Europa nach Soleimanis Tod

 

Ein Gastbeitrag von Thomas Gutschker, Lorenz Hemicker und Markus Wehner

 

 

Die EU versucht, sich aus dem Konflikt zwischen Amerika und Iran herauszuhalten. Berlin reagiert nach dem amerikanischen Schlag ratlos.

 

Der erste europäische Spitzenpolitiker, der am Freitag auf die Tötung des iranischen Generals Qassem Soleimani in Bagdad reagiert hat, war Charles Michel. Schon diese Reaktion des neuen Ratspräsidenten der Europäischen Union ließ erkennen, wie heikel die Lage für die EU-Staaten geworden ist. Der Belgier nannte den Angriff der Amerikaner auf den Führer der irakischen Revolutionsgarden nicht einmal beim Namen. „Der Teufelskreis von Gewalt, Provokationen und Vergeltungen, den wir in den vergangenen Wochen im Irak erlebt haben, muss aufhören. Eine weitere Eskalation muss um jeden Preis verhindert werden“, teilte er am Mittag mit. Es bestehe jetzt das Risiko, dass in der gesamten Region die Gewalt wieder aufflamme und „obskure Kräfte des Terrorismus“ religiöse und nationalistische Spannungen für sich ausnutzten.

 

Es war der Versuch des Ratspräsidenten, die Europäer aus dem Konflikt herauszuhalten. Michel vermied es, Partei zu ergreifen oder einer Seite die Verantwortung für die Eskalation zuzuschreiben. Das war bemerkenswert an diesem Tag, schließlich haben die Europäer immer wieder die „destabilisierende regionale Rolle“ Irans kritisiert. Diese Formulierung bezieht sich auf die iranische Unterstützung etwa der Hizbullah im Libanon oder der Houthi-Rebellen im Jemen. Dass Iran auch im Irak Milizen mit viel Geld und Waffen unterstützt, dürfte Brüssel nicht verborgen geblieben sein. Doch wollte Michel jeden Anschein vermeiden, er könne den Angriff auf Soleimani für gerechtfertigt halten.

 

In Berlin herrschte ein ähnliches Bild vor. „Deeskalation“ war das Zauberwort, das die Sprecherin der Bundesregierung und ihr Kollege vom Auswärtigen Amt am Freitagvormittag ein ums andere Mal bemühten. Man müsse „mit Besonnenheit und Zurückhaltung zu einer Deeskalation beitragen“. Zwar gebe es eine „Vorgeschichte“ von „iranischen Provokationen“; erinnert wurde an die Beschlagnahme ausländischer Tanker in der Straße von Hormus im Sommer, die jüngsten Ausschreitungen vor der amerikanischen Botschaft in Bagdad oder daran, das Soleimani auf der Terrorliste der EU gestanden habe. Aus dem luftleeren Raum sei die Aktion der Amerikaner nicht gekommen. Überhaupt teile man die „Kritik an der destruktiven Rolle Irans“ in der Region.

 

Wenn es aber darum geht, was Berlin tun kann und will, herrschte der Eindruck von Ratlosigkeit vor. Will Berlin eine Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen? Dazu ist derzeit nichts bekannt. Hatten die Amerikaner Berlin vorab informiert? Dazu liegen keine Informationen vor. Will die Bundesregierung, dass alle Deutschen den Irak verlassen? Die Reisewarnungen würden „fortlaufend aktualisiert“. Allein zu den 120 Soldaten im Irak gab es eine konkrete Maßnahme zu vermelden. Die Sicherheitsvorkehrungen für die Bundeswehr im Zentralirak, wo 27 Soldaten in Tadschi sowie eine Handvoll im Hauptquartier der Anti-IS-Koalition in Bagdad tätig sind, würden erhöht. Für sie sei die Bewegungsfreiheit „eingeschränkt“ worden, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums. Die Soldaten würden die militärischen Liegenschaften, auf denen sie eingesetzt seien, nicht mehr verlassen. Ihre Sicherheit habe „höchste Priorität“. Keine Einschränkungen ergäben sich für die knapp 90 weiteren Soldaten, die im nordirakischen Kurdengebiet Truppen ausbilden.

