Der Weg zum UN-Teilungsplan vom 29. November 1947

 

Ein Gastbeitrag von Stefan Frank

 

Großbritanniens Wortbruch

 

Zwei für die Gründung Israels wichtige Ereignisse jähren sich diesen Monat. Der 2. November war der hundertste Jahrestag der Balfour-Deklaration. Am 29. November werden es 70 Jahre sein, seit die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit dafür stimmte, auf dem Gebiet, das Großbritannien 1923 als Mandat des Völkerbunds übernommen hatte, einen jüdischen und einen arabischen Staat zu gründen.

 

Zwischen den beiden Ereignissen, zwischen denen nur 30 Jahre liegen, gab es keineswegs eine gerade Linie – vielmehr drohte die Absichtserklärung, niemals umgesetzt zu werden; sechs der 19 Millionen Juden, die 1939 auf der Welt lebten, erlebten die Gründung des Staates Israel nicht mehr, da sie von den Nationalsozialisten und ihren Helfern ermordet wurden.

 

 

1922: Völkerbund fordert Umsetzung der Balfour-Deklaration

 

Großbritanniens hatte sich nach der Annahme des Mandats keineswegs daran gemacht, es in dem Sinne zu erfüllen, wie es ihm der Rat des Völkerbunds einstimmig aufgetragen hatte. Schon in der Präambel des Palästinamandats vom 24. Juli 1922 heißt es ausdrücklich, dass Großbritannien mit der Verwaltung des Mandatsgebiets betraut wird, um dort die Balfour-Deklaration umzusetzen und eine „Heimstätte“ für das jüdische Volk zu schaffen. Artikel 2 wiederholt: „Die Mandatsmacht soll dafür verantwortlich sein, in dem Land politische, administrative und wirtschaftliche Bedingungen herzustellen, die die Gründung einer jüdischen nationalen Heimstätte sicherstellen […]“

 

Unter Verweis auf Artikel 25 des Mandats, der es erlaubte, das Gebiet östlich des Jordans – 80 Prozent des Mandatsgebiets – einer eigenen Verwaltung zu unterstellen, trennte Großbritannien dieses noch vor Beginn der Mandatsverwaltung ab und gründete dort das haschemitische Königreich, das spätere Transjordanien und heutige Jordanien. Heute hat es sich eingebürgert, nur das Gebiet westlich des Jordans als „Palästina“ zu bezeichnen, doch damals war das nicht so. „Palästina war ein geografischer Begriff, der Transjordanien einschloss“, schreibt der britische Diplomat Sir Alec Seath Kirkbride 1956 in seinen Erinnerungen an seinen Dienst in Palästina zu jener Zeit (A Crackle of Thorns: Experiences in the Middle East). „Doch just zum rechten Zeitpunkt wurde die bemerkenswerte Entdeckung gemacht, dass die Klauseln des Mandats, die sich auf die Errichtung einer nationalen Heimstätte für die Juden bezogen, nie beabsichtigt hatten, für das Gebiet östlich des Jordans zu gelten“, fügt er mit feiner Ironie hinzu.

 

Die Briten, so Kirkbride, waren „zu beschäftigt“, um sich mit der Verwaltung des weitläufigen, unterentwickelten Gebiets östlich des Jordans abzugeben. Etwas anderes kam hinzu: 1915, während des Ersten Weltkriegs, hatte Sir Henry McMahon, der britische Hochkommissar für Ägypten, in seinen Briefen an Hussein bin Ali, dem Scherifen von Mekka, diesem als Gegenleistung für die arabische Revolte gegen das Osmanische Reich versprochen, die vom Osmanischen Reich beherrschten arabischen Gebiete in die Unabhängigkeit zu entlassen; Husseins Sohn Abdullah wurde 1921 der erste Herrscher Transjordaniens. Damit war klar, dass dort die nationale Heimstätte der Juden nicht entstehen würde.

 

Folgte daraus, dass diese nun auf dem Gebiet westlich des Jordans geschaffen würde? Logisch schon. Nicht aber aus Sicht Londons. Schon im Weissbuch von Juni 1922 (nach dem damaligen Kolonialminister auch Churchill-Weissbuch genannt) wurde betont, dass die Balfour-Deklaration lediglich die Errichtung einer jüdischen Heimstätte in Palästina versprochen, aber nichts über die Größe derselben ausgesagt habe. Die Juden, so das Weißbuch weiter, würden auch keine eigene Staatsangehörigkeit besitzen. Was die Frage der jüdischen Einwanderung betraf, so hieß es noch, dass diese für die Erfüllung der Balfour-Deklaration „notwendig“ sei; gleichwohl wurde eingeschränkt, dass die Einwanderer keine „Belastung für das Volk Palästinas als ganzem“ sein dürften und nur so viele Juden pro Jahr einwandern dürften, dass die wirtschaftlichen Aufnahmekapazitäten beachtet werden müssten und Einwanderer niemandem die Beschäftigung wegnehmen dürften.

 

 

Das Pogrom von Jaffa und seine Folgen

 

Das Weißbuch von 1922 war eine Reaktion auf ein antijüdisches Pogrom, das am 1. und 2. Mai 1921 in Jaffa stattgefunden hatte. Am Maifeiertag wollten jüdische Kommunisten von Jaffa aus einen nicht genehmigten Marsch nach Tel Aviv durchführen. Dort aber wurden sie von Teilnehmern einer genehmigten Demonstration jüdischer Sozialisten gestoppt. Es kam zu einer Prügelei. Arabische Bewohner von Jaffa, die davon hörten, nahmen an, es habe einen Angriff auf Araber gegeben und richteten ihren Zorn gegen die Juden in Jaffa; es gab Plünderungen, Vergewaltigungen, Morde. Als die Gewalt am 2. Mai abebbte, waren 47 Juden und 48 Araber tot; unter den Verletzten, die gezählt wurden, waren 146 Juden und 73 Araber.

 

Das Weißbuch markierte den Beginn eines immer wiederkehrenden Musters in der britischen Palästina-Politik: Nach jedem Pogrom gegen Juden wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt, um die Ursachen zu klären; sie befragte Zeugen und klärte den Tathergang auf. Doch verbunden wurden diese Berichte nun immer wieder mit der Forderung nach einer Beschränkung der jüdischen Einwanderung nach dem Motto: weniger jüdische Einwanderer, weniger Probleme.

