Dieser Artikel behandelt die Geschichte des Volkes Israel bis zu der
Zerstörung des Herodianischen Tempels 70 n.Chr.
Als Geschichte Israels oder Geschichte des Volkes Israel bezeichnet
man die Geschichte der Israeliten und des Judentums – als Volk und Religion – von seinen Anfängen um 1500 v. Chr. im Alten Orient und seiner Ansiedelung in Kanaan bis zu der Zerstörung des
Herodianischen Tempels im Jahr 70 n. Chr. und dem Ansiedelungsverbot für palästinische Juden nach der Niederlage Simon Bar Kochbas im Jahr 135. Diese Zeit entspricht etwa der Entstehungszeit des
Tanach, der hebräischen Bibel.
Für die Frühzeit des Judentums ist die Geschichtswissenschaft
größtenteils auf die biblische Darstellung angewiesen. Diese wird von nur wenigen archäologischen Funden und Angaben nichtisraelischer Quellen ergänzt.
Das Selbstverständnis als das Volk Israel entwickelte sich erst mit
dem Entstehen eines Stämmebundes in Palästina. Dort wuchsen die unterschiedlichen Überlieferungen der Stämme zu einer gemeinsamen Ursprungsgeschichte zusammen. In diesen (lange Zeit nur mündlich
überlieferten) Vätergeschichten der Genesis werden unterschiedliche Themen dargestellt: Kultlegenden und Mythen aus der altorientalischen Umwelt Mesopotamiens und Palästinas, Ortsätiologien und
Einzelereignisse. Diese Vätergeschichten wurden viel später in eine zeitliche Abfolge gebracht und mehrfach theologisch gedeutet und überarbeitet. Sie unterliegen den Beschränkungen mündlicher
Überlieferung, die höchstens 200 Jahre lang unverändert tradiert wurde. Deshalb sind Herkunft, Alter und historische Auswertbarkeit dieser ältesten Stoffe des Pentateuchs umstritten.
Die Tora als ältester Teil der Bibel entstand nach heutigem
Forschungskonsens seit etwa 1200 v. Chr., wurde aber erst seit etwa 450 v. Chr. niedergeschrieben. Sie beschreibt neben anderem Israels Geschichte unter der Führung Moses und Josuas von der
Auswanderung aus Ägypten bis zur Landnahme in Palästina. Bibelforscher bezweifeln den Wahrheitsgehalt dieser Darstellung in vielerlei Hinsicht. Trotzdem entnehmen sie ihr viele Einblicke in die
Lebensweise und die Kultur dieser Halbnomaden, aus denen allmählich ein Volk mit einer einheitlichen Religion entstand.
Abraham war nach dem biblischen Verständnis der Urvater der Juden und stammte nach der Genesis aus Ur am östlichen Ende des Fruchtbaren Halbmondes. Er bekam von JHWH den Befehl: Gehe weg von deinem Vaterland und deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Haus in ein Land, das ich dir zeigen will! (1.Mose 12,1). Dann wanderte er mit seiner Sippe auf dem Weg über die nördlichen Städte des Fruchtbaren Halbmondes nach Kanaan.
Die Genesis berichtet, dass Abrahams Enkel Jakob am östlichen Ufer des
Flusses Jabbok in einen Ringkampf mit einem Engel geriet. Dann erhielt er von JHWH den Namen „Israel“ (Hebräisch Jisrael = Kämpfer mit Gott oder Kämpfer für Gott). Er hatte
zwölf Söhne, die zu den Stammvätern der Zwölf Stämme Israels (Israeliten) wurden: Ruben, Simeon, Levi, Juda, Issachar, Sebulon, Benjamin, Dan, Naftali, Gad, Ascher und Josef. Josef, Jakobs
Lieblingssohn, wurde aus Neid von seinen Brüdern an ägyptische Sklavenhändler verkauft. Durch seine Talente gelangte er in eine einflussreiche Position am Pharaonenhof und konnte seine
Angehörigen nachholen.
Die historischen Ereignisse hinter diesen Erzählungen sind nur in groben Zügen bekannt. Einige Volksgruppen wanderten von Osten und Norden, andere von Südwesten, nach Kapernaum ein. Bei Letzteren nimmt man an, dass Halbnomaden im Zuge des Weidewechsels auch in das fruchtbare Nildelta gelangten, dort in Gefangenschaft gerieten und von den Pharaonen als Sklaven, etwa zum Bau der Vorratsstädte für Ramses II. gehalten wurden.
In Ägypten wuchsen nach dem Bericht der Bibel die Israeliten zu einem
Volk heran. Über den dortigen Aufenthalt im Lande Goschen (östliches Nil-Delta) und den anschließenden Exodus gibt es keine außerbiblischen Quellen, weshalb die Historizität der Ereignisse von
manchen Gelehrten ganz verworfen wird. Jedoch spiegeln die biblischen Berichte einige historische Erscheinungen des späten zweiten Jahrtausends v. Chr. recht authentisch wider. Die Einwanderung
nomadischer Gruppen in Ägypten erfolgte zusammen mit anderen kanaanäischen Gruppen, die bereits Ende des dritten Jahrtausends einsetzte und wohl wirtschaftlich motiviert war. Einige der
Einwanderer erlangten vielleicht hohe Stellungen; die Einwanderer insgesamt fügten sich aller Wahrscheinlichkeit relativ nahtlos in die ägyptische Gesellschaft ein (siehe die spätere
griechisch-jüdische Militärkolonie Elephantine).
