Homosexualität in Israel

 

Dabei galten in der Anfangszeit Israels noch die Sodomiegesetze der Mandatszeit. Diese Strafgesetze wurden früh nicht mehr vollstreckt und in den 1980er Jahren abgeschafft. Nach 1993 haben die unter dem Stichwort LGBT (Lesbians, Gays, Bisexuals und Transgender) zusammengefassten Gruppen sowohl zur Regierungszeit des Likud-Blocks als auch unter der Labor-Partei weitreichende Verbesserungen in Politik, Recht und Gesellschaft erringen können. Seit 1993 unter Ministerpräsident Jitzchak Rabin die Vorschriften liberalisiert wurden, nimmt auch die israelische Armee Bewerber ohne Unterscheidung der sexuellen Orientierung an, die alle Ränge bis zum General bekleiden.

 

Vorbehalte gibt es nach wie vor unter anderem in den stark religiösen und orthodox orientierten Gesellschaftsbereichen und den zugehörigen Siedlungen. Es kam auch danach noch zu vereinzelten gewaltsamen Übergriffen, etwa auf die Gay-Pride-Parade in Jerusalem 2015 und juristischen Auseinandersetzungen.

 

In Israel genießen LGBT die fortgeschrittensten Rechte und weitestgehende Emanzipation im Vergleich aller Länder des Nahen Ostens. Israel war zudem das erste Land in Asien, das 2001 Homosexuelle durch ein Antidiskriminierungsgesetz schützte. Gegen erhebliche Widerstände wurde ebenso die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare ermöglicht. Eine eingetragene Partnerschaft ist möglich, eine Ehe als solche nicht.

 

Speziell Tel Aviv gilt dem Magazin Out zufolge als „Schwulenhauptstadt des Mittleren Ostens“ und wurde 2011 als eine der schwulenfreundlichsten Städte weltweit bezeichnet. Die Situation in den Palästinensischen Autonomiegebieten ist im Vergleich deutlich schlechter. Dort sind nicht-heterosexuelle Personen Intoleranz und Verfolgung ausgesetzt.

 

 

Lebenspartnerschaften und Ehen

 

Seit 2002 kann man in Tel Aviv seine homosexuelle Partnerschaft eintragen lassen und bekommt zusätzliche kommunale Vergünstigungen. Ein Gerichtsurteil des Obersten Gerichts vom 21. November 2006 legt fest, dass im Ausland geschlossene „Homo-Ehen“ Gültigkeit haben. Homosexuelle Paare haben Steuerprivilegien wie heterosexuelle Paare sowie das Adoptionsrecht. Dabei muss in Israel die homosexuelle Partnerschaft nur glaubhaft gemacht werden, während eine offizielle juristische Verpartnerung nicht erforderlich ist und aufgrund des der Begrenzungen durch das Standes- und Zivilrecht in Israel selbst nicht möglich wäre. Seit 2013 wurde im Parlament ein Gesetzentwurf zum Ausbau der staatlichen Anerkennung homosexueller Partnerschaften zur Eingetragenen Partnerschaft (unabhängig von der sexuellen Orientierung) beraten. Der Gesetzentwurf scheiterte im Juli 2015.

 

Im November 2005 wurde einer lesbischen Ehefrau die Adoption des Kindes ihrer Partnerin erlaubt, welches durch einen anonymen Samenspender gezeugt wurde. Dieser Entscheid wurde von den jüdisch-orthodoxen Parteien stark kritisiert, welche jedoch im Parlament in der Minderheit sind.

 

Im Juni 2012 beschloss das Komitee der konservativen jüdischen Gemeinschaft einstimmig, gleichgeschlechtliche Verpartnerungen in einem Gottesdienst zuzulassen. Während das liberale Judentum dies schon längere Zeit ermöglicht, wird es nur noch von den orthodoxen Gemeinschaften strikt abgelehnt.

 

Ausländische homosexuelle Partner von Israelis bekommen seit dem Jahr 2000 – auch ohne juristische Verpartnerung – zunächst ein zeitlich befristetes Wohnrecht in Israel, das nach Jahren in den unbefristeten Status und schließlich in die israelische Staatsbürgerschaft umgewandelt werden kann. Seit August 2014 muss jeder mit einer jüdischen Person offiziell verheiratete Homosexuelle die israelische Staatsbürgerschaft auf Antrag gleich erhalten.

 

Seit Mai 2015 behandelt die israelische Armee homosexuelle Paare (auch ohne staatliche Verpartnerung) mit Kind wie entsprechende heterosexuelle Paare: Beide müssen nie gleichzeitig zum Reservedienst (der für viele jedes Jahr einen Monat umfasst), damit sich einer der beiden Partner um das Kind kümmern kann.

