Israelfeindschaft und Antisemitismus bei Hamas, Al-Qaida und dem Islamischen Staat

 

Von Michel Wyss

 

Michel Wyss ist freischaffender Analyst bei der Audiatur-Stiftung und beschäftigt sich hauptsächlich mit Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Er absolviert derzeit ein MA-Studium in Government mit Fokus auf Internationale Sicherheit am Interdisciplinary Center in Herzliya, Israel und ist als Research Assistant beim International Institute for Counterterrorism (ICT) tätig.

Diese Artikelreihe beruht auf einem überarbeiteten Referat, welches der Autor im Oktober 2016 an Veranstaltungen an der Universität Innsbruck sowie des Jungen Forums DIG Frankfurt an der Goethe Universität in Frankfurt a. M. präsentierte.

 

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sorgte im Spätsommer 2014, wenige Wochen nach dem Ende der Operation „Fels in der Brandung“ (Protective Edge in Englisch), für Aufregung. Anlässlich der Ermordung des Journalisten James Foley durch ISIS wurden auf Netanjahus Social-Media-Kanälen eine Grafik mit der Überschrift „Hamas ist ISIS, ISIS ist Hamas“ veröffentlicht (ursprünglich beinhaltete sie ein Bild von Foley kurz vor seiner Ermordung, das aber später durch die Flagge des Islamischen Staates ersetzt wurde).

 

Netanjahu betonte diese Botschaft mehrfach bei öffentlichen Auftritten in den darauffolgenden Wochen. So etwa bei seiner Rede vor der UN-Generalversammlung im September 2014, wo er erklärte: „ISIS und Hamas sind Zweige desselben giftigen Baumes. […] Was ihre Endziele betrifft, so ist Hamas ISIS und ISIS ist Hamas. Und sie haben gemein, was alle militanten Islamisten gemein haben. Boko Haram in Nigeria, Al-Shabaab in Somalia, Hisbollah im Libanon, Al-Nusra in Syrien, die Mahdi-Armee im Irak und Al-Qaida Ableger in Jemen, Libyen, den Philippinen, Indien und anderswo.“

 

Im Gegensatz zum Applaus seiner Regierungskoalition, wurde Netanjahus Vergleich von verschiedenen Seiten zum Teil scharf kritisiert. Die Hamas selbst wies den Vorwurf vehement zurück und Politbüro-Chef Khaled Meshaal liess in einem Interview mit Yahoo News verlauten, die Hamas sei „keine gewalttätige religiöse Organisation.“ Doch auch israelische Oppositionspolitiker, das US-Aussenministerium, das linksliberale Online-Medium Vox und ein Forscher am Royal Institute of International Affairs (auch bekannt als „Chatham House“) kritisieren Netanjahus Aussage. Einer der Kernvorwürfe an Netanjahu lautete, politisch punkten und die Gräueltaten von ISIS propagandistisch ausschlachten zu wollen.

 

Bis auf wenige Ausnahmen machten sich Netanjahus Kritiker aber nicht die Mühe, sich ernsthaft mit dem Gegenstand seiner Behauptung auseinanderzusetzen, dass Hamas, Al-Qaida und IS eins zu setzen sind. Diese wäre nur mittels einer genauen Untersuchung der drei Gruppierungen zu bewerkstelligen, welche sowohl Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede beleuchtete. Dass dies nicht geschah, ist ein Versäumnis, den tatsächlich fällt eine Antwort auf die Frage, ob Netanjahu richtigliegt, weniger eindeutig aus als sich sowohl Kritiker als auch Befürworter seiner These wünschen würden.

 

Eine vollumfängliche Untersuchung aller relevanten Aspekte von Hamas, Al-Qaida und IS ist – so wünschenswert eine solche auch wäre – enorm zeitaufwändig. Stattdessen wird diese Artikelreihe anhand von Israelfeindschaft und Antisemitismus exemplarisch Berührungs- aber auch Streitpunkte zwischen den drei Terrororganisationen aufzuzeigen versuchen. Der Fokus aus Feindschaft gegenüber Israel und Juden erscheint aus verschiedenen Gründen naheliegend. Zum sind diese beiden Elementen selbstverständlich von äußerster Relevanz für Israel. Zum anderen sind sie ohne Zweifel von großer Bedeutung für Ideologie und Vorgehen der drei Organisationen. Zuletzt, bieten sich Israelfeindschaft und Antisemitismus aber auch deshalb an, weil sich anhand von ihnen Übereinstimmung und Kooperation, auf der anderen Seite aber Uneinigkeit, Konkurrenz und gar Konflikt zwischen den drei Gruppen illustrieren lässt.

 

In den folgenden Teilen dieser Artikelserie werden die Bedeutung von Israelfeindschaft und Judenhass – in Wort wie in Tat – für die jeweilige Terrororganisation systematisch analysiert, sowie in aller Kürze auf ihre Entstehungsgeschichte eingegangen werden.

 

Zuvor soll aber in einem zweiten Teil zuerst in aller Kürze die Geschichte und Entwicklung des politischen Islams sunnitischer Prägung im Nahen Osten skizziert werden. Um nämlich die Unterschiede zwischen der Hamas auf der einen Seite und Al-Qaida bzw. dem Islamischen Staat auf der anderen Seite zu verstehen, ist es hilfreich, diese als Exponenten zweier unterschiedlichen Strömungen zu begreifen. Die Hamas steht in der Tradition der Muslimbruderschaft, Al-Qaida und Islamistischer Staat hingegen sind Vertreter der „Globalen Jihad“-Bewegung bzw. der salafi-jihadistischen Ideologie. Obwohl beide über gemeinsame Wurzeln verfügen, grenzt sich der Salafi-Jihadismus mittlerweile stark von der Muslimbruderschaft ab und der Islamische Staat verhöhnt Muslimbrüder gar als Apostaten, d.h. als Muslime, die vom „wahren Glauben abgefallen sind. Die Entstehungsgeschichte von Muslimbruderschaft und der Globalen Jihad-Bewegung ist Gegenstand des zweiten Teils dieser Serie.

 

Gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhundert stand die islamische Welt –  insbesondere in seinem Kerngebiet, dem Nahen Osten – vor einem Trümmerhaufen. Militärisch, technologisch und kulturell dem Westen unterlegen, stellten sich muslimische Gelehrte die Frage nach der Ursache für diese Misere. Reformer wie Jamal Al-Din Al-Afghani, sein Schüler Muhammad Abdu, sowie Rashid Rida propagierten eine Modernisierung des Islam anstelle blinder Imitation religiöser Praktiken wie in den Jahrhunderten zuvor. Ihnen zufolge war dies der einzige Weg, um gegenüber dem Westen zu bestehen. Rida, der jüngste der dreien, war zudem einer der ersten muslimischen Intellektuellen, die sich mit der zionistischen Frage beschäftigten. Seine anfängliche Bewunderung für Juden (er verurteilte den Antisemitismus der Dreyfuss-Affäre) und den Zionismus als Vorbild für die muslimische Gemeinschaft schlug aber innert kurzer Zeit in Feindschaft um. Rida war zunehmend davon überzeugt, dass es sich beim Kampf zwischen Zionisten und Arabern um einen religiösen Krieg handelte, den die Muslime gegen die „verräterischen Juden“ letzten Endes gewinnen würde. Zugleich wandte sich Rida über die Jahre auch von der Idee einer Modernisierung des Islams ab, die ihm mittlerweile zu weit ging. Stattdessen vertrat er nun eine puritanische Auffassung des Islam, im Sinne des saudischen Wahhabismus.

 

„Der Islam ist die Lösung.“

 

Ridas Ausführungen zum Zionismus prägten den in seiner Entstehung begriffenen politischen Islam entscheidet mit. Rida selbst übte auch einen starken Einfluss auf Hassan Al-Banna aus; den Vater des politischen Islam, der 1928 die Muslimbruderschaft in Ismailiyya, Ägypten gründete. Al-Bannas Programm war simpel und effektiv: „Der Islam ist die Lösung.“ Die islamische Welt könne den einstigen Glanz und Stärke erst dann zurückerhalten, wenn sich die Muslime auf die Lehren des Islam besinnen würden. Al-Banna verstand es, seine Überzeugungen in einer modernen und verständlichen Sprache zu formulieren, die keines religiösen Studiums bedurfte und damit für jedermann zugänglich war. Dies war so beabsichtigt, denn seine Lehre richtete sich explizit nicht an das religiöse Establishment, sondern vielmehr an die armen und ungebildeten Bevölkerungsschichten Ägypten.

