Ein kürzlich veröffentlichtes Transkript der Protokolle des israelischen Sicherheitskabinetts erzählt über die spannungsgeladenen Sitzungen vor und während des Sechstagekrieges. Der Staatsarchivar Dr.Yaacov Lozowick hat die Protokolle analysiert.
Stellen Sie sich einen Krieg vor, in dem ein Komitee die Befehle gibt. Genau das ist es, was Israel seit 70 Jahren macht. Selbst der Sechs-Tage-Krieg, der beinahe wie ein Wunder anmutet, wurde von einem Komitee geführt. Einem streng geheimen Komitee, dessen Dokumente seit 50 Jahren niemand zu Gesicht bekommen hat. Bis heute: hier sind sie.
Israel hat keinen obersten Befehlshaber. Das Militär untersteht dem Kabinett, in dem jeder Minister, der Ministerpräsident inbegriffen, eine Stimme hat. Oft setzt das Kabinett ein kleineres Komitee ein – das sogenannte Sicherheitskabinett (SK) –, an das es die Aufsicht und Befehligung des Militärs delegiert, ohne dass dies das gesamte Kabinett von seiner rechtlichen Verantwortung entbinden würde. Wenn Entscheidungen von großer Tragweite zu treffen sind, kann der Ministerpräsident das gesamte Kabinett zum SK erklären. Dies sichert die Geheimhaltung, denn auf die Weitergabe von Informationen des SK stehen hohe Strafen. Levi Eschkol hat seine Kollegen oft daran erinnert, dass schon die bloße Tatsache, dass sie sich getroffen haben, ein Staatsgeheimnis ist.
Zwischen Januar und Juli 1967 tagte das SK in unregelmäßigen Abständen 36-mal. Drei Zusammenkünfte fanden in den letzten 24 Stunden des Krieges statt, dann gab es innerhalb von zwei Tagen drei Treffen, in denen es um die Frage ging, was mit den neuen Gebieten geschehen solle. Es gab fünf Treffen im Januar, aber nur eins im März. Während das vollständige Kabinett jede Woche zusammentritt, ist das SK sporadischer Natur, was das Anschwellen und Abebben militärischer Spannungen widerspiegelt. Im Vorfeld des Sechs-Tage-Kriegs gab es von diesen eine Menge.
Das ganze Kabinett umfasste 18 Minister, davon gehörten zehn dem SK an. Kurz vor dem Krieg war eine Regierung der nationalen Einheit gebildet worden, Moshe Dayan, Menachem Begin und Yosef Sapir stießen dazu. Es gab keine Frau, mit Ausnahme von Yael Uzai, der Kabinettsekretärin (eine hohe Zivilbeamtin), die bei allen Treffen anwesend war.
Politiker, die sie waren, tendierten die Minister zum Wortreichtum: Die 935 Seiten der Transkription geben gut hundert Stunden Gespräch wider.
Zwischen Januar und Mitte Mai stand Syrien im Mittelpunkt der Treffen. Vom 15. Mai bis zum 4. Juni bemühte sich das SK, die Bedeutung dessen zu begreifen, was in Ägypten vor sich ging, und eine Antwort darauf zu finden. Während der sechs Tage vom 5. bis 10. Juni versuchte es, Herr der Lage zu bleiben, mit gemischtem Erfolg. Nach dem Krieg gab es intensive Diskussionen über die erstaunliche neue Welt, die sich aufgetan hatte, und was das alles bedeutete.
Ein Komitee macht aus, dass man einen Fächer unterschiedlicher Meinungen bekommt. Davon gab es 1967 viel. Das Problem ist, dass zu viele verschiedene Meinungen es schwer machen, einen Entschluss zu fassen. Doch die Entscheidungen mussten getroffen werden – erwidert man den syrischen Artilleriebeschuss oder nicht –, darum waren die Debatten selten fruchtlos. Trotz wesentlicher Unterschiede, was die Sichtweise, die Ideologie und den Charakter betraf, hörten die Minister einander zu und verfolgten die Entwicklungen so aufgeschlossen, dass das Ergebnis einer Beratung keineswegs schon vorher feststand.