 

 

Weitere Massaker, weitere Kommissionen

 

Auch die Ermordung von 133 Juden in Jerusalem, Hebron und Safed im August 1929 führte zur Einsetzung einer Kommission, einem Bericht – und dem Rat, weniger Juden nach Palästina zu lassen. Damals, Ende der zwanziger Jahre, verbreitete der Großmufti von Jerusalem, Amin el-Husseini, die Juden wollten die Al-Aksa-Moschee zerstören – das gleiche böswillige Gerücht, das auch heute noch gestreut wird.

 

Während Husseini über diese fiktive Bedrohung klagte, arbeitete er selbst daran, die Juden von der Westmauer (»Klagemauer«) zu vertreiben, wo sie seit dem 16. Jahrhundert beten durften. Er erwirkte bei der britischen Mandatsverwaltung die Erlaubnis, direkt neben der Westmauer eine Moschee zu errichten, von deren Minarett ein Muezzin rufen würde, und öffnete einen zur Westmauer führenden Pfad, der bis dahin eine Sackgasse gewesen war, was zur Folge hatte, dass Menschen mit ihren Eseln durch die Gebetszone der Juden liefen. 1929 strebte er gezielt nach der Eskalation. Er sorgte dafür, dass das Gebet der Juden immer wieder von Trommeln, Tänzen, Zimbeln und »Allahu Akbar«-Rufen gestört wurde. Mehr und mehr kam es zu tätlichen Übergriffen auf Juden. Einige Juden protestierten mit einem genehmigten und von britischen Polizisten beschützten Demonstrationszug zur Westmauer. Daraufhin wurden Gerüchte gestreut, die Juden hätten Al-Aksa und die Muslime angegriffen, es kam in vielen Teilen Palästinas zu Pogromen.

 

Eine Untersuchung der Gewalt durch die eingesetzte Shaw Commission führte zum Passfield-Weißbuch von 1930. Solange unter den Arabern der „Verdacht“ existiere, hieß es darin, dass die „exzessive Einwanderung“ von Juden für die derzeitige schlechte wirtschaftlichen Lage der Araber verantwortlich sei, könne es keinen Frieden zwischen beiden Volksgruppen geben; „jede hastige Entscheidung für eine weniger beschränkte jüdische Einwanderung“ müsse vermieden sein. Daran sei erst dann zu denken, wenn die Gewalt nachgelassen hätte.

 

Die Lehre, die die arabischen Führer daraus zogen: Um die Einwanderung von Juden zu verhindern, müssten sie nur dafür sorgen, dass die Gewalt nicht nachlässt. Eine weitere Folge der Pogrome von 1929 war, dass die Briten den Juden ab 1930 bis zum Ende der Mandatszeit 1948 verboten, in der Nähe der Klagemauer die Schofar zu blasen – um die Araber nicht zu provozieren.

 

1936-39 schienen sich die Ereignisse von 1929/39 zu wiederholen: Wieder gab es eine Welle von Morden an Juden; mit finanzieller Unterstützung des Hitler-Regimes hatte der sogenannte „arabische Volksaufstand“ begonnen. Über das Massaker, das am 2. Oktober 1938 gegen die Juden in Tiberias verübt wurde, schreibt der genannte Alec Kirkbride: „Eines Nachts drangen Araber in die Stadt Tiberias ein und massakrierten etliche jüdische Frauen und Kinder mit großer Brutalität. … Wir brauchten zwei Stunden, um nach Tiberias zu gelangen, statt, wie normalerweise, 25 Minuten, und fanden dort Chaos vor. Das Distriktbüro, eine Synagoge und zahlreiche jüdische Wohnhäuser standen in Flammen, die Straßen waren gesäumt mit Toten, doch die Angreifer hatten sich zurückgezogen.“ Jerusalem, Safed, Hebron, Tiberias: Die Pogrome trafen keine zionistischen Siedlungen, sondern die heiligen Orte jüdischer Gelehrsamkeit, wo alteingesessene religiöse Juden über Generationen friedlich mit ihren arabischen Nachbarn zusammengelebt hatten.

 

 

Der Teilungsplan der Peel Commission

 

Diese Gewaltserie, der „arabische Volksaufstand“, hatte 1936 begonnen; am 11. November 1936 begann eine neuerliche Kommission – die Royal Commission bzw. Peel Commission, ihre Arbeit. Sie befragte in Palästina zahlreiche arabische und jüdische Zeugen. Auf der zionistischen Seite waren darunter David Ben-Gurion, Ze’ev Jabotinsky und Chaim Weizmann, die Führer der linken, der rechten und der zentristischen zionistischen Bewegung; auf der britischen Seite Winston Churchill und auf der arabischen der Großmufti Amin al-Husseini. Husseini gab instruktive Antworten.

 

Frage: Wenn die Araber [einen Staat in Palästina] hätten, wären sie bereit, die Juden, die bereits im Land sind, willkommen zu heißen?

Antwort: Das wird der Regierung, die eingesetzt werden wird, anheimgestellt werden.

Frage: Glaubt Seine Eminenz, dass dieses Land die 400.000 Juden, die bereits im Land sind, assimilieren und verdauen kann?

Antwort: Nein.

Frage: Einige von ihnen würden dann entfernt werden müssen, in einem Prozess, der freundlich oder schmerzhaft sein kann?

Antwort: Wir müssen all dies der Zukunft überlassen.