 

Al-Banna war sich aber bewusst, dass Worte alleine zur Mobilisierung der Massen nicht ausreichen würden. Aus diesem Grunde kombinierte die Muslimbruderschaft ihre religiöse Lehre mit Wohltätigkeit in der Form zahlreicher sozialen Institutionen wie etwa Suppenküchen, Spitäler, Schulen oder auch Sportvereine. Diese Strategie ist auch bekannt als Da’wa, dem Ruf zum Islam. Damit ist nicht nur die Bekehrung von Ungläubigen gemeint, sondern auch die Missionierung jener Muslime, die der Lehre des Islam (bzw. deren jeweiligen Interpretation) nicht oder nicht konsequent genug folgen und deshalb auf den „rechten Weg“ zurückgeführt werden sollen. Das Programm der Muslimbruderschaft fokussierte also folglich auf eine Islamisierung „von unten.“

 

Doch während Da’wa das wohl wichtigste Mittel der Muslimbrüder war, beschränkten sie sich nicht darauf. Al-Banna selbst schrieb, dass die Muslime ihre politische Würde seit der Entstehung des Islam nur dann gewahrt hätten, wenn sie die Pflicht zum Jihad ernst nahmen. Religion, und damit das Gewissen des Gläubigen, könne Gewalt und Jihad unter gewissen Umständen legitimieren. Al-Bann erlaubte denn auch den radikaleren Mitgliedern der Muslimbruderschaft, eine geheime paramilitärische Organisation (al-nizam al-khass, „die Geheimorganisation“) aufzubauen, die für zahlreiche Gewaltakte wie etwa Bombenattentate oder die Ermordung von politischen Rivalen verantwortlich war. Die Muslimbruderschaft war auch mitverantwortlich für antijüdische Pogrome, pflegte freundliche Beziehungen zu Nazi-Deutschland und beteiligte sich am Krieg gegen Israel im Mai 1948.

 

Doch trotz Al-Bannas Jihad-Rhetorik und seinem Bestreben, in Ägypten eine islamische Ordnung basierend auf der Scharia zu etablieren, bzw. „im islamischen Vaterland frei von ausländischem Einfluss einen islamischen Staat zu schaffen“, lehnte die Muslimbruderschaft Konzepte wie der modernen Nationalstaat oder Demokratie nicht ab, sondern argumentierte, dass diese mit der islamischen Lehre vereinbar seien (allerdings interpretiert Al-Banna Konzepte wie „Demokratie“ und „Patriotismus“ gemäß seinem Islamverständnis um). Al-Banna selbst nahm an den ägyptischen Präsidentschaftswahlen teil (die er verlor) und die Ableger der Muslimbruderschaft in verschiedenen islamischen Ländern formten Parteien und nahmen an Wahlen teil (allerdings gab es durchaus Unterschiede; die Muslimbruderschaft in Syrien war etwa wesentlich radikaler als die Ennahda in Tunesien). Die Muslimbruderschaft und ihr Ableger erkannten damit nicht nur die Legitimität von Nationalstaaten an, sie sprachen sich auch meist für einen „Dialog mit dem Westen“ (ohne dies genauer zu konkretisieren). Explizit davon ausgenommen war Israel, gegen das auch vermeintlich „moderate“ Islamisten wie Rachid Ghannouchi, der Vorsitzende der Ennahda-Partei in Tunesien, wiederholt zum Jihad aufrief.

 

Die – zumindest einstweilige – Akzeptanz der auf nationalstaatlicher Souveränität beruhenden Weltordnung und Dialogbereitschaft mit dem Westen ist der entscheidende Unterschied zwischen der Muslimbruderschaft und Globaler Jihad-Bewegung. Letztere lehnt beide Ideen, wie überhaupt jegliche Art von Politik, die nicht allein auf der Scharia basiert, konsequent ab. Einzig und alleine der bewaffnete Kampf sowie Da’wa zur Etablierung eines globalen Kalifates ist für sie akzeptabel.

 

Von der Muslimbruderschaft zum Globalen Jihad

 

Ironischerweise war es ein Muslimbruder, dessen Ideen die Entstehung des Salafi-Jihadismus maßgeblich mitbeeinflussten. Sayyid Qutb, ein ägyptischer Literaturkritiker und Lehrer trat in den frühen 1950er Jahren in der Muslimbruderschaft ein, nachdem er zwei Jahre in den USA verbracht hatte, um das das dortige Erziehungssystem zu studieren und sich von den amerikanischen Umgangsformen angewidert und schockiert fühlte. Zurück in Ägypten gab er seinen Beruf als Beamter beim Erziehungsministerium auf und wurde, neben Abul A’la Maududi, zu einem der einflussreichsten Theoretiker des politischen Islam. Qutb argumentierte, dass sich die islamische Gemeinschaft in einer neuen Jahiliyya (Ignoranz, der Begriff bezeichnete die vor-islamische Periode) befinde, da sie in Ländern lebte, die nicht der Scharia folgten. Gemäss Qutb haben einzig die Gesetze Allahs Legitimität, alle anderen widersprechen hingegen dessen Souveränität. Qutb bestand darauf, dass der Koran ewige Gültigkeit habe und nicht in einem bestimmten historischen Kontext verstanden werden müsse. Aus diesem Gründe würden auch die Beschreibungen von Juden als feige und verräterisch heute noch genauso zutreffen wie zu Zeiten von Muhammad.

 

Schließlich argumentierte Qutb, dass Jihad der allumfassende (physisch wie mental) Kampf gegen alles, was der Anbetung Allahs widerspreche. Dieser Kampf ist gemäss Qutb nicht nur gegen Ungläubige zu führen, sondern auch gegen jene Muslime, die vom „rechten Glauben“ abgefallen sind. Qutb ging noch einen Schritt weiter und erklärte die Tötung von muslimischen Staatsoberhäuptern für rechtens, wenn diese nicht gemäss der Scharia regierten. Die Exkommunikation (takfir) von Muslimen als Rechtfertigung für ihre Tötung wurde von einigen späteren Theoretikern der Jihad-Bewegung von Staatsoberhäuptern auf alle Muslime ausgeweitet, ist aber umstritten.

 

Es verwundert nicht, dass Qutbs Ideen in Ägypten unter Ministerpräsident Gamel Abdel Nasser auf wenig Gegenliebe stießen. Qutb wurde nach einem fehlgeschlagenen Anschlag gegen Nasser 1954 verhaftet und schließlich, nach zehnjähriger Haft, Freilassung und der erneuten Festnahme, am 29. August 1966 hingerichtet. Seine Ideen, die er während seiner Haft in Büchern wie „Zeichen auf dem Weg“ und „Im Schatten des Koran“ niederschrieb, beeinflussen den politischen Islam aber bis heute weiter.

 

Und diese Ideen fanden bereits in den 1960er Jahren ihren Weg nach Saudi-Arabien. Aufgrund der Verfolgung durch Nasser flohen viele ägyptische Muslimbrüder dorthin. Saudi-Arabien empfing die Muslimbrüder mit offenen Armen, in der Hoffnung, dadurch den saudischen Pan-Islamismus, ein Gegenkonzept zum säkular-nationalistischen Pan-Arabismus, zu stärken. Die Muslimbrüder spielt denn auch eine wichtige Rolle bei der 1962 gegründeten Muslimischen Weltliga, sowie der Weltversammlung der islamischen Jugend, die zehn Jahre später etabliert wurde. Beide verfügen sie bis heute über enge Beziehungen zum weltweiten Muslimbruderschafts-Netzwerk. Unter den Muslimbrüdern, die nach Saudi-Arabien flohen befand sich auch Muhammad Qutb, Sayyid’s Bruder, der seine Position als Islamgelehrter nutzte, um die Ideen seines Bruders weiterzuverbreiten. Ayman Al-Zawahiri, der heutige Anführer Al-Qaidas, war ein Schützling von Muhammad Qutb und Osama Bin Laden soll angeblich regelmäßig seine öffentlichen Vorlesungen besucht haben.

