Die Propheten Israels - Hintere Propheten

 

Begrifflich unterscheiden muss man zwischen Propheten im Sinne von Prophetenbüchern und einzelnen Personen, die als Propheten bezeichnet werden. Diese Liste biblischer Propheten umfasst:

  • Personen, die in der Bibel als von Gott berufene und beauftragte Propheten oder Seher, Gottesmänner usw. bezeichnet werden: Dazu ist eine jeweilige Bibelstelle angegeben.
  • Personen, die im Judentum nach dem Talmud als Nebi'im (Propheten) gelten, auch wenn sie in der Bibel nicht ausdrücklich so genannt werden.
  • Bücher des Tanach (Pentateuch), die als "Propheten" bezeichnet werden. Die „vorderen“ (vorschriftlichen) und „hinteren“ (Schrift-)Propheten im Tanach werden in der Reihenfolge ihres Erscheinens nach dem jüdischen Bibelkanon gelistet.
  • Als „falsche Propheten“ bezeichnete biblische Personen sind nicht aufgeführt.

 

„Hintere Propheten“

 

Jesaja

 

Jesaja (hebr. ישעיהו, Jeschajahu) ist neben Jeremia, Ezechiel und anderen einer der großen Schriftpropheten des Tanach, der hebräischen Bibel. Im Kanon des Alten Testaments steht sein Buch an erster Stelle der Prophetenbücher. Jesaja wirkte im damaligen Südreich Juda zwischen 740 und 701 v. Chr. in der Zeit der Bedrohung durch die antike Großmacht Assyrien.

 

Er verkündete Juda, Israel und Assur Gottes Gericht, aber auch eine endzeitliche Wende zu universalem Frieden, Gerechtigkeit und Heil. Als erster Prophet Israels verhieß er den Israeliten einen zukünftigen Messias als gerechten Richter und Retter der Armen.

 

Das Buch Jesaja

 

Das gleichnamige biblische Buch wurde im Mittelalter in 66 Kapitel unterteilt. Davon weist historisch-kritische Bibelforschung die ersten 39 Kapitel dem Propheten Jesaja zu, Kapitel 40 bis 55 führt sie auf einen spätexilischen Propheten zurück, den sie Deuterojesaja nennt, die restlichen Kapitel auf den nachexilischen Tritojesaja.

 

 

Entstehungshypothesen des Buches Jesaja

 

Seit dem 19. Jahrhundert wird das Jesaja-Buch verschiedenen, teilweise unbekannten Autoren zugeschrieben, deren Verkündigung später in einem Entwicklungsprozess zu einem Buch Jesaja zusammengefasst wurden. Auf die Autorschaft des Propheten Jesaja im 8. Jahrhundert v. Chr. führt man weitgehend die Kapitel 1 bis 39 des Jesajabuchs zurück. Spätere Zusätze enthalten darin nach heutiger historisch-kritischer Sicht vor allem die Kapitel 24-27 und 33-39.

 

Die Kapitel 40-55 werden dem spätexilischen „Deuterojesaja“ (zweiter Jesaja) zugeschrieben, Kapitel 56-66 des Buches entweder einem einzigen Autor „Tritojesaja“ (dritter Jesaja) oder noch weiteren verschiedenen Autoren. Diese späteren Autoren könnten Teil einer von dem ursprünglichen Jesaja begründeten Denkschule oder Traditionslinie von Propheten gewesen sein.

 

Historisch-kritische Theologen nehmen an, dass diese Schriften schon in vorchristlicher Zeit in einem Buch zusammengefasst wurden und das Wissen um dessen komplizierte Entstehung danach verloren ging. Denn schon die berühmte Jesajarolle der Schriftfunde aus Qumran (1947), die nach Radiokarbon-Untersuchungen von 1991 und 1994 um 200 v. Chr. niedergeschrieben wurde, war eine Einheit. Auch die Septuaginta, entstanden seit dem 3. Jahrhundert v. Chr., unterteilte das Buch nicht.

 

Im 12. Jahrhundert n. Chr. stellte der jüdische Kommentator Abraham Ibn Esra zum ersten Mal die einheitliche Autorenschaft des Buches Jesaja in Frage. In seinem Jesajakommentar erklärte er, die zweite Hälfte (ab Kapitel 40) sei das Werk eines Propheten, der während des Babylonischen Exils lebte, bis kurz nach der Rückkehr nach Zion. Diese Auffassung setzte sich im 18. und 19. Jahrhundert in der historisch-kritischen Theologie durch:

 

„Alle, mit Ausnahme der konservativen Gelehrten, übernehmen heute die Hypothese Döderleins, dass die in Kapitel 40 bis 66 des Buches Jesaja enthaltenen Prophezeiungen nicht Worte des Propheten Jesaja aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. sind, sondern aus späterer Zeit stammen.“

 

Aufgrund weiterer Beobachtungen von literarischen Spannungen und Widersprüchen stellte man auch die Einheit des ersten Buchteils zunehmend in Frage: So wurden beispielsweise Kapitel 15 und 16 einem unbekannten Propheten zugewiesen; Kapitel 23 bis 27, 34-35 wurden Jesaja abgesprochen, da deren Stoffe und Sprache bereits stark den Kapiteln 40 bis 66 ähnelt.

