Ein Gastbeitrag von Matthias Küntzel
Kurz vor dem deutschen Überfall auf Polen, während der letzten Augusttage 1939, mussten Nazi-Agenten in Ägypten dieses Land fluchtartig verlassen. Sie ließen dabei Schriftstücke in ihren Wohnungen zurück, die dem britischen Geheimdienst in die Hände fielen. Die spärlichen Dokumente waren von hoher Brisanz, machten sie doch klar, dass die Nazis mit der ägyptischen Muslimbruderschaft in einem weitaus engeren Verhältnis standen, als bis dahin angenommen. Ägypten war das wichtigste Land dieser Region. Hier wurde der spätere Hitlerstellvertreter Rudolf Heß, dessen Familie seit 1865 in Alexandria lebte, geboren. Hier hatte dessen Bruder Alfred Heß schon 1926 damit begonnen, die Landesgruppe Ägypten der NSDAP-Auslandsorganisation, die einige Hundert Mitglieder zählte, aufzubauen. Der 1928 gegründeten Muslimbruderschaft war es zwischen 1936 und 1938 mittels ihrer antisemitischen Palästina-Kampagnen gelungen, ihre Mitgliederzahl von 800 auf 200.000 erhöhen. Bis 1945 entwickelten sie sich zur einflussreichsten Massenbewegung Ägyptens und zum wichtigsten Träger des islamischen Antisemitismus in der arabischen Welt.
Die Schriftstücke, die die Briten bei den Wohnungsdurchsuchungen entdeckten, bewiesen, dass die Muslimbruderschaft von Nazi-Stellen Gelder erhielt, „deren Summe beträchtlich höher lag als die Beträge, die anderen antibritischen Aktivisten angeboten wurden“, so der Islamwissenschaftler Brynjar Lia. „Dieser Geldtransfer scheint von Hadj Amin el-Husseini [dem Mufti von Jerusalem – MK] und einigen seiner palästinensischen Kontaktpersonen in Kairo […] koordiniert worden zu sein.“ Der 30-seitige Bericht Note on German Suspects – Egypt, den ich im britischen National Archive fand, enthüllt darüber hinaus, dass NS-Vertreter an Konferenzen der Muslimbruderschaft teilnahmen, dass deutsche Stellen „Palästina-Treffen“ mit den Muslimbrüdern durchführten und über dieses Thema auch unmittelbar mit Hassan al-Banna, dem Führer der Muslimbruderschaft, sprachen. Ein gewisser Dr. Walter Uppenkamp, seines Zeichens „Schulungsleiter“ der Ortsgruppe der Kairoer NSDAP, lud Ägypter und speziell die Mitglieder der Muslimbruderschaft zu Vorträgen über „die Judenfrage“ ein, während Ernst Engelen, der stellvertretende Vorsitzende dieser Ortsgruppe, in seinen Notizen über eine deutsch-ägyptische Zusammenarbeit bei der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen in Palästina berichtet.
Ich erwähne die Wohnungsfunde von Ende August 1939, weil sie zeigen, dass die Nazis bereits vor Beginn des Zweiten Weltkriegs mit arabischen Judenfeinden eng kooperierten und weil sie klar machen, dass der Krieg diesen Agenten die Möglichkeit unmittelbarer Einflussnahme entzog: Deutsche diplomatische Vertretungen wurden geschlossen und Nazi-Propagandisten, die sich nicht rechtzeitig aus dem Staub machten, inhaftiert oder des Landes verwiesen.
Allerdings war der Zweite Weltkrieg ein Krieg, in dem nicht nur zu Lande, Wasser und in der Luft, sondern – über alle Fronten hinweg – auch im Äther gekämpft wurde. Mehr noch: Seitdem alle anderen Einflussmöglichkeiten entzogen waren, avancierte die arabischsprachige Radio-Propaganda zum nunmehr wichtigsten Instrument, um den arabischen Massen die Nazi-Standpunkte und Mobilisierungsaufrufe nahezubringen.
Radiohören war damals eine öffentliche Angelegenheit. Man lauschte dem Empfänger in Kaffeehäusern oder auf dem Basar; mal wurde das Radio an einer Palme aufgehängt, um die sich die Informationshungrigen scharten, mal wurde der Empfänger im Garten des Bürgermeisters zum Sammelpunkt der Ältesten eines Dorfs. Was man hörte, wurde unvermittelt Gesprächsthema, sodass sich der Kreis der Empfänger vergrößerte.
Am 25. April 1939 lief die erste arabischsprachige Nazi-Sendung über den Äther, am 26. April 1945 die letzte. Diese sechsjährige Dauerbeschallung erweist sich im Rückblick als Zäsur, die die Geschichte des Nahen Ostens in ein „vorher“ und ein „nachher“ teilt. Sie verankerte den islamischen Antisemitismus im Bewusstsein der ‚arabischen Straße‘ und beeinflusste, wie zu zeigen sein wird, selbst noch die Nachkriegszeit.
