrheit befürwortet wurden. 1975 verabschiedete die UN-Vollversammlung die UN-Resolution 3379, die Zionismus als eine Form des Rassismus verurteilte und alle Staaten aufrief, ihn zu bekämpfen. 72 Staaten, darunter alle Ostblockstaaten, alle islamischen Staaten und die meisten blockfreien Staaten stimmten für die Resolution, 35 Staaten stimmten dagegen, 32 enthielten sich der Stimme. Ende 1991 wurde die umstrittene Resolution von der UN-Generalversammlung mit 111 zu 25 Stimmen bei 13 Enthaltungen zurückgenommen (Resolution 46/86). 1998 bezeichnete UN-Generalsekretär Kofi Annan die Annahme der Resolution 3379 als einen „Tiefpunkt“ in der Geschichte der Vereinten Nationen.

 

Bei der dritten Weltrassismuskonferenz der UNO in Durban, Südafrika, vom 31. August bis 8. September 2001 versuchten die arabischen und islamischen Staaten, Zionismus erneut als Rassismus anzuprangern. Nach dem vorübergehenden Auszug der Vertreter Israels und der USA kam eine gemeinsame Abschlusserklärung zustande, die diese Verurteilung vermied, aber dem Nahostkonflikt unter dem Thema Rassismus eine eigene Passage widmete. Syriens Versuch, statt Zionismus Kolonialismus mit Rassismus gleichzusetzen, wurde abgelehnt.

 

Sowjetischer Antizionismus

 

Die Sowjetunion gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst zu den stärksten Befürwortern des UN-Teilungsplans für Palästina, also der Gründung Israels und eines davon getrennten Palästinenserstaates. Die politische Führung in Moskau hielt den neuen Staat für einen potentiellen Verbündeten aufgrund der sozialistischen Ausrichtung der führenden Kräfte innerhalb des Zionismus und des Einflusses der Arbeiterbewegung. Begründet hat die Sowjetunion ihre damals pro-zionistische Haltung mit dem Massenmord der Nazis an den Juden. So erinnerte der damalige sowjetische UN-Botschafter Andrej Gromyko am 14. Mai 1947 vor der UNO an den Holocaust und die Leiden der ihn überlebenden Juden. Dass kein europäischer Staat die Juden vor den Nationalsozialisten habe schützen können und wollen, gebe ihnen alles Recht auf einen eigenen Staat. Im November ergänzte er, dass der von der UNO vorgeschlagene Teilungsplan auch im Interesse der arabischen Palästinenser sei. Sofort nach seiner Staatsgründung 1948 erkannte die Sowjetunion den Staat Israel an. Ihr folgten fast alle Staaten des damaligen Ostblocks, einschließlich die Volksrepublik Rumänien.

 

Fast zeitgleich verschlechterten sich jedoch die Lebensbedingungen der Juden in der Sowjetunion, insbesondere durch die Stalinschen Säuberungen, in denen von 1948 bis 1953 antisemitische Motive aufgegriffen wurden. Verschwörungstheorien verbreiteten etwa die Idee einer zionistischen „Ärzteverschwörung“ mit amerikanischer und israelischer Geheimdienstbeteiligung, und viele sowjetische Juden wurden als „wurzellose Kosmopoliten“ bezeichnet, wobei den Verfolgten unter anderem auch Zionismus („bourgeoiser Nationalismus”) vorgeworfen wurde. Bereits 1950 erfolgte eine Annäherung Israels an die Vereinigten Staaten, die dem UN-Teilungsplan anders als die Sowjetunion zunächst zurückhaltend gegenübergestanden hatten; die Sowjetunion sah darin eine Bedrohung ihrer Sicherheit durch „Zionisten” innerhalb der UdSSR.

 

1971 erklärte das Zentralkomitee der KPdSU, Zionismus sei, anders als die Zionisten es darstellten, durchaus nicht die nationale Strömung der Juden, sondern eine „klassenkämpferische Kraft, die den Interessen aller Werktätigen entgegensteht“.

 

Im Jahre 1983 stellte sich in Moskau das Antizionistische Komitee der sowjetischen Öffentlichkeit vor. Der Zionismus sei eine „gefährliche Abart der bürgerlichen Ideologie“ und ein Instrument der Bourgeoisie, weil sie den „Anspruch der nationalen Exklusivität, des auserwählten Volkes“ beinhalte. Seit dem Einmarsch Israels in den Libanon 1982 sei überdies deutlich geworden, dass der Zionismus „die Ideen und Methoden des Hitlerfaschismus wiederbelebt“ und seine angeblichen Verbrechen denen der Nationalsozialisten und Faschisten glichen.