 

Der Exeget Charles C. Torrey fasste die Forschungslage wie folgt zusammen:

 

„Der einst große ‚Prophet des Exils‘ ist zu einer völlig unscheinbaren Figur zusammengeschrumpft und wird unter dem Wirrwarr von Bruchstücken fast begraben.“

 

Viele konservative Theologen sowie Evangelikale gehen von der Einheit des Jesajabuchs aus. Sie erklären die sprachlichen und inhaltlichen Unterschiede zwischen den angenommenen Autoren als prophetische Zukunftsschau des ersten Jesaja. Diese vorkritische Sicht sehen historisch-kritisch ausgerichtete Theologen in der Regel als unhaltbar an. Denn ab Kapitel 40 redet der Autor von Babylon als herrschender Macht und setzt das Babylonische Exil der Israeliten, die er trösten will, voraus. Diese fand erst über 120 Jahre nach den Ereignissen statt, die im ersten Buchteil eine Rolle spielen. Als Argumente für mehrere Autoren des Buches werden insbesondere genannt:

 

  • Jesaja als Schreiber im 8. Jahrhundert v. Chr. hätte die Trostworte der Kapitel 40 ff. an die erst 150 Jahre später im Exil lebenden Juden nicht schreiben können. Der Fall Jerusalems und das Exil seien nicht voraussehbar gewesen.
  • Die Vorhersage der Eroberung Babylons im Jahr 539 v. Chr. sogar unter Nennung des Namens des Eroberers „Kyros“ (Jesaja 44,28; 45,1) sei einem im 8. Jahrhundert v. Chr. lebenden Jesaja nicht möglich gewesen.
  • Der Autor der Kapitel 40 ff. muss die babylonischen Verhältnisse gekannt haben (Jesaja 44,27; 45,1: Flüsse, die das Land durchqueren, 43,14: Schifffahrt darauf, Kapitel 47: üppiges Leben in Babylon).
  • Unterschied im Sprachgebrauch und Stil.

Dagegen wird eingewandt:

 

  • Jesaja konnte als ein Prophet Gottes Zukünftiges voraussagen. Und gerade das stärke die Bedeutung der Trostworte der Kapitel 40ff für die Juden im Exil: Gott hat ihre Gefangenschaft vorhergesehen, aber genauso gewiss ist auch die Vorhersage der Errettung aus der Gefangenschaft.
  • Während einige computergestützte statistische Untersuchungen zu dem Ergebnis kommen, dass beide Teile unmöglich auf einen einzigen Autor zurückgeführt werden können, kommen andere computergestützte Untersuchungen zu anderen Ergebnissen.
  • Das markante Motiv von Licht und Finsternis findet sich im gesamten Buch. Themen des zweiten Teils finden sich auch schon im ersten (z. B. Trost in 12,1 und 30,19 ff.).
  • Verglichen mit den geographischen, zoologischen und botanischen Kenntnissen Hesekiels, der eindeutig im babylonischen Exil zu Hause war, fallen die Kenntnisse Jesajas spärlich aus. Er kann sein Wissen durchaus z. B. von Assyrern erworben haben, die nach Samarien deportiert worden waren. Der Schreiber von Kapitel 40ff hatte Kenntnisse über Zedern, Zypressen und Eichen, die es in Babylonien so nicht gibt (Jesaja 41,19; 44,14).
  • Der vorliegende Urtext geht geschlossen von einem einzigen Buch aus (vgl. auch die in Qumran gefundene Jesaja-Rolle und die Septuaginta).
  • Die neutestamentlichen Autoren sprechen von dem „Propheten Jesaja“, wenn sie Verse aus Kapitel 40 ff. zitieren und gehen damit offensichtlich von einem einzigen Verfasser des Buches aus (Johannes 12,38-41 zitiert Jesaja 53,1 und 6,9.10 als von einem „Jesaja“ stammend; Matthäus 12,17 nimmt Bezug auf Jesaja 42,1; Matthäus 3,3 und Lukas 3,4 auf Jesaja 40,3; Apostelgeschichte 8,28 auf Jesaja 53,1; Römer 10,20 auf Jesaja 65,1)
  • Der Autor Ben Sira (des Buches Jesus Sirach) betrachtete um 180 v. Chr. die Kapitel 40 ff. wie selbstverständlich als von Jesaja, dem Sohn des Amoz, geschrieben; genauso der jüdische Schriftsteller Josephus Ende des 1. Jh. n. Chr. (Josephus, Antiquitates XI, 1.2, §§ 5-6).
  • Bei Zeitgenossen Jesajas und Propheten des 7. Jh. v. Chr. finden sich Berührungen und Anklänge zu Kapitel 40 ff. (z. B. Jesaja 41,15 f. und Micha 4,13; Jesaja 47,2 und Micha 1,1; Jesaja 48,2 und Micha 3,11; Jesaja 26,21 und Micha 3,1; Jesaja 47 und Nahum 3,4 f.; Jesaja 52,7 und Nahum 2,1; Jesaja 47,8.10 und Zefanja 2,15; Zefanjas Nähe zu Jesaja 13; 21,1-10 und 40-66; Jesaja 41,7 44,12-15 46,7 und Jeremia 10,1-16). Wer für einen Deuterojesaja eintritt, nimmt allerdings an, dieser habe sich an die Zeitgenossen des ersten Jesajas angelehnt.