 

Die Peel Commission kam zu einem anderen Schluss als ihre Vorgänger: die Lösung des Konflikts sei eine Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Teil, die beide wirtschaftlich eine Einheit bilden sollten. Der Großraum Jerusalem und ein von Jaffa bis Jerusalem reichender Korridor sollte unter britischer Kontrolle bleiben. Die Reaktion der Zionisten war geteilt: Einige begrüßten den Plan, andere lehnten eine Teilung des Landes ab. Die Reaktion der arabischen Führer war eine einhellige Ablehnung. Die britische Regierung beeilte sich, den Plan zu begraben. Sie setzte 1938 eine weitere Kommission – die Woodhead Commission – ein, deren Auftrag es war, die fehlende Praxistauglichkeit des Teilungsplans darzulegen. Am 9. November 1938 – dem Tag der Reichspogromnacht – stellte die Woodhead Commission ihren Bericht vor, wonach der Vorschlag der Peel Commission nicht umsetzbar sei, weil dazu zu viele Araber aus dem jüdischen in den arabischen Teil des Landes umgesiedelt werden müssten; ferner sei der arabische Teil wirtschaftlich nicht lebensfähig. Die Kommission stellte zwei Alternativpläne vor, bei deren Umsetzung nur noch sehr kleine Teile Palästinas den Juden zugesprochen werden sollten. Die Regierung veröffentlichte den Bericht mit einer begleitenden Stellungnahme, wonach nun klar sei, dass eine Teilung nicht in Betracht komme und Großbritannien folglich das Mandatsgebiet weiter verwalten werde.

 

 

Das Weißbuch von Mai 1939

 

Im folgenden Frühjahr lud sie beide Seiten zu einer Konferenz nach London ein. Die arabische Delegation weigerte sich jedoch, mit Juden zu verhandeln, so dass die britische Regierung getrennt mit beiden Seiten verhandelte. Die Begrüßungszeremonie musste für die Presse zweimal inszeniert werden, da die arabischen Gesandten auch nicht mit Juden im selben Raum sein wollten.

 

Im Mai 1939 veröffentlichte London ein neues Weißbuch, eines, das noch stärker antijüdisch war als seine Vorgänger. Innerhalb von zehn Jahren sollte Palästina unabhängig werden; einen jüdischen Staat werde es nicht geben; die Zahl der Juden in Palästina dürfe ein Drittel der Bevölkerung nicht übersteigen; in den folgenden fünf Jahren dürften pro Jahr nur 10.000 Juden einwandern; danach sei jegliche jüdische Einwanderung vom Einverständnis der Araber abhängig. Neu war auch eine Regelung, wonach Juden nur noch auf fünf Prozent des Mandatsgebiets Land kaufen durften.

 

Mit dem Weißbuch von 1939 wurde jedem Juden klar: Die britische Regierung hatte ihr Wort gebrochen; sie dachte nicht daran, jemals eine jüdische Heimstätte in Palästina zu errichten. Im Angesicht des drohenden Kriegs mit Nazi-Deutschland bemühten sich die Briten um ein gutes Verhältnis zu den Arabern. Ben-Gurion hatte im April 1939 in einem Brief an seine Frau Paula die britische Strategie beschrieben: „Selbst wenn Großbritannien uns in Palästina Ärger macht, ist es undenkbar, dass die Juden auf Hitlers Seite gehen. … Nicht so die Araber. Sie müssen gekauft werden, weil sie es sich leisten können, auf Hitlers Seite zu sein.“ Der britische Premierminister Neville Chamberlain betonte in einer Kabinettssitzung am 20. April 1939, es sei von „großer Wichtigkeit, dass wir die muslimische Welt auf unserer Seite haben“. Er fügte hinzu: „Wenn wir eine Seite vor den Kopf stoßen müssen, dann lasst uns lieber die Juden vor den Kopf stoßen als die Araber.“

 

 

Das Wunder von New York

 

Großbritannien hatte den Juden in der Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 eine „nationale Heimstätte in Palästina“ in Aussicht gestellt und mit just diesem Auftrag vom Völkerbund die Verwaltung des Mandatsgebiet Palästinas übernommen. Doch statt diese Aufgabe zu erfüllen, wurden die Briten wortbrüchig und schlugen den Juden Europas am Vorabend des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust die Tür vor der Nase zu.

 

Auch als in den folgenden Jahren klar wurde, dass Juden in Europa massenhaft ermordet werden oder erfrieren oder verhungern, hielt London unerbittlich an seiner Politik fest und schickte Schiffe mit jüdischen Flüchtlingen, die Palästina anliefen, zurück nach Europa. Dafür steht beispielhaft die Tragödie der Struma, dem Schiff, das mit fast 800 jüdischen Passagieren an Bord am 24. Februar 1942 im Schwarzen Meer von einem sowjetischen U-Boot versenkt wurde, mehr als zwei Monate nachdem die Struma am 11. Dezember 1941 vom rumänischen Schwarzmeerhafen Constanza mit Ziel Istanbul ausgelaufen war. Die Briten hatten die Weiterreise der Juden von Istanbul nach Palästina nicht genehmigt, und die Türkei wollte sie nicht bei sich dulden. Die Passagiere harrten zwei Monate lang unter Hunger, Durst, Kälte und furchtbaren sanitären Bedingungen auf dem in Istanbul vor Anker liegenden Schiff aus, dann schleppten die Türken das seeuntüchtige Schiff, dessen Motor ausgefallen war, zurück aufs Schwarze Meer, wo es von einem Torpedo versenkt wurde. Alle Passagiere bis auf einen starben.

 

 

Zorn auf Großbritannien

 

Die Zionisten in Palästina waren zornig über die britische Politik, die sie mit Mord gleichsetzten; doch ihnen blieb keine Wahl, als Großbritannien zu unterstützen; Juden kämpften in den alliierten Armeen, sogar mit einer jüdischen Brigade.

 

Noch während des Kriegs aber radikalisierten sich viele Zionisten. Die Gruppe Irgun von Menachem Begin erklärte Großbritannien 1944 den Krieg und führte Anschläge gegen die Briten in Palästina durch. Nur eine kleine Minderheit der Zionisten unterstützte diesen Terrorismus. Doch auch die moderaten Juden im Ausland sahen die Zeit gekommen, mit mehr Nachdruck Forderungen zu stellen.

 

Eine Konferenz im New Yorker Biltmore Hotel, an der zwischen dem 9. und dem 11. Mai, 603 zionistische Delegierte teilnahmen, forderte erstmals einen jüdischen „Commonwealth“ – also einen eigenen Staat, eine Forderung, die seit dem ersten Zionistenkongress in Basel 1897 immer tunlichst vermieden worden war. Diese Forderung übernahm der Zionistenkongress von 1946.

 

US-Regierung uneins

 

Als der Krieg in Europa zu Ende war, irrten Hunderttausende Holocaustüberlebende – sogenannte Displaced Persons (DPs) – heimatlos umher. Viele flohen aus Russland und Polen, wo es auch nach Kriegsende noch zu Pogromen kam. US-Präsident Harry Truman forderte Großbritannien mehrmals auf, aus humanitären Gründen 100.000 Juden nach Palästina zu lassen.

