Die jüdische Nakba Nakba

 

Nakba = Vertreibung von Juden aus arabischen und islamischen Ländern

 

Vertreibung von Juden aus arabischen und islamischen Ländern

 

Die Vertreibung von Juden aus arabischen und islamischen Ländern (hebräisch יציאת יהודים ממדינות ערב Yetziat yehudim mi-medinot Arav; arabisch التهجير الجماعي لليهود من الدول العربية والإسلاميةat-tahdschīr al-Dschamāʻī lil-yahūd min ad-duwal al-ʻarabīya wal-islāmīya) umfasste sowohl Flucht als auch Vertreibung von 850.000 Juden hauptsächlich sephardischer Herkunft aus arabischen und islamisch geprägten Ländern von 1948 bis in die 1970er Jahre, die abgeschwächt bis heute anhalten. Dadurch erloschen teils Jahrtausende alte jüdische Gemeinden. Sie wird auch jüdische Nakba genannt, womit auf Parallelen zwischen dem Schicksal der jüdischen Flüchtlinge des Nahostkonfliktes und mit dem unter der Bezeichnung Nakba bekannten Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge hingewiesen werden soll.

 

Hintergrund

 

Wie Christen, Zarathustrier und andere Leute des Buches waren auch die Juden in muslimischen Ländern seit dem Aufkommen des Islam nach dem Recht der Dhimma gegen Zahlung von Schutzgeld geduldet, wenngleich sie weniger Rechte hatten als Muslime. Obwohl die Abwanderung von Juden aus dem Nahen Osten und Nordafrika bereits im späten 19. Jahrhundert begann, war die Auswanderung bis zum Israelisch-Arabischen Krieg 1948 (Palästinakrieg) nicht signifikant. Die Idee des Zionismus und des jüdischen Staates machte nur auf eine Minderheit der Juden dieser Länder Eindruck. Nach dem Palästinakrieg und der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Juden in diesen Ländern jedoch erheblich; in vielen Staaten kam es zu Bombenattentaten, wie dem Angriff auf die Menarscha-Synagoge, Pogromen wie dem von Tripolis 1948, Verhaftungen, Folter, Enteignungen und Massenausweisungen von Juden. Eine Drohrede hoher islamischer Geistlicher an der al-Azhar-Universität unmittelbar nach dem UN-Teilungsplan 1947 löste Gewaltakte gegen jüdische Gemeinden in vielen arabischen und islamischen Staaten aus.

 

 

Vom Anfang des Krieges 1948 zwischen Israel und den arabischen Staaten bis in die frühen 1970er Jahre wurden zwischen 800.000 und einer Million Juden aus ihren Heimatgebieten in den arabischen Staaten vertrieben oder mussten flüchten. Allein zwischen 1948 und 1951 kamen 260.000 von ihnen nach Israel und stellten damit 56 % aller Einwanderer in dem neu gegründeten Staat. 600.000 Juden aus arabischen und muslimischen Ländern konnten Israel noch bis 1972 erreichen.

 

Zum Zeitpunkt des Jom-Kippur-Krieges von 1973 existierte praktisch keine jüdische Gemeinde mehr in der gesamten arabischen Welt sowie in Pakistan und Afghanistan. Bis 2002 machten Juden aus arabischen Ländern und ihre Nachkommen fast die Hälfte der Bevölkerung Israels aus.

 

Ursachen

 

Neben Flucht vor Antijudaismus, Antisemitismus und Antizionismus, militärischen Zwangsmaßnahmen, politischer Instabilität, Verfolgung und Vertreibung wollten einige Auswanderer auch ihrer zionistischen Sehnsucht folgen oder einen besseren wirtschaftlichen Status sowie eine gesicherte Heimat in Europa und Amerika erreichen. Ein bedeutender Teil der Juden flüchtete wegen politischer Unsicherheit und dem Aufstieg des arabischen Nationalismus, sowie später wegen der Politik der arabischen Regierungen, welche die Judenvertreibungen als eine von der Bevölkerungsmasse gesteuerte Vergeltungsmaßnahme für die arabischen Flüchtlinge aus Palästina darzustellen versuchten.

 

Daneben gab es auch wirtschaftliche Gründe für die systematische Vertreibungspolitik. Viele Juden wurden dazu angehalten, ihr Eigentum in ihren Heimatländern, aus denen sie flüchteten, zu verkaufen oder aufzugeben, manche wurden auch staatlicherseits enteignet.

 

Juden in arabischen Ländern ab 1947

 

Die meisten libyschen Juden flohen bis 1951 nach Israel, während 1961 den Verbliebenen die libysche Staatsbürgerschaft entzogen wurde und die Restgemeinde als Folge des Sechstagekrieges schließlich nach Italien evakuiert wurde. Fast alle jemenitischen Juden wurden 1949 bis 1950 in der Operation fliegender Teppich aus Angst um ihre Sicherheit evakuiert. Irakische und kurdische Juden wurden 1950 zunächst von der irakischen Regierung „ermutigt“, das Land zu verlassen, worauf die Regierung 1951 „die Vertreibung derjenigen Juden, die sich weigerten eine Erklärung des Antizionismus zu unterzeichnen“, anordnete. Die Juden Ägyptens wurden bereits 1948 zum Auswandern genötigt, und die meisten verbliebenen, etwa 21.000, wurden im Jahre 1956 offen staatlicherseits vertrieben. Algerische Juden besaßen seit dem Décret Crémieux von 1870 die französische Staatsbürgerschaft, weshalb die meisten von ihnen in Folge des Algerienkrieges nach Frankreich zogen. Infolge der Pogrome von Oujda und Jerada begannen marokkanische Juden 1948 ihr Land zu verlassen; der größte Teil der Gemeinschaft floh jedoch erst in den 1960er Jahren nach Frankreich, Kanada und Israel. Die tunesischen Juden verließen Tunesien zwischen 1948 und 1973, die meisten jedoch zwischen 1956 und 1966. Viele ließen sich in Frankreich, einige in Israel und Kanada nieder. Juden aus Nordafrika, die nach Frankreich emigrierten, erhielten automatisch die französische Staatsbürgerschaft.

Jüdische Bevölkerung arabischer muslimischer Länder und Gebiete: 1948, 1972 und 2000 bis heute

Land oder Gebiet

Jüdische

Bevölkerung 1948

Jüdische

Bevölkerung 1972

Jüdische Bevölkerung
2000 bis heute

Marokko

250.000–265.000

31.000

2.500–2.700 (2006)

Algerien

140.000

1.000

<50

Tunesien

50.000–105.000

8.000

900–1.000 (2008)

Libyen

35.000–38.000

50

0

 

Maghreb insgesamt

475.000–548.000

40.050

3.400–3.700

Irak

135.000–140.000

500

5

Ägypten

75.000–80.000

500

100

Jemen und Aden

53.000–63.000

500

<50

Syrien

15.000–30.000

4.000]

100 (2006)

Libanon

5.000–20.000

2.000

20–40

Bahrain

550–600

 

50

Sudan

350

 

≈0

Arabische Länder insgesamt (Maghreb eingerechnet)

758.350–881.350

 

<4.000

 

Der Libanon war der einzige arabische Staat, der nach 1948 eine temporäre Zunahme seiner jüdischen Bevölkerungszahl erlebte, was an den Flüchtlingsströmen aus anderen arabischen Ländern lag. Allerdings schrumpfte die jüdische Gemeinschaft des Libanon in der Folge ebenfalls aufgrund der Feindschaften im Bürgerkrieg im Libanon.

 

Vertreibung aus anderen muslimischen Ländern

 

Unter den nichtarabischen muslimischen Ländern erreichte die Fluchtwelle der iranischen Juden nach der Islamischen Revolution 1979 ihren Höhepunkt, als über 80 % der Juden im Iran im Zuge des Krieges mit dem Irak in die Vereinigten Staaten sowie nach Israel flohen. Türkische Juden wanderten hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen oder zionistischer Motivation aus; in den 1990er Jahren jedoch verursachten zunehmende terroristische Attacken gegen Juden Sicherheitsbedenken mit dem Ergebnis, dass erneut viele Juden nach Israel auswanderten.

 

Jüdische Bevölkerung nichtarabischer muslimischer Länder und Gebiete:

1948, 1972, 2000 und 2008

Land oder Gebiet

jüdischeBevölkerung1948

jüdischeBevölkerung1971

jüdische
Bevölkerung2008

Afghanistan

5.000

500

1

Bangladesch

unbekannt

 

175 bis 3.500

Iran

140.000–150.000

80.000

10.800

Pakistan

2.000–2.500

250

Kleine Gemeinde in Karatschi, etwa 200.

Türkei

80.000

30.000

17.800

Gesamt

202.000–282.500

110.750

32.100

 

Integration in Israel

 

Nach der Ankunft in Israel wurden zahlreiche Juden aus arabischen und islamischen Ländern zunächst in Auffanglagern (Ma'abarot) untergebracht und später im ganzen Land verteilt, wobei viele in Entwicklungsstädten angesiedelt wurden. Anders als die palästinensischen Flüchtlinge des Nahostkonfliktes, die in ihren arabischen Aufnahmestaaten meist weder Staatsbürgerschaft noch Arbeitserlaubnis erhielten und teilweise bis heute in Lagern ghettoisiert werden, konnten die Mizrachim meist vollständig in die zuvor aschkenasisch geprägte Mehrheitsgesellschaft Israels integriert werden, auch wenn sie lange Zeit in politischen, wirtschaftlichen und militärischen Führungspositionen unterrepräsentiert waren. Dies änderte sich aber in den späten 1970er Jahren mit dem Aufstieg der konservativen Partei Likud, deren Anhängerschaft und Führungspersonal sich überwiegend aus Mizrachim zusammensetzte. Aufgrund der Zersplitterung der israelischen Parteienlandschaft seit den 1990er Jahren und der sukzessiven Vermischung von Aschkenasim und Mizrachim sind sozialer Status und politische Einstellungen mittlerweile weitgehend unabhängig von der Herkunft.

 

Am 23. Juni 2014 hat das israelische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das den 30. November als jährlichen landesweiten Gedenktag der Vertreibung von Juden aus den arabischen Ländern und dem Iran im 20. Jahrhundert festlegt.

 

„Jüdische Nakba“

 

Bereits 1951, anlässlich der Beschlagnahme des zurückgelassenen Eigentums von aus dem Irak geflohenen Juden durch die dortige Regierung, wurde von israelischer Seite das Schicksal der jüdischen Flüchtlinge als wesensgleiches Gegenstück zu dem der palästinensischen Opfer des Nahostkonfliktes betrachtet. Der israelische Außenminister Mosche Scharet erklärte zu palästinensischen Entschädigungsforderungen für bei der Nakba zurückgelassenen Besitz, dass die wechselseitigen Forderungen miteinander aufzurechnen seien.

 

Inzwischen werden die Vertreibungen gelegentlich auch als „jüdische Nakba“ bezeichnet. Ben-Dror Yemini, ein israelischer Journalist jemenitischer Abstammung, die in Ägypten geborene Schriftstellerin und Friedensforscherin Ada Aharoni sowie der ehemalige kanadische Justizminister Irwin Cotler verwenden diesen Ausdruck bzw. doppelte Nakba. Damit wird auf Parallelen zwischen der Vertreibung von Juden aus arabischen Ländern und der Flucht und Vertreibung der etwa 700.000 arabischen Palästinenser bei der Gründung des Staates Israel hingewiesen, derer die Palästinenser jährlich am Nakba-Tag gedenken.

 

Der Begriff wird nicht nur von israelischer Seite verwendet, sondern auch in internationalen und durchaus israelkritischen Medien wie der New York Times oder dem britischen Guardian.

 

UNO-Resolutionen zu jüdischen und palästinensischen Flüchtlingen

 

Seit 1947 wurden über 1.000 UNO-Resolutionen zum arabisch-israelischen Konflikt verabschiedet. Mehr als 170 davon behandeln das Schicksal der 750.000 palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen. Keine einzige beschäftigt sich mit dem Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus den arabischen Ländern und dem Iran und ihrer Nachkommen.

 

Der Politologe Stephan Grigat sieht darin ein „antiisraelisches Agieren der Vereinten Nationen“.

 

 

Die Erfindung der palästinensischen ‚Nakba‘

 

 „Heutzutage werden der gescheiterte palästinensisch-arabische Versuch, den Staat Israel bei dessen Geburt zu zerstören, und die damit verbundene Flucht von rund 600.000 palästinensischen Arabern international als ‚Nakba‘ (die Katastrophe) bezeichnet. Impliziert ist darin das falsche Bild einer unglücklichen Opferschaft.

 

Ironischerweise ist dies das Gegenteil der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs, wie er vom syrischen Historiker Constantin Zureiq erstmals auf den arabisch-israelischen Konflikt angewendet wurde. In seiner Broschüre ‚Die Bedeutung der Katastrophe‘ (Ma’na al-Nakba) von 1948 führte Zureiq die palästinensisch-arabische Flucht auf den gescheiterten panarabischen Angriff auf den entstehenden jüdischen Staat zurück – und nicht einen vorsätzlichen zionistischen Plan zur Vertreibung der palästinensischen Araber:

 

‚Als der Kampf ausbrach, begann unsere Propaganda von unseren imaginären Siegen zu sprechen, die arabische Öffentlichkeit einzuschläfern und einen einfach zu erringenden Sieg vorherzusagen – bis die Nakba geschah … Wir müssen unsere Fehler zugeben … und das Ausmaß unserer Verantwortung für die Katastrophe erkennen, die unser Schicksal ist.‘

 

Zureiq hielt Jahrzehnte lang and dieser kritischen Sichtweise fest. In einem späteren Buch, ‚Die Bedeutung der neuerlichen Katastrophe‘ (Ma’na al-Nakbah Mujaddadan), das nach dem Krieg im Juni 1967 veröffentlicht wurde, definierte er diese jüngste Niederlage als ‚Nakba‘, und nicht als ‚Naksa‘ (Rückschlag), wie sie im arabischen Diskurs bekannt wurde. Denn es habe sich – wie 1948 – um eine selbstverschuldete Katastrophe gehandelt, die aus dem Versagen der arabischen Welt resultierte, sich dem Zionismus entgegenzustellen. (…)

 

In seinem Buch ‚Fakten zur Palästina-Frage‘ (Haqa’iq an Qadiyat Falastin) von 1956 verwendete Hajj Amin Husseini, der Führer der palästinensischen Araber von Anfang der 1920er bis 1948, den Begriff ‚al-Karitha‘, um den Zusammenbruch und die Auflösung der palästinensisch-arabischen Gesellschaft zu beschreiben.