 

Inhalt

 

Das Buch ist in folgende Abschnitte unterteilt:

 

  • Gericht über Juda und Jerusalem (Kap. 1 bis 5)
  • Jesajas Wirken in der Anfangszeit (Kap. 6 bis 9)
  • Ein Rest wird gerettet (Kap. 10 bis 12)
  • Das Gericht über die Völker (Kap. 13 bis 23 und 34)
  • Weltgericht und Erlösung Israels (Kap. 24 bis 27)
  • Zwischen Assyrien und Ägypten (Kap. 28 bis 33)
  • Die Assyrer vor Jerusalem (Kap. 35 bis 39)
  • Trost für die Verschleppten (Kap. 40 bis 55)
  • Die kommende Heilszeit (Kap. 56 bis 66)

Die ersten 39 Kapitel bestehen überwiegend aus Prophezeiungen, in denen Jesaja den Nationen droht, die Juda verfolgen. Zu den Nationen gehören unter anderem Assyrien, Ägypten, Babylonien, Syrien und Moab. Generell besagen die Prophezeiungen, dass Gott der Herr der Welt sei und alle ungläubigen Völker bestraft, die sich sicher genug fühlen. Jesaja erwähnt hier auch einen Messias, eine geweihte Person, die Macht von Gott bekommen hat, und dessen Königreich, in dem Gerechtigkeit vorherrschen werde. Interessant an dieser Prophezeiung ist, dass Jesaja konkret darüber schreibt, von wem dieser Messias abstammen wird. Bei Jesaja 11,1 heißt es nämlich, dass der Messias ein Nachkomme von König David sein wird.

 

Ab Kapitel 40 wird die Befreiung der nach Babylonien verschleppten Juden vorhergesagt. Dabei beteuert der Autor, dass die Juden das auserwählte Volk des Herrn seien und dass JHWH ihr einziger Gott sei.

 

Die letzten Abschnitte enthalten poetisch formulierte Prophezeiungen über die prächtige Zukunft Zions. Obwohl das Buch die Verdammung von falschen Götzendienern erwähnt, endet es mit einer Nachricht der Hoffnung auf einen rechtschaffenen Herrscher. Die Wirkungszeit des Propheten in Jerusalem beträgt etwa 40 Jahre.

 

Im Buch Jesaja werden die Seraphim dargestellt und Immanuel und die Verheißung des Friedefürsten erwähnt.

 

 

Deuterojesaja

 

Als Deuterojesaja wird von der Bibelwissenschaft ein angenommener, anonymer Prophet des Alten Testaments bezeichnet, der zwischen ca. 550 v. Chr. und ca. 539 v. Chr. auftrat. Der Ausdruck Deuterojesaja ist griechisch und bedeutet zweiter Jesaja.

 

Umstritten ist heute vor allem die Frage, ob es sich um die einheitliche Verkündigung eines Propheten oder um die schriftliche gewachsene Sammlung einer Art von Prophetenschule handelt.

 

Der deuterojesajanische Textkomplex beginnt in Kap. 40 mit dem programmatischen Ruf: „Tröstet mein Volk!“ Mit dem als Strafe bzw. Folge begangenen Unrechts verstandenen Exil hat das Volk seine Schuld abgebüßt. Nun wird Gott kommen und es durch die Wüste ins Land Israel zurückführen. Diese Botschaft wird mit großer Kraft und Bildhaftigkeit verkündet.

 

Eine besonders eigentümliche Schicht der deuterojesajanischen Texte sind die „Lieder vom Knecht JHWHs“ oder „Gottesknechtslieder“ (Jes 42,1-4.(7); 49,1-6; 50,4-9; 52,13 bis 53,12). Dieser Beauftragte Gottes, gelegentlich als sein Sohn bezeichnet, gesalbt mit dem Geist, wird Licht und Recht zu allen Völkern bringen. Dafür wird er selbst stellvertretend Schmach und Schande tragen bis zum Opfer des eigenen Lebens - und dennoch „auf Dauer leben“ (Kap. 53). Passagenweise scheint mit diesem Gottesknecht das ganze Volk Israel gemeint zu sein. Dann wieder lässt sich der Text nur auf eine Einzelperson deuten. Die ganze Konzeption des stellvertretenden, sündentilgenden Leidens ist im Alten Testament einmalig und wurde im Christentum auf Jesus bezogen (vgl. Apg 8,30-35 EU).

 

Ein weitere auffällige Sorte von Texten enthalten Heilsverheißungen an die „Tochter Zion“ Jerusalem, das als Gottesstadt durchgängig als Frau personifiziert wird. Zu ihrem Herzen soll der Prophet sprechen (Jes 40,9-11 EU), sie trösten, ihr die Heimkehr ihrer verlorenen Kinder ansagen (Jes 49,14-26 EU) und die Wiederherstellung ihrer Beziehung zu ihrem Gott, das Ende ihrer Schande und ihre Restauration (Jes 51,17 EU bis 52,12; 54). Hier spiegelt das Buch schon deutlich die zeitgeschichtlichen Umstände einer Zeit der Restauration nach dem Ende der Exilszeit.

 

Wessen Verkündigung in den abschließenden Kapiteln 56 bis 66 zusammengefasst ist, weiß man nicht sicher. Seit Bernhard Duhm (1892) schrieb man diese zusätzlichen Kapitel einem einzigen Autor, Tritojesaja (griech. „dritter Jesaja“) zu. Heute neigen viele dazu, hier mehrere Autoren am Werk zu sehen.

 

 

Tritojesaja

 

Mit Tritojesaja (griech: „dritter Jesaja“) bezeichnet die bibelwissenschaftliche Forschung einen vermuteten eigenständigen Autor der Kapitel 56 bis 66 des Jesajabuches des Tanach.

 

Die heutige historisch-kritische Forschung geht davon aus, dass das Buch Jesaja literarisch nicht einheitlich ist, sondern im Lauf der Jahrhunderte gewachsen ist. Die Kapitel 56 bis 66 wurden dabei seit Bernhard Duhm 1892 als Werk eines anonymen Propheten in frühnachexilicher, persischer Zeit angesehen, der dann ein Zeitgenosse des Propheten Maleachi gewesen wäre. Heute nimmt man eher an, es handle sich um eine Sammlung von Worten verschiedener Propheten.