 

 

Entwicklung der gesellschaftlichen Situation homosexueller Menschen

 

 Das hier bis 1918 regierende türkische Osmanische Reich entkriminalisierte Homosexualität schon 1852. Seit 1918 stellten die so genannten Sodomie-Gesetze der britischen Mandatszeit, die offiziell bis 1988 Rechtskraft hatten, Homosexualität wieder unter Strafe. Allerdings gab es in den 1920er-Jahren parallel dazu eine starke sexualemanzipatorische Strömung: Besonders ist hier der Tel Aviver Arzt Chaim Berlin zu nennen, der im Sinne des schwulen, jüdischen Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld für die gesellschaftliche Akzeptanz der Homosexualität warb. Nach einer Vortragsreise im Februar/März 1932 bestätigte Hirschfeld diese liberale Grundströmung in seinem Reisetagebuch. Die israelische Gewerkschaftszeitung Dawar würdigte Hirschfeld in einem Nachruf 1935 dafür, dass er „den Menschen aus körperlichem und psychischem Leid und sozialen Qualen befreien“ wollte, und reiht ihn unter die Menschen ein, die „viel für das Gut der Menschlichkeit arbeiten“. 1932 gründete Avraham Matmon, der im Rahmen seiner medizinischen Ausbildung an Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaften tätig war, in Tel Aviv ein gleichnamiges Institut, das sich der Sexualberatung und -reform widmete.

 

Die Strafgesetze wurden aufgrund des Drucks der starken religiösen Parteien lange nicht aufgehoben. In der Realität aber galt: “The Jewish state indeed never tried anyone for having homosexual sex, even when this was nominally illegal.” Israelische Generalstaatsanwälte gaben 1953 (Chaim Cohn) und 1972 ausdrücklich Anweisung, diese Paragrafen bei Erwachsenen nicht anzuwenden. Seit den 1990er Jahren hat sich die Situation und die gesellschaftliche Anerkennung von LGBT nochmal deutlich verbessert.

 

1975 gründet sich die SPPR (Society for the Protection of Personal Rights), um für die Rechte von Schwulen und Lesben zu kämpfen. Die immer noch aktive Gruppe wurde später in Agudah umbenannt. (אגודה deutsch ‚Verband‘)

  

Seit 1993 hatte die homosexuelle Gemeinschaft in Jael Dajan, Parlaments-Abgeordnete für die sozialdemokratische Awoda und Tochter des Generals Mosche Dajan, eine aktive Fürsprecherin. Sie traf nicht nur als erste Knessetabgeordnete mit der PLO zusammen, sondern lud zum ersten Mal Schwule und Lesben offiziell in das israelische Parlament ein. Dajans Begründung, die die Trauerrede des biblischen König David für seinen Freund Jonathan den religiösen Parteien als Mahnung zur Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben vorhielt, erzeugte einen handfesten Skandal und gilt als Wendepunkt im Umgang mit LGBT in der israelischen Öffentlichkeit.

 

Internationale Aufmerksamkeit erhielt die israelische LGBT-Community 1998 durch den Sieg der transsexuellen Dana International beim Eurovision Song Contest im Jahr 1998. Ihrer Nominierung waren Auseinandersetzungen um die Entsendung einer Transsexuellen vorausgegangen, die vor allem von strenggläubigen Juden abgelehnt wurde.

 

2002 wurde Professor Uzi Even für die sozialistische Partei Meretz als erster offen schwuler Abgeordneter in das Parlament Knesset gewählt. Dieser hatte sich als Major der Reserve bereits zuvor für die Gleichbehandlung in der israelischen Armee eingesetzt.

 

Zum bisher schlimmsten Anschlag auf Homosexuelle in Israel kam es am 1. August 2009 in Tel Aviv: Eine bis heute nicht gefasste Person schoss mit einem Gewehr auf Besucher eines schwul-lesbischen Zentrums und tötete dabei zwei Menschen. Es kam zu Solidaritätskundgebungen innerhalb und außerhalb Israels. Die Tat erfuhr eine breite Ablehnung in weiten Teilen der israelischen Politik und Gesellschaft.

 

Lee Walzer hält in seinem Buch Between Sodom and Eden fest, dass sowohl zur Regierungszeit des Likud-Blocks, als auch unter der Labor-Partei weitreichende Verbesserungen für die Lesben und Schwulen in Politik und Recht errungen wurden. “Israel’s lesbian and gay community has achieved far-reaching political and legal victories under both Likud- and Labor-led governments.”