Ein indirekter historischer Beleg für den Aufenthalt der Israeliten in
Ägypten könnte die Erwähnung von Volksgruppen namens habiru in ägyptischen Urkunden aus dem 15. bis 12. Jahrhundert sein. Einige Forscher setzen diese habiru mit den hibri,
den Hebräern gleich. Der Begriff stand aber vermutlich weniger für ein Volk als eher für einen sozialen Status (etwa die Fremden oder die Anderen) und muss die Israeliten nicht oder
nicht allein gemeint haben. Die Israeliten haben sich selbst nicht als Hebräer bezeichnet.
Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich bei dem in der Bibel beschriebenen Pharao um Ramses II. In seine Amtszeit fielen umfangreiche Bauvorhaben, zu denen die habiru, ebenso wie das gewöhnliche Volk, zwangsweise herangezogen wurden. Wegen seiner außenpolitischen Orientierung nach Asien verlegte Ramses seine Residenzen in das östliche Nil-Delta, also in die Nähe des biblischen Goschen.
Schenkt man dem Bericht in Exodus 2 Glauben, so muss der Auszug der
Israeliten aus Ägypten unter Merenptah, dem Nachfolger Ramses II., stattgefunden haben. Auf seiner Siegesstele von ca. 1220 v. Chr., dessen fünftem Amtsjahr, rühmt sich Merenptah, die Israeliten
besiegt zu haben. Dies ist zugleich die erste außerbiblische Erwähnung des Namens Israel. Das kriegerische Zusammentreffen fand auf kanaanäischem Boden statt. Die Israeliten indessen waren
dem biblischen Bericht zufolge zu diesem Zeitpunkt noch (?) nicht aus Ägypten ausgewandert. Die Bezeichnung Israel kann hier nicht die noch ausziehende Exodusgruppe, sondern muss anderweitige
Bewohner Kanaans meinen. Der Begriff Israel ist hier also kritisch zu sehen. Einige Historiker glauben, dass der Exodus nicht geschlossen, sondern in mehreren Schüben geschah. Andere nehmen an,
dass es sogar nie eine nennenswerte Auswanderung aus Ägypten gegeben habe.
Dass der Exodus in zeitgenössischen Quellen keinen Niederschlag
gefunden hat, kann bedeuten, dass der biblische Bericht bezüglich der Größe der Exodusgruppe eine volkstümliche Übertreibung darstellt. Der Auszug aus Ägypten hatte möglicherweise kaum dieselbe
„weltpolitische“ Bedeutung, wie er sie für ein kleines Volk hatte, das der Sklaverei entflohen war. Zudem kann eine „israelitische Landnahme“ in Israel archäologisch nicht nachgewiesen werden. Im
Gegenteil: Die materielle Kultur blieb konstant. Die meisten Archäologen glauben daher, dass die meisten Nomaden, die sich zum „Volk Israel“ zusammenschlossen, bereits seit langem in Kanaan
gelebt hatten und nur durch kleine Gruppen von Rückwanderern aus Ägypten, die vielleicht von dort als neuen Gott JHWH mitbrachten, verstärkt wurden.
Ein großer Fluchtversuch, wie ihn die Bibel beschreibt, scheint
hingegen kaum möglich - zumal dann, wenn der Pharao davon Kenntnis hatte und ihn militärisch zu verhindern suchte. Das Land Kanaan selbst war zumindest teilweise ägyptisch besetzt, und auf der
Route dorthin lagen gleich mehrere ägyptische Befestigungen samt ganzer Garnison - eine Flucht aus Ägypten endete wieder in Ägypten.
Die Marschroute, welche die Israeliten angeblich nach Kapernaum
nahmen, lässt sich trotz der biblischen Wegbeschreibung nicht genau rekonstruieren. Die genauen Lagen des Jam-suf (Schilfmeer) und des Berges Sinai sind ebenfalls nicht geklärt. Auch dies wird
von einigen Gelehrten als Beleg dafür angeführt, dass es einen nennenswerten „Auszug aus Ägypten“ vermutlich nicht gab.
Nach dem biblischen Bericht war es Mose, der die Israeliten aus
Ägypten führte. Er, dessen Existenz ebenfalls von Historikern bezweifelt wird, gilt noch heute im Judentum als der bedeutendste Prophet - daher auch die Bezeichnung „Mosaischer Glauben“ für das
Judentum. Am Berg Sinai offenbarte sich den Juden der Gott JHWH, der sich ihnen als der Gott ihrer Erzväter vorstellte. Hier erhielten die Juden durch Mose die Tora (Weisung) und schlossen einen
Bund mit Gott, dieses Gesetz zu halten. Der Bund umfasst eine vollentwickelte soziale und moralische Botschaft, die in den Zehn Geboten (Dekalog) zusammengefasst ist.