 

Zentral für die Botschaft Tritojesajas ist die Frage nach der Zukunft Jerusalems, auffällig die Personifikation der Stadt als Tochter Zion in den Heilsverheißungen. Zeitlich ist seine Prophetie nach der Heimkehr des Volkes Israel aus dem Babylonischen Exil und dem Neubau des Tempels in Jerusalem anzusetzen, also etwa zwischen 521 und 510 v. Chr.

 

 

Jeremia

 

Jeremia (hebr. ירמיהו Yirməyāhū, Jirmejahu oder ירמיה Yirməyā(h), Jirmeja; dt. "Gott erhöht") ist neben Jesaja und Ezechiel einer der drei großen Schriftpropheten des Tanach, der hebräischen Bibel. Im Kanon des Alten Testaments steht sein Buch nach Jesaja an zweiter Stelle der Prophetenbücher. Im hebräischen Kanon gehört es zu den hinteren der Nevi'im. Seit dem Mittelalter wird das Buch in 52 Kapitel unterteilt.

 

 

Autor und Zeitgeschichte

 

Jeremia wirkte etwa 627 bis 587 v. Chr. in Jerusalem. Er predigte dem Volk Israel Bekehrung und Umkehr zu JHWH und prophezeite jahrelang den Untergang der Tempelstadt, der im Jahr 586 v. Chr. tatsächlich eintrat.

 

Das Buch ist eine wichtige Quelle für die Geschichte des ausgehenden Königtums im Südreich Juda. Viele der darin erwähnten Völker des Nordens finden sich auch in assyrischen und griechischen Quellen (Aschkenas, Gomer, Minni, Ararat (Uraru), Meder und Perser). Piotrovski versuchte Jeremia auch für die Geschichte von Uraru heranzuziehen und setzte auf Grund von Jer 51,27 LUT (Feldzug von Ararat, Minni und Aschkenas - gewöhnlich als Skythen gedeutet - gegen Babel) das Ende von Uraru 590 oder 585 an. Seine Interpretation wird jedoch überwiegend abgelehnt, die meisten Forscher gehen davon aus, dass das Reich bereits im 6. Jh. sein Ende fand. Jeremia projizierte damit Ereignisse bzw. Völkerschaften aus der Vergangenheit in die nahe Zukunft.

 

Der Autor bezeichnet Jeremia (in Jer 1,1.11) als Sohn des Priesters Hilkija, der möglicherweise von Abjatar, dem von David nach Anatot verbannten Priester (1 Kön 2,26), abstammt. Ob dieser mit dem 2 Kön 22 genannten Priester Hilkija identisch ist, ist höchst zweifelhaft. Eine priesterliche Prägung der Botschaft Jeremias, wie etwa beim Propheten Ezechiel, ist trotz seiner priesterlichen Herkunft jedenfalls nicht erkennbar. Auch seine Stellung gegenüber der Josianischen Reform (622 v. Chr.) bleibt völlig unklar, da Jeremiaworte aus den Jahren zwischen der Reform und dem Tod des Josia nicht überliefert sind.

 

Jeremia stammt aus Anatot (Jer 1,1), dessen Bewohner ihm das Auftreten als Prophet ausreden wollen (Jer 11,18-23).

 

Im biblischen Jeremiabuch ist die letzte Nachricht seine Verschleppung nach Ägypten. Spätere nicht-kanonische Schriften erzählen von seinem Leben dort und seiner Steinigung ca. 580 v. Chr. durch Juda.

 

 

Gliederung

 

1-10 Berufung Jeremias als Prophet und Gerichtsworte

Besonders beachtenswert ist die Tempelrede in Kap. 7 und die Götzenpolemik in Kap. 10 (vgl. Jes 44).

 

11-20 Klagen und Gerichtsworte

Die Konfessionen Jeremias thematisieren die Einsamkeit des Propheten, der darum Gott anklagt. Einprägsam sind auch die zahlreichen Zeichenhandlungen Jeremias: Der verdorbene Gürtel (13), der zerschmetterte Krug (19), u.a..

 

21-24 Worte an die Führenden: Jerusalem wird zerstört werden!

 

25 Ansage des 70-jährigen Exils

 

26-29 1. Schülerbericht: Das Schicksal Jeremias

Hier wird Jeremia im Konflikt mit anderen Propheten gezeigt, v.a. dem Hofpropheten Hananja.

 

30-35 Heilsworte

Die Rede vom Neuen Bund (31) wird verdeutlicht durch den Ackerkauf in Anatot (32). Dies soll zeigen, dass Israel jenseits der bevorstehenden Zerstörung Jerusalems eine Zukunft hat.

 

36-45 2. Schülerbericht: Das Schicksal Jeremias im belagerten Jerusalem

Hier steht Jeremia im Konflikt mit dem letzten König Judas Zidkija. Nach der Eroberung Jerusalems (39) und der Ermordung des babylonischen Statthalters Gedalja (41) flieht er nach Ägypten (43). Seine letzte Zeichenhandlung dort (43) kündigt die Eroberung Ägyptens durch die Babylonier an.