 

„GLOBALES ISLAMISCHES KALIFAT“

 

In Saudi-Arabien vermischte sich der Polit-Aktivismus der Muslimbruderschaft mit der saudischen Staatsdoktrin des Wahhabismus, einer puritanischen und extrem konservativen Auslegung der Islam, welche die Feindschaft gegenüber allen Nichtmuslimen (sowie islamischen Minderheiten wie Sufis oder Ahmadiyyas) propagierte. Zugleich aber predigte die Ulema (das religiöse Establishment) den unbedingten Gehorsam gegenüber der saudischen Königsfamilie. Die von Qutb beeinflussten Aktivisten der Muslimbruderschaft waren eine Herausforderung und die islamische Revolution im Iran zu Beginn des Jahres 1979, sowie die Besetzung der Grossen Moschee von Mekka durch Extremisten, welche den Sturz des Königshauses forderten, trugen nicht zur Beruhigung von Königsfamilie und Ulema bei.

 

Saudi-Arabien zögerte deshalb nicht lange, und nutzte den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan als Chance, um sich als den primären Verteidiger des Islam zu präsentieren. Gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI organisierte Saudi-Arabien finanzielle und logistisch Unterstützung für arabische Freiwillige, die aus zahlreichen Ländern in den Jihad gegen die „gottlose Sowjetunion“ zogen. Unter ihnen befanden sich auch Osama Bin Laden und Abdallah Azzam, die beiden Gründer von Al-Qaida.

 

Mit tatkräftiger saudischer Unterstützung wurde der antisowjetische Jihad zur Geburtsstunde der Globalen Jihad-Bewegung, die sich nach wenigen Jahren auch gegen das saudische Königshaus wandte. Ihr Ziel ist die Befreiung aller muslimischer Länder aus der Hand der Ungläubigen und der „Apostaten“-Regimes und die Etablierung eines globalen islamischen Kalifats. Auf die Geschichte und Ideologie ihrer Vertreter wird später diese Reihe genauer eingegangen werden. Zunächst widmet sich aber ein weiterer Teil dieser Serie der Bedeutung von Antisemitismus und Israelfeindschaft für die Hamas.

 

Die Wurzeln der Hamas reichen Jahrzehnte zurück bis zu den Zeiten des britischen Mandats für Palästina vor der Staatsgründung Israels. 1935 besuchte Abdel Rahman Al-Banna, der Bruder von Muslimbruderschaft-Gründer Hassan Al-Banna, den für seine spätere Kollaboration mit dem Nazi-Regime berüchtigten, Jerusalemer Mufti Hajj Amin Al-Husseini. Infolge des Treffens stimmte Hassan Al-Banna der Etablierung eines Zentralkomitees zur Unterstützung Palästinas zu, welches gegen die britische Präsenz protestierte und die palästinensischen Nationalbestrebungen unterstützte. Ab 1936 beteiligten sich Freiwillige der Muslimbruderschaft an der sogenannten „Arabischen Revolte“, die sich sowohl gegen jüdische als auch britische Interessen richtete. 1945 gründete Said Ramadan, der Vater von Tariq und Hani Ramadan und die zentrale Figur beim Aufbau des Muslimbruderschaft-Netzwerks im Westen, in Jerusalem eine Filiale der Muslimbruderschaft. Zwei Jahre später verfügte die Muslim Bruderschaft über 25 Zweigstellen im Mandatsgebiet und zwischen 12000 bis 20000 Mitglieder.

 

Von 1948 bis 1967 gab es keine einheitliche palästinensische Muslimbruderschaft, stattdessen wurden ihre Strukturen in Gaza in die ägyptische Mutterorganisation integriert und jene im Westjordanland in den jordanischen Ableger. Doch als Israel im Sechstagekrieg die Kontrolle über Gaza und das Westjordanland von Ägypten bzw. Jordanien zurückgewann, führte dies auch zu einer Wiedervereinigung der palästinensischen Muslimbruderschaft. Nach 1967 verstärkten die Muslimbrüder ihre Aktivitäten. Von israelischer Seite wurden die religiösen Aktivitäten zumindest toleriert, denn sie wurden als Gegenwicht zu den terroristischen Aktivitäten der Palästinensischen Befreiungsorganisation betrachtet.

 

Israel erlaubte Sheikh Ahmad Yassin, dem späteren Gründer der Hamas, die Etablierung des Mujamma al-Islami (Islamisches Zentrum) und gab diesem den Status einer wohltätigen Organisation. Israel hoffte, dass dadurch ein Gegengewicht zu den nominell säkularen palästinensischen Terrororganisationen geschaffen würde. Denn im Gegensatz zu PLO und PFLP waren die palästinensischen Muslimbrüder zu diesem Zeitpunkt nicht an einer gewalttätigen Konfrontation interessiert, sondern fokussierten auf die Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft.

 

Der Ausbruch der Intifada im Dezember 1987 bestärkte allerdings eine radikale Fraktion der Muslimbruderschaft, welche den bewaffneten Kampf forderte. Kurze Zeit später gründete diese die Hamas. 1989 begannen die Hamas ihre Attacken gegen Israel, als sie innert drei Monaten zwei israelische Soldaten entführte und tötete. Im gleichen Jahr verurteilte Israel den Hamas-Gründer Yassin zu einer lebenslangen Haftstrafe aufgrund der Ermordung palästinensischer „Kollaborateure“ (allerdings wurde er bereits 1997 freigelassen) und verbot die Terrororganisation. Ironischerweise gewann die Hamas durch das Verbot an Glaubwürdigkeit unter den Palästinensern, die der Organisation zuvor aufgrund der Tolerierung durch Israel misstraut hatten.

 

Nachdem im Dezember 1992 sechs israelische Soldaten ermordet durch palästinensische Terroristen wurden, ließ Ministerpräsident Yitzhak Rabin über 400 Mitglieder der Hamas sowie des Palästinensischen Islamischen Jihads (PIJ) in den von Israel kontrollierten Südlibanon deportieren. Dort knüpften die beiden Organisationen Kontakte mit der Hisbollah und deren Patron Iran. Die Unterstützung durch Hisbollah und Iran ermöglichte der Hamas, ihre militärischen Kapazitäten auszubauen. 1993 bildete Teheran gemäß ägyptischen Geheimdienstquellen 3000 Hamas-Mitglieder im Sudan und Iran militärisch aus. Gemäß der PLO verpflichtet sich der Iran zudem zu einer jährlichen Zuwendung von 30 Millionen US-Dollar an die Hamas. Als Israel den exilierten Hamas- und PIJ-Mitgliedern 1993 unter Druck der Weltöffentlichkeit und des Friedensprozesses die Rückkehr nach Israel erlaubte, war die Hamas wesentlich besser organisiert als noch ein Jahr zuvor.

 

Gemeinsam mit dem PIJ und anderen radikalen PLO-Fraktionen versuchte die Hamas, den Friedensprozess durch Terroranschläge zu torpedieren. Zugleich nutzte sie die 1990er Jahre, um ihre Strukturen weiter auszubauen und ihren Einfluss, insbesondere in Gaza, zu konsolidieren.

 

Der Ausbruch der Zweiten Intifada im Jahr 2000 war der Beginn einer beispielslosen Kampagne von Selbstmordanschlägen in Israel. Hamas, PIJ und die Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden der vermeintlich „moderaten“ Fatah begingen 40 Selbstmordanschläge im Jahr 2001, bzw. 47 in 2002. Die grosse Mehrheit dieser Attentate ging auf das Konto der Hamas.