Der Glaube an den einzigen Gott (Monotheismus) stellt eine Neuerung in der Religionsgeschichte dar. Er unterscheidet sich vom monolatrischen Glauben der Patriarchen, der die Existenz anderer Götter nicht negierte. Allerdings belegt sowohl die Archäologie als auch die Bibel selbst den Fortbestand monolatrischer Verhältnisse in Israel bis weit in die nach-exilische Zeit. Auch wurden zahlreiche Gebote - etwa das Verbot von Schweinefleisch - damals offensichtlich höchstens von einer Minderheit befolgt. Ob der Monotheismus wirklich schon um 1100 entstand oder nicht eher erst Jahrhunderte später im babylonischen Exil entwickelt wurde, wird in der Forschung seit langem kontrovers diskutiert.
Das Buch Exodus erzählt, dass die Israeliten, nachdem sie sich in
Ägypten angesiedelt hatten, dort in die Sklaverei gerieten. Mose führte sie in die Freiheit. Der historische Nachweis dieser Schilderung ist nach heutiger Forschungslage nicht zu führen, aus
archäologischer Sicht ist es mehr als fragwürdig, ob der biblische Bericht mehr als kleine Faktenkerne bewahrt hat. Viele der Städte, die laut Bibel von den einwandernden Israeliten erobert
worden sein sollen, existierten damals in Wahrheit nicht mehr oder noch nicht: Die Erzählungen stammen offenkundig aus späterer Zeit.
Nach dem biblischen Bericht erhielten die Israeliten auf diesem Weg
die Tora durch Mose und schlossen mit Gott einen Bund, dieses Gesetz zu halten. Die Israeliten kehrten dem Bericht zufolge in das Land Kanaan zurück, das sie unter der Führung Josuas erobern
mussten. Man bezeichnet diese Epoche auch als Landnahme Kanaans.
Die Ansiedlung israelitischer Volksstämme im Gebiet des heutigen Staates Israel und den umgebenden Regionen ist für die Zeit seit etwa 1250 v. Chr. bewiesen. Die Einnahme der kanaanitischen Stadtstaaten durch israelitische Nomaden (die wohl wie gesagt höchstens zu einem kleinen Teil aus Ägypten eingewandert waren), die den historischen Kern der Landnahme-Berichte bilden dürften, erfolgte sukzessive in den Jahrzehnten um 1100 v. Chr.
Die historisch einigermaßen nachweisbare Zeit beginnt mit der
sogenannten Richterzeit. Diese Epoche von etwa 1250 bis 1000 v. Chr. folgte dem Einsickern und Sesshaftwerden der verschiedenen Nomadenstämme im Kulturland Palästinas. Das Land war von
strategischer Bedeutung für die altorientalischen Großmächte und war Schauplatz vieler Konflikte zwischen ihnen und den Israeliten, die sich bereits in den ältesten biblischen Überlieferungen
spiegeln.
Die Israeliten lebten angeblich etwa 200 Jahre in loser Stammesorganisation - in einer Zwölfer-Stammesamphiktionie - jeweils um ihr Stammesheiligtum herum - zusammen, und wurden in Kriegsfällen von kurzweilig auftretenden Volkshelden, den sogenannten großen Richtern, angeführt. Das Wort Richter hatte dabei die tiefere Bedeutung „die zum Recht verhelfen“. Ob diese Volkshelden auch Richter im Sinne von Juristen waren, ist umstritten (heute wird dies von den meisten Gelehrten abgelehnt). Unter ihrer Führung wurde das Land gegen angreifende Völker verteidigt. Einen ständigen Heerbann kannte das vorstaatliche Israel noch nicht - im Kriegsfall war man auf die Unterstützung der Mehrheit der in Sippen und Stämmen organisierten Männer angewiesen, die sich freiwillig zur Erreichung beschränkter militärischer Ziele milizähnlich zusammenschlossen, nach dem Krieg sofort wieder nach Hause zurückkehrten.
Um 1000 v. Chr. mussten die israelitischen Stämme sich nach dem biblischen Bericht wegen des stärker werdenden militärischen Druckes durch die Philister zu einem Königreich zusammenschließen. Die Bibel gibt mit ziemlicher Sicherheit die Jerusalemer Tradition wieder, wonach der erste König Saul war. Seine Nachfolger David und dessen Sohn Salomo begründeten ein unabhängiges Königreich mit Jerusalem als Hauptstadt. Historisch gesehen dürfte die tatsächliche Bildung von nennenswerten Königreichen in Israel und Juda, die über die Größe eines Stadtstaates samt Umland hinausgehen, sehr viel später anzusetzen sein. Gerade das karge und bevölkerungsarme Judäa scheint erst besonders spät, ggf. erst ab dem 8. Jahrhundert v. Chr., einen funktionierenden zentralistisch gelenkten Staatsapparat erhalten zu haben. Das Nordreich Israel hingegen war in seinen weiten Ebenen weitaus fruchtbarer und bevölkerungsreicher und stieg alsbald zu einer lokalen Größe auf, die Neid und Interessen der benachbarten Großreiche auf sich zog. Ein einheitliches Nord-Süd-Reich, zu dem auch Jerusalem unter Führung der Daviden gehörte, hat es also vermutlich nicht gegeben.