 

Laut dem palästinensischen Akademiker Anaheed Al-Hardan von der American University of Beirut spiegelte sich darin Husseins Wunsch wider, den Begriff ‚Nakba‘ zu vermeiden, der damals weitgehend mit einer selbstverschuldeten palästinensisch-arabischen Katastrophe in Verbindung gebracht wurde – sei es durch Landverkäufe an Zionisten, durch die Unfähigkeit, den Kampf gegen Israel zu führen, oder durch Anweisungen an die Bevölkerung, das Gebiet zu verlassen.

 

Nach dem Krieg von 1948 tauchte der Begriff jahrzehntelang nicht wieder auf – nicht einmal im geheiligten Gründungsdokument der PLO, dem ‚Palästinensischen Manifest‘ (1964, überarbeitet 1968). Erst Ende der 80er Jahre wurde er einer breiteren Öffentlichkeit zur Bezeichnung eines von Israelis begangenen Unrechts bekannt.

 

Ironischerweise war es eine Gruppe von politisch engagierten, selbsternannten israelischen ‚neuen Historikern‘, die der palästinensischen Nationalbewegung ihr vielleicht bestes Propagandainstrument zur Verfügung stellten, indem sie auf einer massiv verzerrenden Interpretation von Archivmaterial die Geschichte von Israels Geburt auf den Kopf stellten, wobei Angreifer zu unglücklichen Opfern wurden und vice versa. (…)

 

Die ‚Nakba‘ ist keine Tatsache, sondern ein manipulativer und griffiger Begriff, der dazu bestimmt ist, die palästinensische Propaganda gegen Israel zu unterstützen. (…) Israel wäre gut beraten, sich an die wichtige Rede von Abba Eban, dem damaligen israelischen Botschafter bei den Vereinten Nationen, vom 17. November 1958 zu erinnern. Er sprach die Flüchtlingsfrage an, ohne den Begriff Nakba zu verwenden:

 

‚Das arabische Flüchtlingsproblem wurde durch einen Angriffskrieg verursacht, den die arabischen Staaten 1947 und 1948 gegen Israel führten. Lassen Sie uns hier ganz klar sein: Wenn es keinen Krieg gegen Israel mit dem daraus resultierenden Blutvergießen, dem Elend, der Panik und der Flucht gegeben hätte, gäbe es heute kein arabisches Flüchtlingsproblem.

 

Sobald Sie die Verantwortung für diesen Krieg identifiziert haben, haben Sie die Verantwortung für das Flüchtlingsproblem bestimmt.‘“

 

(Raphael G. Bouchnik-Chen: „The False ‚Nakba‘ Narrative“)

 

 

Flucht aus muslimischen Ländern: Die „jüdische Nakba“

 

Eine der größten humanitären Krisen des 20. Jahrhunderts wurde lange nicht als solche angesehen. Sie ist deshalb weltweit in Vergessenheit geraten. Auch in Israel bekommt sie nicht die Aufmerksamkeit, die ihr zusteht: die Flucht Hunderttausender Juden aus arabischen und islamischen Staaten.

 

In Nachlaot, dem urigen Viertel gegenüber dem jüdischen Markt in Jerusalem, geht Schmuel täglich seiner Arbeit nach. Alte Lederlappen, viele Paar Schuhe, Hämmer, Schraubendreher – all das braucht er, um seinen kleinen Schusterladen am Laufen zu halten. Die Wände sind beklebt mit vergilbten Bildern, eine große „Singer“-Nähmaschine steht an der Seite. „Früher war alles, was aus Deutschland kam, sehr gut. Diese Maschine hat Jahrzehnte gehalten und läuft auch heute noch rund. Heute steht ‚Deutschland‘ nur noch drauf, aber tatsächlich ist China drin.“ Der alte Mann schmunzelt vergnügt: „Heute ist alles anders.“ Schmuel freut sich, wenn er Arabisch reden kann. Fröhlich erzählt er in seinem nordsyrischen Akzent: „Geboren bin ich in Syrien, in Kamischli, an der Grenze zur Türkei. Meine Frau ist türkische Jüdin. 1960, als ich 14 Jahre alt war, bin ich mit dem Flugzeug aus Syrien nach Israel gekommen.“ Der kleine Mann wird nachdenklich: „Später kamen meine Geschwister nach. Meine Eltern sind in Kamischli gestorben und begraben.“ Stolz zeigt er auf die alten Fotos, die hinter seinem Arbeitsplatz hängen: „Vom Rabbiner bekamen wir eine Urkunde, dass wir zur jüdischen Gemeinde dort gehörten.“

 

Verfolgungen und Enteignungen

 

Doch viel mehr möchte Schmuel über die Vergangenheit nicht erzählen. Zu schrecklich sei gewesen, was sie damals, in Syrien, als Juden erlebt haben. Mit einer großen Schere fährt er geschickt an den Nähten eines rosa Ballettschuhs entlang: „Nie habe ich mit jemandem darüber gesprochen. Einzelne Erlebnisse habe ich meiner Frau erzählt. Dem Rest gegenüber schweige ich.“ Der erst so heitere Gesichtsausdruck hat sich stark verfinstert: „Auch mein Bruder und meine Kinder fragen mich nach dem, was damals passiert ist. Aber ich möchte nicht darüber sprechen. Wenn ich erzählen würde, kämen alle Erinnerungen wieder hoch. Und dann geht es mir schlecht.“ Schmuel ist einer von Hunderttausenden orientalischen Juden. Jahrhundertelang hatten sie in arabischen Ländern gelebt. Doch mit der Gründung des Staates Israel und in den darauf folgenden Jahrzehnten wurden sie aus ihren Heimatländern vertrieben. Weil es den arabischen Führern 1948 nicht gelungen war, den neuen Staat Israel zu zerstören, rächten sie sich an den Juden, die in ihren Ländern unter ihrer Kontrolle lebten. Diese Juden sahen sich Verfolgungen, Pöbeleien, Pogromen und Enteignungen ausgesetzt und flohen aus diesen Ländern, viele von ihnen nach Israel. Bis heute wird ihr Leiden verkannt und sie wurden nie für gestohlenes Eigentum entschädigt. Worte reichen nicht aus, um Abgründe der Menschheitsgeschichte zu beschreiben. Das Unfassbare des 20. Jahrhunderts, die fabrikmäßige Ermordung von sechs Millionen Juden, haben die Nationalsozialisten „Endlösung der Judenfrage“ genannt, international wird es bis heute als „Holocaust“ bezeichnet. Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen und heißt „vollständig verbrannt“. Juden in Israel nennen es „HaScho‘ah“, die Katastrophe. Später machten sich Palästinenser diesen Begriff zu eigen und bezeichnen heute mit „Al-Nakba“ die Flucht und teilweise Vertreibung der etwa 700.000 Araber, die bis 1948 im britischen Mandatsgebiet Palästina lebten. Schnell erklärten Palästinenser den 15. Mai zum Nakba-Gedenktag – das war der Tag, an dem der Staat Israel 1948 seine Unabhängigkeit verkündigte.

 

Ein neues Leben in Israel

 

Das, was die orientalischen Juden erlebten, wird von manchen als „jüdische Nakba“ bezeichnet. Wenig bekannt ist, dass in den späten Vierziger- bis frühen Fünfzigerjahren de fakto ein Bevölkerungsaustausch zwischen dem jungen jüdischen und den arabischen beziehungsweise muslimischen Staaten stattfand. Mindestens 850.000 Juden verließen ihre Heimat in den muslimisch geprägten Ländern, um ein neues Leben in Israel zu beginnen. Die Beweggründe der Einwanderer waren unterschiedlich. Manche entschieden sich aufgrund ihrer zionistischen Einstellung bewusst für den Neuanfang, andere aber hatten keine Wahl. Der israelische Historiker Edy Cohen berichtet im monatlichen „The Tower Magazine“ über seine Familie: „Wir waren libanesische Einwohner in der dritten Generation und ein unzertrennlicher Teil der Straße Wadi Abu Dschamil im jüdischen Viertel von Beirut. Wir wollten nie gehen. Über die Jahre machten wir Verwandtenbesuche in Israel, doch immer kehrten wir nach Hause in den Libanon zurück. In den 1970er Jahren gab es in Beirut etwa 7.000 Juden. Doch langsam wurde unser Leben in der Situation unmöglich. Auf der einen Seite erstarkte die Hisbollah, auf der anderen Seite war die schwache libanesische Regierung – die Juden waren der gleichen Verfolgung ausgesetzt wie schon unsere Brüder und Schwestern vor uns. Wir wurden zu Flüchtlingen, wie sie im internationalen Gesetz definiert werden: Jemand, der aus Angst vor Verfolgung, oder wegen seines völkischen, religiösen oder nationalen Hintergrundes flieht.“ Cohen fügt an: „Als die Hisbollah 1985 zwölf libanesische Juden entführte und ermordete, war uns klar, dass dieser Flüchtlingsstatus nun auch auf uns zutraf.“ Cohen weist weiter auf den Umstand hin, dass die Beschäftigung mit jüdischen Flüchtlingen aus der arabischen Welt häufig lediglich im Kontext des palästinensischen Flüchtlingsproblems gesehen wird. Dieses Phänomen hält er für unangemessen, denn: „Tatsächlich wurden Hunderttausende von Juden, die aus arabischen Staaten flohen, unter Todesangst gezwungen, ihre Länder zu verlassen. Niemals handelten sie aktiv gegen die Länder, in denen sie lebten. Die Palästinenser hingegen führten Krieg gegen ihre jüdischen Nachbarn und drückten offen ihren Wunsch danach aus, die vorstaatliche jüdische Gemeinschaft in Palästina, den Jischuv, zu zerstören. Außerdem verließ ein großer Teil der palästinensischen Flüchtlinge seine Häuser freiwillig, überzeugt davon, dass sie nach der Invasion der arabischen Armeen in einigen Tagen dorthin zurückkehren könnten.“ Cohen führt einen Eintrag der jordanischen Zeitung „Palästina“ vom 19. Februar 1949 an: „Die arabischen Staaten ermunterten die Araber von Palästina zeitweise, ihre Häuser zu verlassen, damit sie nicht mit den arabischen einmarschierenden Kräften zusammenstießen.“

 

Triumph über die Katastrophe

 

Vielleicht habe es tatsächlich zwei Nakbas gegeben, sinniert Cohen. Doch er betont, dass die „jüdische Nakba“ nicht nur die Geschichte einer Katastrophe sei, sondern die des Triumphs über das Elend. Während sich die Nachfahren der arabischen Flüchtlinge von 1948 bis heute als Flüchtlinge bezeichnen, zu großen Teilen Unterstützung durch das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) erhalten und davon träumen, künftig nach Israel einzureisen, um die jüdische Bevölkerung allein durch zahlenmäßige Überlegenheit zu überwältigen, haben die meisten jüdischen Flüchtlinge es geschafft, ihre Schwierigkeiten zu überwinden. Mit wenig oder gar keinen Habseligkeiten kamen sie nach Israel und bauten sich eine neue Existenz auf. Viele von ihnen arbeiten erfolgreich als Ärzte, Ingenieure, Rechtsanwälte oder Politiker in der Knesset. Als einen Grund dafür, dass die Geschichte der orientalischen Juden so wenig bekannt ist, führt Cohen den posttraumatischen Zustand an, in dem die jüdischen Flüchtlinge nach Israel kamen. Sie sprachen nicht über die Vergangenheit, die sie hinter sich gelassen hatten. In den vergangenen Jahren hat der Staat Israel versucht, dem entgegenzuwirken. Am 30. November 2014 wurde in Israel erstmals der Gedenktag für die jüdischen Flüchtlinge aus der arabischen Welt und dem Iran begangen. 2010 wurde ein Gesetz in der Knesset verabschiedet, das die Rechte auf Kompensierung für gestohlenes Eigentum jüdischer Flüchtlinge aus muslimischen Staaten fordert. Cohen betont: Nur wenn der Westen neben der palästinensischen auch die „jüdische Nakba“ anerkenne, bekämen die jüdischen Flüchtlinge und ihre Nachkommen die Möglichkeit, ihre Vergangenheit angemessen aufzuarbeiten. Und vielleicht wäre dann auch Schmuel in der Lage, seine Geschichte zu erzählen. (mh)

 

 

“Die Jüdische Nakba” – Protokoll einer Ignoranz

 

·        Mit unserer Reihe “Die jüdische Nakba*“ beschäftigen wir uns mit dem schweren Schicksal der    jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Staaten und der Ignoranz ihnen gegenüber.

·        Die Verfolgung der Juden begann allerdings bereits mit der Eroberung und Kolonisierung des  Nahen Ostens durch den Islam, Jahrhunderte vor der Errichtung des Staates Israel.

·        *Nakba ist ein arabisches Wort und steht für die Flucht der Juden nach 1948.

 

Etwa 600.000 arabische Flüchtlinge verließen im Jahr 1948 das neu gegründete Israel, teilweise auf Aufforderung ihrer Führung, teilweise aufgrund von militärischen Anweisungen Israels wie in Lod und Ramle. Etwa 850.000 Juden flüchteten von 1948 an im Lauf der Jahre und Jahrzehnte aus arabischen Ländern, 650.000 nach Israel, 200.000 nach europäischen Staaten wie Frankreich.

 

Für die arabischen Flüchtlinge wurde eine eigene Organisation, die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) geschaffen, die im Mai 1950 ihre Arbeit aufnahm. Die jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern wurden ignoriert. Um diese jüdischen Flüchtlinge kümmerte sich keine UN-Organisation und auch sonst waren und sind sie kaum ein Thema der Politik.