 

Israel beantwortete die Terrorwelle mit gezielten Tötungen. 2004 schaltete es Hamas Gründer Scheich Yassin aus und kurz darauf seinen Nachfolger, Abdelaziz Al-Rantisi, einer der Mitbegründer der Hamas. Zugleich forderte die Hamas die Fatah als Repräsentantin der Palästinenser immer stärker heraus und lieferte sich mit ihr regelmäßig Gefechte, insbesondere in Gaza. Der unilaterale Rückzug Israels aus dem Gazastreifen im Jahr 2005, wurde von vielen Palästinensern als Triumph der Hamas betrachtet und stärkte das Profil der Organisation weiter, welche unmittelbar mit dem Raketenbeschuss auf den Süden Israels begann. Mittlerweile fühlte sich die Hamas stark genug, um die Fatah und ihren neuen Anführer, Mahmud Abbas, welcher die Führung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) nach dem Tod von Yassir Arafat übernahm, politisch herauszufordern.

 

Im Januar 2006 nahm die Hamas zum ersten Mal an den palästinensischen Legislativwahlen teil, gewann die Wahlen prompt und begann mit der Regierungsbildung. Wenige Monate später trat die Regierung bereits wieder zurück und Hamas und Fatah verkündeten die Bildung einer Einheitsregierung. Doch angesichts der gravierenderen Feindseligkeiten zwischen Hamas und Fatah und der Weigerung der ersteren, den Raketenbeschuss gegen Israel einzustellen, scheiterte auch diese. Im Juni 2007 übernahm die Hamas gewaltsam die Macht im Gazastreifen. Seit fast zehn Jahren ist sie de facto Alleinherrscherin in Gaza und bildet eine Parallelregierung zur PA im Westjordanland.

 

Israelfeindschaft bei der Hamas

 

Der bewaffnete Kampf gegen Israel ist die raison d’être der Hamas. Bereits die Einleitung ihrer Charta, ihrem offiziellen Gründungsdokument, lässt keine Zweifel an ihrer Zielsetzung. Dort wird Hassan Al-Banna, der Gründer der Muslimbruderschaft zitiert: „Israel wird solange existieren, bis es vom Islam ausgelöscht wird, so wie der Islam zuvor Andere ausgelöscht hat.“

 

Damit stellt die Hamas auch gleich zu Beginn an klar, dass es sich beim Kampf gegen Israel nicht einfach um einen territorialen Konflikt handelt, sondern um einen Krieg religiöser Natur. Wie im zweiten Teil dieser Artikelserie erwähnt, findet sich diese Denkweise bereits bei Rashid Rida und sie bildet eine der Konstanten in der Geschichte des politischen Islam.

 

In Artikel 6 der Hamas-Charta heißt es: „Die Hamas strebt danach, das Banner des Islam über jedem Zentimeter Palästinas zu hissen“ und Artikel 11 beschreibt Palästina als „islamisches Waqf (heiliges Land nur für Muslime) bis zum Tag des Jüngsten Gerichts.“

 

Zudem wird der Kampf gegen Israel an mehreren Stellen als individuelle Pflicht eines jeden Moslems beschrieben. Hier bedient sich die Hamas der Idee von „Fard Ayn“, der individuellen Pflicht zum defensiven Jihad, die fest im Islam verankert ist. Dieses Konzept wurde in den 1980er Jahren insbesondere von Abdallah Azzam, einem Mitbegründer von Al-Qaida, popularisiert.

 

Die Charta ist zudem ein Musterbeispiel für die Verbindung von Da’wa (islamische Missionierung) mit dem bewaffneten Kampf. Artikel 16 betont die Bedeutung einer islamischen Erziehung mit dem Studium von Koran, Sunna und islamischer Geschichte, aber auch „des Feindes, seiner Stärken und Schwächen, seinen Verbündeten, sowie seiner Kapazitäten.“ Artikel 17 und 18 widmen sich der Rolle der muslimischen Frau, die als Schöpferin der Männer für die Erziehung der nächsten Generationen verantwortlich sei. Der Feinde hätte die Bedeutung ihrer Rolle ebenfalls erkannt und versuche deshalb, sie mit allen Mitteln vom Weg des Islam abzubringen. In Artikel 19 wiederum ist die Rede von islamischer Kunst, die sich von der vor-islamischen (jahili) Kunst unterscheide. Laut Hamas sind alle Formen von Kunst, egal ob Buch, Artikel, Predigt, Gedicht, Lied oder Theaterstück ein Mittel zur „ideologischen Mobilisierung.“

 

Befreiung von „ganz Palästina“

 

Angesichts dieser Passagen wird klar, dass der bewaffnete Kampf für die Hamas einhergeht mit einer umfassenden Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft, welche auf die „Befreiung des Vaterlands“ bzw. die Vernichtung Israels eingestimmt werden soll. Dabei handelt es sich nicht nur um graue Theorie. Die Hamas führt nicht nur regelmässig Krieg gegen Israel, sondern erzieht die palästinensische Jugend gemäß ihren Vorstellungen. In ihren Sommerlagern werden bereits Kinder auf den bewaffneten Kampf und den glorreichen Märtyrertod vorbereitet.

 

Daneben führt die Hamas ihren Kampf auch auf der politischen Ebene, sowohl in der palästinensischen Arena als auch international, wo sie unter anderem in der Europäischen Union kontinuierliche Lobbyarbeit betreibt, zum Teil auch unter Mithilfe von Schweizer Politikern.

 

Obwohl Artikel 13 ihrer Charta verkündet, dass „sogenannte friedliche Lösungen und internationale Konferenzen im Widerspruch zu den Prinzipien der Islamischen Widerstandsbewegung [stehen],“ behaupten Sympathisanten der Hamas regelmäßig, sie hätte ihrem ursprünglichen Ziel zur Vernichtung Israels abgeschworen und sei bereit zu einem vollständigen Waffenstillstand auf Basis der Grenzen von 1967. Doch für jede vermeintliche Anerkennung Israels finden sich dutzende Aussagen von Hamas-Anführern, welche die Befreiung von „ganz Palästina“ ankündigen.

 

Antisemitismus bei der Hamas

 

Antisemitismus spielt eine entscheidende Rolle in der Ideologie der Hamas. Wie sich in der Charta der Hamas zeigt, speist sich ihre Judenfeindschaft aus unterschiedlichen Quellen. Einerseits übernimmt die Hamas die Topoi einer jüdischen Weltverschwörung, die auch im Vernichtungsantisemitismus der Nazis zu finden waren. Andererseits wird die Judenfeindschaft aber auch religiös begründet, beispielsweise unter Berufung auf die berüchtigte Gharqad-Hadith, die in Artikel 7 der Charta zitiert wird:

 

Die letzte Stunde wird nicht schlagen, bis die Muslime die Juden bekämpfen und töten, sodass die Juden sich hinter Steinen und Bäume verstecken. Die Steine oder Bäume sagen jedoch: O, Muslim! O, Diener Gottes, ein Jude versteckt sich hinter mir. Komm und töte ihn! Nur al-Gharqad nicht; denn er ist einer der Bäume der Juden. (berichtet von Muslim & al-Bukhari)“

 

Diese Hadith ist ein Klassiker in der Rhetorik jihadistischer Gruppierungen und findet sich auch bei Al-Qaida und dem Islamischen Staat. Die Hamas lässt in ihrer Charta zudem verlauten, dass „Israel, das Judentum und die Juden“ den Islam und die Muslime herausforderten (Art. 28) und dass „islamische Gruppen“ (d.h. Gruppen wie die Hamas, im Gegensatz zu „säkularen“ Organisationen) am besten geeignet sind für den Kampf gegen die „kriegstreibenden Juden“ (Art. 32). Damit steht die Hamas in der Tradition von islamistischen Vordenkern Rashid Rida, Al-Banna und Qutb, für die der israelisch-arabische Konflikt stets ein Krieg zwischen Islam und Judentum war, statt einem territorialen Konflikt.

 

Neben diesen religiösen Motiven finden sich in der Charta auch viele Elemente, die dem modernen europäischen Antisemitismus entnommen wurden. So behauptet die Hamas etwa, die „Zionisten“ hätten die Freimaurer, Rotarier und den Lions Club infiltriert und würden hinter der französischen Revolution, dem Kommunismus, so wie den beiden Weltkriegen stecken. Der offensichtliche Bezug auf die „Protokolle der Weisen von Zion“ wird in Artikel 32 explizit gemacht, wo es heisst, dass die Protokolle die „Pläne des Weltzionismus“ verkörpern würden.

