Der unerklärte Krieg der DDR gegen Israel

 

Ein Gastbeitrag von Jeffrey Herf.

 

(Teil 1)

 

 Gäbe es ein ungeschriebenes elftes Gebot der westdeutschen Geschichte nach dem Holocaust, so würde es lauten: Keine deutsche Regierung oder politische Gruppierung darf jemals Juden töten oder ihnen Schaden zufügen, noch darf sie jemandem dabei behilflich sein, Juden zu töten oder ihnen Schaden zuzufügen Auf gar keinen Fall darf eine deutsche Regierung den Staat Israel angreifen oder dessen Gegner unterstützen. Das war der moralische Mindestanspruch, der mit der westdeutschen Politik der Vergangenheitsbewältigung assoziiert wurde, in erster Linie mit dem Massenmord an sechs Millionen Juden in Europa durch das NS-Regime. Diese Tradition ist jedoch eher für die finanzielle Wiedergutmachung als für eine angemessene Gerechtigkeit bekannt.

 

Doch das moralische Prinzip, Juden nie wieder Schaden zuzufügen, durchdrang die Entscheidungen mehrerer aufeinanderfolgender Bundeskanzler, darunter auch Konrad Adenauers Beschluss im Jahr 1952, den Überlebenden des Holocaust und dem Staat Israel eine finanzielle Wiedergutmachung anzubieten, sowie Ludwig Erhards Absicht, im Jahr 1965 diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Diese Tradition hatte auch nach der deutschen Wiedervereinigung Bestand: Im Jahr 2008 erklärte Kanzlerin Angela Merkel vor dem israelischen Parlament, der Knesset, dass das Überleben Israels ein Anliegen der deutschen Staatsräson sei.

 

Seit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949 bis zu ihrem Zusammenbruch 1989 vertrat das kommunistische Regime jedoch eine ganz andere Sichtweise – eine Sichtweise, die der Idee des Zionismus und dem real existierenden Staat Israel feindselig gegenüberstand. Vor allem seit Juni 1967, während und nach dem Sechstagekrieg, wandte sich die westdeutsche radikale Linke ebenfalls gegen Israel und brachte kleine Gruppen von Terroristen hervor, die in den 1970er und 1980er Jahren mit palästinensischen Organisationen zusammenarbeiteten. (…)

 

 

Teilweise auf den Kopf gestellt

 

Die Terrorakte westdeutscher Gruppierungen waren in der öffentlichen Wahrnehmung damals sehr viel präsenter als das Militärbündnis zwischen den Ostblockstaaten und den arabischen Staaten und palästinensischen Terrorgruppen. Dabei hatte die ostdeutsche Regierung einen weit größeren Einfluss auf den Gang der Ereignisse im Nahen Osten als westdeutsche Terroristen. Wenn den Terrorgruppen eine große Aufmerksamkeit zuteilwurde, die ostdeutsche Regierung hingegen vergleichsweise vernachlässigt wurde, so stellt dies deren kausale Wirkung auf die damaligen Ereignisse im Nahen Osten geradezu auf den Kopf (…) Damals schätzte die Central Intelligence Agency der USA, dass die Waffenlieferungen aus der DDR an die arabischen Staaten rund drei Prozent der gesamten Waffenlieferungen aus dem Ostblock ausmachten.

 

Wie wir sehen werden, übertrafen diese drei Prozent bei weitem die viel bekannteren Arsenale, die bei westdeutschen Linksterroristen entdeckt wurden. Der enorme quantitative Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass ein Staat, der mit einer mächtigen militärischen Allianz verbündet war, über ganz andere Ressourcen als linke politische Bewegungen und Gruppierungen verfügte. Die Rote Armee Fraktion, die Bewegung 2. Juni und die Revolutionären Zellen positionierten sich erfolgreich in den Schlagzeilen, doch dem Regime in Ost-Berlin standen die gesamte Staatsmacht – Streitkräfte, Botschaften und ein diplomatisches Korps, ein effektiver Nachrichtendienst, militärische Ausbildungszentren und eine kontrollierte Presse – zur Verfügung, um das Kräfteverhältnis und die Ereignisse im Nahen Osten zu beeinflussen. (…)