 

In Staaten wie der Volksrepublik Polen sahen sich jüdische Beamte wie Jakub Berman veranlasst, vehement Stellung gegen den Zionismus zu beziehen und dadurch der Sowjetunion ihre Loyalität zu zeigen. Seit der Sueskrise 1956, auf dem Höhepunkt der Entstalinisierung, ordnete die KPdSU den Zionismus als eine Form von bourgeoisem Nationalismus ein und bekämpfte ihn, indem sie die arabischen Staaten der Region – besonders Ägypten unter Gamal Abdel Nasser – ideologisch und militärisch gegen Israel unterstützte.

 

In der Tschechoslowakei wurde nach anfänglicher Unterstützung des Staates Israel eine Kampagne gegen jüdische Kommunisten lanciert, denen unter anderem vorgeworfen wurde, „zionistische Agenten“ zu sein. Rudolf Slánský bekannte sich in seinem erzwungenen Geständnis schuldig, „ein zionistischer Verräter und Lump und ein Agent des amerikanischen Nachrichtendienstes zu sein“.

 

Auch die DDR war offen antizionistisch eingestellt, der Zionismus wurde als den Interessen des „US-Imperialismus“ und der „jüdischen Kapitalisten“ dienend gebrandmarkt. Ende 1952 kam es als Folge des Slánský-Prozesses zu Verhören und Parteiausschlüssen von Juden, die aus dem westlichen Exil in die DDR zurückgekehrt waren. Paul Merker, der kein Jude war, wurde als „zionistischer Agent“ verurteilt, „der die Entschädigung der jüdischen Vermögen nur forderte, um dem USA-Finanzkapital das Eindringen in Deutschland zu ermöglichen.“

 

Antizionismus im linken Umfeld

 

Eine Reihe von linken Gruppen in Westdeutschland verknüpfte Solidarität mit den Palästinensern mit einer Gegnerschaft zu Israel. Dieses betrachteten sie nun als Statthalter und Brückenkopf des US-Imperialismus im Nahen Osten. Damit ordneten sie den Nahostkonflikt in ihr Weltbild vom Antagonismus eines von den USA geführten Kapitalismus auf der einen und der um Befreiung kämpfenden Völker der Dritten Welt auf der anderen Seite ein.

 

In den 1970er Jahren führte der Umgang mit dem Nahostkonflikt, wie die enge Kooperation zwischen deutschen Linksextremisten und der PLO, zu Auseinandersetzungen um Antizionismus und offenen Antisemitismus in der Linken allgemein. Bereits 1969, am 31. Jahrestag der Novemberpogrome, hatte die militante Gruppe Tupamaros West-Berlin eine Brandbombe im jüdischen Gemeindehaus in Berlin deponiert und mehrere jüdische Mahnmale beschmiert. Durch die Geiselnahme von München 1972, den Jom-Kippur-Krieg 1973, die Operation Entebbe 1976 und die Entführung des Flugzeugs Landshut 1977 bekam diese Thematik auch vielfältige Bezüge zu Westdeutschland. Beim Theaterskandal um das Stück Der Müll, die Stadt und der Tod kulminierte 1985 die Auseinandersetzung in der Frankfurter linken Szene.

 

Hans-Joachim Klein, der noch 1975 als Mitglied der Revolutionären Zellen (RZ) an der OPEC-Geiselnahme in Wien beteiligt gewesen war, hatte sich danach von den RZ distanziert und vor geplanten antisemitisch motivierten Anschlägen gewarnt. Die RZ sprachen in Bekennerschreiben 1978/79 vom „faschistischen Genozid am palästinensischen Volk“ und vom „Holocaust an den Palästinensern“. Sie nannten als künftige Anschlagsziele in Deutschland unter anderem die Jewish Agency.

 

2004 wurde der „Antisemitismus der Linken“ in einer Konferenz der Hans-Böckler-Stiftung rückblickend thematisiert.

 

Kritik am Antizionismus

 

Mündlich bezeugt ist Martin Luther Kings Aussage, dass Frieden für Araber und Israelis eine wichtige Aufgabe sei und Israels Existenzrecht und territoriale Integrität gesichert werden müssen. Ein oft zitierter Brief an einen antizionistischen Freund dagegen ist unbelegt und wahrscheinlich gefälscht.