 

„Alle Juden vernichten“

 

Der Antisemitismus der Hamas beschränkt sich keineswegs auf ihre Charta. In einem Artikel in der Hamas-Zeitung „al-Risala“ (21. August 2003) behauptete Hamas-Mitgründer Abdelaziz Al-Rantisi, der „falsche Holocaust“ sei die grösste Lüge überhaupt, welche von den Zionisten erfunden wurde. Diese hätten Juden an die Nazis verraten, um die Juden einzuschüchtern und so zur Emigration nach Palästina zu zwingen. Al-Rantisi schreibt zu dem, dass der Vergleich von Zionisten mit Nazis eine Beleidigung für die Nazis sei. Denn die Verbrechen der Nazis seien nur ein „kleiner Partikel verglichen mit dem Terror der Zionisten gegen das palästinensische Volk.“

 

Ein weiteres klassisches Motiv in der antisemitischen Rhetorik der Hamas ist die Behauptung, die Juden würden Christenblut für die Herstellung von Pessach-Matzot verwenden. Hamas-Sprecher Osama Hamdan stellte diese Behauptung im Juli 2014 auf und erklärte zudem, dies sei der Grund weshalb die Israelis insbesondere Kinder ins Visier nehmen würden – es sei in ihrer zionistischen Psyche verankert. Ebenfalls im Juli 2014 bekräftigte ein Hamas-Geistlicher, dass man „alle Juden vernichten“ werde.

 

Dieser eindeutigen Beweislage zum Trotze gibt es westliche Hamas-Sympathisanten, denen zufolge im heutigen politischen Programm der Organisation, „keine antisemitischen Polemiken, welcher Art auch immer, zu finden“ seien. Sie beziehen sich unter anderem auf eine Passage in der Hamas-Charta, die von einer „friedlichen Koexistenz“ von Christen, Muslimen und Juden spricht. Tatsächlich scheint die Hamas eine solche Position nicht vollständig auszuschließen und Politbürochef Khaled Meshaal verkündete etwa, Juden könnte als „geschützte Minderheit“ in einem muslimischen Staat leben. Allerdings bleibt fraglich, wie viel Bedeutung solchen vereinzelten Aussagen zugemessen werden kann. Zum einen ist die Hamas auch nach fast drei Jahrzehnten nicht von den antisemitischen Motiven ihrer Gründungscharta abgerückt. Zum anderen ist evident, dass eine „friedliche Koexistenz“ zwischen Muslimen, Christen und Juden für die Hamas nur nach der Zerstörung Israels denkbar ist.

 

1988 gründeten Osama Bin Laden und Abdullah Azzam in Afghanistan Al-Qaida. Bin Laden war der Sohn eines saudisch-jemenitischen Unternehmers, der über gute Kontakte zur saudischen Königsfamilie verfügte. Azzam wurde 1941 in der Nähe von Jenin geboren und seine Familie zog nach dem Sechstagekrieg nach Jordanien. 1969 schloss er sich der Muslimbruderschaft an und studierte später in Kairo, wo er ein Doktorat in islamischer Jurisprudenz erlangte. Nach einem kurzen Aufenthalt in Saudi-Arabien begann er in den frühen 1980er Jahren an der Islamischen Universität Islamabad in Pakistan zu unterrichten. 1984 gab er diese Stelle auf, um sich auf den Jihad im benachbarten Afghanistan zu konzentrieren. Gemeinsam mit Bin Laden gründete Azzam in Peshawar das Makhtab al-Kadamat, das Dienstleistungsbüro für Mujaheddin, welches arabische Jihadisten in Afghanistan finanziell und logistisch unterstützten.

 

Gemäss Lawrence Wright gründeten Azzam, Bin Laden und Anführer des Ägyptischen Islamischen Jihads, darunter Ayman Al-Zawahiri am 11. August 1988 Al-Qaida, wobei der Name der Organisation für mehrere Jahre geheim gehalten wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die Niederlage der Sowjetunion bereits absehbar und die arabischen Jihadisten drängte es nach der „Befreiung“ aller muslimischer Länder. Allerdings waren sie sich nicht einig, wo der nächste Jihad zu führen sein. Während für Azzam die Befreiung Palästinas die höchste Priorität einnahm, betonte Zawahiri – in Einklang mit der Lehre von Sayyid Qutb und der Takfir-Ideologie –  die Notwendigkeit des Kampfes gegen „Apostaten-Regimes“, insbesondere demjenigen in seiner Heimat Ägypten. Sowohl Azzam als auch Zawahiri kämpften um die Gunst Bin Ladens, der Dank seinem Vater über beträchtliche finanzielle Mittel verfügte. Allerdings nahm diese Konkurrenz ein jähes Ende, als Abdullah Azzam bei einem Bombenanschlag im November 1989 gezielt ermordet wurde. Bis heute ist unklar, wer für seine Tötung verantwortlich ist.

 

Bis Mitte der 1990er-Jahre fokussierte sich Al-Qaida vor allem auf den „nahen“ Feind und bekämpfte arabische Regimes unter anderem in Ägypten und Jemen. Al-Qaida-Mitglieder und Sympathisanten beteiligten sich zudem an den Kriegen im Balkan und am Tschetschenienkonflikt. Spätestens gegen Mitte der 1990er-Jahre nahm Al-Qaida aber zunehmend den „fernen Feind“, d.h. den Westen und insbesondere die USA ins Visier. Al-Qaida spekulierte, dass die arabischen „Apostaten-Regimes“ sich nur durch Unterstützung der Vereinigten Staaten an der Macht halten konnten. Einen Rückzug der USA aus der Region hätte demnach ihren Sturz zur Folge gehabt. Am 23. Februar 1998 veröffentlichten Bin Laden, Zawahiri, sowie drei weitere Jihadisten aus Ägypten, Pakistan und Bangladesch einen Appell der „Weltislamischen Front“, der zum „Heiligen Kriegen gegen Juden und Kreuzfahrer aufrief. Einige Monate später, im August 1998, erfolgten die zeitgleichen Anschläge gegen die US-Botschaften in Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania). Zwei Jahre später führte Al-Qaida einen Anschlag gegen das US Schlachtschiff USS Cole im Golf von Aden durch. Noch ein Jahr später erfolgte schliesslich der blutigste Anschlag der Organisation, der 11. September 2001.

 

Doch statt sich aus dem Nahen Osten zurückzuziehen, zerstörten die USA stattdessen die Infrastruktur von Al-Qaida in Afghanistan, die dadurch ihr von der Taliban-Regierung beschütztes Refugium verlor. Während Al-Qaida zuvor eine relativ hierarchisch strukturierte Organisation gewesen war, nahm sie nach der US-Invasion in Afghanistan die wesentlich diffusere Form einer Bewegung an, mit Ablegern und Partnerorganisationen in zahlreichen Ländern. Seit Osama Bin Laden’s Tod im Mai 2011 ist Ayman Al-Zawahiri ihr neuer Anführer.

 

Israelfeindschaft bei Al-Qaida

 

Der Jihad zur „Befreiung Palästinas“ war ein konstantes Thema in den Verlautbarungen Bin Ladens. Verschiedene Jihadismus-Experten wie etwa Thomas Hegghammer haben wiederholt darauf hingewiesen, dass Palästina eine zentrale Rolle in der Strategie Al-Qaidas einnimmt. Israel hatte zwar nie oberste Priorität für Bin Laden und Co., aber der Grund dafür lag nicht etwa in einer geringen Bedeutung. Vielmehr sollten mit der Vertreibung der USA aus der Region und dem Sturz der arabischen Regimes die Bedingungen geschaffen werden, um Palästina zu befreien. Von Bin Laden ist eine Anekdote überliefert, gemäss der er die Frage seines Sohnes, warum Al-Qaida die USA statt Israel bekämpfe wie folgt beantwortete: Israel und die USA seien wie ein Fahrrad, Israel sei ein eisernes Rad und die USA ein hölzernes. Es sei einfacher, zuerst das hölzerne zu zerstören.