 

Das Regime im Osten Deutschlands nach 1949 und die westdeutsche radikale Linke ab 1967 fühlten sich nicht an den oben erläuterten moralischen Kompass gebunden. In den Jahren zwischen dem Sechstagekrieg von 1967 und dem Libanonkrieg und dessen Nachspiel in den 1980er Jahren fügten die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und westdeutsche linksextreme Terrorgruppen jüdischen Bürgern weiterhin Schaden zu, insbesondere den in Israel lebenden; darüber hinaus unterstützten sie andere, die das Ziel verfolgten, ihnen zu schaden. (…)

 

 

Keinerlei diplomatische Beziehungen zu Israel

 

Das entsprechende ideologische Fundament wurde in den „antikosmopolitischen Säuberungen“ Anfang der 1950er Jahren in der Sowjetunion und Osteuropa gelegt. Damit endete die Unterstützung für den Zionismus und für Israel aus den Ostblockstaaten – eine Unterstützung, die in der Phase der Staatsgründung Israels außerordentlich wichtig gewesen war und zum Beistand für die Juden im Krieg von 1948 geführt hatte. Der Begriff „Zionismus“ wurde fortan zu einem Schmähwort im kommunistischen Diskurs. Die anfänglich prozionistische Haltung war ein Produkt der besonderen Umstände des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Der Antizionismus und die Feindseligkeit gegen Israel hingegen standen in einem Zusammenhang mit einer umfassenderen Revision der marxistisch-leninistischen Lehre, die mit dem Beginn des Kalten Krieges einherging.

 

In ganz elementarer Hinsicht widersprach die Idee eines jüdischen Staates sowohl dem universalistischen Anspruch des Kommunismus als auch, ungeachtet des Säkularismus der zionistischen Gründergeneration, der kommunistischen Anschauung, Religion sei „Opium für das Volk“. Für Kommunisten war die Sowjetunion, nicht das europäische Judentum, das Hauptopfer Hitlerdeutschlands gewesen. In den Säuberungen nach dem Krieg avancierte der Antizionismus, häufig gepaart mit antisemitischen Motiven wie etwa der unterstellten enormen jüdischen Macht und deren mutmaßlich engen Beziehungen zum Kapitalismus und Imperialismus, zum Standarddiskurs im Ostblock.

 

Zwar plädierte eine Minderheit im Osten Deutschlands dafür, dass die DDR enge und freundschaftliche Beziehungen zu dem neuen jüdischen Staat pflegen solle, doch die orthodoxe Mehrheit wies die Vorstellung zurück, dass sie als deutsche Kommunisten gegenüber dem Staat Israel irgendwelche besonderen moralischen Verpflichtungen hätte. Im Gegenteil: Schon in den 1950er Jahren verunglimpften ostdeutsche Kommunisten Israel als Verbündeten des westlichen und amerikanischen Imperialismus und weigerten sich, dem jüdischen Staat eine finanzielle Wiedergutmachung zu zahlen. Die DDR war das einzige Mitglied des Warschauer Paktes, das zu keinem Zeitpunkt diplomatische Beziehungen zum Staat Israel unterhielt.

 

Als die westdeutsche Linke 1967 zentrale Elemente des linken Antiimperialismus übernahm, ordnete sie Israel ebenfalls auf der „falschen“ Seite der in ihren Augen zentralen weltweiten Spaltung zwischen einem bösen und ausbeuterischen Imperialismus und einer tugendhaften, ausgebeuteten „Dritten Welt“, wie es damals hieß, ein. Der Nebeneffekt dieser Anschauung war die Unterstützung für die arabischen Staaten und sowohl in Ostdeutschland als auch in der westdeutschen radikalen Linken ein besonders leidenschaftlicher Einsatz für die Palästinensergruppen, die Israel bekämpften.

