Die Hohen Feiertage

 

Rosch ha-Schana

 

 

Rosch ha-Schana (auch Rosch ha-Schanah, in aschkenasischer Aussprache Rausch ha-Schono oder Roisch ha-Schono oder volkstümlich auf Jiddisch Roscheschone, Roscheschune genannt; Hebräisch ראֹשׁ הַשָּׁנָה ‚Haupt des Jahres‘, ‚Anfang des Jahres‘) ist der jüdische Neujahrstag. Die Mischna, die wichtigste Sammlung religiöser Überlieferungen des rabbinischen Judentums, legt dieses Fest als Jahresbeginn und für die Berechnung von Kalenderjahren fest.

 

Der Neujahrsgruß ist שנה טובה schana tovaein gutes Jahr oder auch שנה טובה ומתוקה schana tova u'metuka, ein gutes und süßes Jahr.

 

 

Zeitpunkt und Einbettung in den jüdischen Kalender

 

Rosch ha-Schana fällt nach dem jüdischen Kalender auf den 1. Tischri, der nach dem gregorianischen Kalender in den September oder in die erste Hälfte des Oktobers fällt. Das genaue Datum im gregorianischen Kalender wechselt von Jahr zu Jahr, weil der jüdische Kalender mit 12 Mondmonaten von 29 bis 30 Tagen rechnet (Synodischer Monat 29,53 Tage). Um die 354 oder 355 Tage mit dem Sonnenjahr in Einklang zu bringen, wird etwa alle drei Jahre ein ganzer Schaltmonat eingefügt.

 

An Rosch ha-Schana beginnen die Zehn ehrfurchtsvollen Tage (hebräisch Jamim Noraim), die mit dem Versöhnungsfest Jom Kippur enden. Die rabbinische Literatur beschreibt diesen Tag als einen Tag des Gerichts. Einige Beschreibungen schildern Gott als auf einem Thron sitzend, wobei Bücher mit den Taten aller Menschen offen vor ihm liegen.

 

Der Silvestergruß „Guter Rutsch“ ist etymologisch möglicherweise eine Verballhornung aus dem Jiddischen beziehungsweise Bibel-Hebräischen und leitet sich vom hebräischen ראש השנה טוב Rosch ha-Schana tov (= einen guten Anfang; wörtlich: Kopf – des Jahres – gut; also etwa: „Gutes Neujahr“) ab. Diese Floskel dürfte Anfang des 20. Jahrhunderts im Deutschen geläufig geworden sein.

 

 

Allgemeines

 

Das Fest Rosch ha-Schana ist biblisch in Levitikus 23,24–25, Numeri 29,1–6 und in Grundzügen in Ez 40,1 bezeugt. Es beginnt im Herbst, am Tagesende nach dem 29. Tag des jüdischen Monats Elul. Es dauert zwei Tage bis zum Tagesende des zweiten Tages des Monats Tischri (auch in Israel, wo ansonsten die meisten Feiertage nur einen Tag lang sind). Der zweite Tag wurde später hinzugefügt. Es gibt Hinweise darauf, dass Rosch ha-Schana bis ins 13. Jahrhundert in Jerusalem nur einen Tag lang gefeiert wurde.

 

Das Reformjudentum feiert generell nur den ersten Tag des Festes. Orthodoxes Judentum und Konservatives Judentum beachten sowohl den ersten als auch den zweiten Tag.

 

Rosch ha-Schana findet 163 Tage nach dem ersten Tag des Pessachfestes statt. Unter dem derzeit gültigen gregorianischen Kalender kann Rosch ha-Schana nicht vor dem 5. September stattfinden, wie zum Beispiel in den Jahren 1899 und wieder 2013. Nach dem Jahr 2089 werden die Differenzen zwischen jüdischem Kalender und dem gregorianischen Kalender dazu führen, dass Rosch ha-Schana nicht vor dem 6. September liegen kann. Rosch ha-Schana kann nicht später als am 5. Oktober liegen, wie z.B. im Jahr 1967 und wieder im Jahr 2043. Der jüdische Kalender ist so aufgebaut, dass der erste Tag von Rosch ha-Schana niemals auf einen Mittwoch, Freitag oder Sonntag fällt.

 

Die folgende Tabelle zeigt die Termine von Rosch ha-Schana der letzten und für die nächsten Jahre an. Rosch ha-Schana beginnt am Sonnenuntergang des Abends vor dem in der Tabelle angeführten Tag.