 

Jean Améry betrachtete den Antizionismus der Linken als banalen Antisemitismus. Er sagte 1969 öffentlich:

 

„Der Antisemitismus war einst der Sozialismus der dummen Kerle. Heute steht er im Begriff, ein integrierender Bestandteil des Sozialismus schlechthin zu werden, und so macht jeder Sozialist sich selber freien Willens zum dummen Kerl. Der Antisemitismus ist wieder ehrbar geworden, aber es gibt keinen ehrbaren Antisemitismus!“

 

Mit Berufung auf Hans Mayer wies er 1976 als Redner bei der Woche der Brüderlichkeit eine Unterscheidung zwischen Antisemitismus und Antizionismus als konstruiert zurück. Er forderte die Distanzierung vom Antizionismus als wesentliche Grundlage für eine Neudefinition der Linken ein.

 

Der Literaturhistoriker Hans Mayer schrieb 1975 in seinem Hauptwerk „Außenseiter“:

 

„Wer den „Zionismus“ angreift, aber beileibe nichts gegen „die Juden“ sagen möchte, macht sich und anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat. Wer ihn zerstören möchte, erklärtermaßen oder durch eine Politik, die nichts anderes bewirken kann als solche Vernichtung, betreibt den Judenhass von einst und von jeher.“

 

Der französische Philosoph Alain Finkielkraut schrieb 1982 im Zusammenhang der Reaktionen auf den ersten Libanonkrieg Israels:

 

„Der doktrinäre Antisemitismus hätte kaum fortbestehen können, ohne sich einen neuen Namen zu geben, aber das eben hat er getan. Und diese Ersetzung des Juden durch den Zionisten ist mehr als nur ein rhetorischer Kunstgriff. Was sich darin anzeigt, ist eine sehr bezeichnende Mutation des totalitären Denkens: Heutzutage werden keine Völker mehr verfolgt, sondern Ideologien, es gibt keine Untermenschen mehr, sondern nur noch Handlungen des Imperialismus.“

 

Henryk M. Broder gehört ebenso zu den Akteuren, die die Linke wegen antisemitischer Tendenzen kritisieren. Eine breitere Auseinandersetzung in der Linken fand erst später statt und führte unter anderem zur Entstehung der Antideutschen. Broders Buch Der ewige Antisemit von 1986 erweiterte seine Kritik auf Teile der deutschen Friedensbewegung und den Umgang vieler etablierter Medien mit dem Nahostkonflikt. Broder zufolge erfüllt Antizionismus heute dieselbe soziologische Funktion, die bis zum Holocaust der „ehrbare Antisemitismus“ erfüllt habe: Er gebe latenten Judenfeinden Gelegenheit, sich als Fürsprecher unterdrückter Minderheiten – der Palästinenser – darzustellen und damit ihre Judenfeindschaft offen auszuleben. Dabei spiele ein unbewusstes Bedürfnis nach Schuldverschiebung eine große Rolle. Indem Antizionisten sich rhetorisch für die „Opfer der Opfer“ einsetzten, setzten sie die Opfernachfahren des Holocaust mit dessen Tätern gleich, um so letztlich als Täternachfahren selbst die Opferrolle einzunehmen und sich von einer empfundenen Kollektivschuld am Holocaust zu entlasten. Dabei ersetzten sie alte antisemitische Klischees durch neue: Anstelle einer jüdischen Rasse bekämpften sie den jüdischen Nationalismus, um so den Staat Israel und damit die Hoffnung aller Juden auf geschützte Existenz nach dem Holocaust zu treffen.

 

Der Deutsche Bundestag erklärte am 4. November 2008 aus Anlass des 70. Jahrestages der deutschen Novemberpogrome von 1938:

 

„Grund zur Sorge gibt, dass Antisemitismus in allen Schichten der Bevölkerung zu finden ist. Oft geht er mit Antiamerikanismus und Antizionismus einher. Die Solidarität mit Israel ist ein unaufgebbarer Teil der deutschen Staatsräson. Wer an Demonstrationen teilnimmt, bei denen Israelfahnen verbrannt und antisemitische Parolen gerufen werden, ist kein Partner im Kampf gegen den Antisemitismus. Die Solidarisierung mit terroristischen und antisemitischen Gruppen wie der Hamas und der Hisbollah sprengt den Rahmen zulässiger Kritik an der israelischen Politik.“

 

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