Es gab zwei Falken: Yisrael Galili und Yigal Allon. Der damals 56 Jahre alte Galili war wohl der mächtigste israelische Politiker, von dem man je gehört hat; doch nur wenige Israelis erinnern sich an ihn. Er war ein früherer Haganah-Führer und hatte wenig Neigung zur Zurückhaltung, als es um den syrischen Beschuss der Landwirte an der Grenze ging:
“Ich denke, nicht auf Panzerbeschuss zu reagieren, ist jenseits dessen, was wir erdulden können, vor allem, da wir das ja bereits versucht haben. Einmal haben wir nicht geantwortet, und das hat sie womöglich dazu ermuntert, es wieder zu versuchen. Wenn die Logik des Nichtreagierens wäre, dass dies zu beiderseitiger Ruhe an der Grenze führen würde, könnten wir uns viel Mühe ersparen. Leider hat sich diese Botschaft über die Jahre nicht als überzeugend erwiesen. … Ich hoffe nicht, dass es an der Nordgrenze zu irgendeiner Eskalation kommt. Doch wann immer wir in den letzten Jahren lasch waren, mussten wir später den Preis dafür in Blut zahlen. Wenn wir Feuer mit Feuer bekämpft haben, haben wir die Kontrolle über das Feld erlangt, nicht aber, wenn wir uns zurückgehalten haben .“ (3. Januar)
“Das ist elementar: Man kann nicht nicht zurückschießen … Wenn sie beabsichtigen, ihr Feuer auf ganzer Linie auszudehnen, wie sollte ein Ausbleiben einer Reaktion unsererseits sie davon abhalten? Wenn sie nicht vorhaben, die Front zu verbreitern, dann müssen wir auf jeden Fall dort reagieren, wo sie auf uns schießen”. (7. Januar)
Allon (49) war der Kommandant der Palmach und ein General gewesen. Wie Galili gehörte er zum rechten Flügel der regierenden Partei Achdut Ha’avoda (Einheit der Arbeit):
“Wir müssen aufhören, anzunehmen, dass die Syrer so denken, wie wir denken. Sie interpretieren das, was wir tun, anders, als wir uns das wünschen, und so bringen wir unser Volk in gefährliche Situationen…
Wir sind an der Grenze zu Syrien in einer topografisch schlechteren Lage, und die erzwungenen Bedingungen der Waffenstillstandsvereinbarung sind schlecht für uns. Es gibt demilitarisierte Zonen, doch auch da, wo wir eingeschränkt sind, was die Stationierung von Waffen betrifft, geht es immer noch um unser souveränes Territorium. Wir können es nicht zulassen, dass die Syrer auf unser Gebiet eindringen, ob demilitarisiert oder nicht. Wir können nicht davor zurückschrecken, unser eigenes Territorium zu nutzen. Wir haben für ein oder zwei Monate aufgehört, unsere Felder zu bewirtschaften, weil [UN-General Odd] Bull um Zeit gebeten hatte, ein Abkommen mit den Syrern zu erzielen. Die gaben wir ihm, niemand kann das bestreiten. Es hatte keinen Erfolg. Heute erlauben wir syrischen Schafhirten, die demilitarisierten Gebiete zu betreten, morgen werden sie die nicht demilitarisierten Gebiete betreten, und schon bald werden wir nicht mehr in der Lage sein, auf unserem eigenen Territorium zu bauen.
Je länger wir nicht reagieren, desto frecher wird die syrische Wildkatze werden. So begreift sie das Ausbleiben einer Antwort unsererseits. Heute hat sie auf einen unserer Traktorfahrer geschossen, der auf einer wichtigen Ortsstraße fuhr, die weit entfernt ist von jeglicher demilitarisierten Zone. Die Menschen ziehen dort ihre Kinder groß, und die Syrer lassen sie nicht ihr Leben führen. Je mehr von der falsch verstandenen Mäßigung wir an den Tag legen, desto harscher werden wir später sein müssen.” (9. Januar 1967)
Dann beschwerte er sich darüber, dass das SK den Generälen zu viele detaillierte Vorgaben mache: Es gehe nicht jeden Tag darum, die Altstadt von Jerusalem oder die Westbank zu erobern, was ja tatsächlich keine Entscheidungen seien, die man den Generälen überlassen könne. Darauf antwortete Moshe Haim Shapira (65) scharf:
“Dem Militär detaillierte Vorgaben zu machen, das ist genau das, wozu diese Gruppe da ist. Die Leute hier sollen einen kühlen Kopf haben, nicht schiessfreudig sein. Von uns erwartet man, dass wir zurückhaltend sind. “
„Es ist besser, im Alarmzustand zu sein als im Krieg.”