 

Als Senator hatte Truman 1939 die britische Weißbuchpolitik scharf kritisiert; während des Kriegs hatte er in aufrüttelnden Reden an das Leid der europäischen Juden erinnert. Lange aber war er sich nicht darüber im Klaren, welchen Status die Juden in Palästina haben sollten.

 

Er spielte mit verschiedenen Ideen; so schlug er im Dezember 1945 Chaim Weizmann vor, Juden und Araber sollten doch gemeinsam zusammenleben wie die verschiedenen religiösen Gruppen in den USA. Noch am 6.Oktober 1947, wenige Wochen vor der entscheidenden Sitzung der UN-Generalversammlung, weigerte sich Truman, eine Erklärung zugunsten einer Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat abzugeben.

 

In der US-Regierung gab es zwei Lager. David K. Niles, Trumans Sonderreferent für Minderheitenbelange, unterstützte die Idee eines jüdischen Staates. Hochrangige Mitarbeiter im Außenministerium (wie Loy Henderson, der entscheidenden Anteil daran hatte, dass die USA im beginnenden Kalten Krieg Griechenland und die Türkei auf ihre Seite zogen), die Spitzen des amerikanischen Militärs und das Verteidigungsministerium warnten hingegen davor, es sich mit den Arabern zu verscherzen; gute Beziehungen zu ihnen seien von höchster Bedeutung für die nationale Sicherheit – schon bald könne es wieder Krieg geben, dann sei man auf Öl angewiesen.

 

Truman selbst schrieb später, das Außenministerium „habe der Idee eines jüdischen Staates „fast ohne Ausnahme ablehnend“ gegenübergestanden. „Wie die meisten britischen Regierungsvertreter dachten einige unserer Diplomaten, dass man den Arabern wegen ihrer Zahl und weil sie große Ölressourcen besitzen, mit Appeasement begegnen müsse. Einige unter ihnen neigten, wie ich leider sagen muss, dazu, antisemitisch zu sein.“

 

Außenminister George Marshall gab offiziell keine Meinung ab, unterstützte aber privat ein Memorandum mehrerer Regierungsmitarbeiter, die einen einheitlichen Staat unter Aufsicht der Vereinten Nationen vorschlugen. Und noch am 7. Juli hatte der US-Außenminister seinem britischen Kollegen Ernest Bevin versichert, er werde ihn dabei unterstützen, die illegale Einwanderung nach Palästina einzudämmen. Bevin hatte Marshall im Februar geschrieben, eine Teilung könne „nur mit Bajonetten“ umgesetzt werden; die „britischen Bajonette“, die im Krieg gekämpft hätten, stünden dafür nicht zur Verfügung.

 

 

Palästinaproblem vor der UNO

 

Am 17. Februar 1947 informierte Bevin das britische Parlament, dass er das Palästinaproblem vor die UN-Generalversammlung bringen werde – vielleicht in der Erwartung, dass diese es am Ende wieder an Großbritannien zurückgeben würde, sei es, weil sie nicht die Mittel hätte, um in Palästina Polizeiaufgaben zu erfüllen oder, noch wahrscheinlicher, weil sie sich gar nicht auf einen Plan würde einigen können.

 

„Warum habt ihr so bereitwillig der Idee zugestimmt, das Palästinaproblem den Vereinten Nationen zu überantworten?“, fragte Harold Beeley, der wichtigste Nahostberater von Großbritanniens Außenminister, einen Vertreter der Zionisten. „Schaut euch die Charta der Vereinten Nationen und die Liste ihrer Mitgliedsnationen an. Um eine zustimmende Entscheidung zu erlangen, braucht ihr eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen der Mitgliedsländer. Ihr könnt nur dann eine Mehrheit erzielen, wenn der Ostblock und die Vereinigten Staaten sich zusammentun und dieselbe Resolution in denselben Worten unterstützen. Das ist nie geschehen, kann nicht geschehen und wird nie geschehen!“

 

Die Generalversammlung in New York diskutierte das Palästinaproblem am 28. April 1947 und beschloss, einen Ausschuss zu bilden, der vor Ort Informationen einholen, mit Vertretern beider Seiten sprechen und eine Empfehlung abgeben sollte, das Spezialkomitee der Vereinten Nationen für Palästina, UNSCOP. Ihm gehörten Vertreter Australiens, Guatemalas, Indiens, des Iran, Jugoslawien, Kanada, die Niederlande, Peru, Schweden, die Tschechoslowakei und Uruguay an. Die UNSCOP beschäftigte sich auch mit dem Leid der 250.000 Displaced Persons, die in Internierungslagern ausharrten.

 

 

Die Exodus

 

Zur selben Zeit versuchten die Hagana und andere zionistische Gruppen, trotz der britischen Blockade Juden nach Palästina zu bringen. Dazu dienten ihr ausrangierte, oft kaum mehr seetüchtige Frachter und Passagierschiffe, die sie billig erwarb und auf denen sie jeweils Tausende von heimatlosen Juden nach Palästina zu bringen versuchte. Die Briten fingen die Schiffe ab und brachten sie nach Zypern. Viele, die die Vernichtungslager der Deutschen überlebt hatten, wurden ein zweites Mal hinter Stacheldraht interniert. Eines der Schiffe war ein ehemaliger nordamerikanischer Ausflugsdampfer, der über den Atlantik gebracht wurde. Er legte, begleitet von mehreren britischen Kriegsschiffen, am 11. Juli von Frankreich ab. Am 17. Juli wurde das Schiff in einer feierlichen Zeremonie in Exodus from Europe 1947 umbenannt.

 

Das Schiff war für 500 Passagiere gebaut worden; 1947 wurde es umgebaut, um 4.500 Menschen zu fassen. Der Passagier Michael Weill erinnert sich: „Geschlafen wurde abwechselnd im Liegen, Sitzen, Stehen. Die sanitären Bedingungen waren entsetzlich, viele sind gestorben.“ In Haifa, wo die Exodus ankern wollte, kam es zu einem vierstündigen Kampf mit den Briten, die versuchten, das Schiff zu entern. Über Kurzwelle wurde der Bericht über den Kampf live in alle Welt übertragen. Die Passagiere warfen u.a. Kartoffeln und Dosen; die Briten setzten Maschinengewehre und Tränengas ein und rammten schließlich das Schiff, das nun zu sinken drohte.