 

Die folgenden Kapitel von Dr. Raimund Fastenbauer erschienen in Mena-Watch und wurden von Günter Malkowsky zusammengestellt und überarbeitet.

 

Dr. Raimund Fastenbauer ist Generalsekretär der IKG in Ruhe, Vizepräsident der Bnai Brith, Mitglied von Mauthausenkomitee und DÖW, und seit Jahren aktiv in der Bekämpfung alter und neuer Formen des Antisemitismus.

1. Die »jüdische Nakba« wird verschwiegen

 

Das ist der erste einer Reihe von Artikeln, die sich mit dem schweren Schicksal der jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Staaten und der Ignoranz ihnen gegenüber beschäftigt.

 

Um diese jüdischen Flüchtlinge kümmerte sich keine UN-Organisation und auch sonst sind sie kaum ein Thema der Politik. Die Verfolgung der Juden begann allerdings bereits mit der Eroberung und Kolonisierung des Nahen Ostens durch den Islam Jahrhunderte vor der Errichtung des Staates Israel. Das Judenbild im Islam werden wir vor der Beschreibung der Situation in den einzelnen Ländern, kritisch betrachten.

 

Etwa 600.000 arabische Flüchtlinge verließen im Jahr 1948 das neu gegründete Israel, teilweise auf Aufforderung ihrer Führung, teilweise aufgrund von militärischen Anweisungen Israels wie in Lod und Ramle. Etwa 850.000 Juden flüchteten von 1948 an im Lauf der Jahre und Jahrzehnte aus arabischen Ländern, 650.000 nach Israel, 200.000 nach europäischen Staaten wie Frankreich.

 

Bei der Unterstützung der arabischen Flüchtlinge gingen die Vereinten Nationen weit über die Regeln der Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen unter dem Dach des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) in vergleichbaren Fällen hinaus

 

Diese Prinzipien der UNHCR sollen das Asylrecht sichern und die Integration der Flüchtlinge in den jeweiligen Aufenthaltsländern fördern. Nahezu zeitgleich mit dem Israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 war es beginnend im Jahr 1947 zu einem Bevölkerungsaustausch zwischen Indien und Pakistan gekommen, der zu einer derartigen Integration der Flüchtlinge in den jeweiligen neuen Aufenthaltsländern geführt hatte.

 

Eigene UN-Organisation für Palästinenser

 

Für die arabischen Flüchtlinge wurde eine eigene Organisation, die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) geschaffen, die im Mai 1950 ihre Arbeit aufnahm.

 

Wie die Palestine Liberation Organization (PLO) rückblickend feststellte, war von Anfang an intendiert, die 1948 Relozierten in ihrem Flüchtlingsstatus zu belassen, um damit die »palästinensische Identität zu stärken. So wird das Asylrecht in den Aufnahmeländern nicht berücksichtigt, im Gegenteil: Ausgenommen von Jordanien hatten die Flüchtlinge in keinem anderen arabischen Land die Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft zu erwerben.

 

Die UNWRA, die 58 Flüchtlingslager im Libanon, in Syrien, Jordanien, Gaza, dem Westjordanland und Jerusalem betreibt, sichert, 95 Prozent des Budgets der UNWRA werden durch insgesamt 116 Geberländer aufgebracht, wobei die USA das größtes Geberland sind, gefolgt von der EU, wo wiederum Deutschland führend ist. 

 

Im Laufe der Jahre dehnte die UNWRA ihre Sozialleistungen generell auf alle bedürftigen Palästinenser aus, die Flüchtlingsdefinition wiederum wird von Generation zu Generation vererbt. Während damit laut UNWRA-Definition die Zahl der Flüchtlinge am 31.12.2020 über 5,7 Mio betrug, würde sie gemäß UNHCR-Definition nur noch einige zehntausend aus dem Jahr 1948 umfassen. Die UNWRA schreibt den Flüchtlingsstatus jedoch von Generation zu Generation als Erbgut fort und führt in ihrer Statistik auch arabische Flüchtlinge an, die längst nicht mehr in Flüchtlingslagern leben und etwa nach Europa ausgewandert sind. Die Lager selbst ähneln inzwischen Kleinstädten mit drei- bis vierstöckigen Häusern.

 

Von Anfang an verbreitete die UNWRA die Ideologie des »Rückkehrrechts«, die sich nicht auf UN-Resolutionen stützen kann. Die in diesem Zusammenhang stets angeführte und am 11. Dezember 1948 verabschiedete Resolution 194 der UN-Generalversammlung beinhaltete eine Rückkehrmöglichkeit unter der Voraussetzung, dass Rückkehrer »in Frieden« mit ihren Nachbarn leben würden. Die revanchistische Propaganda der palästinensischen Organisationen wie weitgehend auch das lokale Personal, etwa die Lehrer, bewerben dagegen den Kampf gegen Israel und versuchen, diesen zu befeuern.

 

Anmerkungen:

  1. Laut israelischen Berechnungen waren es 520.000, die UN sprach von 726.000, die Engländer von 810.000 und die Palästinenser von einer Million.
  2. Maurice Roumani: The Jews from Arab Countries. A Neglected Issue. Tel Aviv 1983, S. 2.
  3. Vgl. Alex Feuerherdt / Florian Markl: Die Vereinten Nationen gegen Israel, Leipzig 2018.
  4. Palestinian Liberation Organization (Department of Refugee Affairs): The Palestinian Refugees Factfiles, Ramallah 2000, S. 22.
  5. David Bedein: Roadblock to Peace, Jerusalem 2014, S. 9.

 

2. Die »jüdische Nakba«: Geschichte der muslimischen Judenfeindschaft

 

Die Gründung Israels im Jahr 1948 war der Anlass, aber nicht der Grund für die Vertreibung der Juden aus der arabischen Welt.

 

Die »jüdische Nakba«, die Flucht der Juden aus arabischen Ländern, geschah in zeitlichem Zusammenhang mit der Gründung Israels im Jahr 1948. Das ist sicherlich unbestritten, doch ihre Verfolgung geschah nicht bloß wegen der Etablierung des jüdischen Staates, denn der muslimische Antisemitismus hat eine lange Vorgeschichte.

 

Umgekehrt hatten Juden nun endlich ein Land, in das sie vor Diskriminierung und Verfolgung flüchten konnten. Der Zionismus war nicht die Ursache der Judenfeindschaft, sondern eine Reaktion darauf – und ein Anlass und eine Ausrede, um nicht über Jahrhunderte der Judenfeindschaft sprechen zu müssen.

 

Der Islam und die Juden

 

In der Spätantike gelangte monotheistisches, vom Judentum und Christentum beeinflusstes Gedankengut auf die Arabische Halbinsel und auch nach Mekka, die Heimatstadt Mohammeds, des späteren Propheten des Islams. Die koranische Überlieferung ist ursprünglich stark von biblischen Traditionen beeinflusst, mit denen Mohammed sich gegen das herrschende polytheistische Religionsverständnis Mekkas stellte.

 

Nach seiner Flucht aus Mekka nach Medina kam es jedoch zunehmend zu Auseinandersetzungen mit den Juden Medinas und jüdischen Stämmen, die besiegt wurden. Ähnlich wie im Neuen Testament findet man in weiterer Folge im Koran nach Auseinandersetzungen Mohammeds mit den Juden antisemitische Motive wie Verrat und Verschwörung.

 

Man findet daher in zeitlich früh anzusiedelnden Koranstellen positive, ja, nahezu zionistische Aussagen über die Juden:

 

»Und als Musa (Moses) zu seinem Volk sagte: ›Oh mein Volk, gedenkt der Gunst Allahs an euch, als Er unter euch Propheten einsetzte und euch zu Königen machte und euch gab, was Er niemandem (anderen) der Weltenbewohner gegeben hat. Oh mein Volk, tretet in das geheiligte Land ein, das Allah für euch bestimmt hat, und kehrt nicht den Rücken, denn dann werdet ihr als Verlierer zurückkehren.‹« (Sure 5 /20-21)

 

»Diejenigen, die glauben, und diejenigen, die dem Judentum angehören, und die Saabier und die Christen, – (alle) die, die an Allah und den jüngsten Tag glauben und tun, was recht ist, brauchen (wegen des Gerichts) keine Angst zu haben, und sie werden (nach der Abrechnung am Jüngsten Tag) nicht traurig sein.« (Sure 5/69)

 

»Wir bereiteten fürwahr den Kindern Israels eine treffliche Wohnstatt und versorgten sie mit guten Dingen, und sie waren nicht eher uneins, als bis die Erkenntnis zu ihnen kam. Wahrlich, am Tage der Auferstehung wird dein Herr zwischen ihnen entscheiden über das, worüber sie uneins waren.« (Sure 10/93)

 

Späteren Datums finden sich im Koran dann negative und antisemitische Aussagen wie »Juden als die von Allah verfluchten« (Sure 4/46), »Juden als Söhne von Affen und Schweinen« (Sure 2/65–66, 5/60–61, 7/166–167), »Juden als allschlimmste Feinde der Gläubigen« (Sure 5/82), »Das Land der Juden wird den Muslimen gehören« (Sure 33/26–27), »Kämpfet gegen jene, bis sie erniedrigt sind und den Tribut errichten« (Sure 9/29–30) und »Sie sind der Feind, also hüte dich vor ihnen« (Sure 63/6–7).

 

Insgesamt finden sich im Koran über 50 Stellen, in denen Juden negativ dargestellt werden. Dazu gehören nicht nur jene Passagen, in denen explizit von Juden die Rede ist, sondern auch solche, in denen sie nicht genannt werden, die in der traditionellen Koranauslegung aber stets mit Juden identifiziert wurden.

 

Radikale Koraninterpretationen werden durch das Auslegungsprinzip erleichtert, nach dem bei Widersprüchen jüngere Koransuren, in denen antijüdische Einstellungen das Übergewicht haben, Vorrang vor älteren Suren genießen.

 

Neben dem Koran finden sich auch in den Hadith-Kollektionen, den Sammlungen von Berichten aus dem Leben des Propheten, etliche ausdrücklich judenfeindliche Passagen. Juden werden darin als hinterhältig, verlogen und betrügerisch porträtiert. Sie seien zu lax in der Bestrafung sexueller Vergehen, hätten heiligen Schriften verfälscht, mehrere Propheten ermordet und schließlich auch Mohammed verwünscht, ihn zu töten versucht und am Ende gar vergiftet.

 

Die grundlegenden Schriften des Islam sind also voll von anti-jüdischen Invektiven. Der einzige Vorwand, der sich darin nicht findet, ist der christliche Vorwurf des Gottesmordes – und das nur, weil der Islam Jesus nicht als Sohn Gottes sieht.

 

Besser als in Europa, aber dennoch verfolgt

 

Die Situation der Juden im Mittelalter war dennoch im islamischen Herrschaftsbereich eine bessere als im christlichen Europa der Kreuzzüge, Vertreibungen und Inquisition. Allerdings gelten auch dort die Juden gleich den Christen zwar als »Ahl al-Kitab« – Völker des Buches – und damit als höherwertig als Heiden; jedoch nicht als gleichberechtigte Untertanen, sondern als geduldete Dhimmis, die als Menschen zweiter Klasse systematisch schlechter gestellt waren als Muslime. Sie wurden etlichen diskriminierenden Vorschriften und Beschränkungen unterworfen, zu denen u.a. Entrichtung einer Sondersteuer gehörte.

 

Diese Maßnahmen hatten immer auch eine besondere symbolische Komponente: Bei der Entrichtung der Kopfsteuer ging es etwa nicht nur um die damit einhergehende wirtschaftliche Belastung, sondern sie sollte auch in einer erniedrigenden Form eingehoben werden, die die prinzipielle Inferiorität der Ungläubigen inszenieren sollte. Der Historiker Bernard Lewis hob in seiner Untersuchung Die Juden in der islamischen Welt hervor, dass die Vorschriften dazu dienten, »die soziale Inferiorität der dimmis aufrechtzuerhalten, sie zu versinnbildlichen und dadurch gleichzeitig die Überlegenheit der Muslime hervorzuheben. Die Symbole der Inferiorität waren manchmal wichtiger als die Realität«.

 

Doch auch Verfolgungen gab es im islamischen Raum, etwa nach der Eroberung der Arabischen Halbinsel im Frühislam oder im maurischen Spanien. Beispielhaft zu nennen wären hier Cordoba im Jahr 1011 und Granada im Jahr 1066, das marokkanische Fes im Jahr 1465, der Jemen im 18. Jahrhundert, und im 19. Jahrhundert dann vermehrt in Nordafrika, dem Nahen Osten und Persien. 1941 kam es schließlich im Rahmen des Versuchs der Machtergreifung prodeutscher Kreise im Irak zu einem großen Pogrom in Bagdad, dem »Farhud«.

 

Im Islamismus bzw. politischen Islam werden die einschlägigen Suren verbunden mit dem europäischen Antisemitismus des christlichen Klerus im Orient und später des Nationalsozialismus zu einem islamischen Antisemitismus. Bewegungen wie die 1928 in Ägypten gegründete Moslembruderschaft oder die in den 1970er Jahren in der Türkei entstandene Milli Görüs übertragen einschlägige Korantexte und importierten Antisemitismus auf die heutigen Juden.

3. Die »jüdische Nakba«: Die Vertreibung aus Ägypten

 

Während 1918 noch um die 80.000 Juden in Ägypten gelebt hatten, waren es nach einem Jahrhundert Diskriminierung und Vertreibung im Jahr 2016 noch 13.

 

Flucht und Vertreibung der Juden aus arabischen Ländern im 20. Jahrhundert waren nahezu total und können nicht bloß mit der Entstehung des Staates Israel in Verbindung gebracht werden. Der sich in der »jüdischen Nakba« manifestierende Antisemitismus hatte seine Ursachen im Judenbild des Korans und dem Export des europäischen Antisemitismus. Die Errichtung des Staates Israel war damit der Anlass, aber nicht der Grund für die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der arabischen Welt.