Shapira ist eine der Überraschungen des Transkripts. Der Innenminister war der Vorsitzende der Nationalreligiösen Partei – die wenige Jahre später (und nach seinem Tod) die politische Heimat und das Sprungbrett der Siedlerbewegung werden sollte. 1967 war er eine der beiden zahmsten Tauben im SK. Nehmen wir etwa das Treffen vom 12. Januar, wo es darum ging, dass die IDF, verzweifelt über die ununterbrochenen Angriffe der Syrer, die Erlaubnis verlangte, die Reaktion zu verschärfen. Shapira war strikt dagegen:
“Ich sehe, dass wir einen neuen Vorschlag auf dem Tisch haben. Wir eskalieren. Es gibt hier größere Experten als mich, doch soweit ich das sehe, haben wir bislang mit denselben Waffen vergolten. Sie haben Panzer eingesetzt, wir haben mit Panzern geantwortet. Wir haben gesagt: Wenn sie unsere Dörfer beschießen, antworten wir mit Panzern, doch da unsere Panzer gegen ihre Artillerie nicht effektiv sind, haben wir keine andere Wahl, als Flugzeuge einzusetzen, um die Zivilbevölkerung zu schützen. Der Stabschef sagt, sie werden uns wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben. Ich glaube, unsere Nachbarn treiben uns auch ohne zu schießen in den Wahnsinn. Das ist das Schicksal unseres Landes, das von Feinden umgeben ist. Bislang haben wir immer gesagt, wir könnten es rechtfertigen, unsere Luftwaffe einzusetzen, um unsere Zivilbevölkerung zu schützen. Diese Politik zu ändern und Flugzeuge einzusetzen [gegen syrische militärische Ziele, die nicht auf Dörfer schießen], könnte zu Krieg führen. Das kann ich nicht akzeptieren. … Ich verstehe es, wenn der Stabschef sagt, wie hart es ist, im Zustand permanenter Wachsamkeit und hoher Alarmstufe zu leben. Nun, ich sage, es ist besser, im Alarmzustand zu sein als im Krieg.”
Shapira verkündete zudem, das SK habe nicht die Befugnis zu einer Eskalation, dafür benötige man das gesamte Kabinett; er werde seiner Partei Bericht erstatten und eigentlich müsste die Entscheidung der Knesset vorgelegt werden. Die zweite weiße Taube, Gesundheitsminister Yisrael Barzilai (52) von der linksgerichteten Mapam-Partei, sprang ihm bei. Auch wir müssen erst mit unserer Parteiführung reden, sagte er, und blockierte damit quasi den Vorstoß.
Barzilai konnte manchmal sogar noch pazifistischer sein als Shapira. Als die syrische Armee am 7. April israelische Landwirte beschoss, reagierten die Israelis mit Luftangriffen, und in dem folgenden Scharmützel wurden sieben syrische Kampfjets abgeschossen. Barzilai tobte:“Letzte Woche habe ich abgelehnt, dass wir diejenigen unserer Felder bewirtschaften, die die UNO als problematisch ausgewiesen hat, insbesondere, wenn dies syrischen Beschuss anzieht und eine Eskalation unausweichlich wird. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir dies provoziert haben. Wir haben die Angelegenheit hier im Komitee diskutiert, und es scheint mir, dass jemand unsere Entscheidung vorweggenommen hat. Vielleicht irre ich mich, wenn ja, beweist es. Wenn ich Recht habe, dann war das ein schwerer Fehler in unserem Prozess der Entscheidungsfindung.” (9. April).