 

 

Aktuelle gesellschaftliche und politische Situation

 

Israel hat eine aktive Schwulen-Community, die seit 1998 jährlich einen Gay Pride in Tel Aviv und seit 2002 in Jerusalem organisiert. Die Parade in Jerusalem zog im Jahr 2005 international Aufmerksamkeit auf sich, als der ultra-orthodoxe jüdische Extremist Yishai Schlissel drei Teilnehmer der Parade mit einem Messer verletzte. Er wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Der Versuch des Bürgermeisters von Jerusalem, die Parade zu verhindern, wurde im Juni 2005 gerichtlich angefochten. Der Bürgermeister verlor den Prozess und musste die Veranstaltung finanziell unterstützen. Gegen die ebenfalls 2005 geplante überregionale World Pride gab es Anschlagsdrohungen. Auch Vertreter der in Jerusalem vertretenen großen Religionsgemeinschaften Judentum, Christentum und Islam sowie Abgeordnete der Knesset stemmten sich gegen die Veranstaltung, die dann allerdings wegen des Rückzuges Israels aus dem Gazastreifen zunächst abgesagt wurde, um die Sicherheitskräfte nicht zu überfordern. Trotz andauernder Widerstände wurde der World Pride schließlich 2006 in Jerusalem gefeiert.

 

Seit 2006 wird in Tel Aviv jährlich das queere Tel Aviv GLBT Film Festival TLVFest gefeiert.

 

Es existiert die Drag-Queen-Gruppe „Pe'ot Qedoshot“ (Holy Wigs). Jährlich findet das Drag-Festival „Wigstock“ statt. Seit 2011 besteht das nach der im Februar 2017 verstorbenen Transsexuellen Gila Goldstein benannte „Gila-Projekt für Transgender Empowerment“

 

GLBT-Zentren für die queere Community sind in Tel Aviv – das vom Stadtrat finanzierte – GLBT Community Center (auch „Bayit Lavan“ (Weißes Haus) genannt) im Gan (Park) Me'ir und in Jerusalem das Jerusalem Open House (Bayit Patuach), das sich in der 1. Etage eines Hauses in der HaSoreq-Str. 2 befindet.

 

Laut Out ist Tel Aviv die Schwulenhauptstadt des Nahen Ostens. In gleicher Weise 2010 ließ die israelische Botschaft in Berlin Broschüren verteilen, in denen sie damit wirbt, dass „Tel Aviv […] aufgrund seiner Offenheit auch gegenüber Homosexuellen als Schwulenhauptstadt des Nahen Ostens gilt“.

 

Israel gehörte im November 2010 zu der Minderheit der Staaten, die in der UN-Vollversammlung für die Ächtung der Todesstrafe auch aus Gründen der sexuellen Orientierung stimmten. Im März 2011 unterzeichnete Israel mit 85 anderen Staaten eine UN-Erklärung, die Gewalt gegen Menschen abweichender sexueller Orientierung ablehnt. Neben Israel haben die Türkei, Jordanien und die Republik Zypern homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen im Privaten nicht unter Strafe oder Verfolgung gestellt.

 

Dennoch gibt es politische Kräfte in Israel, die vor allem offen sichtbare Homosexualität ablehnen. 1997 verglich Präsident Ezer Weizman Homosexualität mit Alkoholismus. Dies führte zu Auseinandersetzungen, Demonstrationen und Rücktrittsforderungen gegenüber Weizmann, der sich schließlich für seine Äußerungen entschuldigte.

 

Am 20. Februar 2008 machte der Knessetabgeordnete Schlomo Benizri, Angehöriger der mit Premierminister Ehud Olmert koalierenden ultraorthodoxen Schas-Partei, Homosexuelle für das Auftreten von Erdbeben in der Region verantwortlich und forderte zur Prävention der Beben die Rücknahme liberaler Gesetze für homosexuelle Paare. Die Forderung blieb unerfüllt.

 

Jedoch haben sich in den letzten Jahren in Israel auch religiös-queere Gruppen gegründet: 2004 Bat-Kol für Lesben, 2007 Havruta für alle religiösen Queers. Hod, 2008 zur Unterstützung orthodoxer Queers gegründet, hat eine konservativere Ausrichtung. Seit 2011 wirkt Yiscah Sara Smith, orthodoxe Transfrau, öffentlich für Akzeptanz.