 

46-51 Worte gegen fremde Völker

 

52 Bericht über die Zerstörung Jerusalems und die Begnadigung Jojachins (vgl. 2 Kön 24f)

 

 

Jeremia 1 als Programmtext

 

Jeremia 1 kann als Programmtext des gesamten Buches gelesen werden. Dieses Kapitel legt vielfältige Spuren ins Buch hinein:

 

  • Die komplexe Überschrift in Jeremia 1,1 qualifiziert die „Worte Jeremias“ als JHWH-Wort und akzentuiert zwei Primärdaten: 628 – evtl. Beginn der Kultsäuberungsmaßnahmen Josias – und 586.
  • Jeremia 1,5 bezeichnet Jeremia als „Prophet für die Völker“ – so eindeutig wie kein anderer Charakter des Alten Testaments trägt er diesen Titel: 31 Mal wird Jer als „der Prophet“ bezeichnet.
  • In Jeremia 1,11-15 führt der Anblick eines Mandelzweiges, dessen Bezeichnung hebräisch wie „Wachebaum“ klingt, zur Eingebung, dass JHWH über der Erfüllung seines Wortes wacht. Dies ist eine zentrale Aussage des gesamten Buches.
  • „Ausreißen und niederreißen, vernichten und einreißen, aufbauen und einpflanzen“ (Jeremia 1,10) sind Jeremias Aufgaben. Dem Übergewicht der destruktiven Wortpaare entspricht die Dominanz der Gerichtsreden im Buch Jeremia.
  • „Ich werde mein Urteil sprechen“ lautet Jeremia 1,16. Dementsprechend wird die erste Buchhälfte von Anklagen und Urteilsankündigungen beherrscht.
  • „Fürchte Dich nicht vor ihnen“ lautet Jeremia 1,8: Bevor noch die Adressaten der Gerichtsworte Jeremias genannt sind, wird klar: Jeremia als Bote des Wortes Gottes wird massiv bedroht. Unter Jeremias Gegnern fallen v.a. zwei Gruppen auf: Propheten / Priester (Jeremia 26-29) sowie Könige / Beamte (Jeremia 21-24.34-38).

 

 

Theologische Schwerpunkte

 

Theologische und ethische Analysen gehen ineinander über, ebenso die Kritik. Ein Grundgedanke ist, dass - wenn Israel anderen Göttern folgt - JHWH gegen sein auserwähltes Volk prozessiert und mit dem Verlust des Landes droht. Šaeqaer (Hebr. = Lug, Trug, Verlogenheit) gilt als Schlüsselwort: Nicht mehr das Recht JHWHs bestimmt eine auf Solidarität gründende Gemeinschaft, sondern Täuschung, Betrug und Gewinn prägen die Gesellschaft. Daher trifft die Kritik v.a. die Propheten, Priester und Könige.

 

In manchen Texten scheint das Gericht als unausweichlich, dann wieder gibt es doch konkrete Heilserwartungen - vermutlich verstärkt durch spätere Zusätze. Heil und Unheil lassen sich nicht immer säuberlich scheiden. Heil liegt darin, dass die Zeit des Unheils begrenzt ist, dass Gott auf Bestrafung verzichtet und Jerusalem zurückkehren darf zu JHWH.

 

 

Konfessionen Jeremias: Jer 11-20

 

Die Konfessionen Jeremias in den Kap. 11-20 thematisieren die inneren und äußeren Konflikte des Propheten, sie sind im Stil von Klagepsalmen gehalten.

 

  • 12, 1-7: Jeremia klagt über das Glück der Frevler (רשעים) und der Treulosen (בוגדי בגד).
  • 15, 10-21: Jeremia klagt über sein Amt und die damit verbundene Isolation (Vgl. Kap 16,1-19!): er steht allein gegen alle im Land, jeder flucht ihm (V.10), er hat sich von jeglicher Geselligkeit fernzuhalten (V.17) V.15 bittet Jeremia sogar um Rache an seinen Gegnern!
  • 17, 14-18: Jeremia fragt, wann endlich das angesagte eintreten mag, damit er nicht zum Spott wird. Wiederum die Bitte, seine Verfolger mögen zuschanden werden.
  • 18, 18-23: Klage über die Nachstellungen und Anschläge; Jeremia bittet um das verheerende Ende seiner Gegner (V. 23: „Vergib ihnen ihre Missetat nicht... Lass sie vor dir zu Fall kommen... zur Zeit deines Zorns!) zum Machterweis Gottes.
  • 20, 7-18: Als ein von Gott Getäuschter will sich Jeremia schließlich seinem Dienst entziehen. Die Verse 14-18 sind nicht mehr in Gebetsform, sondern in der Form einer Selbstverfluchung abgefasst. Ähnlich wie in Ijob 3 wird der Tag der eigenen Geburt verflucht.

Im Gesamtkontext des Buches wendet sich jedoch das Geschick Jeremias: In Kap. 37ff gehört Jeremia zu den Geretteten, während seine Gegner ihre Strafe erfahren. Deren Überlegenheit und Erfolg waren also nur vorläufig. Man könnte sagen, die Person und das Geschick Jeremias boten sich als „Folie“ für die Spannung zwischen realen Verhältnissen und Gerechtigkeit Gottes, die zwar noch aussteht, sich aber letztendlich durchsetzen wird. In späteren Schriften war es dann kein großer Schritt mehr in Richtung Apokalyptik. Die Verbindung von Gefährdung und Bewahrung eines Propheten gibt es in der Form nur bei Jeremia. 

 

 

Textgeschichte des Buches

 

Die griechische Version des Jeremiabuches weicht von masoretischen Text in vielerlei Hinsicht ab. In den übereinstimmenden Passagen stellt die griechische Version offensichtlich eine getreue Übersetzung der hebräischen Vorlage dar. Insgesamt ist aber der hebräische Text ca. ein Siebtel länger. Außerdem unterscheiden sich beide Version im Aufbau erheblich. So folgt der griechische Text dem "dreigliedrigen eschatologischen Schema" (Unheilssprüche gegen Israel - Unheilssprüche gegen die Völker - Heilsansagen für Israel), während in der hebräischen Fassung die Völkersprüche nach den Heilsansagen für Israel, die zudem in die Erzählungen über Jeremia eingebettet sind, folgen.