Die Fülle verschiedener Meinungen im SK zeigte sich deutlich am 11. April 1967, vier Tage nach dem Abschuss der sechs syrischen Flugzeuge. Generalleutnant Yitzhak Rabin (45), Generalstabschef und häufiger Teilnehmer der Treffen, sah eine Gelegenheit, Israels Souveränität über 60 Hektar Land in der Nähe des Kibbutz Almagor herzustellen, ein Gebiet, das seit der Unabhängigkeit nicht bewirtschaftet worden war. Bald wurde klar, dass nicht nur die Tauben zögerlich waren, sondern auch Zentristen wie Bildungsminister Zalman Aran (68), Tourismusminister Moshe Kol (56) oder der Minister für religiöse Angelegenheiten, Zerach Wahrhaftig (61). Vielleicht überrascht von dem Widerstand gegen etwas, von dem er gedacht hatte, dass es eine klare Angelegenheit wäre, nahm Levi Eschkol (71), der Ministerpräsident und Verteidigungsminister, eine für ihn ungewöhnlich entschlossene Position ein. Er wandte sich gegen die Meinung, dass Israel, weil es bislang viele Jahre lang freiwillig davon abgesehen hatte, den Abschnitt zu kultivieren, dies auch weiterhin tun könne. Er schäumte:
“Wir waren 2000 Jahre im Exil, und dann gab es Kampf und einen Krieg. Ich kann mich noch an den Aufschrei erinnern, den es gab, als wir bei Jerusalem 2,5 Dunam (weniger als 0,4 Hektar) aufgaben. Wie rechtfertigen wir es in diesem Fall, 600 Dunam aufzugeben? Und warum dann nicht gleich aufhören, darauf zu bestehen, all die anderen Felder zu bewirtschaften, wo die Syrer auf uns schießen? Was, wenn wir diesen Vorschlag auf den Tisch gelegt hätten? Hättet ihr gesagt, wir sollten warten, die Syrer wurden gedemütigt, wir müssen ihnen Zeit geben? Wenn nicht jetzt, wann? Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir es für Generationen bereuen.”
„Sind wir auf einen größeren Konflikt eingestellt?“
Seine Leidenschaft überzeugte nicht. Ein Minister, der fürchtete, dass man vor einer Entscheidung von großer Tragweite stand, verlangte, dass das ganze Kabinett einbezogen werde. In einer Abendsitzung zeigte sich, dass das Gesamtkabinett ebenso skeptisch war. Zalman Aran gab, obgleich er zu Eschkols Mapai-Fraktion gehörte, den Bedenken Ausdruck:
“Ich fürchte, dass wir an einem Scheideweg stehen. Seit heute Morgen wissen wir, dass die Syrer nicht in einem solchen Schockzustand sind, dass sie aufhören würden, auf unsere Bauern zu schießen. Vielleicht bereiten sie zusammen mit den Ägyptern einen Plan vor, das müssen wir in Betracht ziehen. Wenn wir beschließen, die Luftwaffe einzusetzen, um die Bewirtschaftung jener 600 Dunam zu schützen, dann müssen wir auf einen größeren Konflikt vorbereitet sein. Vielleicht wird das im UN-Sicherheitsrat debattiert werden. Sind wir auf einen größeren Konflikt eingestellt? Mein Gefühl sagt eher nein. Trotzdem ist da immer noch das Thema, in der Lage zu sein, die Felder auf unserem eigenen Territorium zu bewirtschaften. Sind wir bereit, den Status quo fortzusetzen? Ich brauche mehr Zeit, darüber nachzudenken und fordere, dass es heute Abend keine Entscheidung darüber gibt.”
Es gab keine. Weder an jenem Abend noch überhaupt. Größere Ereignisse sollten bald darauf in den Vordergrund treten und zwei Jahrzehnte der Gewalt an der syrischen Grenze für immer unter sich begraben.
