Ein Gastbeitrag von Alan M.
Dershowitz
Jetzt ist es raus. Die Juden regieren die Welt! Wir besitzen die Medien. Politiker tanzen nach unserer Pfeife. Die Wall Street ist ein jüdisches Schtetl. Hollywood-Mogule schließen geheime Absprachen auf Jiddisch. Jüdische Professoren werben bei ihren Studenten um Unterstützung für Israel. Jüdische Strippenzieher ziehen die Fäden und ihre willfährigen Marionetten trotten ihnen einfach hinterher.
Wenn man im Internet stöbert, sind es diese absurden Anschuldigungen, die gebetsmühlenartig wiederholt werden. Es erinnert mich an den alten Witz von den beiden Juden in einem Wiener Kaffeehaus in den 1930er Jahren. Einer von ihnen liest die jiddische Tageszeitung, während der andere im Propagandaorgan der Nazis „Der Stürmer“ blättert. Der Jude, der die jiddische Zeitschrift liest, fragt vorwurfsvoll: „Warum liest Du dieses Nazi-Käseblatt?“ Darauf erwidert der andere Jude: „Früher habe ich immer die jiddische Tageszeitung gelesen. Darin war immer nur zu lesen, wie sehr die Juden leiden, wie sie aus ihren Jobs gefeuert werden, Pogromen ausgesetzt sind und hungern. Jetzt lese ich in der Nazi-Zeitung, dass wir die Welt regieren. Ich bevorzuge einfach gute Nachrichten!“
Seit Veröffentlichung der zaristischen Fälschung „Die Protokolle der Weisen von Zion“ im 19. Jahrhundert, waren die Lieblingsmotive des Antisemitismus die Falschmeldungen, dass die Juden die Welt kontrollierten und dass alle Probleme der Welt den Juden zuzuschreiben wären. In einem alten polnischen Sprichwort heisst es: „Wenn es Probleme gibt, müssen die Juden dahinterstecken.“
Die Realität sieht – selbstverständlich – ganz anders aus. Juden erleben in vielen Teilen der Welt Antisemitismus, zunehmend auch an Universitäten. Israel wird bei den Vereinten Nationen häufiger verurteilt, als alle anderen Nationen der Welt zusammengenommen. Viele Juden sind arm, insbesondere alte Menschen. Die Leugnung des Holocausts ist im Internet allgegenwärtig. Der prozentuale Anteil der Juden in der Welt, der ohnehin bereits verschwindend gering ist, nimmt ab, während gleichzeitig bei den Juden zunehmend Mischehen und Assimilierung stattfinden.
Welche Erfolge Juden auch immer erreicht haben mögen, sie waren stets das Ergebnis ihrer harten Arbeit, Kreativität und Entschlossenheit. Man betrachte nur Israel, eine Nation, die bis vor Kurzem nur geringe natürliche Ressourcen oder inhärenten Wohlstand besaß. Dennoch gelang es ihr, durch ihre Erfindungen und Innovationen an die Spitze der Hightech-Welt zu gelangen. Im Verhältnis zu seiner Größe, seiner Bevölkerung und dem Alter seiner Nation, hat kein anderes Land in der Geschichte der Menschheit einen größeren Beitrag zur Welt geleistet als der Staat des jüdischen Volkes. Darf man den Juden den Erfolg Israels zum Vorwurf machen?
„Die Essenz des Antisemitismus ist der Glaube, dass alles Positive an den Juden negativ interpretiert werden muss.“
Es stimmt, dass Juden in großer Zahl in unterschiedlichen Branchen wie zum Beispiel akademischen Berufen, der Finanzwelt und den Medien, vertreten sind. Der Grund dafür ist aber nicht, dass sie bevorzugt behandelt würden. Vielmehr liegt es daran, dass sie sich in diesen Unternehmen als erfolgreich erwiesen haben. Kann man ihnen das vorwerfen?
Die Essenz des Antisemitismus ist der Glaube, dass alles Positive an den Juden negativ interpretiert werden muss. Man denke nur an den absurden Vorwurf des „Pinkwashing“ gegen Israel seitens der extremen Linken. Diejenigen, die Israel des Pinkwashings bezichtigen, erkennen damit an, dass Israel eine der besten Bilanzen aufweisen kann, was die Unterstützung der Rechte von Lesben, Homosexuellen, Bisexuellen und Transgender-Personen anbetrifft. Mit Sicherheit ist Israel deren größter Unterstützer im Nahen Osten. Und doch behaupten die Antisemiten, die Israel des Pinkwashings bezichtigen, der alleinige Grund, warum Israel die Rechte sexueller Minderheiten unterstütze, sei, dass sie verschleiern wollen – sich ihre Weste reinwaschen oder in diesem Fall, rosa färben (pinkwash) wollen –, wie schlecht sie die Palästinenser behandeln. Diese perverse Anschuldigung übersieht schlicht und einfach die Realität, nämlich, dass Israel diese Rechte unterstützt, weil es das Richtige ist. Innerhalb der israelischen Gesellschaft sind es tatsächlich diejenigen, die die Rechte Homosexueller unterstützen – und nicht die, die gegen diese Rechte sind – die eher die Palästinenser unterstützen. Diese Fakten sind jedoch irrelevant für die Antisemiten, die der Meinung sind, dass der Nationalstaat des jüdischen Volkes nichts Gutes tun kann, es sei denn, er tut es aus den falschen Gründen.
Die andere Lüge, welche der Lüge „Die Juden kontrollieren die Welt“, auf dem Fuß folgt, ist die, dass einzelne Juden, die zufälligerweise erfolgreich sind und sich in Autoritätspositionen befinden, stets zusammenarbeiten, um ihr Ziel einer jüdischen Weltherrschaft zu erreichen. Die Wirklichkeit ist jedoch völlig anders. Nehmen wir beispielsweise die angebliche jüdische Kontrolle der Medien. Es stimmt, dass jüdische Familien Beteiligungen an der New York Times und anderen Zeitungen haben. Diese Zeitungen unterstützen jedoch nicht die jüdische „Kontrolle“ der Welt. Tatsächlich stimmen sie häufig nicht mit der öffentlichen Meinung der Juden überein. Das gleiche gilt für die Wall Street, Hollywood und die akademische Welt, wo individuelle Juden durchaus unterschiedliche Ansichten zu jüdischen Themen vertreten. Antisemiten scheren jedoch alle Juden über einen Kamm und in ihren Augen haben alle nur ein und dasselbe Ziel – die Weltherrschaft.
Also, nein – die Juden kontrollieren die Welt nicht. Viele leisten durch ihre individuellen Leistungen wertvolle Beiträge für die Welt. Dies gilt jedoch für Angehörige aller Konfessionen, Ethnien und Rassen. Die Welt wäre ärmer – in intellektueller, künstlerischer, karitativer und vielerlei anderer Hinsicht – wenn es keine Juden gäbe. Viele europäische Länder, die sich mitschuldig machten, indem sie sich ihrer jüdischen Bevölkerung entledigten, bereuen heute ihr Tun. Lasst uns also dafür Sorge tragen, dass die in Europa verbliebenen Juden von den Antisemiten, die weiterhin die Lüge der jüdischen Weltherrschaft verbreiten, verschont bleiben.
Professor Alan M. Dershowitz ist emeritierter Inhaber des Felix-Frankfurter-Lehrstuhls für Rechtswissenschaften an der Harvard Law School und Autor von „Trumped Up, How Criminalization of Political Differences Endangers Democracy“
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