 

 

Jahr nach jüdischem Kalender

Datum nach gregorianischem Kalender

5770

19. September 2009 (Sa)

5771

9. September 2010 (Do)

5772

29. September 2011 (Do)

5773

17. September 2012 (Mo)

5774

5. September 2013 (Do)

5775

25. September 2014 (Do)

5776

14. September 2015 (Mo)

5777

3. Oktober 2016 (Mo)

5778

21. September 2017 (Do)

5779

10. September 2018 (Mo)

5780

30. September 2019 (Mo)

5781

19. September 2020 (Sa)

5782

7. September 2021 (Di)

5783

26. September 2022 (Mo)

 

Die Samaritaner feiern ihr Rosch ha-Schana dagegen im Frühling, zum Beginn des Monats Abib. Manche Forscher halten das für den ursprünglichen gesamtisraelitischen Brauch. Die Auseinandersetzungen über den Zeitpunkt von Rosch ha-Schana gehen auf talmudische Zeiten zurück (Mischnatraktat Rosch ha-Schana).

 

Auch nach der Tora beginnt im Frühling (am 1. Nisan) das neue Jahr Ex 12,2 (2. Mose 12,2).

 

 

Religiöse Einordnung, Traditionen und Gebräuche

 

 Rosch ha-Schana ist laut Talmud Beginn und in der Folge Jahrestag der Weltschöpfung, steht aber auch für den Jahrestag der Geburt Adams. Es ist der Tag der Forderung, Bilanz zu ziehen über das moralische und religiöse Verhalten im abgelaufenen Jahr, und man tritt mit Gebeten für eine gute Zukunft vor Gott.

 

Es ist ein Tag des Schofar-Blasens. In der Tora wird dieser Tag auch Tag des Schofars genannt. (Lev 23,23–25) Man nennt ihn auch "Tag des Lärmblasens".

 

Rosch ha-Schana ist kein Trauertag, sondern ein Fest, an dem sich die Juden – wegen Gottes Erbarmen – freuen sollen. Außer dem Hallel, das an Neujahr ausgelassen wird, gleicht es in seinen feierlichen Merkmalen allen anderen Festen: Kleidung, Waschen, Haareschneiden, innere Vorbereitung und festliche Mahlzeiten.

 

Rosch ha-Schana ist auch Jom Hadin, „Tag des Gerichts“: Am Neujahrsfest werden drei Bücher geöffnet. Ins erste werden die ganz „Gerechten“ eingetragen, die sofort das „Siegel des Lebens erhalten“. Ins zweite Buch werden die ganz „Bösen“ eingetragen, die das „Siegel des Todes“ erhalten. Und das dritte Buch ist für die „Mittelmäßigen“ bestimmt, die sowohl Sünden wie Verdienste vorweisen können. Das endgültige Urteil bleibt in der Zeit vom Neujahrstag bis zum Versöhnungstag offen. Durch Einkehr und Umkehr ist es möglich, das Siegel des Lebens zu erhalten.

 

Die Ordnung von Gebeten, Schofarblasen, Kiddusch und Mahlzeiten, die für den ersten Neujahrstag gültig ist, gilt auch für den zweiten Neujahrstag. Es ist aber kein „zweiter Feiertag“, wie er in der Diaspora bei den anderen Feiertagen üblich ist. Beide Tage zusammen bezeichnet der Talmud als einen 48 Stunden dauernden Feiertag. Wegen dieser Vorschrift besteht die Befürchtung, dass man möglicherweise „unnötige Segenssprüche“ beim Schehechejanu, Kerzenanzünden und dem Kaddisch am zweiten Tag sagt. Um diese Zweifel aus dem Weg zu räumen, zieht man am zweiten Neujahrstag im Allgemeinen ein neues Kleidungsstück an und stellt eine Schale auf den Tisch, die Früchte enthält, die man zu dieser Jahreszeit noch nicht gegessen hat. Die Segenssprüche bezieht man nun darauf.

 

Am Nachmittag des ersten Tages gibt es den Taschlich-Brauch, nach einem Gebet zur Vergebung von Sünden diese symbolisch durch Werfen von Steinen oder Brotkrumen ins Wasser abzustreifen.

 

Die Synagoge ist zu Rosch ha-Schana ebenso wie der Vorbeter überwiegend in Weiß gehalten. Das soll die Reinheit symbolisieren.