 

Wie die Funde von Qumran nahelegen, geht die griechische Fassung auf eine vom masoretischen Text unterschiedene hebräische Vorlage zurück. Welche der beiden Fassungen die ältere ist, ist umstritten. Jedenfalls kann man von einer längeren parallelen Überlieferungsgeschichte ausgehen. 

 

 

Entstehung des Buches

 

Als Verfasser gilt in der biblischen Tradition der gleichnamige Prophet, der etwa von 627 bis 587 v. Chr. in Jerusalem wirkte.

 

Die wissenschaftliche Diskussion des 20. Jahrhunderts war lange bestimmt vom Kommentar Bernhard Dohms (1901). Er sah den ältesten Bestandteil des Buches in den "Gedichten Jeremias" in c. 1-25. Ein zweiter Block bestand seiner Meinung nach im "Buch Baruchs" (c. 26-45). Spätere Ergänzungen fänden sich in allen Buchteilen. Auf den historischen Jeremia seien nach Duhm nur etwa 280 Verse zurückzuführen, d.h. weniger als ein Viertel des Buches.

 

Einen anderen Weg schlug Sigmund Mowinckel (1914) ein. Er unterschied bei der Buchentstehung vier Quellen: Worte Jeremias, Erzählungen über Jeremia, stilistisch deuteronomistische Reden (z.B. c. 7 und 25) sowie die Heilsworte in Jer 30f. Allerdings ist der Charakter der Prosareden nicht quellenhaft sondern redaktionell, d.h. sie setzen ihren Kontext bereits voraus, wie Winfried Thiel nachweisen konnte. Thiel unterschied daher lediglich zwischen jeremianischen Texten, einer deuteronomistischen Redaktion und nachdeuteronomistischen Ergänzungen.

 

Allerdings ist in den so genannten deuteronomistischen Texten zu unterscheiden zwischen sprachlichen und sachlichen Deuteronomismen. Die Entstehung des Jeremiabuches ist daher vermutlich weit komplexer vorzustellen, als es sich in diesen vereinfachenden Modellen darstellen lässt. Zudem müsste ein Entstehungsmodell auch die sehr unterschiedlichen Fassungen von hebräischer und griechischer Bibel berücksichtigen.

 

Interessanterweise ist das Buch Jeremia durchzogen von Hinweisen auf eine entstehende Schriftkultur: Nicht nur Baruch trägt den Titel ‚Schreiber’ (36,26), sondern der Titel ist auch sonst Funktionsbezeichnung (36,12; 37,15.20; 52,25). Von Tafel (17,3), Tinte (36,18) und Schreibermesser (36,23) ist die Rede. Die wörtlich zitierte Unheilsdrohung Michas (26,17f) und Anspielungen auf zahlreiche frühere Propheten setzen schriftliche Dokumentation dieser früher entstandenen Prophetenbücher voraus.

 

 

Ezechiel

 

 

Das Buch Ezechiel (Hesekiel) ist eine im Zeitraum von ca. 600-560 v. Chr. in Babylonien entstandene Schrift des Alten Testaments der Bibel, die seit dem Mittelalter in 48 Kapitel unterteilt wird. Es schildert die Visionen und symbolischen Handlungen des Propheten Ezechiel, der zur ersten Gruppe der im Rahmen des Babylonischen Exils verschleppten Israeliten gehörte. Ezechiel war ein israelitischer Priester.

 

Gliederung

 

Das Buch gliedert sich in vier Teile.

 

  1. Im ersten Abschnitt (Kapitel 1-24) tadelt Ezechiel das Volk wegen „Götzenanbetung“ und zahlreicher anderer Sünden. Da sich die gesamte Nation von Gott abgekehrt und den Bund mit Gott verlassen habe, prophezeit er, dass Juda fallen, Jerusalem zerstört und die Menschen in Gefangenschaft geraten würden.
  2. Im zweiten Abschnitt (Kapitel 25-32) prophezeit Ezechiel den Untergang der Feinde Judas: Moabiter, Edomiter, Philister, Ammoniter, Tyre, Sidon und Ägypter. Interessanterweise nicht gegen die Babylonier. In diesem Teil werden die Allmacht und Allgegenwart Gottes offenbart, der nicht bloß der Gott des Reiches Juda, sondern der Herr aller Nationen sei. Somit wird im zweiten Teil das im ersten Abschnitt entwickelte Thema wiederaufgegriffen und durch den Traum von Gottes Thronwagen weiter ausgeführt.
  3. Ezechiel spendet hingegen im dritten Abschnitt (Kapitel 33-39) denjenigen Trost, die sich im Exil befinden. Er weissagt den Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels und prophezeit die Rückkehr Gottes. Ezechiels Traum vom Tal der verdorrten Gebeine (Hes 37,1-14 EU), einer der berühmtesten Abschnitte des Alten Testaments, veranschaulicht, dass die Gegenwart Gottes den entscheidenden Unterschied zwischen den Lebenden und den Toten ausmacht. Kapitel 38 und 39 enthalten Prophezeiungen gegen Gog und Magog.
  4. Der letzte Abschnitt (Kapitel 40-48) enthält eine Ankündigung des Beginns der messianischen Zeit und eine detaillierte visionäre Beschreibung eines zukünftigen, überwiegend theokratischen Gemeinwesens der Juden. Dieser Abschnitt hat christlichen Auslegern oft Probleme bereitet, da er sich nur sehr schwer mit christlichen Zukunftsvisionen vereinbaren lässt.