Die Machart und der Wortlaut der Hetze, die die Nazis während dieser Jahre in die arabische Welt sendeten, sind quellenmäßig gut belegt. So sind im Berliner Bundesarchiv Kopien der deutschsprachigen Sendemanuskripte für die Zeit vom 8. Januar 1940 bis zum 31. August 1941 nahezu lückenlos vorhanden. Dem damaligen amerikanischen Botschafter in Ägypten, Alexander C. Kirk, ist es zu verdanken, dass auch die Inhalte der meisten nachfolgenden Sendungen überliefert sind. Für den Zeitraum zwischen September 1941 und April 1942 schickte Kirk regelmäßig zusammenfassende Berichte über die arabischsprachige Radiopropaganda der Nazis an seine Vorgesetzten in Washington. Für die Zeit zwischen April 1942 und Februar 1945 wurden die Sendungen aus Zeesen auszugsweise stenographiert und wörtlich übersetzt. Im Wochenrhythmus sendete Kirk eine Zusammenstellung dieser Mitschriften an das State Department, wo man diese Dokumente sammelte. Der Historiker Jeffrey Herf war der erste, der diesen Fundus im National Archive der USA entdeckte und in seiner bahnbrechenden Studie Nazi Propaganda in the Arab World auswertete. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir für die Publikation des Buches „Nazis und der Nahe Osten“ das Gros dieser Sendemanuskripte zur Verfügung stellte.
Die arabischsprachige Radiopropaganda wurde im Gebäude Kaiserdamm 77 in Berlin aufgenommen und anschließend über eine Art Telefonleitung nach Zeesen – einem kleinen Ort 40 km südlich von Berlin – transferiert. Hier befanden sich die Sendeeinrichtungen des Nazi-Auslandsrundfunks mit Richtstrahler-Anlagen, die zu den modernsten der Welt gehörten. 1938 bezeichnete der amerikanische Rundfunkexperte César Searchinger den „riesenhaften“ Kurzwellensenderkomplex im kleinen Ort Zeesen als die „größte und mächtigste Propagandamaschine der Welt“ und seine „äußerst schlaue Technik der Meinungsbeeinflussung“ als die „fürchterlichste Institution zur Ausbreitung einer politischen Doktrin, welche die Welt jemals gesehen hat“. Das war übertrieben und doch nicht ganz falsch. So gehörten zur „schlauen Technik der Meinungsbeeinflussung“ sogenannte Geheimsender, die man in Berlin unter der Tarnbezeichnung „Concordia A“ führte. Einer dieser Geheimsender nannte sich zum Beispiel „Saud El urubah Alhurrah“ – „Die Stimme der freien Araber“ – und gab sich den Anschein, der Sender einer ägyptischen panarabischen Freiheitsbewegung zu sein. Dass er von Berlin aus sendete, wurde vertuscht. „Die Stimme der freien Araber“ konnte besonders grob gestrickte Propaganda und jede noch so absurde Falschmeldung verbreiten, solange deren Redner nur darauf achteten, den ägyptischen Lokalkolorit peinlich genau zu wahren. Anschließend konnten deutsche Nachrichtenagenturen die Desinformation des Geheimsenders aufgreifen und als authentisch verbreiten.
Während es im Zweiten Weltkrieg auch bei den übrigen Mächten üblich war, Geheimsender zu betreiben, zeichneten sich die Sendungen aus Zeesen durch einige Besonderheiten aus. Erstens sorgte die Grundüberholung der Sendeanlagen in Zeesen aus Anlass der Berliner Olympiade von 1936 für eine besonders gute Klangqualität auch in weit entfernten Regionen. Zweitens gelang es der Orient-Redaktion dieses Senders, Junis Bahri, den ehemaligen Sprecher des irakischen Rundfunks, als Ansager zu verpflichten. Mit seiner scharfen Stimme, seiner besonderen Fähigkeit, sein Stimmvolumen anschwellen zu lassen und seinen aggressiven Reden, die zuweilen ins Brüllen und Drohen übergingen, wurde seine Präsenz schnell zum Markenzeichen des Senders. Drittens zeichneten sich die Sendungen aus Zeesen durch einen derben, volkstümlichen Antisemitismus aus. Dieser Judenhass gehörte zum Kernbestand der nationalsozialistischen Überzeugung, er war zugleich aber auch Taktik, um Zuhörer an sich zu binden. Fakten spielten hierbei keine Rolle, auf die Stimmungsmache kam es an. Ein in Palästina am 13. Oktober 1939 angefertigter Bericht des britischen War Office über die Wirkung der deutschen Radiopropaganda trifft dessen Machart recht genau:
„Man kann ganz allgemein sagen, dass die mittlere und untere Klasse den arabischen Sendungen aus Berlin mit großem Vergnügen lauscht. Sie mögen das feurige, ,saftige‘ Zeug, was da rüberkommt; sie amüsieren sich über die verleumderischen und beleidigenden Angriffe auf britische Persönlichkeiten. Doch nicht mal der leichtgläubige Araber aus bescheidenen Verhältnissen kann all das schlucken, was die Deutschen über den Äther schicken. […] Was der durchschnittliche palästinensische Araber aber in sich aufnimmt, ist das Anti-Juden-Material. Das will er hören, daran will er glauben und er tut beides. In dieser Hinsicht ist die deutsche Propaganda definitiv erfolgreich.“
Das vierte Kennzeichen dieses Senders war seine islamische Ausrichtung. Radio Zeesen sprach seine Zuhörer nicht als Araber, sondern als Muslime an. So begann jede Nachrichtensendung mit der Rezitation von Versen aus dem Koran. Hierfür hatte sich Berlin eine Sondergenehmigung der Al-Azhar-Moschee in Kairo geholt. Man widmete den religiösen Feiertagen der Muslime (Opferfest; Geburtstag des Propheten; 1000. Geburtstag der Al-Azhar Moschee) viel Sendezeit. Zusätzlich wurde ein „religiöser Wochen-Talk“ institutionalisiert, der Themen wie „Der Islam, die Religion der Arbeit“ oder das „Verbot des Stolzes und der Selbstsucht“ behandelte. Bei all dem wurde die Rückkehr der Muslime zu ihren Wurzeln propagiert. Beispielhaft für diese Tendenz waren die Worte, die der Geheimsender „Die arabische Nation“ am 18. September 1942 um 18:00 Uhr sendete:
„Zwischen Demokratie und Islam gibt es keine Gemeinsamkeit. […] Die Araber und Muslime haben ihre eigenen Traditionen und Sitten. Es ist unsere Pflicht, diese Traditionen aufrechtzuerhalten, anstatt europäischen Sitten und Prinzipien zu folgen, die mit dem Islam nichts zu tun haben.“
Nachdem sich nicht nur Mustafa Kemal Atatürk, der Führer der Türkei, sondern auch sein iranischer Kollege Reza Schah von den Scharia-Vorgaben des Islam emanzipiert hatten, setzte sich Nazi-Deutschland also für die damals aufkeimende islamistische Bewegung, die „Rückwendung“ zu den islamischen Wurzeln, ein. Berlin wusste sich hier in Übereinstimmung mit der Position von Amin el-Husseini, dem Mufti von Jerusalem.