 

 

Speisesitten an Rosch ha-Schana

 

Genuss von Honigkuchen (Honek-Lejkech), Zimmes, Weintrauben, süßem Wein und in Honig getauchte Apfel- (oder auch Challa)scheiben drücken die Hoffnung auf ein gutes, süßes Jahr aus. Ebenfalls wird zuweilen ein symbolisches Stück von einem Fisch- oder Schafskopf mit den Worten „Möge es dein Wille sein, dass wir zum Kopf und nicht zum Schwanz werden“ gegessen.

 

Ein weiterer Brauch ist das Essen von Granatäpfeln, die viele Kerne enthalten. Dazu sagt man: „Möge es dein Wille sein, dass unsere Rechte sich wie der Granatapfel mehren.“

 

In jiddisch sprechenden Gemeinden wurden Möhren (mern) mit den Worten „Möge es dein Wille sein, dass sich unsere Rechte mehren“ gegessen. Manchmal werden auch Datteln gegessen, wobei gesagt wird: „Möge es dein Wille sein, dass unsere Verleumder und Ankläger zugrunde gehen.“

 

Der Segensspruch nach dem Gottesdienst ist „leschana towa tikatewu“ bzw. aschkenasisch „leschono tauwo tikossejwu“ („Ihr möget zu einem guten Jahr eingeschrieben werden“). Vor Rosch ha-Schana besucht man die Gräber der verstorbenen Angehörigen und „Gerechten“, um sich durch die Erinnerung an deren Leben für das kommende Jahr inspirieren zu lassen. Am Morgen vor dem Neujahrsfest findet nach dem Morgengebet das „Entbinden von Gelübden“ statt (vor drei Gläubigen, die für diesen Zweck ein „Gericht“ gebildet haben).

 

 

Jom Kippur

 

Jom Kippur (hebräisch יוֹם כִּפּוּר, auch Jom ha-Kippurim יוֹם הכִּפּוּרִים, wörtlich übersetzt ‚Tag der Sühne‘), deutsch zumeist Versöhnungstag, ist der höchste jüdische Feiertag. Er wird im Herbst im September oder Oktober am 10. Tischri, im siebten Monat des traditionellen bzw. im ersten Monat des bürgerlichen jüdischen Kalenders, als Fasttag begangen. Zusammen mit dem zehn Tage davor stattfindenden zweitägigen Neujahrsfest Rosch HaSchana bildet er die Hohen Feiertage des Judentums und den Höhepunkt und Abschluss der zehn Tage der Reue und Umkehr. Jom Kippur wird von einer Mehrheit der Juden, auch nicht religiösen, in mehr oder weniger strikter Form eingehalten.

 

 

Geschichte

 

Der in der Bibel Jom ha-Kippurim und Schabbat Schabbaton genannte Versöhnungstag geht gemäß moderner Bibelkritik auf die Zeit nach dem Babylonischen Exil zurück, trotz Parallelen zu hethitischen Ritualen, die auf ein höheres Alter hinweisen, und war bereits in der früheren Zeit des zweiten Tempels der bedeutendste Feiertag der Israeliten. Die umfangreichste Darstellung des Feiertages findet sich im 3. Buch Mose: „Am zehnten Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keine Arbeit tun, weder ein Einheimischer noch ein Fremdling unter euch. Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn.“

 

 

Zeit des Zweiten Tempels

 

Die zur Zeit des Zweiten Tempels am Versöhnungstag praktizierten Tempelzeremonien könnten sich aus einer bereits früher durchgeführten Zeremonie zur Reinigung des Tempels entwickelt haben, die dann nach dem Babylonischen Exil ihre in der Bibel beschriebene Form erhielten und sich zum jährlich am zehnten Tag des siebten Monats gefeierten Versöhnungstag entwickelten. Hinweise darauf, dass der Feiertag erst in der nachexilischen Zeit entstanden ist, sind das Fehlen in den Aufzählungen der Feiertage im 2. und 5. Buch Mose und in den Büchern Esra und Nehemia, die Bezeichnung Aarons als Hohepriester, die nachexilisch ist, sowie die Kleidervorschrift für den Hohepriester, „leinene Beinkleider“ zu tragen. Hosen waren eine persische Erfindung, die den Israeliten vor dem 6. Jahrhundert v. Chr. kaum bekannt gewesen sein dürfte.