 

Im Juni 2012 wurde Rainball Tel Aviv gegründet, der erste schwule Fußballklub der gesamten Region, in dem zudem noch queere Juden und Araber zusammenkommen

 

Am 10. Dezember 2013 erhielt Tel Aviv als erste Stadt in Israel und im ganzen Nahen Osten beim „Weißen Haus“ (siehe oben) ein – von Bürgermeister Ron Huldai eingeweihtes – Mahnmal für queere Holocaust-Opfer. Das Denkmal hat die Form eines Rosa Winkels und soll an die Kennzeichnung homosexueller Häftlinge in Konzentrationslagern während der Zeit des Nationalsozialismus erinnern. Auf einer Seite des rosa Winkels steht in deutscher Sprache: „Den Opfern des Nationalsozialismus, die wegen ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität verfolgt wurden“. Außerdem wird der verfolgten schwulen Juden Magnus Hirschfeld (siehe oben), Gad Beck und Walther Gutman gedacht.

 

Gemäß dem im Mai 2015 veröffentlichten Gay-Happiness-Index rangiert Israel weltweit auf Platz 7.

 

 Seit Dezember 2015 gibt es mit dem Nachrücker Amir Ohana das erste Mal einen offen schwulen Abgeordneten der rechten Likud-Partei im israelischen Parlament. Ohana ist gleichzeitig Vorsitzender der LGBT-Vereinigung des Likud, und seine Familie besteht aus seinem Ehemann und zwei eigenen Kindern.

 

Im Mai 2016 traten „im Habima, dem Nationaltheater von Tel Aviv, […] zum ersten Mal in Israel elf transsexuelle Frauen zu einer Misswahl an […] als Auftakt zur ‚Gay Pride‘-Woche“. Die Organisatorin Israela Stephanie Lev sagte: „Transgender sind heute in Israel Richterinnen, Ärztinnen, Journalistinnen, sie sind überall“.

 

Die Teilnehmerzahl der jährlichen Tel Aviver Pride Parade im Juni wuchs zuletzt stark. Der Münchner Kommunalpolitiker Marcel Rohrlack fasst die Eindrücke seines Besuchs 2016 zusammen: „An jedem Laternenmast, in jedem Schaufenster, in der ganzen Stadt: Regenbogenfahnen! […] die große Parade der Schwulen und Lesben gefeiert – mit 200 000 anderen Demonstranten.“

 

 

Die Situation der arabischen Bevölkerung Israels und in den besetzten Gebieten

 

Die Araber, die israelische Staatsbürger sind und rund 20% der Bevölkerung ausmachen, erleben – vor allem im dörflichen Umfeld – eine starke Ablehnung. Von ihren gewählten arabischen Abgeordneten werden sie nicht offen unterstützt. So befürwortete Tawfiq Khatib ausdrücklich eine Ausgrenzung von Homosexuellen: „Ich bin froh, dass die [arabische] Gemeinschaft diese Abartigen ausstößt. Sie sollen sich wie Fremde bei uns fühlen.“

 

Im Mai 2016 wurde zur „Miss Trans Israel […] eine arabischstämmige Katholikin […] Ta’alin Abu Hanna aus Nazareth“.

 

 In den Palästinensischen Autonomiegebieten, in denen für die inneren Angelegenheiten eigene arabische Beamte zuständig sind und Israel sich nur die militärische Kontrolle vorbehält, ist Homosexualität nach dem britischen Mandatsrecht strafbar. Inwieweit dies in konkrete staatliche Verfolgung mündet, ist nicht bekannt; die Behörden und politischen Gruppierungen tendieren dazu, das Thema zu ignorieren. Allerdings wird von Übergriffen, Folter und Morden von Polizeistationen und Todesschwadronen berichtet. Viele fliehen deshalb illegal nach Israel und enden oft obdachlos – Schätzungen zufolge sind es etwa 500 – auf den Straßen.

 

1995 ließ Ministerpräsident Jitzchak Rabin einem Palästinenser aus dem Gazastreifen das dauerhafte Aufenthaltsrecht in Israel erteilen, damit dieser mit seinem israelischen Partner zusammenleben konnte. Ganz ähnlich gewährte 2008 die israelische Militärverwaltung einem schwulen Palästinenser aus dem autonomen Jenin die Genehmigung, sich in Israel aufzuhalten und mit seinem israelisch-jüdischen Partner in Tel Aviv zu leben, was die Behörde ausdrücklich als Ausnahme bezeichnete.

 

2001 gründete sich die palästinensische Homosexuellen-Gruppe Al-Qaws (deutsche Übersetzung: „Der Regenbogen“), die unter den Arabern in Israel und in den Autonomiegebieten agiert. Sie hat ihr Büro im Jerusalem Open House.

 

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