Die Tradition berichtet nun von einer Spaltung nach Salomo in die beiden Kleinstaaten Israel und Juda - was vermutlich auch bedeutet, dass es zuvor keine Einheit gegeben hatte. Das Nordreich war in der Folge ein wirtschaftlich und politisch erstarkender Pufferstaat, der in der Zeit politischer Schwäche Ägyptens und Mesopotamiens gedeihen konnte. Erst das Erstarken der assyrischen Großmacht beendete diesen Zustand.
Das Nordreich Israel wurde zwischen 722 und 721 v. Chr. von Assyrien erobert und in einen Vasallenstaat verwandelt. Ein Teil der Einwohner wurde zwangsumgesiedelt und durch deportierte Bewohner anderer Teile des assyrischen Großreichs ersetzt. Jerusalem und Juda waren noch zu unbedeutend, um das Interesse Assyriens zu wecken.
Nach der Zerschlagung des Nordreichs durch die Assyrer konnte der Staat um Jerusalem, das Südreich Juda, das von den Assyrern verschont geblieben war, erstarken. Die Könige bemühten sich in der Folge um eine Ausdehnung der Macht Judas auf die Nordgebiete und Städte des Nordens. Unter Joschija kam es zu einer Tempelreform, in deren Verlauf vermutlich die Biblischen Bücher in einer vorläufigen Revision zusammengeführt wurden. Die verschiedenen Schriften wurden zusammengefasst und vereinheitlicht, ein Prozess, der im babylonischen Exil fortgeführt und abgeschlossen wurde. Der Monotheismus und Herrschaftsanspruch JHWHs wurden mit großer Energie durchgesetzt. Es wurde der Versuch unternommen, unter dem Tanach das gesamte Volk, auch die nichtjüdischen Stämme, die zum Teil unter den Assyrern eingewandert und deportiert worden waren, in Palästina zu einen. Beendet wurde diese Periode durch den Angriff des Neubabylonischen Reiches unter Nebukadnezar II.. Unter König Jojakim wurde auch Juda zum Vasallenstaat der Babylonier. Dieser versuchte aber die Unabhängigkeit zu erlangen, indem er eine Niederlage Nebukadnezars ausnutzte. Unter seinem Bruder Zedekia, der auf Jojakims Sohn Jojachin auf dem Thron folgte, eroberte Nebukadnezar 586 v. Chr. Jerusalem und verschleppte das jüdische Volk - zumindest die Oberschicht - in das Babylonische Exil.
Im babylonischen Exil konnten die Juden ihre nationale und religiöse Identität trotz des babylonischen Kulturdrucks bewahren. So wurde das babylonische Exil ironischer weise zu einer der fruchtbarsten Zeiten der jüdischen Theologie. Mit dem Fehlen des heimatlichen Tempels von Jerusalem endete die Fixierung der Juden auf den Tempel als alleinigen Ort des Gebets, und es entstanden die ersten Synagogen.
Kyros II. eroberte 539 v. Chr. Babylon und beendete damit das
neubabylonische Reich. Er ordnete 538 v. Chr. den Wiederaufbau des Tempels und die Rückgabe der geraubten Tempelgeräte an, aber - entgegen Esr 1,2ff EU - noch nicht die Rückkehr der Exilierten
(Esr 5,14ff EU; Esr 6,3ff EU). Seine Nachfolger, die Achämeniden, behielten seine tolerante Religionspolitik bei.
Nachdem Darius I. einem Teil der Judäer in Babylon die Rückkehr erlaubt hatte und diese unter dem Davididen Serubbabel und dem Hohepriester Josua in Jerusalem eingetroffen waren, wurde der Tempel 520 bis 515 v. Chr. neugebaut (Esr 5,1 EU). Die Propheten Haggai und Sacharja förderten daraufhin messianische Hoffnungen auf das baldige Ende der persischen Fremdherrschaft und weltweite Anerkennung JHWHs ausgehend vom neuen Tempelkult. Dabei sah Haggai nur die Rückkehrer als zum Tempelbau beauftragte Gottesgemeinde an, was die in Palästina gebliebenen Juden ausschloss. Die Samaritaner hielten dagegen neben dem Tempel an ihrem Heiligtum auf dem Garizim fest. Aus diesem Konflikt entwickelte sich ab 450 v. Chr. unter Esra und Nehemia die endgültige Kanonisierung der Tora als alleingültiges Gottesgesetz, die die Spaltung von Judäern und Samaritanern verfestigte.
Seit Alexander der Große 333 v. Chr. Kleinasien eroberte, wurde auch
Palästina Teil seines Großreichs. Damit einher ging die Verbreitung von griechischer Bildung und Kultur - des Hellenismus - im ganzen Orient und Mittelmeerraum. Dieser prägte zunehmend auch das
Judentum, besonders in der nun wachsenden Diaspora.