El-Husseini hielt sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Beirut auf. Schnell wurde ihm jedoch im Libanon, das unter französischem Einfluss stand, der Boden zu heiß. Er floh nach Bagdad, wo er sich Anfang April 1941 am pro-deutschen Putsch beteiligte. Nachdem Großbritannien Ende Mai 1941 diesen Putsch niedergeschlagen hatte, floh der Mufti in den Iran, der jedoch im August 1941 von britischen und sowjetischen Truppen besetzt wurde. Der Mufti musste unter abenteuerlichen Umständen erneut fliehen und landete im November 1941 schließlich in Berlin. Von nun an wurde der Antisemitismus der arabischsprachigen Rundfunkpropaganda radikalisiert.
Die Nazis wollten den Judenmord nicht auf Europa beschränken. „Dieser Krieg wird mit einer antisemitischen Weltrevolution und mit der Auslöschung der Juden überall in der Welt enden“, heißt es in einer NSDAP-Direktive von Mai 1943. „Beides wird die Voraussetzung für immerwährenden Frieden sein.“ So war es Hitlers erklärter Wille, den Massenmord auch auf die etwa 700.000 Juden in Nordafrika und im Nahen Osten auszudehnen. Dies war Teil des Versprechens, das er Amin el-Husseini, dem Mufti von Jerusalem, bei ihrer Unterredung am 28. November 1941 in Berlin gab. Sobald die deutschen Armeen den Südausgang Kaukasiens erreicht haben, erklärte Hitler seinem Gegenüber, werde das deutsche Ziel „die Vernichtung des im arabischen Raum unter der Protektion der britischen Macht lebenden Judentums sein“.
Die arabischsprachige Radiopropaganda sollte also nicht nur die Eroberung weiterer Länder vorbereiten. Sie sollte auch nicht nur den Zionismus aus Palästina vertreiben. Der Antisemitismus dieser Radiopropaganda verfolgte das Ziel, auch in muslimischen Gesellschaften einen umfassenden Massenmord an jüdischen Zivilisten vorzubereiten. Und in der Tat hätte es beinahe soweit kommen können. Als Rommels ‚Panzerarmee Afrika‘ im Sommer 1942 scheinbar unaufhaltsam in Richtung Kairo marschierte, wurde ihr ein Einsatzkommando von sieben SS-Führern und 17 Unterführern beigesellt. Dieses Kommando sollte für die Ermordung der Juden sorgen, wobei man sich auf eine ausreichend große Menge einheimischer Araber als Helfershelfer glaubte verlassen zu können. Wie aber wurde der Judenhass unter den Arabern geschürt?
Einerseits wurde die antisemitische Verschwörungsideologie, wie sie für Europa typisch war, im Originalton an die arabischen Gesellschaften weitergereicht. Dies gilt zum Beispiel für die wiederholte Behauptung des Senders, die Juden hätten den Zweiten Weltkrieg angezettelt. Betrachten wir einen Ausschnitt aus dem Programm des Geheimsenders „Stimme der freien Araber“ vom 3. November 1943, 20:15 Uhr:
„Sollten wir nicht die Zeit verfluchen, die es dieser niedrigen Rasse erlaubt hat, ihre Bedürfnisse mithilfe von Ländern wie Großbritannien, Amerika und Russland zu befriedigen? Die Juden entzündeten diesen Krieg im Interesse des Zionismus. Die Juden sind verantwortlich für das vergossene Blut. […] Die Welt wird niemals in Frieden sein, bevor nicht die jüdische Rasse ausgerottet ist. Sonst wird es immer Kriege geben. Die Juden sind die Bazillen, die alle Leiden auf der Welt verursacht haben.“
Dieses Phantasma finden wir 45 Jahre später erneut und beinahe wortgleich in der Charta der Hamas, in der es in Artikel 22 heißt: Die Juden „standen hinter dem Ersten Weltkrieg … und sie standen hinter dem Zweiten Weltkrieg. … Es gibt keinen Krieg, der hier oder da in Gang ist, ohne dass sie ihre Finger dahinter im Spiel haben.“
Andrerseits wurde auch das Repertoire des Rassenantisemitismus ins Arabische übersetzt. „Die Juden sind Mikroben“, hieß es im August 1942 in Radio Zeesen. „Wie Blutegel klammern sie sich an ein Land, saugen dessen Blut aus, plündern, stehlen und betreiben ihre subversiven Aktivitäten, die sie als Handel bezeichnen.“
Und doch bestimmten weder der Rassenantisemitismus noch die Verschwörungsideologie das Radioprogramm der Nazis, wie Jeffrey Herf in seinem Standardwerk Nazi Propaganda for the Arab World betont: Sondern zentral „waren die Lehren des Koran und des Islam: Es war die nationalsozialistische Lesart von Koran und islamischer Tradition, […] die als wichtigste Türöffner für arabische und muslimische Zuhörer diente“.