 

 

Gottes Thronwagen

 

Das erste Kapitel beschreibt, wie "der Herr", wie Ezechiel ihn bezeichnet, auf seinem Thronwagen, der Merkaba, mit den Cherubim, Ezechiel erscheint; dies ist bei weitem die ausführlichste derartige Beschreibung in der Bibel. Dieser Text spielt eine herausragende Rolle in der jüdischen Kabbala, in der mündlichen jüdischen Überlieferung und in der christlichen Mystik.

 

4 Ich sah: Ein Sturmwind kam von Norden, eine große Wolke mit flackerndem Feuer, umgeben von einem hellen Schein. Aus dem Feuer strahlte es wie glänzendes Gold. 5 Mitten darin erschien etwas wie vier Lebewesen. Und das war ihre Gestalt: Sie sahen aus wie Menschen. [...] 15 Ich schaute auf die Lebewesen: Neben jedem der vier sah ich ein Rad auf dem Boden. 16 Die Räder sahen aus, als seien sie aus Chrysolith gemacht. Alle vier Räder hatten die gleiche Gestalt. Sie waren so gemacht, dass es aussah, als laufe ein Rad mitten im andern. 17 Sie konnten nach allen vier Seiten laufen und änderten beim Laufen ihre Richtung nicht. 18 Ihre Felgen waren so hoch, dass ich erschrak; sie waren voll Augen, ringsum bei allen vier Rädern. [...] 22 Über den Köpfen der Lebewesen war etwas wie eine gehämmerte Platte befestigt, furchtbar anzusehen, wie ein strahlender Kristall, oben über ihren Köpfen. [...] 26 Oberhalb der Platte über ihren Köpfen war etwas, das wie Saphir aussah und einem Thron glich. Auf dem, was einem Thron glich, saß eine Gestalt, die wie ein Mensch aussah.[...]“

 

– Ezechiel 1,4 EU

 

Dieser visionäre, bildreiche Text ermöglicht vielfältige Deutungen, beispielsweise fasst ihn der Autor Erich von Däniken als Bericht von einer Begegnung mit einem außerirdischen Weltraum-Gefährt auf. Der ehemalige NASA-Ingenieur Josef F. Blumrich bestätigte von Däniken's Eindrücke in seinem Buch Da tat sich der Himmel auf.

 

Gemäß der Mischna (Chagiga 2, 1) ist es nach jüdischer Überlieferung verboten, auch nur eine Person in der Einleitung des Buches Ezechiel zu unterrichten, sofern dieser Schüler nicht weise ist und fähig ist, den Stoff selbst zu verstehen.

 

Der Kirchenvater Hieronymus vergleicht in seinem Kommentar die augenbesetzten Räder aus Vers 18 mit der Figur des Argus Panoptes aus den griechischen Mythen (vgl. Hier. in Ezechiel. 1,1,15-18).

 

 

Religiöse Weiterentwicklung

 

Während des Babylonischen Exils wurde die Religion weiterentwickelt und reformiert. Neu ist beispielsweise der ins Säkulare weisende Gedanke, dass Palast und Tempel, Politik und Religion nicht mehr eine strikte Einheit bilden sollen. Bemerkenswert ist auch, dass Ezechiel als Beispiel für Rechtschaffene allein auf Ijob, Jona und Daniel verweist.

 

Da der Tempelkult des Jerusalemer Tempels im Exil nicht mehr auszuüben ist, wird nunmehr gesagt, dass Gott seinem Volk in allen Ländern dient (34:11-16) und es heim führen wird:

 

„Denn so spricht Gott der Herr: Siehe, ich, ich selbst will nach meinen Schafen fragen, will nach ihnen sehen. [...] sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut worden sind [...] ich hole sie aus den Ländern zusammen und bringe sie in ihr Land.“

 

– (Hes 34,11-14 EU)

 

Die Sippenhaftung wird endgültig abgeschafft:

 

„Ein Sohn soll nicht die Schuld des Vaters, noch ein Vater die Schuld des Sohnes mittragen. Nur dem Gerechtem kommt seine Gerechtigkeit zugute, und nur über den Gottlosen kommt seine Gottlosigkeit.“

 

– Ezechiel 18,20

 

Die Heilsverkündung bekommt ein humanistisches Ziel:

 

„Habe ich etwa Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, spricht Gott der Herr, und nicht vielmehr daran, dass er sich von seinem Wandel bekehre und am Leben bleibe?“

 

– Ezechiel 18,23 EU

 

Aus diesem Grunde werden bestimmte Satzungen der Thora als Fehler kritisiert:

 

„So habe denn auch ich ihnen Satzungen gegeben, die nicht gut waren, und Gebote, durch die sie nicht am Leben bleiben konnten. Ich ließ sie unrein werden durch ihre Opfergaben, indem sie alle Erstgeburt durchs Feuer gehen ließen; ich wollte ihnen Entsetzen einjagen, auf dass sie erkennen, dass ich der Herr bin.“

 

– (Hes 20,25-26 EU)

 

Engen Vorstellungen kultischer Abstammungsreinheit der Israeliten hält Ezechiel entgegen:

 

„So spricht Gott zu Jerusalem: Nach Herkunft und Geburt stammst du aus dem Lande der Kaaniter, dein Vater war ein Amoriter, deine Mutter eine Hethiterin.“

 

– Ezechiel 16,3 EU

 

Er warnt vor Arroganz und Selbstzufriedenheit:

 