In den Diadochenkriegen fiel Palästina an Ptolemaios I.. Judäa blieb
von 301 bis 198 v. Chr. unter den Ptolemäern relativ autonome Provinz. Viele Juden wanderten als Händler nach Ägypten und übernahmen dort die hellenistische Kultur, wie etwa die
Zenon-Papyri zeigen.
198 v. Chr. eroberte der Seleukide Antiochos III. Palästina. Er
überließ Jerusalem religiöse Autonomie auf der Basis der Tora. Während die Priesterschicht sich der herrschenden Kultur anpasste, führte die Hellenisierung zu wachsenden Spannungen zwischen Juden
und zugewanderten Bevölkerungsgruppen in Judäa (vgl. Jesus Sirach 50,25f).
Der Hohepriester Jason erlaubte 172 v. Chr. den Bau eines
griechischen Gymnasiums als Bildungszentrum und sogar den heidnischen Herrscherkult des Agon in Jerusalem. Dennoch stürzte ihn der noch radikalere, vom reichen Bürgertum gestützte Hellenist
Menelaos 175 v. Chr.. Dies löste einen Bürgerkrieg zwischen den Anhängern beider Richtungen aus, in den schließlich Antiochos IV. Epiphanes zugunsten des Menelaos eingriff. Damit
provozierte er die Landbevölkerung, die ihre monotheistische Religion und Existenz in Gefahr sah. Als Antiochos 167 ein Dekret erließ, das ein regelmäßiges Opfer für den Herrscher vorsah und den
Jerusalemer Tempel dem Zeus weihte, kam es zum offenen Aufstand gegen die seleukidische Herrschaft in Israel unter Führung der Makkabäer.
Judas Makkabäus gelang es 164 nach dem überraschenden Tod des
Antiochos, die seleukidische Armee aus Judäa zu vertreiben und die Tora als theokratische Verfassung wiederherzustellen. Doch er ließ Menelaos mit Rücksicht auf die gegnerische jüdische Partei im
Hohepriesteramt. Erst 161 besiegte er den Feldherrn Nikanor und gewann damit Judäas volle Autonomie zurück. Mit einem Vertrag sicherte er sich den Beistand der Römer gegen die Seleukiden, die nun
wieder Thronfolgekämpfe austrugen.
Mit der Einsetzung Jonathans zum Hohepriester wurde dieses Amt
erblich und beinhaltete auch politische und militärische Führung. Damit begann die Dynastie der Hasmonäer. Simon, Jonathans Sohn, erreichte 142 mit geschickter Pendeldiplomatie, dass die
Seleukiden Judäas Unabhängigkeit offiziell anerkannten. 139 beschloss eine große Versammlung des Sanhedrin, die sakrale, zivile und militärische Führung Judäas in einem Königs- und Priesteramt zu
vereinen. Johannes Hyrkanus (134-104 v. Chr.) erreichte den größten Machtzuwachs der Hasmonäer, als der Seleukide Antiochos VII. 129 gegen die Parther unterlag und starb. Er sorgte für die
Zwangsjudaisierung der Idumäer, um sein Herrschaftsgebiet religiös zu vereinen.
Mit dem Hellenismus trat das Judentum in das Bewusstsein der Oberschichten Griechenlands, Ägyptens und Roms ein. Besonders in Alexandria kam es zur kulturellen und religiösen Begegnung. Es bildete sich ein Hellenistisches Judentum, das jüdische und griechische Traditionen miteinander in Einklang zu bringen versuchte. Wichtigstes Projekt dazu war die griechische Bibelübersetzung der Septuaginta, die um 250 v. Chr. begonnen wurde. Während der griechische Polytheismus in Judäa überwiegend abgelehnt wurde, fand die hellenistische Kultur und Philosophie im jüdischen Bürgertum besonders der Diaspora wohlwollende Aufnahme (Philo). Seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. zeigte sich in Alexandria jedoch eine zunehmend aggressive antijüdische Haltung (Strabo): Hier fand eine Antike Judenfeindschaft ersten literarischen Niederschlag.
Im Jahr 66 v. Chr. eroberte Gnaeus Pompeius Magnus Kleinasien für das
expandierende Römische Reich. 65 beendete er die Seleukidenherrschaft in Syrien, 63 die der Hasmonäer in Jerusalem. Aristobul und seine Söhne führte er gefangen nach Rom. Aber er ließ den
Priester Hyrkan im Amt und erlaubte ihm religiöse Autonomie über Judäa, Idumäa, Galiläa und Peräa, jedoch ohne die hellenistischen Städte des Ostjordanlandes (Dekapolis) und Samaria.
Palästina und Syrien wurden zur römischen Provinz Syria vereint und
dem Statthalter Scaurus unterstellt. Dessen Nachfolger Gabinius schlug einen Aufstand der Anhänger der Hasmonäer nieder, zerstörte deren Festungen und stärkte die Rechte des Hohepriesters als
Oberhaupt des Sanhedrins, dem die religiöse und teils auch weltliche Rechtsprechung oblag.