 

Tatsächlich halten sich erfolgreiche und fehlgeschlagene Angriffe gegen israelische Ziele in Grenzen. Der vermutlich schwerste ereignete sich am 28. November 2002 (während Hanukkah) in Kenia, als bei einem Selbstmordanschlag gegen ein Hotel mit israelischem Besitzer dreizehn Personen starben, darunter 3 Israelis. Zeitgleich feuerten Terroristen eine Rakete auf ein Flugzeug der israelischen Fluggesellschaft Arkia ab, verfehlten aber ihr Ziel. Umstritten ist das Selbstmordattentat gegen die Mike’s Place-Bar in Tel Aviv im Jahr 2003. Zwar bekannte sich die Hamas zu dem Anschlag, aber es gibt Hinweise darauf, dass die beiden britischen Selbstmordattentäter mit pakistanischem Hintergrund von Al-Qaida rekrutiert worden waren.

 

Daneben gab es auch weitere Versuche wie etwa 2005 in der Schweiz, als die Salafistische Gruppe für Gebet und Kampf (GSPC), eine Partnerorganisation von Al-Qaida und die Vorgängerorganisation von Al-Qaida im Islamischen Magreb (AQIM), ein El Al-Flugzeug beim Start in Genf abzuschiessen plante. Der Anschlag wurde frühzeitig vom Schweizer Geheimdienst verhindert.

 

Antisemitismus bei Al-Qaida

 

Auch Antisemitismus spielt eine zentrale bei Al-Qaida. Im Appell der Weltislamischen Front vom Februar 1998 behauptet Al-Qaida, dass Juden die USA kontrollieren würden. Bin Laden wiederholte diese Behauptung in zahlreichen Interviews und verkündete zudem, die Juden würden auch die britische Regierung kontrollieren.

 

„Jihad gegen Juden“

 

Die Juden waren stets eines der wichtigsten Ziel für Al-Qaida und die Organisation rief wiederholt zum „Jihad gegen Juden“ auf. Auch Inspire, das englischsprachige Magazine von Al-Qaida in der Arabischen Halbinsel rief im Mai 2012 dazu auf, jene Ziele anzugreifen, „wo sich Juden versammeln, ihre Anführer und wichtigsten Institutionen in Europa.“ Zudem stellte Inspire klar, dass Juden neben „Polytheisten“ die „größten Feinde“ des Islam seien. Der schwedische Historiker Brynjar Lia hat zurecht festgehalten, dass die Juden die einzige Gruppe sind, die von Al-Qaida nie positiv erwähnt, bzw. denen nie ein Friedensangebot gemacht wurde.

 

Al-Qaida führte mehrere Anschläge gegen jüdische Ziel durch, etwa gegen die Synagoge von Djerba im September 2002, sowie gegen jüdische Gemeindezentren in Casablanca und Istanbul ein Jahr später. Auch der Anschlag von Mohammed Merah in Toulouse 2012 hat einen Bezug zu Al-Qaida. Während Merah oftmals als sogenannter „Lone Wolf“ beschrieben wurde, hatte zuvor in Pakistan bei Jund al-Khilafa, einer Gruppierung mit Al-Qaida-Verbindungen, trainiert. Der Anführer von Jund al-Khilafa war niemand anderes als Moez Garsalloui, ein Schweizer Staatsbürger tunesischer Herkunft, der gemeinsam mit seiner Ehefrau jahrelang eines der wichtigsten Jihad-Internetforen betrieben hatte. Im Jahr 2012 wurde Garsalloui, einer der Top-Al-Qaida Kommandanten in Nord-Waziristan bei einem amerikanischen Luftangriff getötet.

 

Al-Qaida und Hamas

 

Sowohl Al-Qaida als auch Hamas entstanden beinahe zeitgleich gegen Ende der 1980er Jahre. Darüber hinaus verfügten sie mit Abdullah Azzam über eine besonders starke Verbindung. Azzam, Mitbegründer von Al-Qaida und Zeit seines Lebens Mitglied der Muslimbruderschaft, war bekannt für seine Sympathie gegenüber Scheich Yassin und der Hamas. Er verfasst ein Buch über die Terrororganisation, in dem er schlussfolgerte, dass die Hamas die einzige Gruppierung sei, die Palästina befreien könne. Azzam half zudem, die Hamas zu finanzieren und sammelte etwa während seinen Reisen in die USA, wo er für die Unterstützung des antisowjetischen Jihads warb, auch finanzielle Mittel für die palästinensische Gruppierung. Im Gegenzug führte die Hamas im Dezember 1989 einen Generalstreik durch um gegen die Ermordung Azzams zu protestieren. Zudem benannte sie verschiedene Einrichtungen und Einheiten nach ihm, etwa ihr militärischer Flügel im Westjordanland (später vereinheitlicht in Al-Qassam-Brigaden) sowie die Shahid Dr. Abdullah Azzam-Militärakademie, die 2006 in Gaza eröffnet wurde.

 

Allerdings hat sich in den vergangenen zehn Jahren das Verhältnis zwischen der Hamas und Al-Qaida stark verschlechtert. Al-Qaida kritisierte erstere für deren Beteiligung an den palästinensischen Legislativwahlen im Jahr 2006, sowie ihren positiven Bezug auf den palästinensischen Nationalismus als unislamisch. An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen der Hamas als Vertreterin der Muslimbruderschaft und der salafistisch-jihadistischen Al-Qaida deutlich. Al-Qaida warf der Hamas ebenfalls vor, das palästinensische Volk zu verraten, da sie bereit sei, Waffenstillstände mit Israel einzugehen. Zudem kritisierte Al-Qaida die Hamas für ihren mangelnden Antiamerikanismus, die höchstens partielle Einführung der Scharia in Gaza, sowie ihre Zusammenarbeit mit Iran und der Hisbollah.

 

Auf der anderen Seite wirft die Hamas Al-Qaida vor, dass ihre Unterstützung für die Palästinenser ausser wohlfeilen Erklärung wenig Konkretes zu bieten habe. Die Hamas war auch stets darauf bedacht, den Einfluss von Al-Qaida und den ihr nahestehenden Gruppierungen im Gazastreifen einzuschränken. Wiederholt ging sie gegen salafistisch-jihadistische Organisationen vor, oftmals mit tödlichem Ausgang. Die Hamas ist sich bewusst, dass mit der Globalen Jihad-Bewegung sympathisierende Bewegungen eine Herausforderung für ihre Herrschaft im Gazastreifen darstellen.

 

 

Spätestens seit seiner Offensive im Irak im Juni 2014 ist der Islamische Staat (IS) zu der wohl berüchtigtsten Terrororganisation der Welt avanciert und hat Al-Qaida damit zumindest einstweilen den Rang abgelaufen. Nebst ihrem Kerngebiet in Irak und Syrien verfügt die Organisation über zahlreiche Ableger (sogenannte Wilayat, Arabisch für Provinzen) und Sympathisanten in aller Welt.

 

 

Entstehung

 

Der Vorläufer des IS war eine Terrororganisation namens Jama’at Al-Tawhid w’al Jihad (Organisation des Monotheismus und Jihad), die von Abu Musab al-Zarqawi im Jahr 2002 gegründet wurde. Bereits zuvor hatte sich Zarqawi, der eine Gefängnisstrafe in Jordanien absass, nachdem er das Königreich und dessen Friedensvertrag mit Israel massiv kritisierte, mit seinen radikalen Traktaten einen Namen gemacht. Nach seiner Entlassung im Jahr 1999 eröffnete er – mit finanzieller Unterstützung Bin Ladens – ein Trainingscamp in Herat, Afghanistan, in dem zu Beginn der US-Militäroperationen im Oktober 2001 zwischen 2000-3000 Kämpfer trainierten.