 

Im Jerusalemer Tempel wurden an diesem Tag besondere Opfer dargebracht, es war der einzige Tag, an dem der Hohepriester – allein und streng abgeschirmt – das Allerheiligste im Tempel betreten durfte, um stellvertretend für das Volk die Vergebung der Sünden zu empfangen. Dort besprengte er die Bundeslade mit dem Blut von zwei Opfertieren. Ebenso wurde über zwei Böcken das Los geworfen. Der eine wurde geopfert zur Reinigung des Tempels, der andere lebend als Sündenbock zu Asasel in die Wüste gejagt, nachdem ihm der Hohepriester die Sünden des Volkes auferlegt hatte.

 

 

Der Sündenbock

 

Laut Gesenius, Hoffmann und Oxford Hebrew Dictionary ist Asasel ein seltenes hebräisches Nebenwort, das „Entlassung“ oder „gänzliche Entfernung“ bedeutet. Es ist ein alter Ausdruck für die völlige Beseitigung von Sünde und Schuld der Gemeinschaft, die durch Fortsendung des Bockes in die Wildnis symbolisiert wurde. Zur Erklärung der Bedeutung dieses Wortes sind verschiedene Theorien aufgestellt worden. Im Talmud wird Asasel mit „steiles Gebirge“ übersetzt und auf den Felsen in der Wüste bezogen, von dem in späterer Zeit das Tier herabgestürzt wurde. Schon frühzeitig wurde jedoch das Wort Asasel personifiziert, ebenso wie die hebräischen Worte für Unterwelt (Scheol) und Zerstörung (Abbadon). Laut dem apokryphen Buch Henoch ist Asasel oder Asalsel der vornehmste unter den gefallenen Engeln, die die Menschenkinder die Sünde lehrten. Gemäß dieser Interpretation scheint die Idee der Zeremonie darin zu liegen, die Sünden an den bösen Geist zurückzusenden, dessen Einfluss sie ihr Entstehen verdankten. Ähnliche Sühneriten haben sich auch in anderen Völkern erhalten. Moderne Bibelkritiker ordnen die obigen Passagen dem Priesterkodex zu und datieren sie auf ein nachexilisches Datum; sie sehen die Entsendung des Sündenbocks zu Asasel als Einbeziehung einer früher bestehenden Zeremonie.

 

Einige konservative Bibelexegeten weisen darauf hin, dass der Platz, zu dem der Bock geschickt wird, die „Wildnis“ außerhalb des bewohnten Gebiets ist (und nicht eine lebensfeindliche Wüste), und dass Asasel weder ein Orts- noch ein Personenname ist. Nach ihrer Meinung wurde der „Bock der Entfernung“ einfach in die Freiheit „entlassen“.

 

 

Kapparot

 

Ein von ultraorthodoxen Juden noch heute praktiziertes Ritual am Vortag des Versöhnungstages ist die rituelle Schlachtung eines Huhnes als Sühneopfer (hebr. kaparot), das weder in der Thora noch im Talmud zu finden ist. Dazu wird ein weißes, gesundes, lebendes Huhn – ein Hahn für einen Mann, eine Henne für eine Frau – genommen. Für eine schwangere Frau nimmt man einen Hahn und eine Henne, da das ungeborene Kind ein Knabe sein kann. Mit einem Gebet werden dann die persönlichen Sünden auf das Tier übertragen. Das Huhn wird dann drei Mal über den Kopf geschwungen, wobei jedes Mal gesprochen wird: „Das ist mein Stellvertreter. Das ist mein Auslöser. Das ist meine Sühne. Dieses Huhn geht in den Tod, ich aber gehe einem guten Leben und Frieden entgegen.“ Danach wird das Tier mit einem Schnitt durch die Kehle getötet. Nach dem Ausbluten erhalten Arme das Huhn zum Verzehr.

 

 

Halacha

 

 Auch nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jüdischen Krieg (70) wurde der Versöhnungstag beibehalten. „Auch ohne dargebrachte Opfer bewirkt der Tag an sich Versöhnung“ (Midrasch Sifra, Emor, XIV). Nach der jüdischen Lehre ist der Tag nutzlos, solange er nicht von Reue begleitet ist. Das reuevolle Eingeständnis von Sünden war eine Bedingung zur Sühne. „Der Versöhnungstag befreit von Sünden gegen Gott, jedoch von Sünden gegen den Nächsten erst, nachdem die geschädigte Person um Verzeihung gebeten worden ist“ (Talmud Joma VIII, 9). Daher stammt der Brauch, am Vorabend des Fasttages alle Streitigkeiten beizulegen. Am Versöhnungstag erhalten auch die Seelen der Toten Vergebung. Im Gebet Jiskor wird in der Synagoge der Verstorbenen gedacht.