 

 

(Teil 2)

 

Die Sowjetunion war bei der Prägung der feindseligen Haltung des Warschauer Paktes gegenüber Israel die treibende Kraft und der zentrale Akteur. Anders als die maoistische Propaganda und die romantische Verklärung durch die Neue Linke und ihre Nachfolger im Westen hatte die Haltung der Sowjetunion wegen ihrer Radikalität und, ganz wichtig, ihrer materiellen Substanz bemerkenswerten Einfluss. Die Sowjetunion, nicht Maos großspuriges China, war für linke Guerilla-Bewegungen auf der ganzen Welt die Hauptquelle für Waffen und militärische Ausbildung.

 

Ihr militärischer Beistand für die arabischen Staaten und palästinensischen Terrororganisationen war ebenso Teil der weltweiten Offensive gegen den „US-Imperialismus“ wie auch ihrer Bemühungen, sich im strategisch wichtigen Nahen und Mittleren Osten Einfluss zu verschaffen. So klein der ostdeutsche Beitrag im Vergleich zur sowjetischen Supermacht auch war, Ost-Berlin folgte dem sowjetischen Beispiel keineswegs widerwillig. Im Gegenteil, um den ideologischen Eifer zu stärken und das nationale Interesse zu schützen, beteiligten sich ostdeutsche Führer eifrig an den Kampagnen gegen Israel. Im Nahen Osten unterstützte der Ostblock, einschließlich der DDR, die radikalen Kräfte, nicht die gemäßigten, und zwar mit Wort und Tat. (…)

 

In der wohl bittersten Ironie dieser Ära wendeten die Staatskommunisten und linken Bewegungen die Sprache des Antifaschismus, die die ganze Welt mit dem Kampf gegen den Nationalsozialismus assoziierte, zu einem rhetorischen Arsenal, das sie nun gegen den jüdischen Staat richteten. Sicher, es gab Kommunisten, jüdische wie nichtjüdische, die der Ansicht waren, der Antifaschismus des Zweiten Weltkrieges hätte zu einer Unterstützung für den Zionismus nach dem Krieg führen müssen. Die kurze Ära der sowjetischen Unterstützung Israels endete jedoch mit den antikosmopolitischen Säuberungen der frühen 1950er Jahre. (…)

 

 

Zionismus als eine „chauvinistische Ideologie“

 

Damals wie heute gingen manche Beobachter davon aus, dass der unterschwellige, aber nachhaltige Einfluss des Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft, der möglicherweise bei den „einfachen Leuten“ nachklang, verantwortlich war für den Antagonismus zu Israel und die Begeisterung für die arabischen Staaten und palästinensischen Terrororganisationen. Journalisten, die in NS-Deutschland gearbeitet hatten und anschließend eine Beschäftigung in den Propagandaorganen der ostdeutschen Regierung fanden, mögen ebenfalls für eine gewisse Kontinuität gesorgt haben. Doch der ideologische Kern der antiisraelischen Wende lag im Marxismus-Leninismus und dem damit assoziierten linken Antiimperialismus der 1960er Jahre.

 

In der DDR fand die Begeisterung für die linken Revolutionen in der „Dritten Welt“ einige äußerst wichtige Partner in den arabischen Staaten und in den Palästinenserorganisationen, die sich bereits im Krieg mit Israel befanden. Letztere entwickelten besonders enge Beziehungen zur westdeutschen radikalen Linken, sowohl zu den offen agierenden, marxistisch-leninistischen und maoistischen Sekten der 1970er Jahre als auch zu den ideologisch diffuseren Überresten des Denkens der Neuen Linken und den illegalen linksterroristischen Untergrundorganisationen wie der Roten Armee Fraktion, der Revolutionären Zellen und der Bewegung 2. Juni.