 

Ägypten während des Osmanischen Reichs

 

Die Juden in Ägypten konnten auf eine mehrere Jahrtausende andauernde Geschichte im Land zurückblicken. Schon beim Auszug der Juden unter Moses verblieb der jüdischen Tradition nach ein großer Teil der Israeliten in Ägypten.

 

Nach der islamischen Eroberung in der Mitte des 7. Jahrhunderts wurden die christianisierte ägyptische Bevölkerung, die Kopten, als auch die Juden zur Minderheit. Sie wurden als Dhimmis geduldet, die laut islamischen Recht Schutzbefohlene sind und eine besondere Steuer, die Dschizya, zu errichten haben.

 

1882 begann die Herrschaft Großbritanniens in Ägypten, ohne dass formell jedoch die Oberhoheit des Osmanischen Sultans über den Khediven, den Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten, infrage gestellt wurde.

 

Obwohl die Edikte der Tanzimat, einer Periode tiefgreifender Reformen, die 1839 begann und 1876 mit der Annahme der osmanischen Verfassung endete, eine Gleichstellung der osmanischen Untertanen vorsahen und die Institution der Dhimma, der Status von diskriminierten Schutzbefohlenen, durch den Druck europäischer Staaten, deren Militärbeistand das Osmanische Reich suchte, graduell abgeschafft wurde, blieb die Diskriminierung der Juden im Wesentlichen bestehen. Um dieser zu entgehen, versuchten vermögende Juden den Schutz durch die Erlangung ausländischer Staatsbürgerschaften über die europäischen Konsulate.

 

Unabhängigkeit Ägyptens

 

1922 wurde Ägypten nominell unabhängig, wobei gemäß dem ägyptischen Staatsbürgerschaftsrecht von 1929 lediglich 5.000 Juden die Staatsbürgerschaft erhalten.

 

Die durch Hassan al-Banah 1928 als Reaktion auf den Zerfall des Osmanischen Reichs und den Untergang des Kalifats gegründete Muslimbrüderschaft strebte die Rückkehr zum ursprünglichen Islam und die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung an. Die Bruderschaft sah die Religion als bedroht an und wollte nur diejenigen als legitime Herrscher anerkennen, die in Übereinstimmung mit der Scharia regieren.

 

Hassan al-Banna wandte sich 1936 in seinem Traktat Nawa n-Nūr (Aufbruch zum Licht) mit dieser Zielsetzung an den ägyptischen König und andere arabische Staatsoberhäupter. Darüber hinaus trat er auch für den bewaffneten, offensiven Dschihad gegen Nicht-Muslime und diejenigen ein, die er als deren Kollaborateure und Helfer ansah.

 

1938 führte die Muslimbruderschaft unter den antisemitischen Parolen »Nieder mit den Juden!« und »Juden raus aus Ägypten!« gewalttätige Proteste gegen Juden durch. Im selben Jahr trafen sich Angehörige der 1933 gegründeten Grünhemden der faschistischen Jugendorganisation »Junges Ägypten« mit Adolf Hitler und forderten die Ausweisung der Juden aus Ägypten.

 

In der Nacht vom 2. auf den 3. November 1945 kam es am Jahrestag der Balfour-Deklaration, in der Großbritannien den Zionisten die Gründung einer »jüdischen Heimstätte« in Palästina zugesagt hatte, zu Unruhen, bei denen die Hauptsynagoge in Kairo und andere jüdische Institutionen in Brand gesteckt und fünf Juden getötet wurden. Premierminister Mahmoud an-Nukrashi beschuldigte in Folge die »Zionisten«, eine derartige Reaktion provoziert zu haben.

 

Nach der Gründung Israels

 

1947 warnte der ägyptische UNO-Delegierte Heykal Pascha, dass bei Durchführung des am 29. November beschlossenen Teilungsplans der Vereinten Nationen eine Million Juden in den arabischen Ländern gefährdet wären. Nach der Staatsgründung Israels im Mai 1948 wurden 1.000 Juden festgenommen, im Juni schließlich das Kriegsrecht ausgerufen, Juden als »Fünfte Kolonne« betrachtet, vom Universitätsstudium ausgeschlossen, ihr privates wie auch das Eigentum jüdischer Institutionen beschlagnahmt. Den wenigen Juden, welche die ägyptische Staatsbürgerschaft besitzen, wurde diese entzogen. Daraufhin flohen 20.000 Juden aus Ägypten. Das war jedoch nicht das Ende der Übergriffe: Am 20. Juni starben 22 Juden bei einem Anschlag, im Juli gingen 500 jüdische Geschäfte in Flammen auf, und im September wurden weitere 19 Juden getötet.

 

1951 unternahm der ägyptische Journalist Muhammad Halifa at-Tunisi die erste vollständige arabische Übersetzung der Protokolle der Weisen von Zion, einer antisemitischen Fälschung des zaristischen Geheimdienstes (Auszüge daraus waren schon in den 1920er Jahren von arabischen Christen übersetzt worden). In einem Kommentar zu seiner Übersetzung schrieb at-Tunisi, er wolle damit »nicht nur wegen des Konflikts mit Israel vor den Juden warnen: Selbst, wenn sie aus unseren Ländern vertrieben und an irgendeinem Flecken der Welt leben würden, würden sie Unheil stiften, denn wo immer sie waren, waren sie Feinde der Menschheit.«

 

Auch im Lauf der folgenden Jahre kam es immer wieder zu Ausschreitungen und Verfolgung. So wurden etwa am 26. Januar 1952 Geschäfte von Juden und anderer Minderheiten angegriffen; im Zuge der Suezkrise 1956 25.000 Juden ausgewiesen.

 

Das ägyptische Ministerium für nationale Führung schrieb in der Einleitung der Übersetzung der Protokolle der Weisen von Zion, die es 1956 herausgab, siebezweifle, dass sie am Basler Zionistenkongress 1897 verfasst worden seien, die Übereinstimmung mit verschiedenen jüdischen Dokumenten wie dem Talmud und der Politik Israels beweise aber ihre grundsätzliche Echtheit. Für diese Behauptung stützte sich der anonyme Herausgeber auf Kommentierung des NS-Ideologen Alfred Rosenberg.

 

Im Jahr 1961 wurden die verbliebenen jüdischen Geschäfte und Unternehmen nationalisiert, und während des Sechstagekriegs von 1967 sämtliche noch in Ägypten verbliebenen männlichen Juden interniert. 1972 verließ der letzte Rabbiner Chain Moussa Douek Ägypten.

 

Dies alles führte dazu, die jahrtausendealte jüdische Gemeinde Ägyptens binnen weniger Jahre zu vertreiben und bis zur nahezu vollständigen Auslöschung zu dezimieren, sodass im Jahr 2016 nur noch acht Juden in Kairo und fünf in Alexandria lebten. 1918 waren es noch mindestens 80.000 gewesen.

 

Empfohlene weitergehende Literatur:

  • Georges Bensoussan: Die Juden der arabischen Welt. Die verbotene Frage, Hentrich & Hentrich, Berlin 2019.
  • Lyn Julius: Uprooted. How 3000 Years of Jewish Civilisation in the Arab World Vanished Overnight, Vallentine Mitchell, London 2018.
  • Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Beck, München 2004.

4. Die »jüdische Nakba«: Das Ende der jüdischen Gemeinde im Irak

 

Die jüdische Gemeinde im Irak, eine der ältesten der Welt, schrumpfte aufgrund von Verfolgung und Vertreibung von 135.000 Mitgliedern in den 1930er Jahren auf fünf im Jahre 2016.

 

Flucht und Vertreibung der Juden aus arabischen Ländern im 20. Jahrhundert waren nahezu total und können nicht bloß mit der Entstehung des Staates Israel in Verbindung gebracht werden. Der sich in der »jüdischen Nakba« manifestierende Antisemitismus hatte seine Ursachen im Judenbild des Korans und dem Export des europäischen Antisemitismus. Die Errichtung des Staates Israel war damit der Anlass, aber nicht der Grund für die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der arabischen Welt.

 

Babylon und Osmanisches Reich

 

Die jüdische Gemeinde im Irak hat eine mehr als zweieinhalbtausendjährige Geschichte seit der Zerstörung des ersten jüdischen Tempels im Jahr 597 v.d.Z. und dem darauffolgenden babylonischen Exil, aus dem unter der Patronage des persischen Königs Kyros II. nur ein Teil der Verschleppten im Jahr 539 v.d. Z. unter Esra und Nehemia zurückkehrten. Die Bedeutung des babylonischen Judentums stieg im Laufe der Zeit, während jene des Judentums im Land Israel im 3. Jahrhundert n.d.Z. unter christlicher Herrschaft zurückging.

 

Nach der muslimischen Eroberung Babylons um 640 n.d.Z. wurden nichtmuslimische Untertanen zu Dhimmis, zu Schutzbefohlenen mit eingeschränkten Rechten. Unter dem Statthalter Umar II. verschlechterte sich in den Jahren 717 bis 720 die Lage der Juden weiter, während sie sich nach der Eroberung Bagdads durch die Mongolen im Jahr 1258 zwar vorübergehend verbesserte, um sich nach dem Tod des Großkhans dann wieder zu verschlechtern. 1534 begann schließlich die Herrschaft der türkischen Osanen.

Unter der Herrschaft des osmanischen Statthalters Dawud Pasha von 1816 bis 1831 waren viele Juden gezwungen, das Land zu verlassen. Vermögende Gemeindemitglieder wie die Sassoons, Ezras, Eliases, Gubbays und Judahs flohen nach Singapur, Hongkong und Schanghai, von wo aus sie in der Folge die im Land verbliebenen Juden finanziell unterstützen.

 

Durch die Tanzimat-Edikte, mit denen Mitte des 19. Jahrhunderts eine Reihe tiefgreifender Reformen durchgeführt wurde, wurde die Einrichtung der Dhimma, der Status der diskriminierten Schutzbefohlenen, im Osmanischen Reich zwar formell abgeschafft, insbesondere durch den Reformerlass Hatt-ı Hümâyûn von 1856, was an Diskriminierung und Verfolgung de facto aber nicht viel änderte. So kam es am 15. September 1889 zu einem Pogrom mit mehreren Toten in Bagdad.

 

Der Fahrhud

 

Als nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs das Mandatsgebiet des Iraks gebildet wurde, ersuchten die Juden in den Jahren 1918, 1919 und 1920 bei den Briten um die Verleihung der britischen Staatsbürgerschaft an, die ihnen aber verwehrt wurde. Eine kurze Blüte des irakischen Judentums folgte dennoch. Gebildete Juden spielten eine wichtige Rolle; so war der erste Finanzminister des Iraks in den Jahren 1921 bis 1927, Sir Sassoon Eskell, jüdischer Herkunft.

 

Doch schon 1929 wurde der zionistischen Bewegung die Tätigkeit im Irak untersagt und ab 1932, dem Jahr von Iraks Unabhängigkeit, begann der deutsche Botschafter Fritz Grobba in Zeitungen Übersetzungen von Auszügen aus Hitlers Mein Kampf zu platzieren. Durch den deutschen Propagandasender Radio Zeesen erfolgte ab 1933 obendrein antisemitische Hetze in arabischer Sprache.

 

In der Folge wurden der Unterricht von Bibelkunde, jüdischer Geschichte und Hebräisch verboten. Zwischen 1934 und 1936 wurden Juden aus dem Staatsdienst entlassen. 1934 mussten Juden eine Ausreisesteuer hinterlegen, und 1936 wurden jüdische Unternehmen gezwungen, einen muslimischen Partner aufzunehmen. Am Jom-Kippur desselben Jahres kam es zu mehreren Anschlägen, bei denen drei Juden in Bagdad und ein Jude in Basra ermordet wurden.

 

Am 1. April 1941 putschte sich der nazifreundliche Politiker Rashid al-Kilani an die Macht, woraufhin einen Tag später militärische Auseinandersetzungen mit den britischen Truppen begannen. Genau einen Monat später, zwischen dem 1. und 2. Juni, kam es nach dem Sieg der Briten im Anglo-Irakischen Krieg zu einem der größten antijüdischen Pogrome der Geschichte: dem Farhud.

 

Die Unruhen in Bagdad geschahen in einem Kräftevakuum nach dem Zusammenbruch der nazifreundlichen Regierung und dem Aufkommen antisemitischer Gerüchte, die Juden hätten die britische Armee unterstützt. Im Zuge der Ausschreitungen wurden 180 Juden ermordet, 1.000 verletzt und 900 jüdische Häuser zerstört. Nach dem Massaker bildete sich eine zionistische Untergrundbewegung, da die meisten Juden im Irak keine Zukunft mehr für sich sahen.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg

 

28. November 1947 drohte der irakische Außenminister Muhammad Fadhel al-Jamali, ein Teilungsbeschluss der UNO für Palästina, der die Errichtung eines jüdischen und eines arabischen Staates auf dem Territorium des britischen Mandats empfehlen würde, hätte für die Juden in der gesamten arabischen Welt sehr negative Folgen.

 

Im Zuge der israelischen Staatsgründung rief der Irak 1948 den Ausnahmezustand aus. 310 Juden wurden vor Militärgerichte gestellt und jüdische Beamte aus dem Staatsdienst entlassen. Zionistische Aktivitäten wurden strafrechtlich verfolgt und mit mindestens sieben Jahren Zuchthaus geahndet.

 

Im September 1948 wurde Shafiq Ades, der reichste Jude im Irak und Gegner der zionistischen Bewegung, am Galgen vor seiner Villa in Basra aufgehängt. Jüdische Unternehmen verloren ihre Lizenzen, und die irakischen Juden wurden zur Entrichtung einer Steuer für den Kampf gegen Israel verpflichtet. Im Jahr 1949 kamen erneut 100 Juden wegen (angeblicher) zionistischer Tätigkeit vor Gericht.

 

Im März 1950 gestattete das irakische Parlament Juden für ein Jahr unter Verzicht auf ihr Eigentum die Ausreise. Einer der Beweggründe der irakischen Behörden war der hohe jüdische Anteil unter den Mitgliedern und Funktionären der kommunistischen Partei, die man auf diese Weise loswerden wollte – und die Hoffnung, durch die erzwungene Aufnahme völlig mittelloser Juden die israelische Wirtschaft zu überfordern und zum Kollaps zu bringen.