 

Gemäß talmudischer Überlieferung öffnet Gott am ersten Tag des Jahres drei Bücher: eines für die ganz Schlechten, ein zweites für die ganz Frommen, das dritte für die Durchschnittsmenschen. Das Schicksal der ganz Schlechten und der ganz Frommen wird sogleich entschieden; die Entscheidung über die Durchschnittsmenschen wird jedoch bis Jom Kippur aufgehoben, an dem das Urteil für alle gefällt wird. Im Gebet Unetaneh tokef, von dem sich Leonard Cohen für sein Lied Who by Fire inspirieren ließ, heißt es:

 

„Am Neujahrstag werden sie eingeschrieben und am Versöhnungstag besiegelt, wie viele dahinscheiden sollen und wie viele geboren werden, wer leben und wer sterben soll, wer zu seiner Zeit und wer vor seiner Zeit, wer durch Feuer und wer durch Wasser, wer durch Schwert und wer durch Hunger, wer durch Sturm und wer durch Seuche, wer Ruhe haben wird und wer Unruhe, wer Rast findet und wer umherirrt, wer frei von Sorgen und wer voll Schmerzen, wer hoch und wer niedrig, wer reich und wer arm sein soll. Doch Umkehr, Gebet und Wohltun wenden das böse Verhängnis ab.“

 

Gemäß Maimonides „hängt alles davon ab, ob die Verdienste eines Menschen die von ihm begangenen Fehler überwiegen“. Deshalb sind zahlreiche gute Taten vor dem Urteil am Versöhnungstag angebracht. Wer von Gott als wertvoll erachtet wird, wird ins Buch des Lebens eingeschrieben, und so wird im Gebet gesagt: „Schreibe uns ins Buch des Lebens ein.“ Auch begrüßt man sich mit den Worten: „Mögest du (im Buch des Lebens) für ein glückliches Jahr eingeschrieben werden.“

 

 

Jom Kippur heute

 

Jom Kippur ist der heiligste und feierlichste Tag des jüdischen Jahres. Für Frauen ab 12 und Männer ab 13 Jahren ist er ein Fasttag, an dem 25 Stunden gefastet wird, d.h. von kurz vor Sonnenuntergang des Vortags bis zum nächsten Sonnenuntergang wird weder flüssige noch feste Nahrung eingenommen. Jom Kippur ist der einzige Fasttag, der auch an einem Sabbat begangen wird – die anderen Fasttage werden verschoben, sollten sie auf einen Schabbat fallen. Über die an Schabbatot und allen Feiertagen nicht erlaubten Tätigkeiten hinaus – und im Gegensatz zu diesen – kommt an Jom Kippur das Verbot der sexuellen Betätigung hinzu. Streng religiöse Juden tragen an Jom Kippur keine Lederschuhe und kleiden sich in Weiß. Jom Kippur wird auch heute von einer Mehrheit der Juden, auch nicht religiösen, in mehr oder weniger strikter Form eingehalten.

 

In Israel sind an diesem Tag alle Restaurants und Cafés geschlossen (ausgenommen arabische). Sämtliches öffentliche Leben steht still. Alle Grenzübergänge (auch der Flughafen) sind geschlossen. Obwohl es kein behördliches Fahrverbot gibt, sind die Straßen fast vollständig autofrei, nur Krankenwagen, Feuerwehr und Polizei verkehren. Dafür sind viele Radfahrer und Inline-Skater unterwegs. Es gilt als unhöflich, an diesem Tag in der Öffentlichkeit zu essen oder Musik zu hören. Es gibt weder Radio- noch Fernsehprogramme. Dass Israel an diesem Tag quasi gelähmt und extrem verwundbar war, nutzten Syrien und Ägypten im Oktober 1973 aus und begannen den Jom-Kippur-Krieg. Aufgrund dieser Erfahrung wird die militärische Einsatzfähigkeit an Jom Kippur voll aufrechterhalten; es gibt „stilles“ Radio und Fernsehen, die kein Programm ausstrahlen, sondern nur im Notfall Mitteilungen senden.

 

 

Gottesdienst

 

 Der ernste Charakter, der diesen Tag prägt, hat sich bis heute erhalten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen dauert der Gottesdienst in den jüdischen Gemeinden aller Richtungen beinahe den ganzen Tag.