Am 14. Mai, Israels 19. Unabhängigkeitstag, begann Ägypten damit, vor aller Augen und unter großem Getöse, Truppen durch Kairo in den Sinai zu bringen. Als am 16. Mai das ganze Kabinett zur wöchentlichen Sitzung zusammentrat, berichtete Eschkol über die Entwicklungen. Gefragt, ob die IDF vorsorglich Maßnahmen treffe, antwortete er lakonisch mit ja und ging zum nächsten Tagesordnungspunkt über: dem Bericht über den Besuch eines niederen Ministers in Polen und Vorschläge zur Verschlankung der Behörden. Das SK diskutierte die Angelegenheit am nächsten Tag zuerst, und obgleich die Erläuterungen der militärischen Vorbereitungen umfassender waren als im vollständigen Kabinett, schien an diesem dritten Tag der Krise niemand einen Krieg kommen zu sehen. Man nahm an, die Ägypter machten eine Art Show.
Der Ton änderte sich am 21. Mai. Der ägyptische Präsident Gamal Nasser hatte UN-Generalsekretär U-Thant aufgefordert, die UN-Truppe im Sinai (UNEF) abzuziehen, und U-Thant zog sie überraschenderweise vollständig ab. Übernacht war die wichtigste Errungenschaft des Feldzugs von 1956 verschwunden. Den größten Teil des Treffens nahmen neue Berichte von Rabin, Außenminister Abba Eban (52) und Eschkol ein. Angesichts des Ernstes der Lage wurde beschlossen, die Implikationen im vollständigen Kabinett zu erörtern, das als SK tagte; während die Debatte um einige Stunden verschoben wurde, sagten sowohl Galili, der Falke, als auch Shapira, die Taube, ihrer Einschätzung nach stehe Israel vor einem Krieg.
Shapira war resigniert und sagte, ohne Krieg seien Ägyptens Taten nicht rückgängig zu machen. Galilis Haltung war schärfer: der Krieg sei schon da. Er wollte wissen, wie die Luftwaffe sicherstellen könne, dass Ägyptens Luftwaffe zerstört werde, bevor sie selbst angegriffen werde. Drei Wochen vor dem historischen Angriff auf Ägyptens Luftwaffe war dieser schon auf dem Tisch.
An der zweiten Kabinettssitzung, die am 21. Mai stattfand, nahmen alle Minister teil, und fast jeder von ihnen hielt eine kurze Ansprache. Eschkol lieferte müde-resigniert die Zusammenfassung: Wir bereiten uns vor. Wir können keine weiteren Waffen beschaffen, nicht jetzt. Wir sind vorsichtig an den Grenzen. Wir stehen in Kontakt mit den Amerikanern. Wir haben einige Reservisten mobilisiert, doch nicht alle. Wir hoffen das Beste. Es war, in Anbetracht des historischen Moments, eine bemerkenswert leere Diskussion; am Ende gab es eine Resolution, in der stand, dass die Luftwaffe auf jeglichen Angriff auf eine ihrer Basen mit ganzer Kraft antworten würde – als wenn es dafür zwei Kabinettssitzungen gebraucht hätte.
Bis zur Sitzung am 23. Mai hatte Ägypten bereits die Straße von Tiran blockiert und damit Israels gesamten Handel mit Asien zum Erliegen gebracht. Die Minister waren sich alle einig, dass dies wahrscheinlich zum Krieg führen werde, doch die meisten von ihnen – auch Rabin, der als General kein Stimmrecht hatte – sahen es als wichtig an, die Amerikaner davon zu überzeugen, dass Israel nicht überstürzt in den Krieg zog. Generalmajor Ezer Weitzman (43), ein früherer Luftwaffenkommandant, der mit der Einsatzleitung betraut war, erklärte, dass zwar die Gelegenheit für eine strategische Überraschung verstrichen, die Luftwaffe aber zuversichtlich sei, wenn nötig eine taktische Überraschung zu erzielen. Da es eine Bitte der Amerikaner gab, 48 Stunden für Diplomatie einzuräumen, entschieden die Minister, erst einmal von militärischen Handlungen abzusehen.
