Als Kibbuz (hebräisch: קִבּוּץ, „Sammlung, Versammlung“; Mehrzahl Kibbuzim) bezeichnet man eine ländliche Kollektivsiedlung in Israel mit gemeinsamem Eigentum und basisdemokratischen Strukturen.
Es gibt etwa 270 dieser Dörfer mit einer Größe von bis zu 1700
Einwohnern. Zu Neugründungen kommt es heute kaum mehr. Zur Zeit der Gründung des Staates Israel lebten etwa acht Prozent der Israelis in einem Kibbuz, heute sind es weniger als zwei Prozent. Es
gab Abwanderungen, besonders der Jugend, die nur teilweise durch Zuwanderung, beispielsweise aus den USA, aufgefangen werden konnte.
Weitere landwirtschaftliche Siedlungsformen sind die zahlreicheren
(etwa 400) Moschawim, die genossenschaftlich organisiert sind, sowie Mischformen aus Kibbuz und Moschaw. Eine weitere Form sind schließlich die (deutlich weniger als 100) Moschawot, die mit
europäischen Dörfern vergleichbar sind. Zusammengeschlossen sind die Kibbuzim in der Kibbuzbewegung (Kibbutz Movement).
Das Mitglied eines Kibbuz bezeichnet man als Chawer (Mehrzahl
Chawerim) bzw. in der weiblichen Form Chawera (Mehrzahl Chawerot) oder auch als Kibbuznik (Mehrzahl Kibbuzniks).
Im Zusammenhang mit den Kibbuzim werden häufig die Begriffe
Kommunismus oder Sozialismus verwendet. Diese Lehren dürfen dabei aber nicht mit dem ehemaligen Realsozialismus in Osteuropa gleichgesetzt werden. So können die Kibbuzim durchaus mit Sozialismus
im ursprünglichen Sinn in Verbindung gebracht werden – während vergleichbare Organisationsformen in realsozialistischen Staaten wie Nordkorea oft nicht auf Freiwilligkeit basieren.
Unterscheiden lassen sich generell säkulare Kibbuzim, die die
jüdischen religiösen Traditionen nicht mehr als verbindlich betrachten (obwohl vielfach die Feste noch begangen werden), und religiöse Kibbuzim, die in verschiedenen Richtungen die
religiösen Traditionen pflegen und für ihre Mitglieder als verbindlich betrachten.
Die Ideologie der Kibbuzgründer war sozialistisch und zionistisch
geprägt. Das Wort Ideologie hat dabei für die Kibbuzniks einen positiven Klang und ist nicht wie heutzutage in Deutschland negativ besetzt. Diese Ausrichtung hatte vor allem zwei
Gründe:
Diese Erfahrungen waren für die Kibbuzgründer wegweisend. Sie wollten
einen jüdischen Arbeiterstaat auf eigenem Boden aufbauen. Geschaffen werden sollte eine klassenlose Gesellschaft mit der Betonung auf Gleichheit und Gemeinschaft. Jeder und jede sollte gemäß dem
Zitat von Marx „nach seinen Möglichkeiten geben“ und „gemäß seinen Bedürfnissen erhalten“.
Als erster Kibbuz wurde am 28. Oktober 1910 von einer zionistischen
Gruppe aus Weißrussland Degania A am Südende des See Genezareth gegründet, bald darauf folgten weitere Kibbuzim (vgl. Tabelle unten). Der Begriff wurde von Jehuda Ja'ari, einem aus
Galizien stammenden jüdischen Dichter, geprägt.
Die Kibbuzim spielten eine entscheidende Rolle bei der jüdischen
Besiedlung Israels. Ein Vorteil der Kibbuzim bestand vor allem in der Anfangszeit darin, dass leichter (Wehr-) Siedlungen in bisher kaum erschlossenen Gegenden gegründet werden konnten (unter
Umständen auch gegen den Willen dort wohnender Palästinenser). Das Land, auf dem die Kibbuzim gegründet wurden, befand sich im Regelfall im Besitz des Jüdischen Nationalfonds.
Es gab auch in Europa, sogar in Deutschland, Siedlungen in der Form
eines Kibbuz, um im Rahmen der Hachschara auf ein Leben in Palästina, dem späteren Israel, vorzubereiten.