 

Nachdem es zu Bombenanschlägen in Synagogen gekommen war, verließen im Zuge der Evakuierungsoperation »Ezra und Nehemia« 121.633 Juden das Land.

 

Nach der Machtübernahme der Ba‘ath Partei im Jahr 1963 erhielten die zurückgebliebenen Juden gelbe Identitätskarten. Im Rahmen einer erneuten Verfolgungswelle im Jahr 1968 wurden neun Juden zum Tode verurteilt und ein Jahr später zusammen mit anderen Verurteilten öffentlich gehängt. Zwischen 1970 und 1972 erfolgten weitere 18 Hinrichtungen.

 

1970 flüchteten 900 Juden über das Kurdengebiet aus dem Irak. Im Jahr 2005 lebten nur noch 76 Juden im Irak, 2016 sind es nur noch fünf gegenüber 135.000 in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts.

 

Empfohlene weitergehende Literatur:

  • Jewish Heritage Centre: Databases and Collections.
  • Georges Bensoussan: Die Juden der arabischen Welt. Die verbotene Frage, Hentrich & Hentrich, Berlin 2019.
  • Lyn Julius: Uprooted. How 3000 Years of Jewish Civilisation in the Arab World Vanished Overnight, Vallentine Mitchell, London 2018.
  • Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Beck, München 2004.
  • Philip Mendes: The Forgotten Refugees: The Causes of the Post-1948 Jewish Exodus from Arab Countries, Melbourne 2002.

 

5. Die »jüdische Nakba«: Das Verschwinden der jüdischen Gemeinde in Marokko

 

Die Lage der Juden in Marokko unterschied sich von der in den orientalischen osmanischen Ländern, und sie befanden sich in einer ähnlichen Situation wie die Juden im christlichen Europa.

 

Flucht und Vertreibung der Juden aus arabischen Ländern im 20. Jahrhundert waren nahezu total und können nicht bloß mit der Entstehung des Staates Israel in Verbindung gebracht werden. Der sich in der »jüdischen Nakba« manifestierende Antisemitismus hatte seine Ursachen im Judenbild des Korans und dem Export des europäischen Antisemitismus. Die Errichtung des Staates Israel war damit der Anlass, aber nicht der Grund für die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der arabischen Welt.

 

Zeit der islamischen Herrschaft

 

Die Juden Marokkos haben eine jahrhundertelange Tradition des Zusammenlebens mit den – lange unter der als abwertend verstandenen Fremdbezeichnung »Berber« bekannten – Amazigh, der Urbevölkerung Nordafrikas. Zwei jüdische Amazigh-Stämme, die Dscharawa und die Nefuka, leiteten im 7. Jahrhundert unter der Königin Kahina gemeinsam mit christlichen Amazigh-Stämmen den Widerstand gegen die islamischen Eroberer.

 

Nach der Islamisierung des Landes verschlechterte sich der Status der Juden. Im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen den beiden der Amazigh-Stammesgruppe der Zenata angehörenden Stämmen der Banu Ifran und der Maghrawa kommt es 1033 zu einem Pogrom in Fez, bei dem sechstausend männliche Juden ermordet und die Frauen geraubt wurden.

 

Besonders unter der Dynastie der Almohaden zwischen 1147 und 1269 wurden die Juden bisweilen massiv verfolgt. Anders als in anderen islamischen Ländern, in denen sie nur eine von mehreren religiösen Minderheiten waren, stellten sie in Marokko die einzige religiöse Minderheit dar, wodurch wurden sie zum einzigen Ziel religiöser Intoleranz und religiösen Hasses wurden. Vergleichbar schlecht war ihre Stellung nur in Persien – nicht zufällig dem anderen Randbereich des osmanischen Reiches, unter dessen Einfluss im Marokko im 16. Jahrhundert geriet, auch wenn es sich als einziger arabischer Staat erfolgreich gegen die Osmanen behaupten konnte.

 

Marokko war das einzige Land der arabischen Welt, in dem Juden in eigenen Wohnvierteln, den Mellahs, leben mussten, ähnlich den Ghettos in Europa, und die diskriminierenden Bestimmungen der Dhimma – des Status als diskriminierte Schutzbefohlenen – wurden weitaus in dem nordafrikanischen Land strenger gehandhabt als anderswo. Dementsprechend hebt der Historiker Bernard Lewis in seiner Untersuchung Die Juden in der islamischen Welt hervor, die marokkanischen Juden befanden in dieser Hinsicht »in einer ähnlichen Lage wie die Juden in der mittelalterlichen Christenheit und unterschieden sich von den jüdischen Gemeinden in den orientalischen osmanischen Ländern«.

 

Der 1465 erfolgte Aufstand der islamisch-arabischen Lokaldynastie der Idrisiden in Fez gegen ihre Nachfolger an der Macht, die islamische Amazigh-Dynastie der Meriniden, war ein Aufstand gegen den Sultan von Marokko, Abd al-Haqq ibn Uthman Abu Muhammad, und seinen jüdischen Wesir (Regierungsbeauftragten) Harun ibn Batash, der die Meriniden-Herrschaft beendete, allerdings nicht die Restauration jener der Idrisiden brachte. Stattdessen konnte sich in den folgenden Machtkämpfen die Amazigh-Dynastie der Wattasiden unter Muhammad asch-Schaich al-Mahdi durchsetzen.

 

Französische Rechte und marokkanischer Nationalismus

 

Auch in den folgenden Jahrhunderten kam es immer wieder zu Verfolgungen und Pogromen. So wurden 1864 in Fez und Marrakesch 500 und 1875 in Demnat zwanzig Juden getötet. 1912 wurden in Fez bei einem Pogrom erneut 45 Juden ermordet. Die Errichtung des französischen Protektorats im selben Jahr beendete den Dhimmi-Status als rechtlich diskriminierte »Schutzbefohlene« von 230.000 Juden, die französische Staatsbürgerschaft wurde ihnen jedoch verwehrt.

 

In den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts verband sich in Marokko der Antisemitismus der französischen Rechten mit dem der marokkanischen islamischen Nationalisten. 1934 ersuchte der Wesir die französischen Behörden, Juden aus Teilen Casablancas zu verbannen. 1937 kam es in Meknes zu einem Pogrom, bei dem vierzig jüdische Geschäfte zerstört wurden.

 

Am 3. Oktober 1940 untersagte ein Gesetz der französischen Vichy-Regierung die Beschäftigung von Juden im öffentlichen Dienst und in den Medien, worauf am 31. Oktober 1940 weitere antijüdische Gesetze folgten. Wohlhabende Juden mussten in die ghettoähnliche »Mellah« umziehen. Der Großwesir (Regierungschef) Mohammed el Mokri fiel immer wieder durch antisemitische Äußerungen auf. Bis 1941 erfolgten weitere antijüdische Gesetze nach französischem Muster, die vom Sultan unterschrieben wurden.

Israels Staatsgründung, Marokkos Unabhängigkeit und das Abraham-Abkommen

 

1948 kam es zu Pogromen in den Städten Oujda und Jerada im Nordosten Marokkos, bei denen 47 Juden durch Muslime getötet und schätzungsweise über 150 weitere verletzt wurden. Infolgedessen verließen zwischen 1949 und 1957 110.000 Juden das Land.

 

1953 wurden in Oujda neuerlich vier, 1954 in Sidi Qasam sieben Juden ermordet. Ein Jahr später kam es zu einem Pogrom in El Jadida im Zuge dessen 1.700 Juden in den europäischen Teil der Stadt flohen. 1955 wurden in Wadi Zem sieben Juden ermordet.

 

1956 erließ das unabhängig gewordene Marokko ein Auswanderungsverbot nach Israel, weswegen zwischen November 1961 und Frühling 1964 ca. 80.000 marokkanische Juden in einer Geheimaktion des Mossads namens Operation Jachin außer Landes gebracht werden mussten. Neben Israel war Kanada das zweite Land, das eine große Zahl dieser Menschen aufnahm. Insgesamt verließen zwischen 1948 und 1967 237.813 Juden Marokko, nur wenige tausend blieben zurück.

 

Durch die Verfassung von 2011 wurde erstmals der Beitrag der Juden für die kulturelle Entwicklung Marokkos offiziell anerkannt. Im Zuge des Abraham-Abkommens, mit dem bislang vier islamische Staaten ihre Beziehungen zu Israel normalisierten, erfolgte ab Dezember 2020 eine weitere Annäherung. So nahm Marokko jüdische Geschichte in den Lehrplan auf und restaurierte Hunderte jüdische Kultusstätten und Friedhöfe. Im November 2021 richtete Marokko Direktflüge nach Israel ein und unterzeichnete kurz drauf ein umfassendes Verteidigungsabkommen mit dem jüdischen Staat – eine Zusammenarbeit, die seitdem ebenfalls weiter vertieftwurde.

 

Empfohlene weitergehende Literatur:

  • Georges Bensoussan: Die Juden der arabischen Welt. Die verbotene Frage, Hentrich & Hentrich, Berlin 2019.
  • Lyn Julius: Uprooted. How 3000 Years of Jewish Civilisation in the Arab World Vanished Overnight, Vallentine Mitchell, London 2018.
  • Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Beck, München 2004.
  • Philip Mendes: The Forgotten Refugees: The Causes of the Post-1948 Jewish Exodus from Arab Countries, Melbourne 2002.

 

6. Die »jüdische Nakba« Der Libanon, Syrien und die Ritualmordlegende zwischen 1840 und heute

 

In Syrien und im Libanon gab es 2000 Jahre alte jüdische Gemeinden, von denen heute fast nichts mehr übrig geblieben ist.

 

Flucht und Vertreibung der Juden aus arabischen Ländern im 20. Jahrhundert waren nahezu total und können nicht bloß mit der Entstehung des Staates Israel in Verbindung gebracht werden. Der sich in der »jüdischen Nakba« manifestierende Antisemitismus hatte seine Ursachen im Judenbild des Korans und dem Export des europäischen Antisemitismus. Die Errichtung des Staates Israel war damit der Anlass, aber nicht der Grund für die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der arabischen Welt.

 

Jüdische Gemeinden in Syrien und dem Libanon

 

Juden haben in Syrien und Libanon haben eine mehr als 2000jährige Geschichte. Die jüdische Gemeinde in Syrien geht mindestens auf die Römerzeit zurück, höchstwahrscheinlich sogar noch auf die Zeit davor. Größere jüdische Gemeinden gab es vor allem in Aleppo und Damaskus. Am Vorabend der Gründung Israel lebten rund 30.000 Juden im Land.

 

Im heutigen Libanon ließen sich Juden nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstandes durch die Römer im Jahr 132 u. Z. nieder, aber die jüdische Gemeinde war zahlenmäßig stets viel kleiner als jene im Nachbarland Syrien. 1948 haben rund 5.000 Juden im Libanon gelebt.

 

Die Ritualmordverleumdung von 1840

 

1840 wurden im Zuge der Ritualmordbeschuldigung von Damaskus mehrere Würdenträger der jüdischen Gemeinde verhaftet, nachdem sie beschuldigt wurden, einen christlichen Mönch und seinen muslimischen Diener getötet zu haben, um deren Blut zum Backen der Mazzot zu verwenden, dem ungesäuerten Fladenbrot, das beim jüdischen Pessach-Fest gegessenen wird.

 

Die christliche Seite wurde bei den Anschuldigungen vom französischen Konsul in Damaskus und notorischem Antisemiten, Ulysse de Ratti-Menton, unterstützt. Er ordnete eine Untersuchung im Judenviertel der Stadt an, wo die beiden Männer angeblich zuletzt gesehen worden waren, und ermutigte den ägyptischen Gouverneur von Damaskus, die Beschuldigten gefangen zu nehmen und durch Folter Geständnisse zu erzwingen. Zwei Juden starben unter der Tortur, einer trat zum Islam über, um sein Leben zu retten.

 

Christliche und muslimische Übergriffe waren die Folge der Affäre, die internationale Aufmerksamkeit erlangte, insbesondere in jüdischen Kreisen. Nach einer Intervention des britischen Unternehmers Sir Moses Montefiore, der als Vordenker des Zionismus gilt, und des Rechtsanwalts und Politikers Adolphe Crémieux, der Repräsentant des Consistoire central israélite war, entließ Muhammed Ali, der Herrscher Ägyptens, die überlebenden Gefangenen ohne formellen Freispruch aus der Haft.

 

Die so genannte Damaskus-Affäre gilt als der Beginn der Ära des modernen Antisemitismus in der arabischen/islamischen Welt. An der Verbreitung der Ritualmordlegende konnte auch der Umstand nichts ändern, dass der osmanische Sultan in einem Edikt ausdrücklich festhielt, dass die Beschuldigungen gegen die Damaszener Juden unbegründet gewesen waren.

 

Obwohl es für den aus der christlichen Welt stammenden Ritualmordvorwurf in er islamischen Tradition kein Pendant gegeben hatte, fiel auf fruchtbaren Boden und stand innerhalb kürzester Zeit in nahezu allen Provinzen des Osmanischen Reiches auf der Tagesordnung. Bernard Lewis zählt in seinem Buch Die Juden in der islamischen Welt einige Beispiele auf:

 

»Für den Rest des 19. Jahrhunderts bis weit in das zwanzigste hinein wird die Ritualmordbeschuldigung in osmanischen Landen nahezu alltäglich, wie zum Beispiel in Aleppo (1810, 1850, 1875), Antiochia (1826), Damaskus (1840, 1848, 1890), Tripoli (1834), Beirut (1862, 1874), Dayr al-Qamar (1847), Jerusalem (1847), Kairo (1844, 1890, 1901-1902), Mansourah (1877), Alexandria (1870, 1882, 1901-1902), Port Said (1903, 1908), Damanhur (1871, 1873, 1877, 1892), Istanbul (1870, 1874), Büyükdere (1864), Kuzguncuk (1866), Eyyub (1868), Edirne (1875), Izmir (1872, 1874) und noch öfter in den griechischen und Balkanprovinzen.«

 

Sowohl die Ritualmordgeschichte, als auch die später entstandene Verschwörungstheorie der Protokolle der Weisen von Zion erfreuen sich bis heute weiter Verbreitung in der arabischen Welt. Vom Verlag des ehemaligen syrischen Verteidigungsminister Mustafa Tlas etwa wird mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Niederschrift durch russische Geheimagenten eine Neuauflage der Protokolle herausgegeben, und noch 1983 veröffentlichte er ein antisemitisches Buch namens Matza von Zion, das eine affirmative Beschreibung der Damaskus-Affäre von 1840 enthält. Darin wurde erneut die mittelalterliche Ritualmordlegende verbreitet, wonach Juden zum Backen der Matze das Blut christlicher Kinder verwendeten.