In der Folgezeit rivalisierten die jüdischen Parteien im Machtkampf
zwischen Julius Caesar mit Pompeius mit wechselnden Allianzen. Caesar entließ Aristobul aus der römischen Gefangenschaft, um Pompeius in Syria zu schwächen. Doch als dessen Anhänger Aristobul
vergiftet und seinen Sohn enthauptet hatten, wechselten der Priester Hyrkan und der Idumäer Antipatros auf Caesars Seite und halfen ihm, Pompeius in Alexandria zu besiegen. Dafür belohnte er
Hyrkan mit dem erblichen Amt des Hohepriesters und machte Antipatros zum Herrscher Judäas. Die Hafenstadt Joppe (heute ein Stadtteil von Tel-Aviv) fiel an Judäa, und Jerusalem durfte neu
befestigt werden. Der Tempel behielt seine eigene Gerichtshoheit über Judäa, Idumäa, Peräa und Galiläa.
Nachdem Antipatros 43 v. Chr. vergiftet wurde, folgte ihm sein Sohn
Herodes der Große, der bereits seit 47 v. Chr. Statthalter von Galiläa war. Als 40 v. Chr. Antigonos und die Parther in Judäa einfielen, floh Herodes nach Rom. Dort wurde er unter dem sogenannten
zweiten Triumvirat, bestehend aus Octavian, Marcus Antonius und Marcus Aemilius Lepidus, zum König von Jerusalem ernannt. Von 39 v. Chr. bis 37 v. Chr. führte Herodes Krieg gegen Antigonos. Nach
der Eroberung von Jerusalem und dem Sieg über Antigonos wurde dieser auf Befehl von Marcus Antonius hingerichtet.
Im Konflikt zwischen den Triumvirn entschied sich Herodes rechtzeitig
gegen seinen Gönner Antonius und für Octavian, den späteren Kaiser Augustus. Im Jahr 30 v. Chr. wurde er deshalb auf Rhodos von Octavian als König bestätigt. Außerdem bekam er weitere Gebiete zu
seinem Herrschaftsbereich dazu. Zur Feier fanden große Festspiele in Jerusalem statt, wo Herodes ein Theater und ein Amphitheater errichten ließ (27 v. Chr.). Herodes ließ sich 23 v. Chr. in
Jerusalem einen Königspalast errichten sowie die Residenz „Herodeion“ in Judäa. Vom römischen Kaiser bekam er die Landschaften Trachonitis, Batanäa und Auranitis zu seinem Herrschaftsgebiet
hinzu. Um 20 v. Chr. begann der prächtige Um- und Ausbau des zweiten Israelitischen Tempels, der daraufhin den Namen Herodianischer Tempel erhielt. Zwei Jahre darauf reiste Herodes zum zweiten
Mal nach Rom.
Die letzten Jahre des Herodes waren durch wechselvollen Familienzwist um die Nachfolge geprägt. Die älteren Söhne wurden wegen Hochverrats verurteilt und hingerichtet. Bereits von schwerer Krankheit gezeichnet, bestimmte Herodes nun seinen Sohn Herodes Antipas aus vierter Ehe zu seinem Thronfolger, änderte sein Testament dann aber noch einmal zugunsten einer Teilung zwischen drei Söhnen. Im Jahr 4 v. Chr. starb Herodes. Da Augustus sein Testament nicht bestätigte, bekam keiner seiner Söhne den Königstitel, jedoch erhielten sie die ihnen zugedachten Gebiete.
Ein im Jahr 66 n. Chr. begonnener Aufstand gegen das römische Reich scheiterte im Jahr 70 und endete mit dem Fall Jerusalems und der Zerstörung des Herodianischen Tempels (Flavius Josephus: Jüdischer Krieg). Juden konnten weiter in ihrem Land leben, bis der Aufstand unter Simon Bar Kochba und der folgende Gegenschlag viele Juden um Leben oder Freiheit brachte.
Die Geschichte der Juden in der Spätantike umfasst die Periode vom
Ende des 1. Jahrhunderts bis zur Eroberung Palästinas durch die Araber im 7. Jahrhundert. In diese Epoche fällt die Kanonisierung des Tanach, der Hebräischen Bibel, und die Sammlung und
Verschriftung der verschiedenen jüdischen Lehrtraditionen in beiden Talmudim und in zahlreichen Responsen. Diese von den Rabbinern geführte „klassische“ Epoche der jüdischen Geschichte war von
der Zerstreuung der Juden im Perserreich und im Römischen Reich, vom Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion dieses Reiches (391) und anderen Faktoren bestimmt.
Seit dem babylonischen Exil gab es große jüdische Gemeinden in vielen Metropolen des Orients und im gesamten Mittelmeerraum: vor allem in Babylon,
Antiochia, Alexandria und Rom. Sie bestanden aus den durch die Exilierungen und Aufstände vertriebenen und verschleppten Juden zusammen mit Proselyten und Konvertierten. Sie bildeten die jüdische
Diaspora ohne Heimatland, erkannten aber bis 70 den Jerusalemer Tempel als religiöses Zentrum an.