 

Die Passagiere wurden in Haifa auf Gefängnisschiffen umgeladen, zurück nach Frankreich gebracht und von da aus nach Deutschland, wo die jüdischen Passagiere – die den Holocaust überlebt hatten – nun in britischen Lagern hinter Stacheldraht interniert wurden.

 

Einige Mitglieder der UNSCOP waren gerade in Haifa gewesen, als die Briten die Juden gewaltsam von der Exodus holten. Sie hatten das Leid der Displaced Persons und die Auswirkungen der britischen Politik mit eigenen Augen gesehen.

 

 

UNSCOP-Plan

 

Über die weiteren Schritte konnte die UNSCOP unterdessen keine Einigkeit erzielen; der Bericht enthielt einen „Mehrheits-“ und einen „Minderheitsplan“. Der Mehrheitsplan sah vor, Palästina in einen arabischen und einen jüdischen Staat zu teilen und Jerusalem als corpus separatum zu internationalisieren. Der von Indien, Iran und Jugoslawien vertretene Minderheitsplan sprach sich für einen palästinensischen binationalen Föderativstaat aus, wobei die Einwanderung in die jüdische Region begrenzt werden sollte. Der Mehrheitsplan wurde im Wesentlichen in den UN-Teilungsplan für Palästina vom 29. November 1947 übernommen (UN-Resolution 181 (II)).

 

Das arabische Hochkomitee lehnte beide Pläne ab; es wollte weder einen binationalen Staat noch einen arabischen Staat an der Seite eines jüdischen, sondern einen einzigen arabischen Staat. Die Zionisten lehnten den Föderativstaat ab, unterstützten aber den Mehrheitsplan, der zur Grundlage für den UN-Teilungsplan vom 29. November wurde. Die Abstimmung fiel in die Woche von Thanksgiving. Noch am Mittwoch, dem Tag vor Thanksgiving, schien es so, als würde der Plan scheitern.

 

 

Sowjetunion für Teilung

 

Entscheidend für den endlichen Erfolg war, dass die Zionisten nicht nur die Vereinigten Staaten auf ihrer Seite hatten (lange Zeit war ja nicht einmal das gewesen); das hätte für die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit nicht gereicht. Es ging nicht ohne die Unterstützung der lateinamerikanischen Länder – und der Sowjetunion. Diese kam ein halbes Jahr vorher und war völlig überraschend. Mitte Mai hatte der sowjetische UN-Botschafter Andrei Gromyko eine Rede gehalten, in der er das britische Mandat als „bankrott“ bezeichnete und die „Bestrebungen der Juden, ihren eigenen Staat zu gründen“ unterstützte. „Kein westliches Land war dazu in der Lage gewesen, die elementaren Rechte des jüdischen Volkes zu schützen“, bemerkte er. Zwar favorisiere die Sowjetunion einen binationalen Staat, doch wenn dieser nicht möglich sein, sei sie für eine Teilung.

 

Die Bolschewisten hatten den Zionismus immer bekämpft und schon kurze Zeit später wurde die Sowjetunion der mächtigste Feind Israels. Was bewog den Judenfeind Stalin dazu, die Gründung Israels 1947 zu unterstützen? Er sah damals immer noch Großbritannien als den größten Rivalen; die Briten wollte er aus Palästina verschwinden sehen. Selbst wenn der neue jüdische Staat kein Verbündeter werden würde, könnte er sich vielleicht wohlwollende Neutralität sichern. Würde es zu Krieg und Chaos kommen, könnte auch das der Sowjetunion nützen – mehr jedenfalls als die Beibehaltung des Status quo, bei dem die Briten im Lande blieben. Ausgerechnet die Sowjetunion also war 1947 Israels „erster Freund“, wie der Historiker Martin Kramer es ausdrückt. (Es war dann auch die Tschechoslowakei – ein sowjetischer Satellitenstaat – die 1948 zum wichtigsten Waffenlieferanten Israels wurde; Truman hatte ein Waffenembargo gegen die „gesamte“ Region verhängt, das freilich nur Israel schadete, nicht den bereits gut gerüsteten arabischen Armeen.)

 

 

Der 29. November 1947

 

Dass beide verfeindete Supermächte sich gemeinsam für eine Resolution einsetzten, dürfte mehr als alle Versprechungen und Drohungen dafür gesorgt haben, die schwankenden Länder, darunter neun Staaten Lateinamerikas, ins Ja-Lager zu bringen. Zudem gab es keinen Alternativplan, da der Minderheitenplan eines binationalen Staates von den Arabern ja ebenfalls abgelehnt wurde. Die arabischen Führer in Palästina hatten gar keinen Plan – sie verließen sich allein auf ihre Einschätzung, dass die dem Stereotyp nach „feigen“ Juden ihnen im Kampf hoffnungslos unterlegen sein würden. Die Araber würden das ganze Land einnehmen. „Wenn die Juden ihren Staat bekommen, werden sie höchstens drei Wochen durchhalten“, prognostizierte der britische Feldmarschall Bernard Montgomery.

 

Am 29. November 1947 wurde noch auf der diplomatischen Bühne gekämpft. Zionisten und Araber, rangen in der UN-Generalversammlung hart um jede Stimme. Die Sitzung wurde über Radio live in alle Welt übertragen. Das Ergebnis:

 

Für den Plan stimmten (33): Australien, Belgien, Bolivien, Brasilien, Costa Rica, Dänemark, Dominikanische Republik, Ecuador, Frankreich, Guatemala, Haiti, Island, Kanada, Liberia, Luxemburg, Neuseeland, Nicaragua, Niederlande, Norwegen, Panama, Paraguay, Peru, Philippinen, Polen, Schweden, Sowjetunion, Südafrika, Tschechoslowakei, Ukraine, Uruguay, Venezuela, Vereinigte Staaten und Weißrussland.

 

Gegen den Plan stimmten (13): Afghanistan, Ägypten, Griechenland, Indien, Iran, Irak, Jemen, Kuba, Libanon, Pakistan, Saudi-Arabien, Syrien und die Türkei.

