Die Mischna (hebräisch: משנה Wiederholung) ist die wichtigste Sammlung religionsgesetzlicher Überlieferungen des
rabbinischen Judentums. Sie bildet die Basis des Talmuds.
Nach orthodoxer jüdischer Auffassung hat Gott die Tora
(תורה) dem Mosche am Berg Sinai in zweifacher Form
geoffenbart: Zum einen als „schriftliche Tora“ (Tora sche-bi-chtav), also in Form der fünf Bücher Moses, die den Anfang auch der christlichen Bibel bilden; zum anderen als „mündliche Tora“
(Tora sche-be'al-pe), die sich mit der Auslegung der schriftlichen Tora befasst. Die mündliche Tora wurde in der Folgezeit von einer jüdischen Gelehrten-Generation zur nächsten mündlich
tradiert.
Zur Zeit der Besetzung Judäas durch römische Truppen, insbesondere nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 n. Chr., erkannten die Rabbiner die
Gefahr einer Zerstreuung der Juden in die Diaspora. Dementsprechend sah man die Notwendigkeit, auch diese Überlieferung schriftlich zu kodifizieren. Beteiligt waren mehrere Generationen
(Zuordnung manchmal schwankend) von Rabbinern (d. h. hier: Tannaiten), so etwa
Herausragende Bedeutung kommt dabei dem angesehenen Tora-Gelehrten
Jehuda ha-Nasi zu, der aufgrund seiner einzigartigen Autorität meist nur „Rabbi“ genannt wurde.
Da während des Redaktionsprozesses bisweilen neue Erkenntnisse über die Tora-Überlieferung auftauchten, eine Revision bereits in Umlauf befindlicher Mischna-Ausgaben aber nicht opportun erschien, kursierten zeitweise zwei Versionen des Werks, eine „Mischna Rischona“ (Ältere Fassung) und eine „Mischna Acharona“ (Jüngere Fassung). Eine verbindliche Ausgabe lag schließlich um das Jahr 220 vor.
Aufbau
Die Mischna ist in 6 „Ordnungen“ (Sdarim, סדרים) eingeteilt, diese wiederum in 7 bis 12 Traktate
(Massechtot, מסכתות). Die insgesamt 63 Traktate wiederum bestehen aus
Abschnitten (Perakim) und letztlich aus einzelnen Mischnajot. Am Anfang der Mischna steht außerhalb der Ordnungen der formal der Ordnung Sera'im zugeordnete Traktat Brachot mit
Segenssprüchen, Gebeten und der Gottesdienstordnung.
Die Titel der Ordnungen lauten:
Die Mischna enthält vorwiegend Bestimmungen zum jüdischen
Religionsgesetz, der Halacha (הלכה). Es finden sich nur wenige erzählerische oder
erbauliche Betrachtungen (Aggada, אגדה) meist am Ende eines Traktates.
Gleichwohl ist die Mischna kein Gesetzeskodex im modernen Sinne.
Vielmehr ist sie eine Synthese der damals vorherrschenden Meinungen unter den Gelehrten in der Akademie und am Gerichtshof in ihrer gesamten Breite und auch Widersprüchlichkeit. So ist eine der
sechs Ordnungen vollständig dem Tempeldienst gewidmet, obwohl der Tempel in Jerusalem zum Zeitpunkt des Entstehens der Mischna bereits über ein Jahrhundert in Trümmern lag. Zahlreiche
Diskussionen enden scheinbar offen, wobei die rabbinische Literatur bestimmte Auslegungsregeln kennt, nach welcher Autorität im Zweifelsfalle zu entscheiden ist.
Bemerkenswert an der Mischna ist ferner die mangelnde Begründung der
darin zusammengeführten Gesetze aus den heiligen Schriften des Judentums. Nach der jüdischen Tradition wurde das mündliche Gesetz gleichzeitig mit dem geschriebenen Gesetz überliefert, es wird
also nicht direkt davon abgeleitet. Die Herstellung einer Verbindung zwischen den Gesetzen der Mischna und der Tora war in den folgenden Jahrhunderten ein wesentliches Betätigungsfeld von Talmud
und Midrasch.
Die rabbinischen Weisen in diesem Text nennt man Tannaim, abgeleitet von der aramäischen Wortwurzel tn' (תנה), seinerseits eine Variante der hebräischen Wurzel šn' (שנה). Die Wurzel trägt die Bedeutung „wiederholen (was einem beigebracht wurde)“ und wird im Sinne von „lernen“ benutzt.