In den ersten Jahrzehnten schlug sich die Ideologie stark im
Lebensalltag der Kibbuzmitglieder, der Chawerim, nieder. Entscheidungen wurden in der Mitgliederversammlung basisdemokratisch getroffen. Die einzelnen Chawerim besaßen kein Eigentum, sondern sie
brachten ihre Arbeitsleistung unentgeltlich für das Kollektiv ein. Im Gegenzug stellte der Kibbuz Wohnung, Kleidung, Verpflegung und medizinische Versorgung zur Verfügung. Die Gleichberechtigung
umfasste auch eine Rotation in allen wichtigen Ämtern und bei der Besetzung der Arbeitsplätze.
Die Gleichberechtigung sollte auch die Frauen umfassen. Deswegen
wurden viele hauswirtschaftliche Aufgaben als Dienstleistungen vom Kibbuz angeboten. Es bestanden zentrale Wäschereien, Schneidereien, sowie ein gemeinsamer Speisesaal (der „Chadar-Ochel“); der
Speisesaal war zugleich Kristallisationspunkt des gemeinschaftlichen Lebens, sowohl beim Essen als auch bei Festen und Versammlungen.
In den Kibbuzim war die patriarchalische Kleinfamilie aufgelöst und
die Kindererziehung ebenfalls zentralisiert. Die Kinder wurden je nach Kibbuz schon von Geburt an in einem eigenen Kinderhaus mit Gleichaltrigen erzogen, die Geschwister lebten also jeweils in
einer anderen Kindergruppe. Jede Gruppe wurde von einer eigenen Erzieherin, der sogenannten Metapelet (Mehrzahl: Metaplot) geleitet. Durch den Kontakt zu mehreren Metaplot und den
täglich nur kurzzeitigen Kontakt zu den Eltern waren die jungen Kibbuzniks stark auf ihre Altersgruppe fixiert. Nach einem bestimmten Zeitraum – etwa einem Jahr – erfolgte ein Wechsel zu einer
anderen Metapelet. Trotz der Erziehung außerhalb der traditionellen Familienstrukturen war Hospitalismus unbekannt, eine gesunde Persönlichkeitsbildung üblich. Die strenge Orientierung auf die
Erziehung im Kinderhaus löste sich in den folgenden Jahrzehnten langsam in Richtung „Kindergarten“ auf.
Zur Zeit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 kam es zu einer
Welle von Neugründungen (vgl. Tabelle). Gleichzeitig verloren die Kibbuzim, die in den 1930er Jahren teils als Turm- und Palisadensiedlungen errichtet worden waren, zentrale Aufgaben der
Anfangszeit im Bereich von Besiedlung und Verteidigung, die an den neu gegründeten Staat übergingen.
Noch umfassender waren die Veränderungen der folgenden
Jahrzehnte:
Die Folge dieser Änderungen war eine zunehmende Abkehr von den
alten Prinzipien und nach und nach eine Annäherung an die umgebende marktwirtschaftliche Umwelt.
Die beschriebenen Entwicklungen haben sich in den zurückliegenden
Jahren eher beschleunigt; viele Siedlungen befinden sich wirtschaftlich und ideologisch unter Druck. Hinzu kommt das Problem einer zunehmenden Überalterung, weil die junge Generation den Kibbuz
verlässt, um in die großen Städte zu ziehen.
Viele Kibbuzim haben versucht, sich den Herausforderungen zu stellen.
Häufig wurden die zentralen Dienstleistungen reduziert oder aufgegeben, teilweise existiert nicht einmal mehr der Speisesaal. Privates Eigentum ist inzwischen selbstverständlich; die Chawerim
beziehen ein Gehalt, über das sie verfügen können. Aus den Kinderhäusern sind meist Kindergärten geworden.
Erkennbar ist eine deutliche Entwicklung des Kibbuz hin zu einem „normalen“ Dorf, von „sozialistischen“ Siedlungen kann man kaum mehr sprechen. Eine weitere Auflösung der Kibbuzim und ihrer ursprünglichen Ideale in der Zukunft ist wahrscheinlich. Eine Gegenbewegung stellt der Versuch dar, die Grundidee des Kibbuz auf urbane Umgebungen zu übertragen (Kibbuz Tamuz, Kibbuz Migwan).
Jahr |
Bevölkerung |
Anzahl der Kibbuzim |
1910 |
10 |
1 |
1920 |
805 |
12 |
1940 |
26.554 |
82 |
1950* |
66.708 |
214 |
1970 |
85.110 |
229 |
1990 |
125.100 |
270 |
2001 |
115.500 |
267 |
Nach dem Unabhängigkeitskrieg im Jahr 1949 wurden 50 Kibbuzim neu gegründet. |
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