Am 26. Mai fühlten sie sich in der Falle. Die Ägypter hoben Gräben aus, waren schwerer zu treffen und verstärkten ihre Truppen. Rabin berichtete von einigen ägyptischen Vorbereitungen für ihr Angriffsvorhaben. Jordanien war im Begriff, sich Ägypten anzuschließen. Die meisten IDF-Reservisten waren einberufen worden; Israels Wirtschaft konnte eine solche Mobilisierung nicht für einen längeren Zeitraum verkraften. Es gab keine realistische Aussicht, weitere Waffen zu besorgen. Die diplomatischen Bemühungen hatten nichts gefruchtet. Doch alle Minister wussten, dass es keine andere Wahl gab, als darauf zu warten, dass Aba Eban mit seinen Berichten aus Europa und den Vereinigten Staaten zurückkehrte. Also diskutierten sie über die Möglichkeit, die Koalition durch die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit auf eine breitere Basis zu stellen. In Erwartung eines langen und blutigen Krieges trachteten sie nach politischem Konsens.
Am 27. Mai, Samstagabend, debattierte das gesamte, als SK konstituierte Kabinett, fast bis zum Morgengrauen. Abba Eban kam nach 22 Uhr am Flughafen an, erstattete seinen Bericht, verschwand, um dem außen- und sicherheitspolitischen Komitee der Knesset Bericht zu erstatten und fand die Minister bei seiner Rückkehr immer noch dabei vor, wie sie sich die Köpfe zerbrachen. Alle wichtigen Staats- und Regierungschefs der Welt verlangten, dass Israel nicht angriff; die Minister wussten allesamt, dass ein Krieg unausweichlich war, konnten sich aber nicht auf einen Handlungsplan verständigen. Wenn wir zuerst angreifen, was wird das international für einen Preis haben? Wenn wir zuerst angegriffen werden, wie viele Opfer wird uns das kosten? (Viele Tausend, schätzten sie). Was gewinnen wir, wenn wir warten? Und was sind die Kosten? Wenn wir nicht warten – was ist der Preis dafür?
Am 1. Juni gab es zwei Sitzungen, eine des SK und eine des gesamten Kabinetts. Menachem Begin und Moshe Dayan nahmen als Parlamentsabgeordnete an den Treffen teil, da sie noch nicht als Minister vereidigt worden waren. Um halb ein Uhr in der Nacht am 2. Juni schickte Eschkol alle zu Bett: “Wir sind alle erschöpft. Wir haben den ganzen Tag diskutiert. Morgen früh stelle ich euch alle dem Generalstab vor. Ihr müsst hören, was die Generäle zu sagen haben.”
„Worauf warten wir?“
Am Morgen des 2. Juni 1967 gab es eine der ungewöhnlichsten Sitzungen in den Annalen des Sicherheitskabinetts: Das gesamte SK kam im IDF-Hauptquartier zusammen, um den gesamten Generalstab zu treffen.
Aharon Yariv (46), der Chef des Militärgeheimdienstes, fing an: „Weiter abzuwarten, bringt aus unserer Sicht keinen militärischen Vorteil und birgt beträchtliche Gefahren. Die arabischen Armeen verstärken weiter ihre Stellungen, bereiten sich vor und beschaffen weitere Waffen. Wir haben kein Potenzial zur Aufrüstung.“
Rabin: „Es gibt eine wachsende Koordination der arabischen Armeen untereinander. Sie fühlen sich von unserer Untätigkeit bestärkt.“
Mordechai Hod (41), Luftwaffenchef: „Wir werden unseren Job unter allen Umständen erledigen, doch jede Verzögerung um 24 Stunden erhöht den potenziellen Preis, den wir zu zahlen haben könnten.“
Yishayahu Gavish (42), Kommandant der südlichen Front: „Hier ist eine Karte, die die ägyptischen Kräfte am 22. Mai zeigt. Hier ist das, was sie letzte Woche hatten. Und hier, was sie heute haben. Weitere [ägyptische] Truppen sind auf dem Weg vom Jemen. Sie werden jeden Tag stärker.“ (Gavish ist die einzige in diesen Transkripten vorkommende Person, die noch am Leben ist, er ist 92).