 

Das Abendgebet beginnt mit dem Gebet „Kol Nidre“, das vor Sonnenuntergang gelesen wird. Im Zentrum der Liturgie steht das Sündenbekenntnis, das in der jüdischen Tradition im Unterschied zur Beichte in christlichen Kirchen stets in der kollektiven Wir-Form abgelegt wird und die Bitten um Vergebung, die hebräisch Selichot genannt werden. „Denn wir sind nicht frechen Angesichtes und hartnäckig, vor dir zu sagen, wir seien Gerechte und hätten nicht gesündigt, in Wahrheit haben wir gesündigt.“

 

Die traditionellen Melodien und Klagegesänge drücken gleichermaßen die Unsicherheit des einzelnen Menschen angesichts eines ungewissen Schicksals aus wie auch die kollektive Erinnerung an vergangene Größe. Am Versöhnungstag suchen Juden die ausschließliche Beschäftigung mit geistigen Dingen. In der Haftara des Morgengottesdienstes wird ein Abschnitt aus dem Buch Jesaja vorgelesen, in dem der biblische Prophet die Bedeutung des echten Fastens erläutert. „Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke der Unterdrückung zu lösen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen. Wenn du einen Nackten siehst, bekleide ihn, und dem, der deines Fleisches ist, entziehe dich nicht. Dann wird wie die Morgenröte dein Licht anbrechen und deine Heilung rasch aufsprießen, deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Ewigen wird dich aufnehmen.“ Eine weitere Besonderheit des Versöhnungstages ist das Gebet Neïlah, worin der Abschluss des Tages thematisiert wird. Es wird feierlich und kraftvoll gesprochen, während der Thoraschrein geöffnet bleibt. Der endgültige Abschluss von Jom Kippur wird mit dem Schofar bekanntgegeben.

 

 

Jom Kippur in der Literatur

 

In der jüdischen Literatur spielt Jom Kippur eine große Rolle, so beispielsweise bei dem jiddischen Autor Scholem Alejchem. Franz Kafkas Kurztext Vor dem Gesetz, den er selbst als Legende bezeichnete, kann als Variation einer talmudischen Parabel gedeutet werden.

Sukkot

 

Sukkot (hebr. סֻכּוֹת oder סוּכוֹת, Plural von סֻכָּה Sukka „Laubhütte“, jiddisch Sukkes oder Sikkes) oder Laubhüttenfest ist eines der drei jüdischen Wallfahrtsfeste. Das Fest wird im Herbst, fünf Tage nach dem Versöhnungstag, im September oder Oktober gefeiert und dauert sieben Tage, vom 15. bis 21. Tischri, dem siebten Monat des jüdischen Kalenders. In Israel und in gewissen Reformgemeinden ist nur der erste Tag ein voller Feiertag, in orthodoxen und konservativen Gemeinden der Diaspora dagegen die ersten zwei Tage, während die darauffolgenden Tage Halbfeiertage (hebräisch Chol ha-Mo‘ed) sind. Der letzte Tag von Sukkot wird Hoschiana Rabba genannt und gilt als der letzte Tag, an dem die göttlichen Urteilssprüche für das Jahr noch geändert werden können. Unmittelbar an das Laubhüttenfest schließen Schemini Azeret, der „Achte Tag der Versammlung“, und Simchat Tora, das „Torafreudenfest“, an.

 

 

Geschichte

 

 Das in der Bibel mehrfach erwähnte Fest ist wie die beiden anderen jüdischen Wallfahrtsfeste Pessach und Schawuot bäuerlichen und wahrscheinlich kanaanitischen Ursprungs und hat mit ihnen den historisch-landwirtschaftlichen Doppelcharakter gemeinsam. Das Fest hat sich schon in der Antike während Jahrhunderten stark verändert, was sich in den biblischen und nachbiblischen Texten widerspiegelt. Im 2. Buch Mose wird es als „Fest des Einsammelns“ (hebräisch Chag ha’Assif) bezeichnet und erst im 5. Buch Mose als „Laubhüttenfest“ (Chag ha’Sukkot) mit siebentägiger Dauer: „Wenn nicht nur die Getreide-, sondern auch die Weinernte eingebracht ist, sollt ihr sieben Tage lang das Laubhüttenfest feiern. Begeht es als Freudenfest mit euren Söhnen und Töchtern, euren Sklaven und Sklavinnen und mit den Leviten in eurer Stadt, den Fremden, die bei euch leben, den Waisen und Witwen.“ Mit den Laubhütten dürften hier die Schatten spendenden Unterstände auf den Feldern gemeint sein, wie sie auch heute im Vorderen Orient zur Zeit der Ernte noch gebräuchlich sind. Erst nach dem Babylonischen Exil wird das Datum auf den 15. des siebten Monats festgelegt und Sukkot zu einem historischen Fest, das mit der Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten begründet wird und das Wohnen in Laubhütten während der Festzeit vorschreibt. Der Überlieferung nach soll König Salomon den Tempel in Jerusalem zu Sukkot eingeweiht haben, und im messianischen Zeitalter wird, so der Prophet Sacharja, Sukkot ein universelles, mit Regen assoziiertes Fest sein, zu dem alle benachbarten Nationen nach Jerusalem pilgern werden.