Die Mischna wird traditionell durch lauten Vortrag studiert.
Zahlreiche mittelalterliche Mischna-Ausgaben wurden zu diesem Zwecke vokalisiert und teilweise mit Tiberischer Kantillation versehen. Vielfach haben sich in den jüdischen Gemeinden auf der ganzen
Welt lokale Melodien und unterschiedliche Aussprachenormen für den Mischnavortrag erhalten.
Die meisten vokalisierten Ausgaben der Mischna orientieren sich heute
an der Aschkenasischen Standard-Vokalisierung und enthalten häufig Fehler. Die sog. Albeck-Ausgabe von Chanoch Albeck wurde von Hanoch Yalon vokalisiert, der eine sorgfältige Synthese zwischen
den mittelalterlichen Manuskripten und lokalen Aussprachetraditionen der Moderne vornahm. Die Albeck-Ausgabe enthält auch einen ganzen Band über Yalons Methodologie.
Die Hebräische Universität in Jerusalem unterhält umfangreiche Archive
mit Aufnahmen jüdischer Mischna-Gesänge auf der Grundlage verschiedener Melodien und Ausspracheweisen.
Eine vollständige textkritische Ausgabe der Mischna liegt bis heute
nicht vor. Alle Aussagen zu Textgestalt und -entwicklung haben daher vorläufigen Charakter. Unter dieser Voraussetzung lässt sich beobachten, dass sich die textliche Gestalt in zwei
Hauptrezensionen teilt: Eine eretz-jisra'elische und eine babylonische Version. Der (Erst)Druck Neapel 1492 ist aus verschiedenen Handschriften zusammengestellt. Alle späteren Drucke beziehen
sich auf ihn, sind aber durch die christliche Zensur immer weiter verstümmelt worden. Somit kommt den erhaltenen Handschriften besondere Bedeutung zu:
Die drei genannten Handschriften gehören der eretz-jisra'elischen
Rezension an.
Die Mischna bildete die Basis für eine weitere Diskussion unter
rabbinischen Gelehrten, die allerdings in Eretz-Jisra'el und der babylonischen Diaspora eine unterschiedliche Entwicklung nahm. Dementsprechend stehen am Ende auch zwei unterschiedliche Gemarot
(aramäisch: גמרא Lehre, Wissenschaft), Kommentarsammlungen, die jeweils
gemeinsam mit der Mischna selbst – ggf. ergänzt durch weitere Kommentare wie etwa von Raschi – heute den Palästinischen bzw. den Babylonischen Talmud bilden.
Über die in den Talmud eingegangenen Mischna-Kommentare wurde die
Mischna auch sonst umfangreich kommentiert:
Mischna und Talmud enthalten nur selten historisch zuverlässige
Angaben über die in ihnen genannten Personen. Zumindest aber lassen sich auf ihrer Grundlage biographische Abrisse der Mischna-Gelehrten selbst rekonstruieren.
Moderne Historiker richten ihr
Augenmerk meist auf die Entstehungsgeschichte und –zeit der Mischna. Besondere Bedeutung kommt dabei der Frage zu, inwieweit die Redaktoren auf zeitgenössische, auf ältere oder jüngere Quellen
zurückgegriffen haben. Von Interesse ist auch, inwieweit sich in den Mischna-Diskussionen Grenzziehungen theologischer wie regionaler Art vornehmen lassen und inwieweit die verschiedenen
Abschnitte unterschiedlichen Schulen des antiken Judentums zuzurechnen sind. Für die genannten Fragen wurden verschiedene Lösungsansätze entwickelt:
Das Wort Mischna kann auch einen Textabschnitt bezeichnen, d.h. die kleinste strukturierte Einheit in der Mischna als Ganze. Die Pluralform ist in diesem Fall Mischnajjot. So bilden einige Mischnajjot einen Pereq (Kapitel), einige Peraqim (pl. von Pereq) bilden eine Masechet (Traktat), einige Massechtot (pl. von Masechet) bilden einen Seder (Ordnung), und schließlich bilden die Scha"s (Abkürzung für Schischa Sedarim - Die sechs Ordnungen) die Mischna (bzw. den Talmud, wenn es um die Gemara geht).
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