 

Der Stimme für oder gegen den Plan enthielten sich (10): Argentinien, Äthiopien, Chile, El Salvador, Honduras, Jugoslawien, Kolumbien, Mexiko, die Republik China und Großbritannien. Thailand blieb der Abstimmung fern.

 

Ben-Gurion, der ein halbes Jahr später die Unabhängigkeit ausrufen und der erste israelische Ministerpräsident werden sollte, schlief in der Nacht der UN-Sitzung in einem Hotel am Toten Meer. Später erinnerte er sich an jene Nacht: „In dieser Nacht tanzten Menschenmengen in den Straßen. Ich konnte nicht tanzen. Ich wusste, dass uns Krieg bevorstand und dass wir den besten Teil unserer Jugend verlieren würden.“

 

 

Das Erbe des UN-Plans

 

Israel verdankt dem Teilungsplan nicht seine Existenz; er wurde ja wegen des arabischen Widerstands nie umgesetzt und ist damit obsolet. Es verdankt ihm aber die Legitimation durch die Vereinten Nationen. Die Juden waren bereit, selbst einen Teilungsplan anzunehmen, der für sie schlecht war: Das jüdische Kernland hätte laut dem Plan nicht zum jüdischen Staat gehört: Die Ereignisse der Bibel haben sich ja nicht in Tel Aviv oder Haifa ereignet, sondern in Jerusalem, Hebron, Bethlehem, Nablus, Jericho oder Be’er Scheba. All diese Orte sollten laut dem Plan Teil des arabischen Staats sein – mit Ausnahme von Jerusalem, das zu keinem der beiden Staaten gehören, sondern unter UN-Verwaltung bleiben sollte. Nach Jerusalem hätte es für die Juden nicht einmal eine Landverbindung gegeben, es wäre völlig vom arabischen Staat umschlossen gewesen. Den Juden wurde ein schmaler Küstenstreifen zugesprochen, dazu ein Stück Wüste. Trotzdem stimmten sie zu, während die arabische Seite zu keinerlei Kompromissen bereit war und auf Krieg setzte statt auf Diplomatie; erst 2011 gab Mahmoud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, zu, dass es ein „Fehler“ der arabischen Seite gewesen sei, dem Plan nicht zuzustimmen.

 

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmäßig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt „Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos.“

 

 

Die UN-Resolution vom 29. November 1947: Gab es einen Zusammenhang mit dem Holocaust?

 

Ein Gastbeitrag von Evyatar Friesel

 

Es wird weithin angenommen, dass die Katastrophe des europäischen Judentums im Zweiten Weltkrieg einen entscheidenden Einfluss hatte auf den am 29. November 1947 erfolgten Beschluss der Vereinten Nationen zur Aufteilung Palästinas zwischen Juden und Arabern, welcher den Weg für die einige Monate später erfolgte Gründung Israels ebnete.

 

Schockiert vom Grauen des Holocausts, so wird argumentiert, entschieden die Nationen der Welt, dass die Juden in ihrem Streben nach einem eigenen Staat unterstützt werden sollten. Diese Hypothese bricht jedoch in sich zusammen, wenn man die historischen Fakten untersucht.

 

 

Die jüdische Eigenstaatlichkeit im zionistischen Denken

 

Das Streben nach einem jüdischen Staat oder einer jüdischen Heimstätte war das erklärte Ziel der Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Zionistischen Weltorganisation. Bis 1939 wurde dieses Ziel im Rahmen des britischen Mandats in Palästina mit Billigung des Völkerbunds verfolgt. Ein Wandel in der britischen Politik (das Palästina-Weißbuch vom Mai 1939) beendete das Einvernehmen zwischen der zionistischen Bewegung und Großbritannien. Das Weißbuch sah vor, dass Palästina in zehn Jahren politische Unabhängigkeit erlangen könnte, was gleichbedeutend gewesen wäre mit einem arabischen Staat mit einer jüdischen Minderheit, die ungefähr so gross war wie ein Drittel der Bevölkerung Palästinas.

 

Das Weißbuch von 1939 wurde von der zionistischen Bewegung uneingeschränkt abgelehnt. Beim XXI. Zionistenkongress im August 1939, kurz vor Kriegsausbruch, formulierte der Anführer der Zionisten, David Ben-Gurion, eine neue Strategie:

 

„Das ‚Weißbuch‘ hat ein Vakuum innerhalb des Mandats geschaffen. Für uns existiert das ‚Weißbuch‘ in keiner Form, unter keiner Bedingung und in keinerlei Interpretation. Für uns gibt es nur dieses Vakuum, das im Mandat geschaffen wurde, und es ist an uns, dieses Vakuum aus unserer eigenen Kraft zu füllen … Wir selbst werden handeln müssen, als seien wir der Staat in Palästina; und wir müssen auf diese Art und Weise agieren, bis wir zum Staat in Palästina werden, wenn wir dies erreichen wollen.“

 

Ungeachtet der Umwertungen während des Zweiten Weltkriegs blieb die unabhängige jüdische Eigenstaatlichkeit der politische Bezugspunkt der zionistischen Bewegung. Bei einer internationalen Konferenz im Mai 1942 wurde das Biltmore-Programm verabschiedet, welches erklärte, dass nach dem Krieg „… Palästina als ein jüdischer Staatenbund (Jewish commonwealth), eingebunden in die Struktur der neuen demokratischen Welt, festgelegt werden sollte.“ Wenngleich die Situation des europäischen Judentums ein Hauptthema der Konferenz war, war den Delegierten dennoch das volle Ausmaß der Tragödie, die sich in Europa abspielte, nicht bewusst. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1942 würden die grauenvollen Fakten bekannt werden.

 

 

Die Palästinafrage bei den Vereinten Nationen 1947 – UNSCOP (United Nations Special Committee on Palestine)

 

Zum Kriegsende im Jahr 1945 war die Führung der Zionisten doppelt gestraft: Erstens durch die Vernichtung des europäischen Judentums, dem bedeutendsten menschlichen Fundament der Bewegung, und zweitens durch die zunehmenden Spannungen mit den Arabern und auch mit den Briten in Palästina, mit denen sich die ehemalige Zusammenarbeit nach und nach zu einem Konflikt entwickelte.