In der Tat wurde zwischen 1939 und 1945 ein islamischer Antisemitismus mittels Radiowellen unter die Massen gebracht. „Berlin machte ausdrücklich von religiöser Rhetorik, Terminologie und Ikonographie Gebrauch“, schreibt David Motadel, „und suchte die religiösen Lehrsätze und Konzepte aufzugreifen und neu zu interpretieren, um Muslime für die eigenen politischen und militärischen Zwecke zu manipulieren. […] Die deutsche Propaganda verknüpfte den Islam mit antijüdischer Hetze in einem Ausmaß, wie sie in der neuzeitlichen muslimischen Welt bis dato nicht vorgekommen war.“
Typisch für diese Art von Antisemitismus war eine Rede von Amin el-Husseini, die dieser am 18. Dezember 1942 anlässlich der Eröffnung des Islamischen Zentralinstituts in Berlin gehalten hatte und die der deutsche Geheimsender „Die Arabische Nation“ am 23. Dezember ab 18:00 Uhr übertrug:
„Zu den erbittertsten Feinden der Muslime, die ihnen seit altersher Feindseligkeit bekundet und allenthalben andauernd mit Tücke und List begegneten, gehören die Juden. Es ist jedem Muslim zu Genüge bekannt, wie die Juden ihm und seinem Glauben seit den ersten Tagen des jungen Islam zugesetzt haben, und welche Gehässigkeit sie dem größten Propheten bezeigten, wieviel Mühsal und Kummer sie ihm bereiteten, wie viele Intrigen sie anzettelten, wie viele Verschwörungen sie gegen ihn zustande brachten, dass der Koran das Urteil über sie fällte, sie seien die unversöhnlichsten Feinde der Muslime, indem Gottes Wort betont: – ,Die gehässigsten Feinde derer, die den Glauben angenommen, sind die Juden.‘“
Nach diesem Rückgriff auf das 7. Jahrhundert folgte die Ankoppelung an die Gegenwart:
„Und so, wie die Juden zu Lebzeiten des großen Propheten gewesen sind, so sind sie zu allen Zeiten geblieben, intrigantenhaft und voller Hass gegenüber dem Muslim, wo sich ihnen Gelegenheit bietet. Wie gehässig und brutal sie den Muslimen gegenüber eingestellt sind, hat sich unlängst in Palästina, dem Heiligen Lande, in krasser Deutlichkeit gezeigt, das Land, dessen sie sich als Stützpunkt bedienen wollen, um ihre Macht von hier aus in alle benachbarten islamischen Länder auszubreiten. […] So handelten die Juden gegenüber den Muslimen in der Vergangenheit und so handeln sie noch heute.“
Wieder und wieder pickten sich die Radiomacher aus Zeesen stets nur diejenigen Verse aus dem Koran heraus, die geeignet waren, die Juden als „Feinde des Islam“ zu präsentieren. Beinahe täglich wurde Mohammeds Zeit mit der des 20. Jahrhunderts kombiniert und die vermeintliche Unversöhnlichkeit beider Religionen betont.
Die Sender aus Zeesen propagierten aber nicht nur das antisemitische Wort, sondern auch die daraus folgende Tat. Dies zeigte sich besonders im Sommer 1942 im Zusammenhang mit Rommels Vormarsch auf Ägypten. Nachdem die deutsch-italienische ‚Panzerarmee Afrika‘ im Juni 1942 die libysche Hafenstadt Tobruk nahe der ägyptischen Grenze erobert hatte, begann Anfang Juli ihr Angriff auf britische Stellungen bei El Alamein – lediglich 100 km von Alexandria entfernt. Plötzlich erschien selbst die Eroberung Kairos möglich zu sein. In diesen Wochen der Entscheidung warf die Propaganda aus Zeesen jede Zurückhaltung ab. So forderte Anfang Juli 1942 der Sender aus Zeesen, „dass sich die Ägypter wie ein Mann erheben und die Juden töten, bevor sie eine Chance haben, das ägyptische Volk zu verraten“. Es folgte ein Appell, der an die antijüdischen Tiraden Martin Luthers erinnert:
„Araber Syriens, des Irak und Palästinas, worauf wartet ihr? Die Juden haben vor, Eure Frauen zu schänden, Eure Kinder umzubringen und Euch zu vernichten. Nach der muslimischen Religion ist die Verteidigung Eures Lebens eine Pflicht, die nur durch die Vernichtung der Juden erfüllt werden kann. Das ist Eure beste Chance, diese dreckige Rasse loszuwerden, die Euch Eurer Rechte beraubt und Euren Ländern Unheil und Zerstörung gebracht hat. Tötet die Juden, steckt ihren Besitz in Brand, zerstört ihre Geschäfte, vernichtet diese niederträchtigen Helfer des britischen Imperialismus. Eure einzige Hoffnung auf Rettung ist die Vernichtung der Juden, ehe sie Euch vernichten.“
Hatte diese Anstachelung Erfolg? In der Regel war der unmittelbare Effekt der Radio-Propaganda, was das Verhalten der Muslime anbelangt, gering. So blieben die vom Mufti beschworenen Aufstände der Muslime in den von Briten und Amerikanern gehaltenen Gebieten aus. Desertionen von Muslimen, die in den Reihen der Alliierten kämpften, fanden selten statt. Auf die Frage, ob sich Muslime in Ägypten oder Palästina, wie von den Nazis erhofft, an der Ermordung jüdischer Zivilisten, beteiligt hätten, kann es eine verbindliche Antwort nicht geben. Die Kriegswende 1942 in Ägypten verhinderte, dass es zu dieser Nagelprobe kam.