 

Im Vorfeld der US-Invasion im Irak, begann Zarqawi in Koordination mit Al-Qaida, ein ausgeklügeltes Netzwerk bestehend aus geheimen Unterschlüpfen, Waffenlagern und Informanten zu etablieren. Nach Beginn der Invasion führte seine Organisation zahlreiche Anschläge durch, etwa gegen das UN-Hauptquartier in Bagdad und den schiitischen Imam Ali Schrein in Najaf. Im Oktober 2004 schwor Zarqawi Bin Laden seine Treue und benannte seine Gruppe in Al-Qaida im Irak (AQI) um. Allerdings war das Verhältnis zwischen den beiden Terroranführern stets kompliziert. Bin Laden beunruhigte Zarqawis unbändiger Hass auf Schiiten und die Tatsache, dass bei seinen Anschlägen viele muslimische Zivilisten zu Schaden kamen. In einem von US-Geheimdiensten abgefangenen Schreiben aus dem Jahr 2005 kritisierte Bin Ladens Stellvertreter Al-Zawihiri Zarqawi für seine brutale Vorgehensweise. Zarqawi allerdings zeigte sich davon wenig beeindruckt und verfolgte weitere seine brutalen Taktiken. Nach seinem Tod durch einen US-Angriff im Juni 2006 benannte sich AQI erneut um. Die Organisation hiess von nun an Islamischer Staat des Irak (ISI), ihre brutalen Taktiken behielt sie allerdings bei. Dies führte zunehmend zu Widerstand unter den sunnitischen Stämmen Iraks, die zuletzt mit dem US-Militär und irakischen Sicherheitskräften kooperierten und die Terrororganisation dadurch entscheidend schwächten.

 

Nachdem zwischen 2006 mehrere Anführer der Organisation getötet worden waren, übernahm im Jahr 2010 Abu Bakr Al-Baghdadi die Führung. Der Islamische Staat des Irak nutzte den vollständigen Abzug der Militärkoalition im Jahr 2011, um sich neu zu organisieren. Unterstützt von Spannungen zwischen der schiitischen Regierung unter Nouri Al-Maliki und den irakischen Sunniten fand der ISI bald zu alter Stärke zurück und fokussierte auf die Befreiung von Gefangenen, bevor er später irakische Sicherheitskräfte durch gezielte Attentate ins Visier nahm. Zugleich expandierte Al-Baghdadi ins benachbarte Syrien, wo in der Zwischenzeit der Bürgerkrieg tobte. Im April 2013 verkündete Baghdadi die Umbenennung der Gruppe in Islamischer Staat in Irak und al-Sham (ISIS). Dies wurde aber sowohl von Jabhat Al-Nusra, dem Al-Qaida Ableger in Syrien, und Kern-Al-Qaida abgelehnt und führte zu einem erbitterten Streit, der schliesslich zum Ausschluss von ISIS aus dem Al-Qaida-Netzwerk führte.

 

Kurz nach seiner Offensive im Juni 2014 verkündete Al-Baghdadi die Wiedergründung des Kalifats und benannte die Organisation erneut um, diesmal in Islamischer Staat (IS). Seit 2014 hat der IS zahlreiche Ableger in verschiedenen Ländern gewonnen, darunter viele ehemalige Verbündete von Al-Qaida. Während er in seinem Kerngebiet militärisch immer stärker unter Druck gerät, hat er weltweit eine Terrorwelle entfesselt. Gemäss dem European Counter-Terrorism Center muss davon ausgegangen werden, dass der IS versuchen wird, seine Terrorangriffe in Europa weiter zu expandieren.

 

 

Israelfeindschaft beim Islamischen Staat

 

Wie schon bei Bin Laden spielte Israel auch in der Rhetorik Al-Zarqawis eine wichtige Rolle. Er verkündete, der Islamische Staat in Irak sei das Tor zur Befreiung Palästinas. Und in der zweiten Ausgabe von Dabiq, einem englischsprachigen Online-Magazin des IS, war zu lesen, dass der Islamische Staat Palästina schon bald erreichen werde.

 

Allerdings beschränken sich die anti-israelischen Aktivitäten des IS hauptsächlich auf Rhetorik. Im Vergleich zu Al-Qaida nimmt Israel beim IS aber sogar noch eine geringere Priorität ein. So wurde etwa der jüdische Staat in einer Audiobotschaft von November 2014, die unter anderem eine Auflistung der Feinde des IS beinhaltete, nicht einmal erwähnt. Stattdessen standen an erster Stelle die Schiiten, gefolgt von den ungläubigen arabischen Regimes und zuletzt den „Kreuzfahrern“, das heisst dem Westen.

 

Erst im Dezember 2015 drohte Baghdadi in einer Audiobotschaft, er habe die Juden nicht vergessen und Palästina werde ihr Friedhof sein. Zwei Monate früher hatte die Organisation erstmals ein Video auf Hebräisch veröffentlicht, in dem ein IS-Kämpfer ankündigt, der IS würde die Al-Aqsa Moschee als Eroberer betreten.

 

In einem Artikel im arabischsprachigen Al-Naba Magazin wurde im März 2016 aber erneut klargestellt, dass der Jihad in Palästina keine wichtigere Rolle einnehmen würde als der Jihad anderenorts.

 

Diese geringe Priorität wird reflektiert von der Abwesenheit von IS-Angriffen gegen Israel. Eine Ausnahme ist ein Gefecht an der Grenze zu Syrien im vergangenen November, in dessen Verlauf IDF-Soldaten vier Kämpfer der Khalid Ibn Al-Walid-Armee, einer der IS-nahestehenden Organisation töteten. Gemäss einem Kämpfer der Gruppe war der Angriff nicht mit der IS-Führung abgesprochen gewesen, die aus Angst vor israelischen Vergeltungsschlägen wütend darauf reagierte.

 

Abgesehen davon ist davon auszugehen, dass einige IS-Anhänger in Gaza seit dem Sommer 2014 in sporadische Raketenangriffe gegen Israel involviert waren. Auch diese dürften aber ohne Absprache mit der IS-Führung erfolgt sein. Eine höhere Gefahr geht vom IS-Ableger auf der Sinai-Halbinsel aus. Die IS Provinz Sinai, die bis 2015 unter dem Namen Ansar Bait Al-Maqdes mit Al-Qaida verbündet gewesen war, verfügt mittlerweile über schwere Waffen wie einen erbeuteten ägyptischen Panzer und russische Panzerabwehrwaffen. Israelische Sicherheitskräfte gehen seit September 2016 davon aus, dass die Organisation in den nächsten Monaten einen Angriff gegen Israel durchführen wird.

 

Gemäss israelischen Sicherheitskräften handelte es sich auch beim Täter des Anschlags auf IDF-Soldaten in Jerusalem vom Januar 2017 um einen IS-Anhänger. Allerdings hat der Islamische Staat bislang nicht die Verantwortung dafür übernommen.

 

 

Antisemitismus beim Islamischen Staat

 

Wie bei der Hamas und Al-Qaida sind die offiziellen Verlautbarungen des IS geprägt von einer antisemitischen Rhetorik. Dessen mittlerweile getöteter Sprecher Abu Muhammad al-Adnani bezeichnete in einer Audiobotschaft von September 2014 Präsident Obama als ein „Maultier der Juden“ und behauptete, die Juden hätten gemeinsam mit den Kreuzfahrern hunderttausende Muslime getötet. Zudem zitierte er eine Stelle im Koran, gemäss der die Juden versuchen würden, die Muslime von ihrem Glauben abzubringen.

 

Auch das bereits oben erwähnte IS-Video in hebräischer Sprache ist geprägt von Antisemitismus. So wird etwa angekündigt, dass der Islamische Staat die ganze Welt von der „Krankheit“ der Juden reinigen werde. Wenig verwunderlich finden sich auch in den IS-Publikation wie Dabiq antisemitische „Klassiker“ wie die Gharqad-Hadith und zahlreiche Verschwörungstheorien, wonach Juden beispielsweise die US-Regierung kontrollieren würden. Allerdings nehmen die Juden im Vergleich mit der IS-Propaganda gegen Schiiten, Apostaten und Christen eine eher untergeordnete Rolle ein.

 

Dies hat IS-Anhänger in Europa allerdings nicht davon abgehalten, gezielte Terrorakte gegen jüdische Ziele zu begehen, etwa gegen das jüdische Museum in Brüssel in 2014, den Hyper Cacher-Supermarkt in Paris im Januar 2015, sowie gegen eine Synagoge in Kopenhagen im Februar 2015. Zudem habe laut anonymen Quellen mindestens einer der Attentäter des Anschlags in Brüssel vom vergangenen März am Brüsseler Flughafen gezielt orthodoxe Juden ins Visier genommen.