 

Im Jahr 1980 veröffentlichte ein Autorenkollektiv aus Forschern und Professoren, die am ostdeutschen Institut für internationale Beziehungen der Akademie für Rechts- und Politikwissenschaft in Berlin arbeiteten, ein Wörterbuch der Begriffe für Außenpolitik und Völkerrecht. Der Zionismus wird dort als eine „chauvinistische Ideologie“ definiert, als „das weitverzweigte Organisationssystem und die rassistische, expansionistische politische Praxis der jüdischen Bourgeoisie, die einen Teil des internationalen Monopolkapitals bildet“. Dessen Wurzeln aus dem 19. Jahrhundert lagen demnach in einer „kleinbürgerlichen Reaktion auf den Antisemitismus“, die sich zu „einer reaktionären Konzeption von der jüdischen Gemeinschaft [entwickelte], die, um das jüdische Proletariat vom Klassenkampf abzulenken, die Klassenfrage ignorierte und die Lösung der sog Judenfrage [...] in der Schaffung eines jüdischen Nationalstaates auf dem arabischen Territorium von Palästina sah. Mit dieser Konzeption ordnete sich der [Zionismus] von Anbeginn in die politischen, ökonomischen und strategischen Interessen des Weltimperialismus ein“, insbesondere in jene des „USA-Imperialismus im Nahen Osten“.

 

 

Ein „rhetorischer Nebel scheinbarer Mäßigung“

 

Seit der Staatsgründung im Jahr 1948 behaupteten ostdeutsche Historiker, der Staat Israel stehe für nationalen Chauvinismus und Antikommunismus. Er richte sich „gegen die arabische, nationale Befreiungsbewegung“. „Die aggressive Politik Israels führte, unterstützt von imperialistischen Staaten, insbesondere den USA, zu den militärischen Auseinandersetzungen im arabischen Raum, zur Entwicklung des Nahostkonfliktes. Auf der XXX. UNO-Vollversammlung (1975) wurde mit der Resolution 3379 der [Zionismus] als eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung verurteilt.“ Mit anderen Worten, die zionistische Ideologie und der Staat, den sie hervorbrachte, hatten keinerlei moralische Legitimierung. Für diese Autoren war der Staat Israel von Anfang an und untrennbar mit dem amerikanischen Imperialismus und dessen Eindringen in „das Territorium Palästinas“ verbunden.

 

Zu den prägenden Aspekten der ostdeutschen Außenpolitik zählte, was ich einen „rhetorischen Nebel scheinbarer Mäßigung“ nennen möchte, mit einem Vokabular voller Verweise auf Frieden, Gerechtigkeit und „politische Lösungen“ für den Nahostkonflikt, gepaart mit einer rückhaltlosen Unterstützung für unversöhnliche arabische Regierungen und radikale Palästinenserorganisationen. Die Politik der Sowjetunion und des Warschauer Paktes vereinte in diesen Jahrzehnten des Kalten Krieges die Sprache der Entspannung und die rationale Logik der atomaren Abschreckung mit einem unmissverständlichen Radikalismus bezüglich der Politik im Nahen Osten und allgemein in der „Dritten Welt“. Angewandt auf den Konflikt zwischen Israel, den arabischen Staaten und den Palästinenserorganisationen machte diese Haltung von Anfang an ausschließlich Israel für das verantwortlich, was die ostdeutschen Forscher im Jahr 1980 eine „durch imperialistisch-zionistische Kräfte herbeigeführte Konfliktsituation“ nannten, „die sich vor allem in Aggressionsakten gegen die arabischen Völker und Staaten widerspiegelt“. (…)

 

Kritiker der deutschen Antagonisten Israels haben schon damals und seither immer wieder argumentiert, der linke Antizionismus sei lediglich eine weitere Form des Antisemitismus, des Judenhasses. In der langen Geschichte des Antisemitismus bildet der Antagonismus zum Staat Israel in jener Zeit in der Tat ein eigenes Kapitel. Ihn zeichnete aus, dass jene, welche die Juden attackierten, gleichzeitig behaupteten, ihre Animosität habe nichts damit zu tun, dass die Angriffsziele Juden seien.

 

Die Fragen blieben jedoch die gleichen: Warum konzentrierten sich die linken Antizionisten in einer Welt, in der demokratische Regime in der Minderheit waren, ausgerechnet auf die eine funktionierende Demokratie im Nahen Osten? Warum verschlossen sie die Augen vor Terroranschlägen gegen Israelis, während Israels Maßnahmen zur Selbstverteidigung auf weltweite, echte Empörung stießen? Warum unterstellten Israels Kritiker stets, dass die israelische Regierung nie die Wahrheit sagte, während sie Diktatoren und Terrororganisationen einen Vertrauensvorschuss gewährten? Zeigte sich nicht in der Bereitschaft, Israel furchtbarer Verbrechen anzuklagen, ein Überbleibsel der uralten Neigung, den Juden Morde an Unschuldigen vorzuwerfen?