 

Im Mischnatraktat Sukka sind die Zeremonien zur Zeit des zweiten Tempels aufgeführt, insbesondere die Wasserschöpfzeremonie, die ebenso wie die Prozessionen mit Früchten und Baum- und Palmzweigen, den „Vier Arten“ von Pflanzen (hebräisch אַרְבָּעָה מִינִים Arba’a minim), bei denen Psalmen gesungen wurden, mit Regen in Verbindung gebracht werden. Im Johannesevangelium ruft Jesus am letzten Tag des Laubhüttenfestes diejenigen, die Durst haben, zu sich, was im Zusammenhang mit einer zu dieser Zeit vom ersten bis letzten Tag des Festes üblichen Wasserschöpfzeremonie interpretiert wird. Der Historiker Flavius Josephus beschreibt das Fest als achttägige Feier, während der in Hütten gewohnt und im Tempel geopfert wird, bei Philo von Alexandria steht es als siebentägiges Erntedankfest, dem ein achter Tag als Krönung beigefügt wird, im Zeichen von Gleichheit und Gerechtigkeit.

 

Nach der Zerstörung des Tempels geblieben sind: das siebentägige Fest Sukkot, der Azeret am achten Tag, die Sukka, die Arba’a minim und das Hallel-Gebet sowie die Bitte um Regen am achten Tag.

 

 

Sukkot heute

 

Das siebentägige Sukkotfest ist heute, besonders außerhalb Israels, nur noch für observante Juden von Bedeutung. Dagegen erfreut sich das auf das Laubhüttenfest folgende Torafreudenfest vor allem bei Familien mit Kindern großer Beliebtheit.

 

 

Sukka

  

Religiöse Juden bauen in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten, als die Israeliten in provisorischen Behausungen wohnten, jedes Jahr zu Sukkot dort, wo sich Platz dafür bietet – im Garten, im Hof, auf dem Parkplatz, Balkon oder Dach – eine mit Ästen, Stroh oder Laub gedeckte Hütte, die Sukka, die unter freiem Himmel stehen muss. In ihr werden, wenn es das Wetter erlaubt, die Mahlzeiten während der siebentägigen Dauer des Festes eingenommen; besonders gesetzestreue Juden übernachten sogar in der Laubhütte. Jüdische Gemeinden erstellen in der Regel eine Gemeindesukka, in der der Kiddusch nach dem Gottesdienst und andere Empfänge während des Sukkotfestes stattfinden.

 

 

G‘ttesdienst

 

In Anlehnung an das antike Erntedankfest und die mit Regen und Fruchtbarkeit assoziierten Zeremonien werden während Sukkot zu den Gottesdiensten in der Synagoge die Arba’a minim getragen. Sie bestehen aus dem zu einem Feststrauß gebundenen Palmzweig (hebr. Lulav), der dem Strauß den Namen gibt, drei Myrtenzweigen (hebr. Hadassim) und zwei Bachweidenzweigen (hebr. Arawot), die in der rechten Hand getragen werden, sowie dem Etrog, einer Sorte der Zitronatzitrone, der in der linken Hand gehalten wird. Die Arba’a minim werden während des Hallel-Gebets in sechs Richtungen gewendet, zuerst nach Osten, danach nach Süden, nach Westen, nach Norden, nach Oben und schließlich nach Unten. Gegen Ende des Gottesdienstes findet ein Umzug (hebr. Hakkafot) statt, bei dem eine oder mehrere Torarollen um das Lesepult getragen werden und die Anwesenden, in orthodoxen Gemeinden nur die Männer, mit den Arba’a minim folgen, in Erinnerung an die im Talmud überlieferten Prozessionen um den Altar im Tempel zu Jerusalem. Am siebten, letzten Tag, Hoschiana Rabba (das große Hoschiana, deutsch Hosiana, hilf doch!), findet nicht nur ein Umzug, sondern deren sieben statt, während für eine gute Ernte gebetet wird. Danach werden fünf zusammengebundene Bachweidenzweige fünf Mal abgeklopft, ebenfalls in Erinnerung an die Überlieferungen der Prozessionen zur Zeit des zweiten Tempels, gemäß denen an diesem Tag Bachweidenzweige in einer Prozession sieben Mal um den Altar getragen wurden. Erst seit posttalmudischer Zeit gilt Hoschiana Rabba als der Tag, an dem die jährlichen von Gott am Versöhnungstag für das Individuum erlassenen Urteilssprüche bindend werden.