 

Mandatszeit und Unabhängigkeit

 

1918 kamen Syrien und der Libanon unter französische Mandatsverwaltung, was das Land nicht daran hinderte, 1930 unter dem Einfluss der Propaganda des nazifreundlichen Muftis von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, antijüdische Gesetze zu erlassen.

 

Während zwischen 1945 und 1950 die Mehrheit der 15.000 Juden aus dem Land flüchtete, wurde im Januar 1947 in Damaskus die antisemitische Baath-Partei gegründet. Im selben Jahr kam es in der Wirtschaftsmetropole Aleppo zu einem Pogrom. Alle Synagogen, fünf Schulen, 150 Geschäfte und jüdische Institutionen wurden zerstört, 76 Juden getötet, Hunderte verletzt und mehrere Hundert verhaftet. Danach verließ die Hälfte der jüdischen Bevölkerung die Stadt.

 

In Damaskus wurden 1947 dreizehn Juden getötet und auch in Beirut und Tripoli kamen im November 1948 Juden bei Ausschreitungen ums Leben. 1949 wurden dann die Bankkonten von Juden in Syrien eingefroren und ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Im selben Jahr wurden bei einem Handgranatenanschlag auf die al-Menashe Synagoge dreizehn Juden getötet, 32 wurden verwundet.

 

Während 1950 in Syrien nur noch 5.700 Juden verblieben waren, wurde deren Eigentum gesetzlich beschlagnahmt und palästinensische Flüchtlinge zogen in das jüdische Viertel von Damaskus. In Damaskus, Aleppo und Qamishli ereigneten sich Angriffe auf Juden. Zwischen 1958 und 1962 verließen weitere 2.800 Juden gegen die Zahlung von Bestechungsgelder Syrien, danach wurde ein Ausreiseverbot für Juden aus dem Land verfügt, bevor 1963 die antisemitische Baath-Partei endgültig an die Macht gelangte.

 

Libanon wurde 1971 der jüdische Gemeindepräsident Albert Elkia entführt und ermordet, drei Jahre später wurden in Syrien vier jüdische Mädchen ermordet. Mit Beginn des Bürgerkrieges im Libanon Mitte der 1970er Jahre verließen nahezu alle Juden das Land, dreißig der Zurückbleibenden Juden wurden im Laufe des Krieges ermordet.

 

Jüngste Vergangenheit

 

1992 erlaubte der syrische Präsident Hafiz al-Assad, der Vater des heute regierenden Bashar, im Rahmen des syrischen Beitritts zur amerikanischen Golfkriegsallianz rund 2.800 Juden unter Verzicht auf ihr Eigentum, das Land zu verlassen.

 

Im Herbst 2003 lief auf Al-Manar, dem Fernsehsender der Hisbolla,h in Syrien und im Iran die Vorabendserie Asch-Schatat, die erneut die antisemitische Geschichte von den Protokollen der Weisen von Zion sowie die Ritualmordlegende für Kinder aufbereitete. Eine Folge zeigte, wie zwei Rabbiner einen christlichen Jungen gefangen nehmen, ihm die Kehle durchschneiden, sein Blut auffangen und zum Backen von verwenden.

 

2017 verbleiben in jedem der beiden Länder weniger als 15 Juden.

 

Empfohlene weitergehende Literatur:

  • Georges Bensoussan: Die Juden der arabischen Welt. Die verbotene Frage, Hentrich & Hentrich, Berlin 2019.
  • Lyn Julius: Uprooted. How 3000 Years of Jewish Civilisation in the Arab World Vanished Overnight, Vallentine Mitchell, London 2018.
  • Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert Beck, München 2004.
  • Rania Katav: Hidden Stories of Damascene Jews. A collection of the cultural memory of the last generation of Jews in Damascus, Berlin 2020
  • Götz Nordbruch: Nazism in Syria and Lebanon. The Ambivalence of the German Option, 1933–1945. Routledge, London/New York 2009.

 

7. Die »jüdische Nakba« Die Juden des Jemen

 

Mit der Flucht der Juden aus dem Jemen ging eine der ältesten jüdischen Gemeinden der Welt zu Ende.

 

Die Beziehung des Jemen zum Land Israel wird bis auf die Zeit des biblischen Königs Salomon zurückgeführt. Die Präsenz von Juden im Süden der arabischen Halbinsel geht auf mehrere Ursprünge zurück – manchen dürften einheimisch gewesen sein, andere kamen als Zuwanderer aus Nordafrika, Babylon, der Levante und dem heutigen Israel. Die jüdische Gemeinde im Jemen galt als eine der ältesten außerhalb Israels. Obwohl sie geographisch isoliert war, unterhielt sie rege Kontakte zu anderen jüdischen Gemeinden in Babylonien und Ägypten.

 

Vom ersten bis zum sechsten Jahrhundert, also in der Zeit noch vor der Ausbreitung des Islam, existierte im Jemen das Königreich Himyar, dessen Führungsschicht im vierten Jahrhundert einen monotheistischen Glauben annahm, der heute allgemein dem Judentum zugerechnet wird. Im Laufe der Zeit eroberten äthiopischen Christen die Macht, bevor das ehemals jüdische Königreich zu einer Provinz des persischen Sassanidenreichs und dann des sich ausbreitenden islamischen Reiches wurde.

 

In der islamischen Zeit ging die Bedeutung des Judentums im Jemen zurück, die Juden galten, wie überall sonst im islamischen Reich auch, als Dhimmis („Schutzbefohlene“), die eine spezielle Steuer zahlen und anderen diskriminierenden Regeln und Vorschriften Folge leisten mussten. Dennoch hatten Juden des Jemen zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert regen Anteil am Geistes- und Wirtschaftsleben, insbesondere in Perioden, in denen gegen die Bezahlung höherer Schutzsteuern die übrigen Dhimmi-Regeln weniger streng geachtet wurden.

 

Ab dem 16. Jahrhundert verschlechterte sich die Lage der Juden im Jemen dramatisch, er wurde zu einem der wenigen Gebiete in der arabischen Welt, in denen es Zwangsbekehrungen zum Islam gab. Besonders nachteilig wirkten sich die Entwicklungen rund um den Pseudo-Messias Schabbtai Zvi aus, der eine große Gefolgschaft hinter sich vereinen konnte, bevor er schließlich überraschend zum Islam übertrat. 1679 wurden die Juden des Jemen verbannt, was sich aber so negativ auf das Land auswirkte, dass ihnen bald die Rückkehr gestattet wurde.

 

Im späten 19. Jahrhundert begann die Zeit der Auswanderung bzw. Flucht vieler Juden aus dem Jemen in das Gebiet des heutigen Israel, angetrieben nicht zuletzt durch eine neue Welle von Zwangskonversionen zum sunnitischen Islam. Um dem Druck zu entgehen, zogen einige Juden auch in den Norden des Jemen, wo ein weitaus toleranterer Zweig des schiitischen Islam vertreten war.

 

Unter der Herrschaft des Imam Yahya im frühen 20. Jahrhundert wurden im Jemen 1911 strengste Dhimmi-Regeln wiedereingeführt. Juden durften nur noch im Damensitz Pferde reiten, ein Muslim durfte nicht berührt werden, Juden wurden gesetzliche dazu beordert, die Latrinen zu säubern. Gemäß des sogenannten Waisengesetzes wurden Waisenkinder automatisch zu Muslimen erklärt. Juden verheirateten daher bereits selbst sieben bis acht Jahre alte Kinder, um sie im Falle eines Ablebens der Eltern von dem Waisenstatus und damit der Zwangseingemeindung in den Islam zu schützen. Angesichts der großen Zahl an jüdischen Emigranten verbot der Imam Yahya schließlich die Auswanderung.

 

Infolge der UN-Teilungsresolution, welche die Schaffung eines jüdischen und eines arabischen Staates im Mandatsgebiet Palästina vorsah, kam es 1947 im Jemen zu einem Pogrom, bei dem in Aden unter tätiger Mithilfe u.a. von Polizisten 82 Juden ermordet und Dutzende weitere verletzt wurden. Synagogen, jüdische Geschäfte und Hunderte jüdische Wohnhäuser wurden zerstört.

 

Bis zur Gründung Israels im Mai 1948 hatten bereits rund 100.000 Juden – und damit ein beträchtlicher Teil der jüdischen Gemeinde – den Jemen Richtung Israel verlassen. Zwischen 1949 und 1950 wurden die rund 50.000 übriggebliebenen Juden durch Israel freigekauft und mit einer Luftbrücke von Aden nach Israel gebracht.

 

Die 2000jährige Präsenz der Juden im Jemen war damit auf wenige Hundert verbliebene zusammengeschrumpft, von denen wiederum ein großer Teil im Zuge des seit 2004 andauernden Bürgerkriegs das Land verließ, in dem eine der Kriegsparteien, die vom Iran unterstützten schiitischen Huthis, auch durch ihren vehementen Antisemitismus auffällig wurden. 2021 machten Berichte die Runde, denen zufolge die Huthis auch noch die letzten verbliebenen jüdischen Familien des Jemen vertrieben haben sollen.

 

Empfohlene weitergehende Literatur:

  • Georges Bensoussan: Die Juden der arabischen Welt. Die verbotene Frage, Hentrich & Hentrich, Berlin 2019.
  • Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert Beck, München 2004.
  • Lyn Julius: Uprooted. How 3000 Years of Jewish Civilisation in the Arab World Vanished Overnight, Vallentine Mitchell, London 2018.
  • Shelomo Dov Goitein : Von den Juden Jemens.

8. Die »jüdische Nakba«: Die Flucht der Juden aus Algerien, Tunesien und Libyen

 

Die jahrtausendealten jüdischen Gemeinden von Algerien und Tunesien sind nur mehr ein Schatten ihrer selbst, jene in Libyen existiert nicht mehr.

 

Algerien

 

Juden haben in Algerien eine fast zweitausend Jahre zurückreichende Geschichte. Manche Theorien sprechen von einer Anwesenheit von Juden bereits in vorrömischer Zeit, doch gibt es dafür keine Belege. Aussagekräftige archäologische Funde gehen bis ins erste Jahrhundert u. Z. zurück, in dem sich infolge der Zerstörung des Tempels in Jerusalem viele Juden im nordafrikanischen Raum niederließen.

 

Zuwachs erhielten die jüdischen Gemeinden Algeriens durch Juden, die vor mehreren Verfolgungswellen aus Europa geflohen waren, darunter viele aus dem heutigen Spanien, in dem die christliche Rückeroberung des Landes von der muslimischen Herrschaft mit der Vertreibung der Juden einherging. Größere jüdische Gemeinden gab es in den Küstenstädten Algier, Oran und Bejaia, aber auch in einigen Orten im Landesinneren.

 

Wie die jüdischen Gemeinden im übrigen islamischen Reich hatten auch die Juden im späteren Algerien den Status von Dhimmis, waren also als Menschen zweiter Klasse systematisch schlechter gestellt als Muslime und mussten neben anderen Einschränkungen auch eine diskriminierende Kopfsteuer bezahlen.

 

 

Eine dramatische Änderung ihres rechtlichen Status erfuhren die Juden mit dem französischen Einmarsch im Jahr 1830 und der damit verbundenen Eroberung und Annexion Algeriens. Viele Juden begrüßten die Kolonisierung des Landes, die jüdischen Gemeinden nahmen rasch die französische Sprache und Kultur an.

 

In ersten Reformen wurden der Dhimmi-Status aufgehoben und Juden den muslimischen Algeriern gleichgestellt. Ab 1865 konnten Juden und Muslime um die französische Staatsbürgerschaft ansuchen, und mit dem Crémieux-Erlass erhielten schließlich die Juden – nicht aber die Muslime Algeriens – die französische Staatsbürgerschaft.

 

Dieser Schritt war aber nicht unumstritten. Unter den in Algerien lebenden Franzosen gab es einen stark ausgeprägten Antisemitismus, der beispielsweise im Jahr 1890 zu Forderungen nach der Rücknahme des Crémieux-Erlasses führte. Und auch der wachsende Antisemitismus im französischen Mutterland strahlte nach Nordafrika aus: Als sich in Paris Émile Zola im Zuge der Dreyfus-Affäre 1898 für seinen berühmten Artikel »J’accuse …!« vor Gericht verantworten musste, plünderten Antisemiten in Algier jüdische Geschäfte, setzten 158 davon in Brand und töteten zwei Juden. Im Jahr zuvor war es in Mostaganem und Oran schon zu Plünderungen in den jüdischen Vierteln gekommen.

 

Antisemitische Propaganda französischer Rechtsextremer fiel bei manchen Muslimen auf fruchtbaren Boden. Eine der Folgen war das Pogrom in Constantine im Jahr 1934, bei dem 25 Juden getötet wurden, ohne dass die Behörden einschritten. Eine Vielzahl jüdischer Einrichtungen wurde zerstört.

 

Mit dem Zweiten Weltkrieg und der Invasion Frankreichs durch Nazi-Deutschland geriet Algerien unter die Kontrolle des mit den Nationalsozialisten kollaborierenden Vichy-Regimes. Dieses führte 1940 neue Judengesetze ein und hob den Crémieux-Erlass auf. Auf einen Schlag verloren damit rund 110.000 Juden die französische Staatsbürgerschaft – ein Schritt, der von vielen Muslimen begrüßt wurde. Juden mussten den gelben Stern tragen, und mit der Union Generale des Israelites wurde 1942 ein Art Judenrat geschaffen.