Divisionskommandant der Reserve, Avraham Yoffe (54): „Ich war mit meinen Truppen 14 Tage in der Negev-Wüste. Wir müssen den Ägyptern die Initiative entreissen!“
Divisionskommandant Ariel Sharon (39): „Wir sind bereit, und wir werden die ägyptische Armee zerstören. Es wird Verluste geben, doch wir müssen den Job erledigen. Andere Nationen anzuflehen, uns zu helfen, wird nichts nützen. Auf hypothetische weitere Waffen zu warten, ist nicht nötig. Wir werden die Aufgabe erledigen.“
Steuermannsmaat Matti Peled (43): „Worauf warten wir? Sagt uns: Worauf warten wir?“
Und doch zögerten sie. Am Morgen des 4. Juni gab es ein weiteres ergebnisloses Treffen. Dann, am Nachmittag des 4. Juni, trat das gesamte Kabinett als Sicherheitskabinett zusammen; dies sollte die schicksalsträchtige Sitzung werden. General Yariv beschrieb, wie sich die Lage weiter verschlechterte. Die jordanische Armee war unter ägyptischen Befehl gestellt worden. Irakische Truppen wurden nach Jordanien verlegt. Immer mehr ägyptische Kräfte im Sinai, einige Eliteeinheiten bereiteten offenbar einen Angriff vor usw. Abba Eban schilderte die amerikanischen Bemühungen, die Seeblockade zu brechen, doch fügte hinzu, dass sie eine Woche, wenn nicht mehr, benötigen würden, um Früchte zu tragen, und dass sie am Gesamtbild der arabischen Kriegsvorbereitungen nichts ändern würden. Dann kam ein Minister nach dem andern zu Wort. Alle waren sich einig, dass Krieg unausweichlich war. Die meisten versuchten, die Wartezeit zu rechtfertigen, in der Hoffnung, dass Israel in den Augen der Welt dadurch an Glaubwürdigkeit gewonnen hätte. Haim Gvati (66, Mapai) spottete sanft über seine zögernden Kollegen: “Ich bin überrascht, dass einige denken, die Großmächte würden jemals zu uns sagen, dass die Zeit gekommen sei und wir unsere Feinde angreifen könnten. Das werden sie niemals tun.”
Die Debatte dauerte einige Stunden. Am Ende war die gemeinsame Front von Shapira und Barzilai gebrochen. Barzilai und sein Mapam-Minister-Kollege Mordechai Bentov (67) hatten immer noch das Gefühl, dass Israel die Großmächte darüber informieren solle, dass seine Geduld ganz am Ende sei; Shapira hingegen schloss sich allen anderen an und akzeptierte, dass die Zeit abgelaufen war. Das Kabinett wies die IDF an, den arabischen Würgegriff zu brechen und autorisierte Eschkol und Dayan, die genauen Einzelheiten zu bestimmen. Über viele Tage hatte ein Krieg unausweichlich geschienen; nun stand er unmittelbar bevor.
Der Krieg, der sechs Tage dauern würde, beginnt
Im Lauf der nächsten sechs Tage traf sich das SK siebenmal. Und doch war es nicht wirklich im Besitz der Kontrolle. Im Februar hatte es darüber debattiert, welches Kaliber benutzt werden solle, um auf den syrischen Beschuss zu reagieren; nun spielte es zumeist eine Nebenrolle. Es ermöglichte den Anschein von Beratungen, während andere Fakten schufen.
Die erste Sitzung des Krieges war am Abend des 6. Juni, mehr als 30 Stunden nach Beginn des Feldzugs. Die ersten 90 Minuten dienten nur dazu, neue Informationen bekannt zu machen. Die ägyptische Armee brach im Sinai zusammen, Gaza war weitgehend erobert, Teile der Westbank waren eingenommen, und die Gebiete nördlich und südlich der Altstadt waren von der IDF gesichert. Latrun, das 1948 der Schauplatz einer Serie schmählicher Niederlagen gewesen war und der Grund dafür, dass die Hauptverkehrsstraße zwischen Tel Aviv und Jerusalem hatte umgeleitet werden müssen, war in israelischer Hand. Nichts davon war von dem Organ, das laut der Verfassung das Militär befehligt, diskutiert geschweige denn autorisiert worden. Dennoch beschwerte sich zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Das Treffen markierte den Gipfel der Euphorie. Weniger als zwei Tage nachdem sie einen Feldzug autorisiert hatten, von dem erwartet worden war, dass er Tausende Menschenleben kosten würde, konnte man den Ministern einen riesigen Seufzer der Erleichterung nachsehen.