 

 

Der Islamische Staat und die Hamas

 

Das Verhältnis zwischen dem IS und der Hamas ist ähnlich kompliziert wie zwischen letzterer und Al-Qaida. Der IS kritisierte die Hamas wiederholt für ihren Nationalismus und ihre unzureichende Umsetzung der Scharia in Gaza. Verglichen mit Al-Qaida fällt seine Kritik aber noch schärfer aus und in verschiedenen Publikationen wurden Hamas und Muslimbruderschaft als „Apostaten“ und „Verräter gegenüber dem Islam“ bezeichnet. Während dem Gaza-Krieg von 2014 verbrannten ISIS-Kämpfer in Syrien Palästinenserflaggen, ein klarer Affront gegenüber der Hamas.

 

Im Gegenzug verurteilte die Hamas den Anschlag auf Charlie Hebdo im Januar 2015 (die Opfer des Hyper Cacher Anschlags wurden nicht erwähnt) sowie den Terrorakt in Paris im November 2015. Der der Hamas nahestehende Muslimbruderschaft-Geistliche Scheich Yussuf Al-Qaradawi erklärte, dass das IS-Kalifat illegitim sei. Zudem geht die Hamas entschlossen gegen IS-Anhänger vor. So zerstörte sie im Mai 2015 eine Salafistenmoschee in Gaza und verhaftete wiederholt IS-Sympathisanten. IS-Anhänger in Gaza erklärten gar, die Hamas sei schlimmer als Israel.

 

Während die Hamas aber einerseits IS-Anhänger in Gaza unterdrückt, arbeitet sie eng mit der IS-Provinz Sinai zusammen. IS Sinai Kämpfer erhielten etwa medizinische Versorgung in Gaza sowie militärisches Training durch die Qassam-Brigaden. Diese Kooperation lässt sich unter anderem durch familiäre Banden erklären, da zahlreiche IS-Sinai Kämpfer und Mitglieder der Qassam-Brigaden denselben Beduinenstämmen angehören. Nachdem die Hamas zuletzt wieder verstärkt gegen IS-Elemente in Gaza vorgegangen ist, scheint sie neuerdings ihre Zusammenarbeit mit IS Sinai einmal mehr zu verstärken. Laut der Times of Israel erlaubte sie der Sinai Provinz sogar die Eröffnung eines Propaganda-Büros in Gaza. Zudem beliefert sie die Provinz Sinai mit Waffen und besteuert IS-Schmuggeltunnels zwischen Gaza und Ägypten.

 

Wie diese Artikelreihe aufgezeigt hat, spielen Antisemitismus und Israelfeindschaft sowohl bei Hamas als auch bei Al-Qaida und dem Islamischen Staat (IS) eine bedeutende Rolle. Alle drei Organisationen propagieren den bewaffneten Kampf gegen Israel und machen dabei Gebrauch von antisemitischen Stereotypen. Der vielleicht grösste Unterschied zwischen Hamas auf der einen und Al-Qaida und IS auf der anderen Seite liegt im Verhältnis zwischen Rhetorik und konkreten anti-israelischen Aktivitäten. Während das gesamte Wirken der Hamas auf die „Befreiung Palästinas“, bzw. die Zerstörung Israels fokussiert ist und die Terrororganisation zur Erreichung dieses Ziels auf alle ihr verfügbaren Mittel zurückgreift, setzen Al-Qaida und IS hauptsächlich auf anti-israelische und antisemitische Propaganda. Im Vergleich zur Hamas fällt die Rhetorik der beiden salafi-jihadistischen Organisationen zwar noch extremer aus, beschränkt sich aber mit wenigen Ausnahmen aber auch darauf.

 

Zusätzlich gibt es auch zwischen Al-Qaida und dem IS Unterschiede. Während Al-Qaida das Judentum stets als einen bzw. den Hauptfeind betrachtete, spielt dies in der Propaganda des IS eine geringere Rolle als etwa Christen oder Schiiten.

 

Angriffe von Al-Qaida und dem Islamischen Staat gegen israelische Ziele sind eine Seltenheit, gerade im Vergleich mit der Hamas. Allerdings haben beide Gruppierungen wiederholt jüdische Ziele und Menschen ausserhalb von Israel angegriffen und zu Angriffen gegen solche aufgerufen. Die Hamas wiederum hatte bislang nie einen Anschlag ausserhalb Israels bzw. den Autonomiegebieten verübt, was sie nicht nur von Al-Qaida und Islamischem Staat unterscheidet, sondern auch von anderen palästinensischen Organisationen wie etwa der Fatah oder der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP).

 

Bedrohungslage

 

Nachdem die Hamas im Gaza-Krieg von 2014 empfindliche Verluste erlitten hatte, vergeudete sie keine Zeit, um sich auf den nächsten Konflikt mit Israel vorzubereiten. Ihr Tunnelnetzwerk wird stetig ausgebaut und sie verfügt über ein Arsenal an Raketen, teilweise mit GPS-Unterstützung für eine bessere Zielgenauigkeit. Zudem verfügt sie über Drohnen und die Fähigkeit, Israel via Meer zu infiltrieren, wie sich im Sommer 2014 herausstellte. Die Hamas stellt folglich weiterhin eine strategische Bedrohung (wenn auch keine existenzielle) für Israel dar, allerdings auf einem viel tieferen Niveau als etwa der Iran. Im Zug des „Arabischen Frühlings“ hatte sich ihr Verhältnis mit letzterem massiv verschlechtert (die Hamas weigerte sich, das Assad-Regime zu unterstützen), doch spätestens seit dem vergangenen Sommer scheinen beide Seiten wieder enger miteinander zu kooperieren. Hamas-Angriffe außerhalb Israels und der Autonomiegebiete bleiben weiterhin unwahrscheinlich, insbesondere deshalb, weil die Hamas um internationale Legitimität bemüht ist.

 

 

 

HAMAS

Al-Qaida

Islamischer Staat

Israelfeindschaft

«Raison d’être»

Zentrales Element in Rhetorik

Israel als einer unter vielen Feinden

Akzeptanz von Israel

Nein, aber bereit zu Waffenruhen

Nein

Nein

Methoden

Bewaffneter Kampf, Da’wa, Politik

 Propaganda, Anschläge gegen jüdische Ziele

Propaganda, Anschläge von Anhängern gegen jüdische Ziele

Angriffe ausserhalb Israels

Nein

Ja

Ja

Ziel

«Befreiung Palästinas», Einführung Scharia

Globales Kalifat

Globales Kalifat

Antisemitismus

Ja, aber Andeutung, dass Juden als Dhimmis (Schutzbefohlene) in Palästinenserstaat leben könnten

Ja, Juden als ein/der Hauptfeind

Ja, aber Juden nehmen keine exponierte Stellung unter den Feinden des IS ein

 

Umgekehrt sieht die Lage bei Al-Qaida und dem Islamischen Staat aus. Zwar besteht die Möglichkeit sporadischer Raketenangriffe durch salafi-jihadistische Gruppierungen in Gaza, ein bewaffneter Konflikt mit dem Islamischen Staat oder Jabhat Fatah al-Sham, dem Al-Qaida-Ableger in Syrien, scheint aber mittelfristig eher unwahrscheinlich. Eine Ausnahme besteht im Fall der IS Provinz Sinai, welche in naher Zukunft einen Angriff gegen Israel durchführen könnte, möglicherweise in Koordination mit der Hamas.

 

Nicht auszuschließen sind zudem Anschläge von IS-Sympathisanten innerhalb Israels, wie der Anschlag gegen den Sarona-Markt vom vergangenen Sommer und die Rammattacke in Jerusalem im Januar 2017 gezeigt haben. Eine noch höhere Gefährdung geht von IS-Anhängern in Europa aus, die bereits in der Vergangenheit wiederholt jüdische Ziele angriffen, etwa in Brüssel oder in Paris. Wie sich gezeigt hat, sind solche Anschläge schwer zu verhindern, insbesondere dann, wenn sich Täter bislang unauffällig verhalten und über keine Verbindungen zu bekannten IS-Mitgliedern verfügen.

 

 

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