Ach, Sie sind Jude

 

 

Nur zur Erklärung, geboren bin ich in Deutschland, mit 16 Jahren nach Israel ausgewandert. Mit 26 wieder nach Deutschland, dann wieder nach Israel und wieder nach Deutschland, und so weiter. Also der ewig wandernde Jude.

 

Nein, ich hänge mein „Judesein“ nicht heraus. Ich stelle mich nicht mit den Worten vor: „Günter Malkowsky, ich bin Jude (von Geburt an).“ Das interessiert ja auch wirklich keinen. Mich interessiert ja auch nicht, ob die Herren oder Damen Müller, Meier, Schulze oder sonst wie Christen, Moslems oder was auch immer sind.

 

Die meisten Menschen, die ich getroffen habe oder mit denen ich zusammen gearbeitet habe, haben erst nach einiger Zeit – wenn überhaupt – mitbekommen, dass ich Jude bin.

 

Allerdings wird es ab dem Zeitpunkt des „Bekanntwerdens“ meines Judenseins aufschlussreich, beachtenswert und manchmal auch lustig.

 

Irgendwie im Laufe der Gespräche stellt sich für den Gesprächspartner heraus, dass ich Jude sein könnte. Dann kommt in Deutschland der unvermeidliche Satz: „Ach, Sie sind Jude.“ Meine lakonische Antwort: „Ja.“ Dann kommt das, was meistens, ja fast immer kommt: „Hätte ich nicht gedacht.“ Spätestens jetzt gerät das Gespräch in für den Gesprächspartner unkontrollierbare Bahnen. Meine Gegenfrage lautet in solchen Fällen meistens: „Was hätten Sie denn gedacht?“ Hier beginnt dann der verbale Stolperer meines Gegenübers. Was soll er jetzt sagen? Oft kommt dann Folgendes: „Ich dachte, dass Sie Deutscher sind.“ „Bin ich auch“, sage ich. Ich muss ihm ja nicht gleich mit meinen zwei Staatsangehörigkeiten kommen. Dann kommt Folgendes: „Sie sehen gar nicht wie ein Jude aus.“ Schmunzelnd frage ich dann: „Nun, wie sieht denn ein Jude aus oder wie sollte er Ihrer Meinung nach aussehen? So wie Wilhelm Busch den Juden beschreibt?“

 

Und der Jud mit krummer Ferse,

krummer Nas’ und krummer Hos’

Schlängelt sich zur hohen Börse

Tiefverderbt und seelenlos.“

 

Jetzt ist mein lieber Freund ganz aus dem Konzept gebracht worden. Was soll er nur antworten? Meistens lässt sich spätestens jetzt ein leichtes Erröten bei meinem Gesprächsteilnehmer feststellen. Er kommt ins stottern: „Ja, nein, ja, ich weiß es nicht genau. Auf alle Fälle habe ich mir einen Juden anders vorgestellt.“

 

So weit so gut. Jetzt ist es an mir zu agieren. „Was wissen Sie den über die Juden, über das Judentum?“ „Um ehrlich zu sein eigentlich nicht viel“ ist dann oft die Antwort. „Sie stellen sich einen Juden also dunkelhaarig, hakennasig und auch noch geschäftstüchtig vor, so, wie Wilhelm Busch in auch beschrieben hat.“ bemerke ich dann meistens etwas ironisch. Wieder kommt der Gute ins Straucheln: Nein, ja, nein, Juden sind doch geschäftstüchtig oder?“ „Zum Teil schon“ bemerke ich „aber bei Weitem nicht alle. In Israel zum Beispiel gibt es Juden, die die Straße kehren, die Hochschulprofessoren, Rechtsanwälte, einfache Arbeiter, Ärzte, Ingenieure, Straßenhändler, Geschäftsleute und alles, was es sonst noch gibt, sind. Und das ist nicht nur in Israel so, das ist überall auf der Welt so. Wissen Sie denn warum viele Juden geschäftstüchtig sind?“ „Nein, das weiß ich nicht, sie sind es eben.“

 

Dann erkläre ich ihm, dass es Zeiten gab zu denen Juden nur ganz gewisse Tätigkeiten ausüben durften. Sie durften nicht handwerklich tätig werden, also spezialisierten sie sich auf das, was man heute als Bankwesen bezeichnet. Später konnten sie alle Tätigkeiten ausüben und das ist bis heute so geblieben. Die wenigsten Juden sind im Geschäftsbereich tätig. Mein Freund grinst und meint: „Das habe ich gar nicht gewusst.“

 

Amerikaner und viele andere Nationalitäten reagieren ganz anders. Sie sagen zum Beispiel: „Ich habe viele jüdische Bekannte und/oder Freunde.“ Von einem Deutschen habe ich so einen Satz nie zu hören bekommen.

 

Für mich ist es natürlich, dass Deutsche etwas verlegen auf mein „Judesein“ reagieren. Das hängt vor allem mit Vergangenheit zusammen. Gerade die ältere Generation, also meine, fühlt sich in der Regel etwas „unwohl“ plötzlich einem Juden gegenüber zu stehen. Die jüngere Generation kann damit schon besser umgehen. Andererseits ist es erschrecklich festzustellen, wie wenig diese Generation über das Geschehene weiß und eigentlich wissen will.

 

Man muss nicht in zig Gedenkfeiern an das Vergangene erinnern, es wäre besser, wenn man mehr Aufklärung betreiben würde um das Bewusstsein zu wecken, damit so etwas nie mehr geschieht. Zu wenig Aufklärung und vor allem falsche Scham, vor dem,. was damals unter Hitler passiert ist führt dazu, dass sich Neonazis immer stärker formieren können. Zugegeben Antisemitismus und Fremdenhass ist keine Erfindung der Deutschen. Das lässt sich überall auf der Welt finden. Allerdings, und das ist mehr als erschreckend, ist der Antisemitismus und Judenhass immer noch sehr stark in Deutschland und auch anderen Ländern verankert. Unter dem Deckmantel des Antizionismus kann man gerade in der heutigen Zeit seinen Judenhass fast freien Lauf lassen. Medien tragen mit ihren oft ungenauen, ungerechten und unqualifizierten Berichten erheblich dazu bei. Ob bewusst oder unbewusst sei einmal dahingestellt. Die Politik unternimmt viel zu wenig, außer den gebetsmühlenartigen Lippenbekenntnissen kommt von dieser Seite fast nichts.

 

Durch „Nichtwissen“, falsche Informationen entsteht das, was man schlechthin als Vorurteile bezeichnet. Der Mensch neigt zur Verallgemeinerung, schnell ist gesagt die Moslems, der Islam, die Juden, die Deutschen, die Polen oder wer oder was sonst noch.

 

Man weiß eigentlich sehr, sehr wenig über die, die man in seine Verallgemeinerung einbezieht.

 

zurück zum Inhaltsverzeichnis