 

Der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, hatte zuvor die neuen Sicherheitsmaßnahmen für die deutschen Soldaten als unzureichend bezeichnet. „Das reicht nicht“, sagte Nouripour dieser Zeitung. Die Lage verschärfe sich dramatisch. Nouripour forderte einen Stopp des Bundeswehreinsatzes im Irak, bis der Schutz der Soldaten im Land ausreichend geklärt sei. Zudem müsse die Wirksamkeit der Mission vor dem Hintergrund der massiven Änderungen des politischen Umfelds grundsätzlich infrage gestellt werden. Andere verteidigten den Einsatz. „So lange die Bundeswehr einen Beitrag dazu leisten kann, dass der Irak die Sicherheit in die eigenen Hände nimmt, ist diese Ausbildungsmission sinnvoll“, sagte SPD-Außenpolitiker Nils Schmid am Freitag der Agentur Reuters. Es sei „verfrüht, einem Abzug jetzt das Wort zu reden“.

 

Bürger aus der Region heimholen, den Einsatz der Bundeswehr beenden – so weit wollte Berlin am Freitag nicht gehen. Zwar äußerte man sich kritisch zur Politik Irans, doch war darauf bedacht, das Verständnis für die Aktion Washingtons nicht zu groß er scheinen zu lassen. Betont wurde deshalb, dass Berlin und die EU sich im Umgang mit Iran von der Haltung Washingtons unterscheiden. „Wir haben uns nicht dem Vorgehen des harten Drucks der USA angeschlossen“, so die Sprecherin der Bundesregierung. Und mehrmals wurde eigens darauf hingewiesen, die Tötung des iranischen Generals „keine Aktion der Anti-IS-Koalition“ gewesen sei. Später telefonierte Außenminister Heiko Maas mit seinem amerikanischen Kollegen Mike Pompeo. Die Folgen für die Region seien „schwer absehbar“, das habe er auch Pompeo in einem Telefonat „deutlich gesagt“. Die amerikanische Militäroperation sei auf eine Reihe gefährlicher Provokationen Irans erfolgt. „Es ist durch die Aktion aber nicht einfacher geworden, Spannungen abzubauen“, sagte der deutsche Außenminister. In der Wirkung sind die Worte von Michels wie von Maas auch eine deutliche Distanzierung von Washington. Wenn es um den Iran geht, stehen die Deutschen und die Europäer nicht an der Seite der Vereinigten Staaten.

 

Aber wo stehen sie dann? Irgendwo zwischen den Akteuren – und zwar auf einem immer einsameren Posten. Als Präsident Trump im Mai 2018 entschied, das Atomabkommen mit Iran zu verlassen, hielten die Europäer trotzig daran fest. Für sie war diese Vereinbarung, die noch von Präsident Barack Obama getroffen wurde, ein gewaltiger diplomatischer Erfolg. Getragen wurde diese Haltung von der Überzeugung, dass man Teheran in letzter Minute davon abgebracht habe, sich Atomwaffen zuzulegen. Diese Waffen hätten nicht nur Israel, sondern auch Europa bedroht. Außerdem befürchteten die Europäer, dass es vor ihrer Haustür zu einem Wettrüsten kommen würde, sobald Iran Atomwaffen besitzt. Auch die Türkei, Saudi-Arabien oder Ägypten würden dann nachziehen. Stattdessen schien die 2015 unterschriebene Vereinbarung die Tür zu öffnen für eine neue Ära wirtschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Europa und Iran, etwa um die Energie-Abhängigkeit von Russland zu vermindern.