Babylon wurde seit den letzten jüdischen Aufständen wieder Zuflucht
vieler verfolgter Juden. Dort vertrat ein Exilarch die autonome jüdische Kolonie gegenüber den Herrschern der Parther und der nachfolgenden neupersischen Sassaniden, den Erzfeinden Roms im Osten.
Die Juden waren dabei bisweilen Verfolgungen ausgesetzt: Teils aus religiösen Gründen (besonders in der Frühzeit des Sassanidenreichs, als zoroastrische Priester Einfluss auf den Großkönig
ausüben konnten), später aber vor allem aus politischen Gründen, da es teilweise zu Übergriffen von Juden auf zoroastrische Priester kam oder sie in den Thronkämpfen auf der unterliegenden Seite
standen. Dennoch hielten die Juden während der römisch-persischen Kriege weiter zu den Persern; die jüdischen Gemeinden in Persien (vor allem in Mesopotamien) blühten denn auch auf, in Sura und
Pumbedita entstand schließlich der babylonische Talmud. Die Juden in Persien beteiligten sich aber auch teils an christenfeindlichen Maßnahmen der Großkönige, die aus der Entwicklung des
Christentums im Römischen Reichs resultierten, wo das Christentum seit dem 4. Jahrhundert gefördert wurde und schließlich zur Staatsreligion erhoben wurde (siehe unten).
Im römischen Reich hob Kaiser Antoninus Pius im 2. Jahrhundert n. Chr.
die meisten Religionsverbote seines Vorgängers Hadrian gegen die Juden wieder auf und erlaubte Beschneidung, Sabbatruhe, Lehrhäuser und Ordination von Schriftgelehrten. Kaiser Caracalla gewährte
den Bürgern der Provinzen 212 das römische Bürgerrecht; damit durften auch Juden Verwaltungsposten bekleiden, mussten aber auch am Militärdienst teilnehmen.
In der Spätantike begann ihre Degradierung durch Konstantin I. und
unter dem Einfluss der nun privilegierten christlichen Kirche. Zwar blieb das Judentum erlaubt (religio licita), wurde aber von Wohlwollen und Gesetzgebung christlicher Herrscher abhängig.
Theodosius II. erließ 417 und 423 Mischehen- und Missionsverbote und andere Beschränkungen. Justinian I. verfolgte Ketzer, Samaritaner (die sich 529 erhoben hatten, siehe Julian ben Sabar) und
Juden, verbot die Mazzen zum Pessach, hebräische Bibellesungen und den Mischnaunterricht. Sein Corpus Iuris Civilis wurde für das folgende Kirchen- und Staatsrecht des Mittelalters
maßgebend.
Dennoch variierte die Politik der Kaiser: Konstantin I. etwa
bestätigte die Rechte der jüdischen Gemeinden und erlaubte nun auch die Wahl von Juden in die Gemeinderäte. Gleichzeitig wurde Juden untersagt, zum Christentum konvertierte Juden anzugreifen. In
der Konstantinsvita des Eusebius von Caesarea sind Texte enthalten, die dem Kaiser eine scharfe anti-jüdische Sichtweise unterstellen, doch ist nicht immer klar, inwiefern diese Schriften
nachträglich „bearbeitet“ wurden. Theodosius I., der das Christentum zur Staatsreligion erhob, verbot zwar nachdrücklich die Heirat zwischen Christen und Juden. Andererseits versuchte Theodosius
auch seine Schutzfunktion gegenüber den Juden wahrzunehmen, wie die Episode des Synagogenbrands von Kallinikos zeigt, wovon Theodosius aber durch Ambrosius von Mailand abgehalten wurde. Faktisch
ohne Folgen blieb der Versuch des letzten heidnischen Kaisers Julian, das Judentum zu stärken und so das Christentum zu schwächen.
Im Laufe des 5. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage für die
Juden im Imperium Romanum, wenngleich immer noch Schutzgesetze für sie erlassen wurden. Für den Westen liegen nach der Zeit Valentinians III. kaum noch zuverlässige Quellen vor, anders als für
den weitgehend griechischsprachigen Osten des Imperiums.
In der Regierungszeit Justinians I. wurden etwa die gesetzlichen
Bestimmungen verschärft. Ebenso kam es aber auch zu jüdischen Reaktionen, wie der Aufstandsbewegung der Samaritaner. Dennoch blühten auch in dieser Zeit durchaus mehrere jüdische Gemeinden. Im 7.
Jahrhundert schließlich halfen Juden den Persern bei der Eroberung Jerusalems 614 und führten Pogrome gegen Christen durch (zum historischen Kontext siehe Römisch-Persische Kriege). Die Reaktion
folgte nach dem Sieg Ostroms: Kaiser Herakleios ordnete teilweise Zwangstaufen an; nicht unerwähnt bleiben sollen ähnliche, fast zeitgleiche Maßnahmen im Merowingerreich.