„Du aber verließest dich auf deine Schönheit [...] Und du nahmst deine Söhne und Töchter, die du mir geboren hattest, und schlachtest sie ihnen zum Fraße. [...] Siehe, das war die Schuld deiner Schwester Sodom: Pracht und Überfluss und sorglose Ruhe wurden ihr und ihren Töchtern zuteil, aber sie taten dem Elenden und Armen nicht Handreichung, sondern sie wurden übermütig und verübten Gräuel vor mir. [...] Samaria hat nicht halb so viel gesündigt wie du. [...] du sollst erkennen, dass ich der Herr bin, damit du daran denkest und dich schämest und vor Scham den Mund nicht mehr auftust, wenn ich dir alles vergebe, was du getan hast, spricht Gott der Herr.“

 

– Ezechiel 16, 15–62

 

 

Moral bei Ezechiel

 

 

Gebote der Mitmenschlichkeit

 

Der Schwerpunkt der Gebote und Verbote verschob sich bei Ezechiel weg von den Tempelsatzungen und Reinheitsvorschriften hin zu gelebter Mitmenschlichkeit. Die Gebote der Mitmenschlichkeit sind bei Ezechiel:

 

  • Soziale Satzungen: Schonung von Frauen, Elenden und Armen; dem Hungrigen Brot geben; die Nackten bekleiden
  • Wirtschaftliche Satzungen: Verzicht auf Zins und Zuschlag; Fairness im Handel, d. h. Nutzung fairer und anerkannter Maßeinheiten
  • Allgemeine Regeln: Unrecht vermeiden, Gerechtigkeit suchen, Reue

 

 

Taten der Gottlosigkeit

 

Die Taten der Gottlosigkeit, vor denen Ezechiel warnt, sind:

 

  • Kultische Gottlosigkeiten: „Götzendienst“, z. B. das Essen von „Götzenfleisch“ oder Verwendung von Zauberbinden für die Handgelenke; Verkehr mit Frauen im Zustand der kultischen Unreinheit; Starke Entweihungen des Sabbats, Ignorierung der Propheten ("verstocktes Herz"); Verunreinigung des Heiligtums mit Gräueln
  • Soziale Gottlosigkeiten: Ehebruch und Inzest; Bedrückung von Elenden und Armen, Schutzlosen und Fremden; Gewalt; Blutvergießen und Vernichten von Leben; Missachten von Geboten, die den Menschen am Leben erhalten; Vertreibung; Kinderopfer
  • Wirtschaftliche Gottlosigkeiten: Einbehaltung von Pfandsachen; Raub, Gier und Profitgier
  • Allgemeine Gottlosigkeiten: Vertragsbruch, Betrug und Bestechung; Schadenfreude und Rachsucht

 

 

Priesterkritik

 

Modern wirkt Ezechiel darin, dass er die Priesterkaste im Kapitel 34:1-5 deutlich zu kritisieren wagt:

 

„So spricht Gott der Herr: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst geweidet haben! Sollten die Hirten nicht die Schafe weiden? (...) Das Schwache habt ihr nicht gestärkt, das Kranke nicht geheilt und das Gebrochene nicht verbunden; ihr habt das Versprengte nicht heim geholt und das Verirrte nicht gesucht, und das Kräftige habt ihr gewalttätig niedergetreten. So zerstreuen sich denn meine Schafe, weil kein Hirte da war.“

 

Damit erklärt Ezechiel die Ursachen der Diaspora.

 

Die Kritik Jesu an den religiösen Führern seiner Zeit, wie sie etwa in Matthäus 23 LUT wiedergegeben wird, wirkt von Ezechiel beeinflusst. 

 

 

Landverheißung auch an Fremde

 

Bemerkenswert am Buch Ezechiel ist neben den Gerechtigkeitsvorstellungen auch die von ihm aus den Satzungen Moses abgeleiteten Vorstellungen zur Landverheißung. Im Kapitel 47 steht:

 

„Dieses Land sollt ihr nach den Stämmen Israels unter euch verteilen. Ihr sollt es als Erbbesitz verlosen unter euch und unter die Fremden, die unter euch weilen und unter euch Söhne gezeugt haben. Sie sollen euch gelten wie eingeborne Israeliten; mit euch sollen sie inmitten der Stämme Israels ihren Erbbesitz durchs Los erhalten. In dem Stamme, bei dem der Fremdling weilt, dort sollt ihr ihm seinen Erbbesitz geben, spricht Gott der Herr.“

 

Mit dem „Fremden“ ist hier der sogenannte Beisasse gemeint, ein nicht-jüdischer Einwohner, der sich im Herrschaftsbereich israelischer Stämme befindet und die sieben noachidischen Gebote beachtet. Das Losverfahren soll sicherstellen, dass niemand bevorzugt oder benachteiligt wird.

 

 

Anmerkungen

 

Ezechiel zeigt viele Parallelen mit dem Pentateuch bzw. Tanach (z.B. Kap. 27; 28:13; 31:8; 36:11, 34; 47:13, usw.). Es besteht eine große Nähe zu den Büchern von Hosea (Kap. 37:22), Jesaja (Kap. 8:12; 29:6), mit Amos (u.a. Priesterkritik) und Jeremia (Kap. 24:7, 9; 48:37).

 

Die bilderreichen Prophezeiungen Ezechiels sind reich an Symbolen, Metaphern und Allegorien. Sie bieten viel Raum für fantastische Deutungen und Interpretationen bis hin zur Mystik. Da hier die Gefahr von Missinterpretation hoch ist, dürfen im Judentum nur Menschen über 30 Jahre dieses Buch lesen. Vielleicht, soweit eine etwas randständige theologische Deutung, erklärt sich damit der Umstand, dass Jesus seine Verkündung erst nach seinem 30ten Lebensjahr begann, mit Kenntnis und Deutung der letzten Propheten.

 

 

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zu Propheten Israels - Vordere Propheten

zu Propheten Israels - Zwölfprophetenbuch

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