Und doch gab es ein von zahllosen Muslimen begangenes Pogrom.
Der Farhud, wie man dieses Massaker nennt, fand am 1. und 2. Juni 1941 in Bagdad statt und dauerte 30 Stunden. Juden, die seit Menschengedenken im Irak lebten, wurden verstümmelt und ermordet, Kinder zerschmettert, Frauen vor den Augen ihrer Männer vergewaltigt, Synagogen angezündet und Tora-Rollen zerstört. Die Leichname von 180 Jüdinnen und Juden konnten identifiziert werden. Weitere 600 Opfer sollen nach Angaben der BBC in Massengräbern begraben worden sein. Eine anschließend von der irakischen Regierung eingesetzte Untersuchungskommission machte zwei Ursachen für das Massaker aus: die Agitation des Muftis von Jerusalem und die Rundfunkpropaganda aus Berlin.
Zahllose zeitgenössische Quellen betonten die Attraktivität und Beliebtheit des deutschen Senders. So zitiert ein interner Bericht der Jewish Agency einen arabischen Informanten, der am 7. Oktober 1939 eine Volksmenge vor einem arabischen Kaffeehaus in Jaffa beobachtete:
„10 Tage nach Kriegsausbruch wurde von der Polizei in Nablus ein Verbot des Hörens der arabischen Sendungen aus Berlin erlassen (es wurde den Kaffeehausbesitzern mündlich mitgeteilt). Mir wurde gesagt, dass auch in Jaffa ein solches Verbot besteht, aber in Wirklichkeit drehen sie sogar in den Kaffeehäusern diese Station auf. Einer der Informanten erzählte mir, dass er am Shabbatabend (7.10.) an einem Café vorbeikam und eine deutsche Sendung hörte. Um das Café herum standen Araber – auch auf den umliegenden Balkons – und hörten der Übertragung zu.“
Großbritannien ergriff verschiedenste Maßnahmen, um dieser Propaganda entgegenzutreten. Es setzte Störsender ein, um den Empfang der Radiowellen zu erschweren. Es versuchte nicht nur das public listening des Senders, sondern auch dessen Hören in Privathäusern zu unterbinden. Last but not least startete „BBC auf Arabisch“ ein Alternativprogramm. So begannen die Briten die Anzahl der verlesenen Koran-Verse zu erhöhen, die islamischen Feiertage zu würdigen und Großbritannien als den eigentlichen Freund des Islam herauszustellen.
Beim wichtigsten Alleinstellungsmerkmal von Radio Zeesen, seinem Antisemitismus, fiel den Alliierten jedoch kein Gegenmittel ein. Der antisemitisch gefärbte Antizionismus, den das deutsche Radio alltäglich verbreitete, war in der gesamten arabischen Welt beliebt, weitaus beliebter als Nazi-Deutschland selbst. Geschickt nutzte Radio Zeesen jede Gelegenheit, um die vermeintliche Identität der Interessen von Zionisten und Alliierten hervorzuheben.
Auf diesem Gebiet blieben die BBC und die anderen alliierten Sender bis Ende des Krieges sprachlos. Je höher der Zuspruch für die Nazis im Nahen Osten, desto geringer ihre Bereitschaft, diesem Antisemitismus entgegenzutreten. Als Verteidiger und oder gar „Komplize“ der Juden wollte keiner von ihnen gelten. Dies könne, so ihre Befürchtung, wie eine Bestätigung der Nazi-Propaganda erscheinen, wonach die Alliierten Handlanger der Juden seien. So kamen London und Washington zu dem Schluss, dass es mit Rücksicht auf die arabische Stimmung klüger sei, sich vom Zionismus de facto zu distanzieren, indem man den Judenhass des deutschen Senders ignorierte, anstatt ihm entgegenzuwirken.
Es gibt kein Instrument, um den Effekt der arabischsprachigen Nazi-Propaganda, also die Einstellungsveränderungen, die sie zur Folge hatte, zuverlässig zu messen. Wenn es aber irgendetwas gab, was dieser Propaganda gelang, dann dies: die Verbreitung und Eskalation von Judenhass in der arabischen Welt. Wenige Tage vor der bedingungslosen Kapitulation beendete Radio Zeesen den Betrieb. Seine Frequenzen des Hasses wirkten im Nahen Osten aber weiter nach.
Der große Nazi-Krieg gegen die Juden war mit dem kleineren Krieg der Araber gegen Israel von 1948 durch mehrere Kontinuitätsmomente verbunden. So ergriffen während der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs, als Deutschlands Niederlage absehbar war, der Mufti und dessen Nazi-Freunde Maßnahmen, die sicherstellen sollten, dass auch nach einem Sieg der Alliierten das zionistische Projekt in Palästina verhindert werden kann. Zu diesen „Vorbereitungen für die Tage nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs“, so der Mufti, gehörten die noch im April 1945 erfolgten großzügigen Geldüberweisungen der Nazis an el-Husseini sowie der im Oktober 1944 erfolgte Versuch, Waffenlager in Palästina für „nachfolgende Schlachten“ anzulegen. Eine besondere Rolle spielte aber auch in dieser Hinsicht die arabischsprachige Radiopropaganda aus Zeesen.
