Ein vom Außenministerium in Warschau empfohlener historischer
Sammelband provoziert einen Streit über die Rolle der Polen im Holocaust. Die politische Rechte ist empört.
Erpresser und Denunzianten auf der einen Seite, Retter und Helden auf
der anderen - zwischen diesen Stereotypen hat das Bild der Polen im Holocaust seit je oszilliert. Ein historischer Sammelband in englischer Sprache unter dem Titel „Inferno of Choices“ (Die Hölle
der Wahl), den das polnische Außenministerium unter Radoslaw Sikorski jetzt international empfiehlt, hat in Warschau eine neue Diskussion zur alten Streitfrage entfacht.
Die Fakten sind unbestritten. Polen war mit Auschwitz und Treblinka
der Hauptschauplatz des deutschen Judenmords. Von sechs Millionen polnischen Bürgern, die im Zweiten Weltkrieg ums Leben kamen, waren die Hälfte Juden, wobei die Bevölkerung sehr unterschiedlich
reagierte. Der polnische Untergrundstaat unterhielt zwar eine eigene Organisation („Zegota“) zur Rettung jüdischer Mitbürger, aber versteckte Juden wurden oft erpresst und denunziert.
Stellenweise kam es sogar zu polnisch-deutschen Judenpogromen. „Die Hölle der Wahl“, das Buch, welches das Außenministerium jetzt empfiehlt, handelt von diesem Zwiespalt - und genau deshalb wird
es von der polnischen Rechten heftig attackiert.
Der Historiker Bogdan Musial warnt vor einer „Pädagogik der Scham“,
und sein Kollege Andrzej Zybertowicz behauptet sogar, die ganze Angelegenheit „rieche nach Verrat“. Publizistisch hat dabei die konservative Zeitung „Rzeczpospolita“ die Führung übernommen. Die
polnische Diplomatie, so schreibt sie, verstärke mit diesem Buch nur das Klischee vom „polnischen Antisemiten“. Dabei sei das Außenministerium aber kein „Forschungsinstitut“, das „vielschichtige“
Untersuchungen anzustellen habe, sondern eine „PR-Agentur“, deren Aufgabe es sei, „wahre und positive Informationen“ über Polen zu vermitteln. Dass die Welt heute den Deutschen Oskar Schindler
für den Judenretter schlechthin halte, und nicht die Polin Irena Sendler, die zweieinhalbtausend jüdische Kinder aus dem Warschauer Ghetto herausgeschmuggelt habe, sei eine „Niederlage“. Polens
„Geschichtsdiplomatie“ müsse schließlich nur nach Deutschland sehen, um zu lernen, wie man aus deutschen Tätern neutrale „Nazis“ mache, und wie man die Welt davon überzeuge, dass Hitler nicht nur
von den Alliierten besiegt worden sei, sondern auch vom deutschen Widerstand.
Das Außenministerium verteidigt das Buch mit dem Argument, es blende
die dunklen Seiten im Verhältnis der Polen zum Holocaust zwar nicht aus, weise aber auch darauf hin, dass bis zu 300.000 Polen an der Rettung bedrohter Juden beteiligt gewesen seien, und dass
6000 von ihnen von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt worden seien - mehr als in jedem anderen Land. Dem Ministerium kommt dabei die liberale „Gazeta
Wyborcza“ zu Hilfe: Niemand, schreibt sie, würde einen Pfifferling auf eine Darstellung geben, welche die Polen im Zweiten Weltkrieg als „engelsgleiche Versammlung reiner Altruisten“ darstelle.
Deshalb bleibe der polnischen Geschichtsschreibung nur ein Weg: sie müsse von „Helden“ wie Irena Sendler erzählen, aber sie dürfe die „Kanaillen“ nicht unter den Tisch kehren.
Bleibt die Frage, warum das Außenministerium überhaupt das Risiko eingeht, sich mit so einer Publikation angreifbar zu machen. Die Antwort könnte sein, dass Polen seit Jahren vom jüdischen Weltkongress, aber auch von der amerikanischen Regierung dafür kritisiert wird, dass es seine Bürger (unter anderem Millionen von Juden) für ihr nach 1939 verlorenes Eigentum bis heute nicht entschädigt hat. Die Regierung zögert hier tatsächlich, weil so ein Entschädigungsprojekt, das dann auch vielen Deutschen zugute kommen müsste, dem Konsolidierungskurs Ministerpräsident Donald Tusks widerspräche. Es ist nicht auszuschließen, dass Außenminister Sikorski auch vor dem Hintergrund dieser Angriffe jetzt durch eine differenzierte Publikation beweisen möchte, dass Polen heute weit entfernt ist von dem plumpen Antisemitismus, den man dem Land im Ausland manchmal vorhält. Amerikanische Vorwürfe hat er sich jedenfalls stets verbeten.
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