 

Im April 1947 begann eine neue politische Phase in Bezug auf Palästina, als die britische Regierung die Palästinafrage an die Organisation der Vereinten Nationen übergab. Wegen des aufkeimenden Kalten Kriegs und weil die britische Kontrolle am Suezkanal immer weiter nachließ, gewann Palästina als strategische Basis des Westens im Nahen Osten zunehmend an Bedeutung. Die Briten wollten die Bedingungen ihres Mandats in Palästina verändern, sprich, die Verpflichtungen gegenüber den Juden herausnehmen. Als die Palästina-Frage nun allerdings an die UN übergeben worden war, prüfte die internationale Organisation die Frage von ihrem eigenen Standpunkt aus und entsprechend ihrer eigenen politischen Dynamik, die nicht unbedingt den Interessen Großbritanniens entsprach.

 

Die Zionisten betrachteten die UN als eine ungünstige Plattform. Im Gegensatz zu ihrem Status im nicht mehr bestehenden Völkerbund (der 1946 aufgelöst und durch die UN abgelöst wurde) hatten sie in der UN keinen offiziellen Status, während verschiedene arabische Länder und Staaten mit großen und einflussreichen muslimischen Minderheiten dort vertreten waren. Dennoch zeigte sich Mitte Mai 1947 zur Überraschung aller ein Hoffnungsstrahl, als der sowjetische Delegierte erklärte, dass die Sowjetunion die Teilung Palästinas zwischen Juden und Arabern möglicherweise unterstützen würde.

 

Von Anfang an war die arabisch-jüdische Konfrontation ein Hauptthema in den Palästina-Beratungen der UN: „Die überwältigende Mehrheit [der UN-Delegierten] drückte keine Präferenzen oder Sympathien für die eine oder die andere der unmittelbar an der Palästinafrage interessierten Parteien aus. Während es eine Gruppe gab, die jeden Schritt, der im Interesse des Arabischen Hohen Komitees (die Vertretung der Araber Palästinas) war, massiv unterstützte, gab es keine solche Gruppe, die die jüdische Haltung unterstützt hätte“, schrieb ein jüdischer Teilnehmer der Beratungen. Einige wenige der UN-Delegierten waren sich der Tragödie, die das europäische Judentum vor Kurzem erlebt hatte, bewusst und verständnisvoll angesichts der Hoffnungen der zionistischen Bewegung. Äußerungen dieser Art wurden jedoch meist sorgfältig und unter Berücksichtigung der Interessen der Araber abgewogen.

 

Im Zuge der UN-Beratungen war die Gründung des United Nations Special Committee on Palestine (UNSCOP) Mitte Mai 1947 von entscheidender Bedeutung. Es war das UNSCOP, vor dem das jüdische Anliegen in Hinblick auf Palästina umfassend vorgestellt wurde. Dabei gab es drei Schwerpunkte: die Errungenschaften der nationalen jüdischen Heimstätte, die politischen Spannungen in Palästina und die Lage der jüdischen Flüchtlinge in Europa.

 

„Ein Drittel unseres Volkes ermordet.“

 

Die vor dem UNSCOP erschienenen zionistischen Vertreter (die Araber boykottierten die Beratungen) wurden zu praktischen Themen befragt, wie etwa der Entwicklung der jüdischen Gesellschaft in Palästina und den Beziehungen zwischen Juden und Arabern. Die Zionisten passten sich dieser politischen Dynamik an und konzentrierten sich auf ihr Ziel: die jüdische Unabhängigkeit in Palästina. Sie hielten ihre Gefühle fest unter Kontrolle, obwohl die meisten von ihnen aus Ost-Europa stammten und praktisch alle von ihnen Familienmitglieder im Holocaust verloren hatten. Die Lage der Juden war katastrophal, die Probleme des jüdischen Volks und der zionistischen Bewegung schienen nahezu hoffnungslos. Zwangsläufig gab es Momente, in denen die Last der Tragödie sich ungehemmt Bahn brach: „Kann sich irgendjemand vorstellen, was das bedeutet? Was das für uns bedeutet? Kann man es sich vorstellen – eine Million Säuglinge in den Gaskammern verbrannt? Ein Drittel unseres Volkes, beinahe so viel wie die gesamte Bevölkerung Schwedens, ermordet?“ schrie Ben-Gurion, der vermutlich am wenigsten Sentimentale und Zielorientierteste unter den Führern der Zionisten, in seinem Zeugnis vor dem UNSCOP. Wenn es auch eine scheinbare Ähnlichkeit im Verhalten von Nicht-Juden und Juden bei den UN-Beratungen gab, so waren die zugrunde liegenden Ursachen dennoch völlig unterschiedlich. Für die meisten der nicht-jüdischen Vertreter war Palästina – auch wenn es als ein kompliziertes Dilemma betrachtet wurde – von zweitrangiger Wichtigkeit, nur eines unter vielen weltbewegenden Problemen: die politische Umgestaltung Europas, der aufkeimende Kalte Krieg, die Erschütterungen auf dem indischen Subkontinent, die instabile politische Lage in China. Für die Juden aber war dies der Augenblick der Wahrheit, der internationalen Entscheidung.

 

 

Amerikanische und sowjetische Strategien bei den UN-Beratungen

 

In der Frühgeschichte der Vereinten Nationen war die Abstimmung über Palästina am 29. November 1947 ein dramatischer Augenblick. Das Ausmaß des Problems und der drohende bewaffnete Konflikt im Land schufen eine allgemeine Stimmung der Unentschlossenheit. Was den Ausschlag für die Teilungslösung gab, war die Tatsache, dass sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion dafür waren. „… es grenzt nahezu an ein Wunder, dass diese beiden Länder sich in unserem Fall einig waren“, schrieb Chaim Weizmann im Oktober 1947.