Den Judenstaat zu verhindern und die in Palästina lebenden Juden zu vertreiben – das war eines der Dauerthemen, das Deutschland zwischen April 1939 und April 1945 alltäglich mithilfe seiner Propaganda verbreitete. „Der Prophet Mohammed bekämpfte die Juden und forderte die Muslime auf, diesen Kampf fortzusetzen“, schallte es zum Beispiel am 15. März 1943 aus Zeesen in die arabische Welt. „Mohammed hat die Juden vom arabischen Land verjagt und den Muslimen befohlen, sie solange zu bekämpfen, bis sie ausgelöscht sind.“ Das war zwar kompletter Unsinn, da sich Mohammed gern mit jüdischen Frauen umgab. Die Nazi-Ideologen aber erfanden dieses und jenes und bogen sich den Islam nach ihrem Gutdünken zurecht. Ihre Propagandakampagnen veränderten das Bild vom Juden in der arabischen Welt: Sie beförderten die ausschließlich antijüdische Lesart des Koran, popularisierten die europäischen Weltverschwörungsmythen, dämonisierten den Zionismus und prägten die genozidale Rhetorik gegenüber Israel. Die Einschätzung des Londoner Foreign Office von 1946, dass der „arabische Hass auf die Juden noch größer ist, als der der Nazis“, war sicherlich übertrieben, enthielt aber einen wahren Kern.
Eines der wichtigsten Themen dieser Propaganda war die Behauptung, dass der Zionismus per se expansiv und gegen den Islam gerichtet sei. Je deutlicher sich ab Mitte 1943 die Niederlage Deutschlands abzeichnete, desto schriller wurden die Warnungen, sollte das ‚Weltjudentum‘ auf diese Weise zum Zuge kommen. In seinem Tagebucheintrag vom 10. Mai 1943 berichtete Goebbels von einer „Verschärfung unserer antisemitischen Propaganda in Presse und Rundfunk. […] Zum Teil füllt sie 70 bis 80 Prozent unserer gesamten Auslandssendungen aus.“ So wie Goebbels seit seiner „Wollt ihr den totalen Krieg“-Rede vom 18. Februar 1943 das Angstszenario einer Auslöschung der Deutschen im Falle der Niederlage beschwor, so begann nun auch die arabischsprachige Propaganda die Schreckensszenarien auszumalen, die ein Sieg der Alliierten angeblich zur Folge hätte.
Die Juden würden keine Ruhe geben, hieß es zum Beispiel am 8. September 1943 in Radio Zeesen, bevor nicht „jedes Stück Land zwischen dem Tigris und dem Nil jüdisch“ sei. Sollten sie siegen, werde „kein einziger arabischer Moslem oder Christ in der arabischen Welt bleiben. Araber! Stellt euch vor, Ägypten, Irak und all die arabischen Länder würden jüdisch, ohne Christentum oder Islam!“ In immer neuen Varianten hämmerte Radio Zeesen diese Panikbotschaft seinen Zuhörern ein: „Die Juden seien die tödlichen Feinde des Islam“, die Juden „wollten die Araber und den Islam auslöschen“, die Juden wollten „aus den arabischen Ländern jüdische Kolonien machen“.
Natürlich handelte es sich hier um paranoide Phantasien, die die eigene Vernichtungswut auf die Juden projizierten, um deren Ermordung zu legitimieren. Gleichwohl stieß dieses Phantasma auf eine Resonanz, die auch die Führungspersönlichkeiten der arabischen Welt nicht unbeeinflusst ließ. Auch deshalb reagierten sie auf die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Teilstaat, die in den Nachkriegsmonaten diskutiert und von der UN-Vollversammlung im November 1947 mit Zweidrittel-Mehrheit empfohlen wurde, entsetzt.
So bezeichnete Ibn Saud keine zwei Jahre nach der Befreiung von Auschwitz die Juden als „ein aggressives Volk, das im Namen der Humanität Gewalt anwendet, um seine Ziele zu verwirklichen“. Libanons Außenminister Hamid Frangie sprach im Namen der Arabischen Liga von „Expansionsbestrebungen“ des Zionismus, die „eine ernstliche Bedrohung des Friedens im Nahen Osten“ darstellten. Für den irakischen Kronprinz Abd al-Ilah war der Zionismus „die größte Tragödie des 20. Jahrhunderts“, während ihn ein Abgeordneter des ägyptischen Parlaments als „ein Krebsgeschwür am arabischen Körper“ bezeichnete. Der jordanische Premierminister, Samir Rifa’i, ging so weit, die Juden für beide Weltkriege verantwortlich zu machen.
Als 1937, nach Vorlage des britischen Peel-Plans, erstmals über eine Teilung Palästinas diskutiert wurde, lehnte die Mehrheit der arabischen Führer auch diesen Teilungsplan ab, ohne sich jedoch derart antisemitisch zu positionieren. Zehn Jahre später tauchten in ihren Stellungnahmen eben jene juden- und zionismusfeindlichen Parolen auf, die Radio Zeesen zwischen 1939 und 1945 verbreitet hatte. Offenkundig hatten die arabischen Führer im Schnellverfahren, so Bernard Lewis, „den Weg von der traditionellen Verachtung der Juden ganz oder größtenteils zurückgelegt, um beim modernisierten, westlich geprägten Horrorbild des Juden als Verkörperung alles Bösen zu landen“.