„Die vielleicht wichtigste Entscheidung in Jahrtausenden“
Eschkol, der normalerweise vorsichtig war, fragte, ob es wohl möglich wäre, Israels Wasserprobleme zu lösen, indem man den Südlibanon bis zum Fluss Litani einnähme. Dayan, großspurig und sprunghaft, prahlte, dass Israel Kairo erreichen könne, falls jemand Interesse daran habe, und bald Scharm asch-Schaich einnehmen und 300 Jahre lang halten werde. Er sagte den Ministern zudem, sie sollten weniger reden, da er nicht viel Zeit für eine lange Sitzung habe. Als Allon und Begin darauf beharrten, dass die Altstadt sofort eingenommen werde, bevor die UNO womöglich interveniere, erklärte Dayan, dass er gegen eine solche Entscheidung sei.
Die vielleicht wichtigste Entscheidung in Jahrtausenden – dass die Juden in Jerusalem regieren sollten – wurde wahrscheinlich am 7. Juni in der Frühe von Moshe Dayan getroffen, nicht von Israels Regierung. Da die IDF bereits tief in die West Bank eindrang, gab die Regierung das Okay.
Die bedeutungsschwerste Entscheidung in der Geschichte Israels, die Kontrolle über das gesamte Land Israel und dessen arabische Bevölkerung zu übernehmen, wurde fast in einem Anfall von Geistesabwesenheit getroffen, da die Truppen sie bereits getroffen hatten. Zu jenem Zeitpunkt war es eine taktische Überlegung.
In den letzten drei Tagen des Kriegs jagte eine Sitzung die andere. Der Krieg an der jordanischen Front war zu Ende, denn Jordanien hatte den Waffenstillstand akzeptiert. Ägypten und Syrien hingegen noch nicht, und nun waren die Bemühungen vor allem darauf gerichtet, die Kontrolle der IDF über den Sinai bis hinab nach Scharm asch-Schaich zu festigen. Die Entscheidung, bis zum Suezkanal vorzustoßen, hatte offenbar Dayan getroffen, der in den ersten Tagen erklärt hatte, warum dies eine schlechte Idee sei, dann aber den Ministern sagte, es sei bereits geschehen. Die Beratungen konzentrierten sich auf Syrien, das die ganze Woche über israelische Dörfer mit Artillerie beschossen hatte, jedoch im Bodenkrieg immer noch eine untergeordnete Rolle spielte.
Anfangs hatte die IDF nicht die Kräfte gehabt, um gleichzeitig mit dem Hauptschauplatz im Sinai und dem ungeplanten Schauplatz in der Westbank einen Vorstoss zu unternehmen, der mutmaßlich verlustreich sein würde. Dann, als die anderen beiden Operationen weitgehend beendet waren, fürchtete das Kabinett eine Konfrontation mit der Sowjetunion, von der man annahm, dass sie Syrien mehr schützen würde als Ägypten. Doch der öffentliche Druck wuchs.
Am 8. Juni kam Eschkol in Begleitung dreier Landwirte aus jenen Dörfern, die unter syrischem Artilleriebeschuss lagen; sie forderten die Minister auf und flehten sie an, die Hölle, in der sie leben mussten, zu beenden: Es ist nicht hinnehmbar, sagten sie, dass die Syrer, die uns in den ganzen Schlamassel reingeritten haben, ohne Schaden davonkommen. Die Minister, die nun wieder in ihrem normalen Modus der Vorsicht agierten, waren davon zum größten Teil nicht überzeugt. Sie waren bereit, sich die Pläne der IDF für einen Angriff auf die Syrer anzusehen, mehr nicht.
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