 

Aus historischer Sicht wird klar, dass die Übereinkunft zwischen den beiden Supermächten gegensätzliche Motivationen widerspiegelt. Die Äußerungen der Sowjet-Vertreter vor der UN waren in beinahe pro-zionistischer Manier formuliert, was angesichts der antizionistischen Sowjet-Politik der Vergangenheit (die nur zu bald wieder aufgegriffen werden sollte) umso bemerkenswerter ist. Tatsächlich basierte die Haltung der Sowjets auf handfesten politischen Gründen: man wollte die Briten aus Palästina heraus haben. Dies würde in einer wichtigen Region, in der die Russen bislang außen vor waren, Einflusskanäle für die Sowjetunion öffnen. Die Sowjetunion hatte von der unabhängigen Staatlichkeit in Palästina (geteilt oder nicht) viel zu gewinnen und nichts zu verlieren.

 

Die amerikanische Position nachzuvollziehen, wird durch den Fehlglauben, dass deren Palästina-Politik in den Jahren 1947–1948 signifikant von einem idealistischen Wunsch, den Juden zu helfen, beeinflusst wurde, nicht einfacher. Es stimmt, dass die öffentliche Meinung der Amerikaner im Allgemeinen Sympathien für die jüdischen Hoffnungen in Palästina hegte, und auch das amerikanische Judentum hatte ein gewisses politisches Gewicht. Dennoch basierte die amerikanische Auslandspolitik auf eigenen Interessen. Die wachsende Bedeutung des Öls aus dem Nahen Osten sowie der politische und militärische Druck durch sowjetisch-unterstützte Bewegungen und Parteien in Griechenland, der Türkei und dem Iran, machten den Nahen Osten zu einem ernsten Konfrontationsbereich zwischen dem Westen und der Sowjetunion. Die politische Ausrichtung der Amerikaner war, den aufziehenden bewaffneten Konflikt in Palästina zu vermeiden, der andere Länder verschlingen und gewiss die Interessen des Westens in der Region schädigen würde. Da die arabisch-jüdische Konfrontation die Möglichkeit eines binationalen Staates ausschloss, stellte die Teilung des Landes wenn auch nicht die beste, so doch zumindest eine Lösung dar, die einen Konflikt vermeiden könnte. Außerdem eröffnete die Teilung eine Möglichkeit zur Lösung des Problems der jüdischen Flüchtlinge in Europa.

 

Zwei Drittel der in der UN vertretenen Länder wählten am 29. November 1947 gemäß den Empfehlungen des UNSCOP: die Teilung Palästinas in zwei Staaten mit einer gemeinsamen wirtschaftlichen Union. Des Weiteren sollte Jerusalem eine separate Einheit unter UN-Verwaltung werden. Dies trotz der Tatsache, dass über zwei Drittel der Stadtbevölkerung Juden waren und dass aus zionistischer Sicht ein jüdischer Staat ohne Jerusalem ein fundamentaler Widerspruch war.

 

 

Gab es einen Zusammenhang?

 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Tragödie des europäischen Judentums im Zweiten Weltkrieg in den UN-Beratungen über Palästina in den Jahren 1947–1948 eine signifikante Rolle gespielt hätte.

 

Aus jüdischer Sicht war die jüdische Eigenstaatlichkeit das zentrale Ziel des Programms der Zionisten seit Ende des 19. Jahrhunderts. Aus nichtjüdischer Sicht war das, was die UN zur Teilung Palästinas bewog, das Bewusstsein, dass das Land in Richtung Chaos und einem Krieg zwischen den Arabern und Juden driftete. Der Teilungsbeschluss der UN wurde nur mit der Unterstützung der beiden Supermächte – der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten – realisiert, allerdings basierte ihre jeweilige Haltung auf gegensätzlichen Gründen.  Was die anderen UN-Mitglieder betrifft, so zeigten einige der Delegierten Bewusstsein – und in einigen wenigen Fällen sogar Sympathie – für die jüdischen und zionistischen Bestrebungen. Nahezu alle jedoch betrachteten die Palästina-Frage im Hinblick auf die politischen Realitäten des Nahen Ostens. Kriterien wie die historische Verbindung des jüdischen Volkes zu Palästina oder Reflexionen über die jüngste Tragödie der Juden fielen kaum ins Gewicht. „… gleich welche Lösung für Palästina gefunden wird, sie kann nicht als eine Lösung für das jüdische Problem im Allgemeinen betrachtet werden“, lautete eine der Empfehlungen des UNSCOP.

 

 

Epilog: Von der Vergangenheit in die Gegenwart

 

In den vergangenen Jahren hat sich eine bizarre Argumentation entwickelt, die verfochten wird von einer befremdlichen Koalition aus Rechtsradikalen, Islamisten und gewissen Neo-Linken, die einen angeblichen Zusammenhang zwischen dem Holocaust und der UN-Resolution vom November 1947 sehen, um so eine Plattform gegen Israel zu rechtfertigen. Der UN-Beschluss, so heißt es, habe große Ungerechtigkeit für die Palästinenser zur Folge gehabt und sei zu einem Faktor für anhaltende Spannungen im Nahen Osten geworden. Und da Israel, so die Argumentation, als Resultat einer politischen Resolution der UN geschaffen wurden, habe die internationale Gemeinschaft das Recht und die Verpflichtung, den von ihr begangenen ‚Fehler‘ zu erkennen, die Verantwortung für das entstandene Unrecht zu tragen, in dessen angebliche Folgen einzugreifen, Veränderungen zu fordern – und sogar eine sogenannte ‚Abschaffung‘ des jüdischen Staates zu verlangen.

 

Eine solche Denkweise ist nichts anderes als ein modernes Beispiel für das uralte judenfeindliche Ressentiment, präsentiert in einem neuen Gewand: man will die Juden da treffen, wo es am meisten weh tut, nämlich bei ihrer lebenswichtigsten Schöpfung der Neuzeit, dem jüdischen Staat. Die Schritte, die zur Gründung Israels geführt haben, sollen rückgängig gemacht werden, erklärt der neue Euphemismus für die alte ‚Endlösung‘, denn gemeint ist das Verschwinden des jüdischen Staates und der derzeit dort lebenden mehr als sechs Millionen Juden. Auf diese Weise verwandelt sich ein perverses Konzept vom angeblichen Zusammenhang zwischen dem Holocaust, dem UN-Teilungsbeschluss und der Gründung des jüdischen Staats, in einen Ausdruck zeitgenössischen Antisemitismus, nur dieses Mal im Gewand des Antiisraelismus.

 

Evyatar Friesel ist Professor (em.) für moderne jüdische Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

 

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