Dieses Horrorbild verbreitete besonders die ägyptische Muslimbruderschaft. Bis Ende 1945 war ihr Einfluss beträchtlich gestiegen. So verfügte sie allein in Ägypten über 1.500 Zweigstellen und 500.000 Mitglieder und avancierte damit zur größten antisemitischen Bewegung der Welt. Bis 1948 hatte sich die Anzahl ihrer Mitglieder auf mehr als eine Million erhöht.
Als im Mai 1946 eine von den USA und Großbritannien gebildete Kommission die Einreise von 100.000 Überlebenden des Holocaust nach Palästina empfahl, kündigten die Muslimbrüder ein Blutbad an: „70 Millionen Araber werden die Umsetzung dieser Empfehlung – von 400 Millionen Moslems unterstützt und mit den Muslimbrüdern an der Spitze – verhindern. Das Blut wird in Palästina wie Flusswasser fließen.“ Ihre Ablehnung der Vereinten Nationen knüpfte an die Nazi-Propaganda, die sich über die „Vereinten jüdischen Nationen“ zu mokieren pflegte, an. So rief al-Banna noch vor dem Teilungsbeschluss der UN die arabischen Staaten zum Austritt aus den Vereinten Nationen auf. Für ihn waren deren Palästina-Aktivitäten nichts als ein „internationaler Komplott, ausgeführt von den Amerikanern, den Russen und den Briten unter dem Einfluss des Zionismus“.
So war es auch die Bruderschaft, die die zögernde Elite Ägyptens durch Mobilisierung der „arabischen Straße“ dazu trieb, das neugegründete Israel mit regulären Truppen anzugreifen. Unter ihrem Einfluss formierte sich eine antisemitische Massenbewegung, die auf diesen Krieg bestand und eine Flutwelle öffentlicher Erregung erzeugte, der sich bald schon kein Politiker mehr entgegenzustellen vermochte.
So gehörte der ägyptische Ministerpräsident Mahmoud al-Nuqrashi zu den Gegnern der militärischen Intervention. Er gab jedoch zu, von der öffentlichen Stimmung beeinflusst worden zu sein, bei der „alle für den Krieg seien und jeder, der zu kämpfen sich weigere, als Verräter betrachtet werde.“ Kein arabischer Führer, bemerkte auch Abd al-Rahman Azzam, der Generalsekretär der Arabischen Liga, habe mit den Zionisten Kompromisse schließen und gleichzeitig hoffen können, am Leben, geschweige denn an der Macht zu bleiben. Auf diese Weise schufen die Muslimbrüder nach und nach „eine Atmosphäre, in der Krieg das einzige logische und natürliche Verfahren zu sein schien”, schreibt der Nahosthistoriker Thomas Mayer. „Das Versagen der Regierung, diese Propaganda zu unterdrücken, ermutigte die militärische Intervention. […] Erfolgreich veranlasste die Bruderschaft Ägypten zum umfassenden militärischen Engagement in Palästina.“
Mit katastrophalen Folgen! Dieser erste Nahostkrieg kostete 6.000 Juden (ein Prozent der damaligen jüdischen Bevölkerung) sowie ungezählten Arabern das Leben. Es war diese verhängnisvolle Invasion der Araber, die den Nahost-Konflikt, wie wir ihn heute kennen, geprägt hat. Sie führte zur Flucht und Vertreibung von Hunderttausenden Arabern aus Palästina. Sie zerstörte nicht, wie eigentlich vorgesehen, den Teilstaat der Juden, sondern beseitigte das arabische Palästina, das zwischen 1948 und 1967 vollständig von der Bildfläche verschwand.
Wie aber hatte es zu diesem Krieg überhaupt kommen können? Die Arabische Liga hatte 1946 und 1947 eine Entsendung ihrer regulären Armeen nach Palästina mehrfach abgelehnt. In Ägypten war der Beschluss zu diesem Waffengang erst am 12. Mai 1948, unmittelbar vor der Invasion, gefallen. Ich habe an anderer Stelle gezeigt und gehe in meinem neuen Buch ausführlich darauf ein, dass damals in der Tat alles gegen die Invasion des neugegründeten Israels durch reguläre Truppen sprach. Warum rückten dann in der Nacht zum 15. Mai 1948 dennoch von Norden syrische und libanesische Truppen, vom Osten jordanische Streitkräfte und vom Süden ägyptische Einheiten auf Israel vor?
Dieser Krieg fand – so eine These meines Buches – trotz all der ihm entgegenstehenden Umstände statt, weil die antisemitische Nazipropaganda in arabischer Sprache das politische Klima der Nachkriegsjahre geprägt hatte und weil in diesem aufgehetzten Klima niemand der Politik des Mufti und der Muslimbruderschaft eine Grenze zu setzen in der Lage war. Auf diesen Zusammenhang machte auch Ali Mahir, der ehemalige Premierminister Ägyptens, aufmerksam: „Der arabische Widerstand gegen den Zionismus“, betonte er 1946, „war das Produkt sowohl der Nazi-Propaganda im arabischen Osten als auch der verwirrenden Politik Großbritanniens.“ Es gibt gute Gründe, den arabischen Krieg gegen Israel hinsichtlich seiner ideologischen Substanz als eine Art Nachbeben des vorausgegangenen Nazi-Kriegs gegen die Juden zu interpretieren.