 

Von diesem Optimismus ist allerdings fast nichts geblieben. Viele europäische Investoren warteten erst einmal ab, wie sich die Lage im Land entwickelte. Dann drohten die Vereinigten Staaten Unternehmen, die mit Iran Geschäfte machen, empfindliche Strafen an, wenn sie auf dem amerikanischen Markt tätig sind. Der französische Öl- und Gaskonzern Total stoppte umgehend die geplante Ausbeutung eines iranischen Gasfeldes, ein fünf Milliarden Dollar schweres Projekt. Seitdem haben Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich versucht, eine Art Tauschbörse aufzubauen, um überhaupt noch mit Iran im Geschäft zu bleiben. Die Idee: Ein europäisches Unternehmen kauft iranisches Öl, zahlt dafür aber nicht mit Geld, sondern bezahlt Medikamente, die ein Dritter nach Iran liefert. Bis dato ist jedoch kein solches Dreiecksgeschäft abgeschlossen worden. In Brüssel wird zur Begründung stets darauf verwiesen, wie kompliziert das alles sei. Tatsächlich scheuen sich europäische Unternehmen, irgendwelche Risiken einzugehen, solange sie mit Amerika im Geschäft sind – und das gilt in einer globalisierten Wirtschaft für sehr viele.

 

Trotz dieser Enttäuschungen haben die Europäer bisher am Atomabkommen festgehalten. Als die Iraner die ersten Vereinbarungen aufgaben, wurde das nur schwach kritisiert. Es handle sich um Drohgebärden, hieß es, Teheran könne jederzeit umkehren. Die Verantwortung für die Eskalation trage ohnehin Trump. Erst als Iran im November die Uran-Anreicherung in der tief verbunkerten Anlage von Fordo wiederaufnahm, änderte sich die Tonlage. Das sei erstmals ein „eindeutiger und unverblümter“ Schritt, aus dem Atomabkommen auszusteigen, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron. Auch die Briten waren skeptisch, Berlin zögerte. Intern kam man überein, Iran noch eine Chance zu geben: Solange Teheran keine weiteren eskalierenden Schritte unternehme, sollte sich an der grundsätzlich konstruktiven Haltung der Europäer nichts ändern. Zum Ausdruck kam das Anfang Dezember in einem Kommuniqué, das die deutsche Generaldirektorin des Europäischen Auswärtigen Dienstes, Helga Schmid, nach Verhandlungen mit den Garantiemächten des Abkommens und Iran in Wien veröffentlichte. Sie beklagte abermals den „bedauernswerten Rückzug“ der Vereinigten Staaten aus dem Vertragswerk. In Brüssel heißt es nun, wenn Europa seine Position ändere, müsse die Initiative dazu von Berlin, Paris und London ausgehen. Die EU selbst sieht sich weiterhin als Vermittler zwischen den Garantiemächten und Iran.

 

Es wird allerdings immer schwerer, diese Rolle aufrecht zu erhalten. Es geht überhaupt nur, indem die EU bei jeder Gelegenheit hervorhebt, dass das Abkommen eine Sache sei, die Eskalation am Persischen Golf eine andere. Man versucht, die Vereinbarung so gegen alle politischen Unbilden zu isolieren. Dabei schwingt die Hoffnung mit, falls Trump nicht wiedergewählt werde, könnten wieder bessere Zeiten im Verhältnis zwischen Amerika und Iran aufziehen. Allerdings hat sich Brüssel schon öfter verschätzt. Ende 2017 startete die EU eine große diplomatische Initiative, um den Kongress auf ihre Seite zu ziehen. Spitzendiplomaten erwarteten damals, dass der amerikanische Präsident es den Abgeordneten und Senatoren überlassen würde, ob das Atomabkommen erhalten bleibe. Es war eine beispiellose Einmischung in die amerikanische Innenpolitik. Trotzdem hielt Trump am Ende, was er seinen Wählern versprochen hatte – und stieg aus dem Abkommen aus.

 

Thomas Gutschker politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

 Lorenz Hemicker Redakteur in der Politik

 Markus Wehner Politischer Korrespondent in Berlin.

 

 

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