 

Die antisemitischen Gesetze wurden in Algerien strenger und schärfer umgesetzt als in Frankreich selbst. Neben einem eigenen Verwaltungsdepartment »für die Kontrolle des jüdischen Problems« wurde ein Büro für die Arisierung der Wirtschaft gegründet, wodurch Juden von vielen Wirtschaftsbereichen ausgeschlossen, jüdische Betriebe konfisziert und an nichtjüdische »Treuhänder« übergeben wurden. Rund 2.000 Juden wurden in Arbeits- und Konzentrationslager gesperrt, von denen viele durch die brutale Behandlung der Wachmannschaften, an Krankheiten oder an Hunger starben.

 

Das Ende dieses Schreckens kam für die Juden Algeriens mit der alliierten Befreiung des Landes im November 1942, auch wenn es bis zum Sommer 1943 dauerte, bis alle antijüdischen Gesetze und Bestimmungen abgeschafft wurden und die Juden die französische Staatsbürgerschaft zurückerhielten.

 

Die Nachkriegsgeschichte Algeriens unterscheidet sich deutlich von anderen in dieser Serie bisher besprochenen Staaten, da das Land weiterhin unter französischer Kontrolle blieb. Deshalb kam es 1948 nicht zu Flucht und Vertreibung der Juden, wie es in anderen arabischen Ländern rund um die israelische Staatsgründung der Fall war.

 

Im Krieg zwischen der Algerischen Befreiungsfront (FLN) und Frankreich unterstützten viele der algerischen Juden Frankreich. Der Krieg wurde von antisemitischen Attacken begleitet, darunter Angriffe auf jüdische Einrichtungen im November 1956, ein Angriff auf die Hauptsynagoge von Algier im Jahr 1960 und die Schändung des Friedhofs von Oran 1961.

 

Mit der Unabhängigkeit Algeriens 1962 verließen rund 130.000 Juden das Land. Die meisten gingen nach Frankreich, rund 25.000 nach Israel. Das unabhängige Algerien entzog mit dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1936 allen Nichtmuslimen die Staatsbürgerschaft. Bis zum Jahr 1969 waren von den rund 140.000 nach dem Zweiten Weltkrieg in Algerien lebenden Juden noch rund tausend übriggeblieben; heute sind es an die zweihundert.

 

Tunesien

 

Auch die jüdische Gemeinde in Tunesien hatte eine mehrtausendjährige Geschichte, die von manchen Experten auf die Zeit nach der Zerstörung des Salomonischen Tempels durch den babylonischen König Nebukadnezar 587/586 v. u. Z. zurückgeführt wird. Sicher ist, dass sie, wie auch jene in Algerien, nach der Zerstörung des zweiten Tempels von Jerusalem und dann infolge von Fluchtbewegungen vor antijüdischer Verfolgung in Europa stark angewachsen ist.

 

Unter der muslimischen Herrschaft galten Tunesiens Juden als Dhimmis und waren den entsprechenden Regeln und Auflagen unterworfen, allerdings wurden die Regeln anfänglich meist weniger streng umgesetzt als in anderen Teilen der islamischen Welt, was zu einer Blüte des jüdischen Lebens in Tunesien insbesondere zwischen dem neunten und elften Jahrhundert führte. Die jüdische Gemeinde von Kairouan war zeitweise eine der bedeutendsten der Welt.

 

Auf diese Blütephase folgten allerdings auch Zeiten massiver Unterdrückung, wie im 14. und 15. Jahrhundert, in denen die Stellung der Juden schlechter war als irgendwo sonst im Maghreb. Eine Verbesserung begann erst im 18. Jahrhundert, in dem europäische Mächte immer mehr an Einfluss gewannen. Allerdings kam es ab dieser Zeit auch vermehrt zu Gewalttaten gegen Juden, so 1869, als in Tunis mehrere Juden getötet und auf der Insel Djerba jüdische Häuser, Geschäfte und Synagogen geplündert wurden.

 

Wie auch in Algerien brachte die Zeit der französischen Kolonisierung eine Verbesserung der Lage der Juden, doch obwohl sie ab 1881 in einem französischen Protektorat lebten, blieben sie doch Untertanen muslimischer Herrscher. Radikale Schritte wie der Crémieux-Erlass blieben deshalb aus. Erst ab dem Jahr 1910 konnten einzelne Juden die französische Staatsbürgerschaft erlangen.

 

Auch für Tunesiens Juden war die Eroberung Frankreichs durch Nazi-Deutschland ein einschneidendes Erlebnis. Das Land gehörte, wie Algerien auch, zum Kollaborationsregime von Vichy, dessen antijüdische Gesetze 1940 eingeführt, aber weniger scharf umgesetzt wurden. Das änderte sich freilich im November 1942, als das Tragen des Judensterns zur Vorschrift und jüdisches Eigentum konfisziert wurde, wobei die Nazis den Juden darüber hinaus enorme Beträge an »Bußgeldern« abpressten. Es gab Verhaftungswellen und willkürliche Hinrichtungen; rund 5.000 Juden wurden in Zwangsarbeitslagern interniert, 160 in die Vernichtungslager in Europa deportiert. Die Befreiung Tunesiens durch die Alliierten 1943 verhinderte noch schlimmere Verfolgung.

 

Durch die Rückkehr der französischen Protektoratsmacht kam es vorerst zu keiner massenhaften Flucht und Vertreibung der Juden aus Tunesien rund um die israelische Staatsgründung, aber die Unabhängigkeit des Landes, die 1956 erreicht wurde, war nur eine Frage der Zeit, und antijüdische Angriffe wie im Jahr 1952 bewirkten eine erste Fluchtwelle.

 

Im unabhängigen Tunesien verfolgte Präsident Habib Bourguiba zwar eine vergleichsweise liberale Politik gegenüber den Juden des Landes, gleichzeitig kam es aber immer wieder zu gewalttätigen Angriffen auf jüdische Gemeinden und Einrichtungen, bei denen Synagogen, Friedhöfe und jüdische Viertel attackiert wurden. Zwischen 1956 und dem Sechstagekrieg 1967 verließen rund 40.000 Juden vor allem in Richtung Israel und Frankreich Tunesien.

 

Nach Beginn des Sechstagekriegs und antisemitischen Gewalttaten wurde, wie Nathan Weinstock schreibt, »die Emigration zum Exodus«. Mit Eisenstangen und Benzinkanistern bewaffnete Randalierer zogen plündernd und brandschatzend durch das jüdische Viertel in Tunis, und bei der Stürmung der großen Synagoge wurden vierzig Torah-Rollen zerstört.

 

1946 hatte es in Tunesien noch rund 71.000 Juden gegeben; 1968 waren es nur mehr sieben- bis achttausend, von denen viele nach weiteren antisemitischen Gewalttaten wie dem tödlichen Anschlag auf die al-Ghriba-Synagoge in Djerba, bei dem 19 Touristen getötet wurden, aus dem Land flohen. Heute sollen in Tunesien noch rund 1.500 Juden leben.

 

Libyen

 

Die Geschichte der Juden im heutigen Libyen begann vor rund 2.500 Jahren mit der Ansiedlung von Juden aus Alexandria in der griechischen Kolonie Kyrenaika. Die Herrschaft über das Land wechselte im Laufe der Jahrhunderte von Römern über Berber und Vandalen bis zur Eroberung Nordafrikas durch Araber. Für die Juden begann damit das Leben unter dem Dhimmi-Status. Mit der Reconquista, der christlichen Rückeroberung Spaniens, wurde Tripolitanien zu einem wichtigen Zufluchtsort für Juden, die von der iberischen Halbinsel geflüchtet waren oder vertrieben wurden.

 

Nach wechselnden lokalen Dynastien übernahm 1835 die Hohe Pforte in Konstantinopel die Macht im Libyen, bevor 1911 die Kolonisierung des Landes durch Italien begann. Die Lage der Juden verschlechterte sich nach einer anfänglich recht guten Zeit mit dem Aufstieg des Faschismus unter Benito Mussolini. Die Verabschiedung antisemitischer Gesetze in Italien unter dem Druck Deutschlands im Jahr 1938 wirkte sich auch auf Libyen aus, dramatisch wurde die Lage der Juden allerdings mit dem direkten deutschen Engagement in Nordafrika.

 

Während die Wehrmacht Krieg gegen die Alliierten führte, deportierten die Deutschen rund 2.000 Juden aus dem jüdischen Viertel von Bengasi in die Wüste, wo Hunderte in Zwangsarbeitslagern ums Leben kamen. Die Italiener richteten südlich von Tripolis das Konzentrationslager Giado ein, wo die Juden der Kyrenaika unter grausamen Bedingungen interniert wurden. Bis das Lager Anfang 1943 von den Alliierten befreit wurde, starben Hunderte Juden vor allem aufgrund von Krankheiten, die Folge der katastrophalen hygienischen Verhältnisse waren.

 

Mit der Befreiung Libyens durch die Alliierten war das Leid der Juden allerdings nicht beendet. So kam es bei einem von arabischen Nationalisten initiierten Pogrom anlässlich des Jahrestags der Balfour-Deklaration Anfang November 1945 im britisch verwalteten Tripolitanien zu einem der schlimmsten antisemitischen Gewaltausbrüche in ganz Nordafrika. In Tripolis und anderen Städten wurden 140 Juden getötet, eine Vielzahl verletzt und etliche Synagogen zerstört. Bereits nach diesem Ereignis, also schon drei Jahre vor der Gründung Israels, begann der Exodus der Juden aus Libyen.

 

Rund um die Gründung Israels kam es erneut zu Attacken auf Juden, bei denen zwölf Juden ermordet und 280 jüdische Häuser zerstört wurden. Nur den entschlossenen Selbstschutzmaßnahmen der jüdischen Gemeinden war es zu verdanken, dass nicht noch mehr Tote zu beklagen waren.

 

Bis 1952 die Auswanderung von Juden verboten wurde, hatten von den ehemals rund 35.000 Juden Libyens bereits rund 30.000 das Land verlassen, die meisten von ihnen Richtung Israel. Die verbliebenen Juden waren weiteren diskriminierenden Maßnahmen und Gewaltakten ausgesetzt. Anlässlich des Sechstagekriegs wurde die verbliebene jüdische Gemeinde von Tripolis erneut zum Ziel eines Pogroms, bei dem zehn Juden ermordet wurden. König Idris I. erlaubte daraufhin vorübergehend die Ausreise von Juden, und mehr als 6.000 wurden von der italienischen Marine nach Italien evakuiert.

 

Als Muammar al-Gaddafi 1969 an die Macht kam, lebten nur mehr rund hundert Juden in Libyen. Gaddafi verfolgte eine streng antisemitische Politik, im Zuge derer er jüdisches Eigentum konfiszierte und u. a. Synagogen in Moscheen verwandelte. Obwohl die Auswanderung wieder verboten war, gelang es dem Großteil der verbliebenen Juden, das Land zu verlassen. Fünf Jahre nach Gaddafis Machtergreifung soll es nur mehr an die zwanzig Juden in Libyen gegeben haben.

 

Mit dem Tod von Esmeralda Meghnagi und der Ausreise der 80-jährigen Rina Debach ging im Jahr 2002 das jüdische Leben in Libyen zu Ende.

 

Empfohlene weitergehende Literatur:

  • Bernard Lewis, Die Juden in der islamischen Welt, Beck, München 2004.
  • Georges Bensoussan, Die Juden der arabischen Welt – die verbotene Frage, Hentrich & Hentrich, Berlin, 2019.
  • Anti-Jewish Pogroms by Muslims, https://en.wikipedia.org/wiki/Category:Anti-Jewish_pogroms_by_Muslims
  • Julius Lyn, Uprooted, How 3000 Years of Jewish Civilisation in the Arab World Vanished Overnight, Vallentine Mitchell, Elstree-Chicago, 2019.
  • Philip Mendes, The Forgotten Refugees: the causes of the post-1948 Jewish Exodus from Arab Countries, https://archive.ph/20130113093432/http://mefacts.org/cached.asp?x_id=10985
  • Maurice M. Roumani, The Jews of Libya: Coexistence, Persecution, Resettlement, Brighton/Chicago/Toronto 2008.
  • Nathan Weinstock: Der zerrissene Faden. Wie die arabische Welt ihre Juden verlor: Wie die arabische Welt ihre Juden verlor, 1947-1967, Freiburg i. Brsg. 2019.

9. Die »jüdische Nakba«: Die Verfolgung der Juden im Iran

 

Seit Ayatollah Ruhollah Khomeinis Islamischer Revolution von 1979 ging die Zahl der Juden im Iran von über 100.000 auf rund 8.500 zurück.

 

Flucht und Vertreibung der Juden aus arabischen Ländern im 20. Jahrhundert waren nahezu total und können nicht bloß mit der Entstehung des Staates Israel in Verbindung gebracht werden. Der sich in der »jüdischen Nakba« manifestierende Antisemitismus hatte seine Ursachen im Judenbild des Korans und dem Export des europäischen Antisemitismus. Die Errichtung des Staates Israel war damit Anlass, aber nicht Grund für die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der arabischen Welt.

 

Antike und islamische Eroberung

 

Die Geschichte der Juden im Iran begann vor etwa 2.600 Jahren mit der von König Kyros II. nach seiner Eroberung Babylons erteilten Erlaubnis, aus dem babylonischen Exil nach Jerusalem zurückkehren und den Tempel wieder aufbauen zu dürfen, was allerdings nur ein Teil der Juden in Anspruch nahm. Unter der folgenden Herrschaft der religiös toleranten Parther unterstützten die im Land verbliebenen Juden die Regierenden im Kampf gegen die Römer.

 

Im Jahr 226 wurden die Parther von den Sassaniden abgelöst, deren Zoroastrismus anderen Religionen weniger Spielraum ließ. Infolgedessen wurde Christen und Juden phasenweise verfolgt, weswegen die ab 634 vordringenden islamischen Eroberer Persiens anfangs durchaus als Befreier begrüßt wurden. Die Juden mussten sich dennoch mit dem Dhimmi-Status von gegen die Zahlung einer Sondersteuer (»Jizya«) Geduldeten bzw. Schutzbefohlenen zufriedengeben.