Die Kontinuität zwischen beiden Ereignissen verkörperte Amin el-Husseini, der Mufti von Jerusalem. Sein religiös etikettierter Antisemitismus, der 1944 Tausenden Juden das Leben gekostet hatte, richtete sich vier Jahre später gegen Israel. Es könne, „nur wenig Zweifel geben“, erklärt der israelische Arabist Hillel Cohen, „dass die inflexible Haltung des Mufti und seine Weigerung, irgendeinen Teilungsvorschlag zu akzeptieren, der Hauptgrund für den Ausbruch des Krieges von 1948 war“.
Dessen militanter Antisemitismus wurde von der Muslimbruderschaft unterstützt, die den Mufti als Vollender einer Hitlerschen Ambition feierten: „Dieser Held“, jubelten sie 1946 nach seiner Rückkehr aus Europa, „[kämpfte] mit der Hilfe Hitlers und Deutschlands […] gegen den Zionismus. Deutschland und Hitler sind nicht mehr, aber Amin Al-Husseini wird den Kampf fortsetzen.“
Zwar hatten 1945 auch die ägyptischen Medien über den Holocaust und die im gleichen Jahr begonnenen Nürnberger Prozesse informiert. Und doch sahen sich die staatlichen Autoritäten außerstande, der Pro-Mufti-Kampagne entgegenzutreten. Einen letzten Versuch in dieser Richtung unternahm im Juni 1946 Isma’il Sidqi, der ägyptischen Regierungschef. Er kritisierte, dass der ägyptische König Faruk dem Mufti Asyl gewährt hatte, ohne die Regierung zu fragen, und er wies auf „politische Irrtümer“ des Mufti während dessen Exil in Deutschland hin. Die Muslimbrüder reagierten mit einer wütenden Serie von Stellungnahmen und erklärten, dass al-Husseini nicht nur keinen einzigen Fehler begangen, sondern auch in Deutschland den Dschihad, so wie es nötig sei, vorangetrieben habe. Mit dieser offensiven Gangart gelang es dem antisemitischen Flügel der arabischen Welt, zwischen 1945 und 1948 die Initiative zu ergreifen und die Agenda zu bestimmen. Er veranlasste die arabischen Herrscher, ihre Länder mit dem Krieg von 1948 in ein kostspieliges und erniedrigendes Desaster zu führen – „berauscht von ihrem Glauben an die Unvermeidlichkeit des arabischen Sieges, geblendet von ihrer eigenen Propaganda über die Unwahrscheinlichkeit eines wirksamen jüdischen Widerstands und unfähig, sich die eigene Unschlüssigkeit oder Schwäche (aus politischen aber auch aus psychologischen Gründen) einzugestehen.“
Die Verbreitung des islamisch drapierten Nazi-Antisemitismus in der arabischen Welt zeitigte also Folgen – sogar erhebliche Folgen. Da ist es umso erstaunlicher, dass dieser Aspekt der Nazi-Vergangenheit in Deutschland keine Aufmerksamkeit erfährt. Während gegenwärtig der Topos des Post-Kolonialismus – also die Verbindung früherer kolonialer Politik mit der Gegenwart – auf lebhaftes Interesse stößt, kann von einer Bearbeitung des Post-Nationalsozialismus – der Verbindung der Nazi-Außenpolitik mit der Gegenwart – keine Rede sein. Wenn überhaupt mal die Politik des NS-Staats im Nahen und Mittleren Osten Thema ist, wird dessen ideologische Dimension in der Regel ignoriert. Warum? Geht es vielleicht darum, eine Leitidee zu retten, die selbst in vielen wissenschaftlichen Publikationen den Stellenwert eines Dogmas eingenommen hat – die Idee nämlich, dass allein Israel, also Juden, nicht nur für den Krieg von 1948, sondern auch für den Antisemitismus in der Region verantwortlich seien?
In Wirklichkeit hat Nazi-Deutschland die Situation im Nahen Osten auf vielfältige Weise geprägt. Erstens veranlasste die Politik des Dritten Reichs viele Jüdinnen und Juden zur Ausreise nach Palästina, was den jüdisch-arabischen Gegensatz dort verstärkte. Zweitens waren es die deutschen Vorbereitungen auf den Zweiten Weltkrieg, durch die sich London genötigt sah, die arabische Welt durch scharfe Begrenzung der jüdischen Einwanderung nach Palästina zu beschwichtigen. Drittens hatte Berlin die radikalsten Judenhasser im palästinensisch-arabischen Lager, wie zum Beispiel die ägyptische Muslimbruderschaft und den Mufti, nicht nur ideologisch, sondern auch durch Geldzuwendungen und Waffenlieferungen gestärkt. Viertens ließen die Nazi-Propagandisten nichts unversucht, um ‚die arabische Straße‘ per Rundfunk und Flugschriften antisemitisch anzustacheln und zu mobilisieren. Fünftens vereinseitigten die Berliner Kampagnen das Judenbild des Islam: „Die deutsche Propaganda verknüpfte den Islam mit antijüdischer Hetze in einem Ausmaß, wie sie in der neuzeitlichen muslimischen Welt bis dato nicht vorgekommen war.“ Sechstens schließlich bereiteten Nazis die Zerstörung Israels selbst noch für die Zeit nach 1945 vor. Sie trugen somit erheblich dazu bei, den Nahostkonflikt, wie wir sie seit 1948 kennen, zu schüren.
(Alle Quellenverweise in Matthias Küntzel: Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand, Berlin-Leipzig (Hentrich & Hentrich) Oktober 2019.)
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