 

 

Sukkot als Ortsname

 

In der hebräischen Bibel taucht Sukkot verschiedentlich auch als Ortsname auf. So wird die erste Ortschaft, die die Israeliten beim Auszug aus Ägypten erreichen, als Sukkot bezeichnet. Sie lag, so wird vermutet, im Nildelta. Ein anderer 'Sukkot' genannter Ort befand sich in der Nähe des Jordans im Gebiet des Stammes Gad.

 

 

Simchat Tora

  

Simchat Tora (hebr. שִׂמְחַת תּוֹרָה, deutsch „Freude der Tora“, d. h. des Gesetzes) ist der letzte der jüdischen Feiertage, die mit dem Laubhüttenfest (Sukkot) beginnen. In orthodoxen und konservativen Gemeinden der Diaspora wird er als zweiter Tag des Schemini Azeret-Festes am 23. Tischri, dem ersten Monat des jüdischen Kalenders, im September oder Oktober gefeiert – in Israel und in denjenigen Reformgemeinden, wo Schemini Azeret nur einen Tag dauert, gleichzeitig mit Schemini Azeret am 22. Tischri. Simchat Tora erfreut sich auch bei weniger religiösen Juden, vor allem bei Familien mit Kindern, großer Beliebtheit.

 

Simchat Tora als eigenständiger Feiertag entstand im Mittelalter, in der Zeit der Gaonim, als sich der jährliche Zyklus für die Vorlesung der Tora durchsetzte. Die Gebräuche, nach denen der Feiertag begangen wird, haben sich über einen längeren Zeitraum entwickelt und unterscheiden sich je nach Ort und Ausrichtung der Gemeinde teilweise erheblich.

 

Seit dem 14. Jahrhundert wird an diesem Festtag die Vorlesung der Tora, der fünf Bücher Moses, in der Synagoge mit dem letzten Abschnitt des fünften Buches beendet und sogleich wieder mit dem ersten Abschnitt des ersten Buches von neuem begonnen. Etwa gleichzeitig entstand der Brauch, die Torarollen in einer Prozession, Hakkafot genannt, durch die Synagoge zu tragen. Im 16. Jahrhundert wurde es üblich, am Abend des Festes alle Torarollen aus dem Toraschrank zu nehmen und um das Lesepult zu tragen. Heute werden die Torarollen von den Anwesenden in sieben Hakkafot um das Lesepult und durch die Synagoge getragen. Seit der frühen Neuzeit wird dazu getanzt und gesungen, und die Hakkafot können entsprechend lange dauern. In einigen Gemeinden wird bereits am Abend aus der Tora vorgelesen.

 

Während des Vormittagsgottesdienstes werden die Hakkafot vor der Toralesung wiederholt. In vielen Gemeinden werden an diesem Tag alle anwesenden erwachsenen Männer, in Reformgemeinden auch Frauen, zur Tora aufgerufen, wobei der entsprechende Toraabschnitt so oft wie erforderlich wiederholt wird, und zum Abschluss werden die Kinder gemeinsam aufgerufen. In den meisten Gemeinden ist es üblich, zwei Gemeindemitglieder, in einigen sephardischen Gemeinden drei oder nur eines, mit dem Aufruf zum letzten und zum ersten Abschnitt der Tora besonders zu ehren. Erstere werden als Chatan oder Kallat Tora (Bräutigam oder Braut der Tora (Gesetz)), letztere als Chatan oder Kallat Bereschit (Bräutigam oder Braut des Anfangs (Genesis)) bezeichnet. Von ihnen wird erwartet, dass sie nach dem Gottesdienst zu einem Empfang einladen und Geld für wohltätige Zwecke der Gemeinde spenden.

 

Für die Kinder ist Simchat Tora ein besonderer Festtag, an dem sie an den Prozessionen teilnehmen, nach aschkenasischem Brauch mit speziellen Fähnchen, und mit Früchten und Süßigkeiten beschenkt werden.

 

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