 

 

Praktiken des „Dritten Reiches“ nachahmen

 

Ein wichtiges Merkmal des kommunistischen und linken Antizionismus und Antagonismus gegen Israel war das entrüstete Beharren darauf, es handle sich um einen heimtückischen Kniff der Zionisten, wenn sie auch nur die leiseste Verbindung zu dem Antisemitismus der Vergangenheit andeuteten. Das war insofern wirkungsvoll, als es verlässlich half, das Thema zu wechseln. Vor dem Gericht der weltweiten öffentlichen Meinung in der UNO-Vollversammlung erlitt Israel damals eine doppelte Niederlage. Zum einen stimmte nur eine Minderheit der Staaten Israel zu, dass die gegen das Land gerichtete politische und militärische Offensive eine Form des Antisemitismus und Rassismus sei.

 

Zum Zweiten musste Israel hinnehmen, dass seine staatslegitimierende Ideologie, der Zionismus, zu einer Form des Rassismus erklärt wurde, ja sogar seinerseits zu einer, im Wortlaut der Repräsentanten der PLO, Form des Antisemitismus, da er sich gegen die arabischen „Semiten“ Palästinas richte. Am meisten schmerzte sicherlich die Assoziierung des Staates Israel mit dem Nationalsozialismus. In ihrer wichtigen Darstellung der arabischen Reaktionen auf den Holocaust gelangen Meir Litvak und Esther Webman zu dem Schluss, dass „die Gleichsetzung des Zionismus mit dem Nationalsozialismus [...] unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als Teil der arabischen öffentlichen Debatte begann“.

 

 

Das Motiv „Israel als Nazi“

 

Ich werde die Frage nicht beantworten können, ob die Assoziierung Israels mit NS-Deutschland in den arabischen Ländern oder in der sowjetischen Propagandamaschine nach dem Zweiten Weltkrieg ihren Anfang genommen hatte. Es liegt jedoch auf der Hand, dass die Sowjetunion und ihre Verbündeten, wenn sie dem jüdischen Staat vorwarfen, Praktiken des „Dritten Reiches“ nachzuahmen, erheblich dazu beitrugen, dass diese Unwahrheit zu einer allgegenwärtigen Maxime der weltweiten, nicht nur arabischen, politischen Kultur wurde.

 

Diese Punkte werfen die Frage auf, ob das ostdeutsche Regime womöglich die zweite antisemitische Diktatur im Deutschland des 20. Jahrhunderts war, ob Teile der westdeutschen radikalen Linken eine antisemitische Bewegung waren und ob beide gerade deshalb Anhänger fanden, weil der Hass auf Israel in Deutschland eine vertraute Tonart anschlug. Die weltweite und die deutsche antiisraelische Linke verwarfen solche Fragen als zionistische und imperialistische Propaganda, doch im deutschen Kontext ließen sich solche Themen nicht ganz so leicht beiseiteschieben.

 

Hier spielte das Motiv „Israel als Nazi“ eine wichtige Rolle bei der Überwindung von Deutschlands „Judenkomplex“, wie ein westdeutscher Linker es formulierte, also aufgrund der Erinnerung an die deutsche Verantwortung für den Holocaust ein unterstellter Widerwille oder ein Hemmschuh, Israel zu kritisieren oder ihm entgegenzutreten. Mit der Gleichsetzung von Israel und NS-Deutschland gelang es den Staatskommunisten im Osten und der radikalen Linken im Westen von den 1960er bis in die 1980er Jahre hinein, den Kampf gegen Israel als antifaschistisch zu kodieren. Israel war zur Verkörperung der Übel des NS-Regimes geworden, das die Linken nach eigenem Bekunden verachteten. (…)

 

Jeffrey Herf, geb. 1947, ist ein amerikanischer Historiker. Er lehrt an der Universität Maryland.

 

 

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