 

Während der Periode der Mongolenherrschaft und jener der Safawiden, welche die schiitische Richtung des Islams zur Staatsreligion erhoben, verschlechterte sich ihr Status weiter. So wurden etwa 1656 die Juden aus Isfahan vertrieben und gezwungen, zum Islam überzutreten. Da dies zu einem finanziellen Verlust durch den Ausfall der ihnen auferlegten Jizya führte, wurde den Juden 1661 wieder erlaubt, zu ihrem Glauben zurückzukehren. Sie mussten jedoch auf ihrer Kleidung ein besonderes Kennzeichen tragen, da sie als unrein galten. Physischer Kontakt mit Juden führte daher zur religiösen Notwendigkeit für Muslime, sich rituell zu reinigen.

 

Islamische Neuzeit und Pahlavi-Dynastie

 

1830 kam es zu einem Massaker an den Juden in Täbris und zu einer zwangsweisen Konversion der Überlebenden zum Islam. Die Allahdad (»Gottes Gerechtigkeit«) war ein 1839 begangenes Pogrom von Muslimen an der jüdischen Gemeinde von Maschhad. Überlebende Juden wurden wiederum gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Eine große Anzahl von Juden praktizierte danach äußerlich den Islam, um als »Krypto-Juden« im Geheimen weiterhin ihren Glauben auszuüben.

 

1867 kam es zu einem Massaker in Barfurush, und 1892 wurden in Shiraz zwanzig Juden ermordet und drei Synagogen niedergebrannt. Bereits 1910 gab es erneut ein Pogrom in Shiraz, das durch verleumderische Ritualmordbeschuldigungen der zum Islam übergetretenen, ursprünglich jüdischen Qavam-Familie ausgelöst wurde, die behauptete, Juden hätten ein muslimisches Mädchen getötet. Zwölf Mitglieder der jüdischen Gemeinde wurden ermordet, fünfzig verwundet und die sechstausend jüdischen Bewohner von Shiraz ihres Eigentums beraubt. Zu Pogromen und der erzwungenen Annahme des Islams kam es auch in Zarqon, Lar, Jahrom, Darab, Nobendigan, Sarvestan und Kazerun.

 

Die 1925 an die Macht gekommene Pahlavi-Dynastie verbesserte anfangs die Situation der Juden. Zwangskonversionen wurden untersagt und der Status der Unreinheit der Juden abgeschafft. Dennoch wurde im Jahr 1931 der kritische jüdische Journalist und Parlamentsabgeordnete Shmuel Hayyim unter falschen Beschuldigungen verhaftet.

 

Zu dieser Zeit begann Reza Schah mit den Nationalsozialisten zu sympathisieren. Diese wiederum sahen in den Iranern »Arier«, die von den Nürnberger Gesetzen nicht betroffen waren. Zum jüdischen Purimfest, bei dem der Tod antiker persischer Feinde der Juden gefeiert wird, die ein Pogrom veranstalten und die Juden auslöschen wollten, im Jahr 1941 ermunterte das persischsprachige nationalsozialistische Radio die Iraner, sich bei den Juden zu revanchieren.

 

Am 16. September 1941 zwangen die Engländer Reza Schah, zugunsten seines Sohnes Mohammed Reza Pahlavi abzudanken. Insbesondere in den letzten Jahren seiner Herrschaft vor der Islamischen Revolution von 1979 äußerte sich der Schah wohl auch in Folge der starken Vertretung von Juden in der kommunistischen Tudeh-Partei antisemitisch hinsichtlich angeblicher jüdischer Verschwörungen. Mit dem Staat Israel kam es zu einer engen wirtschaftlichen und sicherheitsmäßigen Zusammenarbeit.

 

Islamische Revolution von 1979

 

In den ersten Monaten nach der Islamischen Revolution versuchten linksgerichtete jüdische Intellektuelle, die in der Association of Jewish Iranian Intellectuals (AJII) zusammengeschlossen waren, als auch die Oberrabbiner Yedidia Shofet und Uriel Davidi mit dem sich etablierenden islamischen Regime einen Modus vivendi zu finden, bis die meisten von ihnen schließlich das Land verließen. Häufig geschah dies in Richtung Kalifornien, wohl auch, um im Iran zurückgebliebene Familienmitglieder nicht durch eine Auswanderung nach Israel zu gefährden.

 

Am 16. März 1979 wurde der Ehrenpräsident der jüdischen Gemeinde, Habib Elghanian, der sich bereits im Ausland befunden hatte, bei einem Heimatbesuch verhaftet und als angeblicher Spion zum Tod verurteilt. Insgesamt wurden im ersten Jahr der Revolution siebzehn Juden als angebliche Spione hingerichtet.

 

Obwohl das iranische Regime vordergründig behauptet, zwischen »Juden« und »Zionisten« zu unterscheiden, sind beide Begriffe in der iranischen Propaganda austauschbar. Das Regime scheut dabei auch nicht die Zusammenarbeit mit dem Who is Who der Holocaustleugner-Szene. So wurde am 6. Februar 2006 ein Wettbewerb für Holocaust-Karikaturen ausgeschrieben, der 1.200 Ausstellungsstücke erbrachte.

 

Im Dezember 2006 folgte eine Holocaustleugner-Konferenz unter der Teilnahme international bekannter Rechtsextremisten wie dem französischen Holocaust-Leugner Robert Faurisson, deutschen NPD-Funktionären oder dem ehemaligem Führer des Ku-Klux-Klans, David Duke. 2012 wurden am israelischen Shoah-Gedenktag den Holocaust leugnende Filme im iranischen Fernsehen ausgestrahlt, im Jahr 2014 fand eine zweite einschlägige Konferenz unter dem Titel »Zweite Neuer-Horizont-Konferenz unabhängiger Denker« statt, 2016 schließlich der zweite Holocaust-Karikaturen-Wettbewerb.

 

Gegen den Staat Israel werden regelmäßig Vernichtungsdrohungen ausgestoßen. Das Militär, insbesondere Einheiten der Revolutionsgarden, unterstützen den syrischen Diktator Assad und betreiben umfangreichen Waffenschmuggel über Syrien zur Hisbollah im Libanon. Der ehemalige Präsident Ali Akbar Hāschemi Rafsandschāni forderte beispielsweise in einer am 14. Dezember 2001 gehaltenen Predigt in der Moschee der Universität Teheran die nukleare Vernichtung Israels, wobei er unter anderem sagte:  »Der Einsatz auch nur einer Atombombe in Israel wird alles zerstören. Sie wird im Gegensatz dazu der islamischen Welt aber nur einen Schaden zufügen. Es ist nicht irrational, eine solche Eventualität in Betracht zu ziehen.«

 

Nicht zuletzt solche Aussagen machen die offensichtliche Entwicklung derartiger Waffen durch den Iran so gefährlich und für Israel völlig unannehmbar, wie etwa der deutsche Politikwissenschaftler Stephan Grigat festhält: »Die offenen Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel sind beim Iran und seinen Verbündeten wie der Hisbollah so bedrohlich, weil dieser Antisemitismus mit einer sowohl konventionellen Aufrüstung als auch einem Nuklearwaffenprogramm kombiniert ist.«

 

Exodus

 

Im Zeitraum zwischen 1948 und 1966 emigrierten ca. 45.000 Juden aus dem Iran nach Israel. Nach einer Phase der Stabilisierung ging die Zahl der Juden im Iran seit der Islamischen Revolution von etwa 100.000 bis 150.000 unmittelbar vor der Revolution auf 8.500 im Jahr 2021 stark zurück.

 

Angesichts dieses Exodus erweist sich die von Apologeten des Teheraner Regimes so gerne vorgebrachte Behauptung, den Juden im Iran gehe es gut, schließlich lebte dort die zweitgrößte Gemeinde das Nahen Ostens, als irreführend. »Man könnte ebenso gut feststellen, Finnland sei das zweitbeliebteste Ziel für Strandurlauber und Windsurfer, wenn Jamaika die einzige Alternative ist«, charakterisierte der amerikanische Nahostexperte Michael Rubin diese absurde Schutzbehauptung einmal.

 

Empfohlene weiterführende Literatur:

  • Georges Bensoussan: Die Juden der arabischen Welt. Die verbotene Frage, Hentrich & Hentrich, Berlin 2019.
  • Stephan Grigat: Antisemitic Anti-Zionism: Muslim Brotherhood, Iran, and Hezbollah. In: Armin Lange/Kerstin Mayerhofer/Dina Porat/Lawrence Schiffman (Ed.): Confronting Antisemitism in Modern Media, the Legal and Political Worlds. An End to Antisemitism. Vol. 5, de Gruyter, Berlin/Boston 2021.
  • Stephan Grigat: Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung, Konkret Verlag, Hamburg 2014.
  • Lyn Julius: Uprooted. How 3000 Years of Jewish Civilisation in the Arab World Vanished Overnight, Vallentine Mitchell, London 2018.
  • Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Beck, München 2004.

 

10. Die »jüdische Nakba«: Abschließende Zusammenfassung

 

Von den einstmals 864.000 Juden in den arabischen Ländern und den 150.000 im Iran leben nach der »jüdischen Nakba« heute insgesamt zirka 16.500 in diesen Staaten.

 

Im Zuge des israelischen Unabhängigkeitskriegs – der auf die arabische Ablehnung der Teilungsresolution der Vereinigten Nationen im November 1947 und den Angriff der Nachbarstaaten auf den neu gegründeten jüdischen Staat im Mai 1948 folgte – verließen nach Berechnungen der UNO rund 726.000 der damals auf dem Territorium lebenden Araber Israel, wobei die Schätzungen hier auseinandergehen: Laut israelischen Berechnungen waren es lediglich 520.000, die ehemalige Mandatsmacht Großbritannien sprach von 810.000, die arabische Seite von rund einer Million Menschen, die das Gebiet aufgrund von Flucht und teilweise auch Vertreibung verließen.

 

Alles in allem handelte es sich um etwa 50 Prozent der arabischen Bevölkerung des Israel zugesprochenen Teils des britischen Mandatsgebiets. Die Zurückbleibenden bildeten den Kern der arabischen Israelis, die heute mit rund 1,5 Millionen ein Fünftel aller Bürger des jüdischen Staates stellen.

 

Einzigartiger Status

 

Die Empfehlungscharakter habende UNO-Resolution 194 der Generalversammlung vom 11. Dezember 1948 begrenzte die Forderung nach Rückkehr bewusst auf die im Kriegsverlauf Geflohenen, machte ihre Friedensbereitschaft zur Bedingung ihrer Rückkehr und verlangte zugleich die Integration der Palästinenser in jene Staaten, in die sie geflohen waren.

Israels Regierung wollte das palästinensische Flüchtlingsproblem erst nach Kriegsende im Rahmen von Friedensverhandlungen in Angriff nehmen. Die unterlegenen arabischen Staaten verweigerten diese Verhandlungen jedoch und deuteten die UNO-Resolution 194 als völkerrechtlichen Anspruch auf ein kollektives Rückkehrrechht  für alle geflohenen und vertriebenen Palästinenser und ihre Nachkommen nach Israel.

 

Während für alle nicht-palästinensischen Flüchtlinge der Welt eine UNO-Hilfsorganisation existiert, der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), wurde mit der UN-Resolution 302 am 8. Dezember 1949 eine eigene UNO-Organisation (UNWRA) allein für palästinensische Flüchtlinge geschaffen, die in der Folge den Flüchtlingsstatus auf nachfolgende Generationen ausdehnte. Nicht eine einzige der vielen UNO-Resolutionen zum arabisch-israelischen Konflikt beschäftigte sich dagegen mit dem Schicksal der jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern und dem Iran.

 

Von über einer Million auf 16.500

 

In unserer Reihe über die »jüdische Nakba« haben wir den Umfang der Vertreibung und Flucht von Juden aufgezeigt. Von den einstmals 864.000 Juden in den arabischen Ländern und den 150.000 im Iran leben heute insgesamt zirka 16.500 in diesen Staaten, was eine Flüchtlingszahl von insgesamt etwa einer Million ergibt.

 

 

1948

2023

Ägypten (Teil 3)

80.000

13

Irak (Teil 4)

135.000

5

Marokko (Teil 5)

238.000

5.000

Libanon (Teil 6)

10.000

15

Syrien (Teil 6)

15.000

15

Jemen (Teil 7)

150.000

0

Algerien (Teil 8)

1300.00

0

Tunesien (Teil 8)

71.000

1500

Libyen (Teil 8)

35.000

0

Arabische Welt gesamt

864.000

6.548

Iran (Teil 9)

150.000

10.000

Insgesamt

1.014.000

16.548

 

Im Gegensatz zum Umgang der arabischen Staaten mit den palästinensischen Flüchtlingen bemühte sich Israel um die Integration der jüdischen Flüchtlinge, ohne aus ihrem Schicksal politisches Kapital schlagen zu wollen: Erst am 30. November 2014 wurde der Gedenktag für die Vertreibung der Juden aus arabischen Ländern begangen.

 

Empfohlene weiterführende Literatur:

  • Botschaft des Staates Israel: Die vergessenen jüdischen Flüchtlinge, Berlin 2016.
  • Georges Bensoussan: Die Juden der arabischen Welt. Die verbotene Frage, Hentrich & Hentrich, Berlin 2019.
  • Stephan Grigat: Antisemitic Anti-Zionism: Muslim Brotherhood, Iran, and Hezbollah. In: Armin Lange/Kerstin Mayerhofer/Dina Porat/Lawrence Schiffman (Ed.): Confronting Antisemitism in Modern Media, the Legal and Political Worlds. An End to Antisemitism. Vol. 5, de Gruyter, Berlin/Boston 2021.
  • Stephan Grigat: Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung, Konkret Verlag, Hamburg 2014.
  • Lyn Julius: Uprooted. How 3000 Years of Jewish Civilisation in the Arab World Vanished Overnight, Vallentine Mitchell, London 2018.
  • Bernard Lewis: Die Juden in der islamischen Welt. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Beck, München 2004.

 

 

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