Dennoch sollte nicht verkannt werden, dass das Leben von Juden und Christen im christlichen Imperium Romanum nicht nur von einem permanenten Gegeneinander bestimmt war. Wohl wurde es aber erschwert durch den teils äußerst gehässigen und scharfen Ton, der in vielen christlichen Schriften durchblickt: Juden wurden als Gottesmörder diffamiert, wodurch ein nachhaltiges Feindbild geschaffen wurde, wenngleich freilich auch teils in heidnischen Texten ein gewisser Antisemitismus gepflegt wurde. Andererseits beharrten die Juden auf ihrer kulturellen Identität (und griffen dabei auch bisweilen zur Gewalt), die sie auch schließlich bewahren konnten.
Die Einigung, Neuordnung und Festigung des Judentums nach der
Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 ist weitgehend ein Werk des Pharisäers Jochanan ben Sakkai. Er soll nach talmudischen Traditionen als jüngster Schüler Hillels um 40 die Leitung der
Tannaiten - der gemäßigten Richtung unter den Pharisäern - gewonnen haben. Nach Legenden ließ er sich im Jüdischen Krieg in einem Sarg aus dem belagerten Jerusalem schmuggeln, um der Todesstrafe
der Zeloten zu entgehen und sich den Römern zu stellen.
Er erhielt von ihnen die Erlaubnis, ein Lehrhaus (beth
midrasch) in Jawne – nahe dem heutigen Tel Aviv – zu gründen. Dieses baute er zu einem Zentrum des palästinischen Judentums aus, das nach dem Machtverlust der Sadduzäer Aufgaben des Sanhedrin
übernahm. Damit wahrte er die Kontinuität der gesamtisraelitischen religiösen Rechtsprechung. Mit Hilfe der kultkritischen Prophetie des Amos und Hosea versuchte er seine Glaubensgenossen davon
zu überzeugen, dass das Ende des Tempelkults nicht das Ende des Judentums bedeutete.
Er vereinfachte die Halacha (die geltenden Religionsvorschriften nach
der mündlichen Gebotsauslegung der Tora), um sie unter den veränderten Bedingungen erfüllbar zu machen, und führte neue Riten anstelle der nicht mehr praktizierbaren Wallfahrtsfeste ein. Die
früher durch Opfer im Zentralheiligtum erwirkte Versöhnung mit Gott wurde durch die Heiligung des Alltagslebens abgelöst. Indem alle Gemeindeglieder etwa das rituelle Händewaschen vor dem Essen
übernahmen, konnten Gottesdienste nun auch ohne Mitwirkung der Priester stattfinden. Ihre Zugangsvoraussetzungen verschärfte Sakkai, so dass sie ihre herrschende Stellung für den jüdischen
Gottesdienst einbüßten; andererseits durften sie nun nicht mehr nur im Tempel, sondern auch in den Synagogen dienen. Dabei blieb ihre Aufgabe auf das Sprechen des Aaronitischen Segens begrenzt.
Damit erreichte Sakkai die Führung der gemäßigten Pharisäer über die sonstigen Strömungen des Judentums.
Unter seinem Nachfolger Gamaliel II., ebenfalls ein Schüler Hillels,
wurden die Lehrer von Jawne zugleich als „Fürsten“ (hebr. nasi) Vertreter des jüdischen Volkes gegenüber den Römern. Eine wesentliche Leistung Gamaliels war die Festlegung der jüdischen
Gebetsliturgie. Die Aufnahme des „Ketzerfluchs“ in das tägliche Achtzehnbittengebet - Den Verleumdern sei keine Hoffnung, und alle Böswilligen mögen in einem Moment zugrunde gehen! -
richtete sich unter anderem gegen das Christentum, das sich im römischen Reich als Staatsreligion zu etablieren begann. Diese Maßnahme war als Notwehr gegen das von inneren Zerreißproben und
äußerer Verfolgung bedrohte Judentum gedacht: Um als Juden zu überleben, wurde eine strenge Ausgrenzung aller Andersgläubigen für notwendig erachtet. Zugleich blieben die Pharisäer jener Zeit
offen für die Völkermission.
Gamaliel war seinen Anhängern jedoch zu gemäßigt; er wurde durch einen Nachfahren Esras, den jungen Eleasar ben Asarja, zeitweise verdrängt. Dieser führte priesterliche Traditionen wieder ein und stärkte damit restaurative Tendenzen und erneute Hoffnungen der Juden auf nationale Befreiung von der Fremdherrschaft. In diese Zeit fallen Lehrauseinandersetzungen zwischen den Schulen von Hillel und Schammai, die später in der Mischna gesammelt wurden.
Entstehung der jüdischen Heiligen Schriften
Um 100 hatten die nun führenden Pharisäer bereits den Tanach kanonisiert und alle wesentlich davon abweichenden Richtungen aus dem Judentum ausgeschlossen: vor allem Hellenismus, Gnostizismus und Christentum. Zudem hatten ihre verschiedenen Lehrhäuser seit etwa 100 v. Chr. begonnen, die mündlichen Auslegungen der Tora (Halacha) zu sammeln und schriftlich zu fixieren.
Von diesen verschiedenen Kodifizierungen setzte sich bis etwa 300 n.
Chr. die Mischna der Tannaiten durch und wurde zur zweiten normativen Heiligen Schrift neben der Tora. Dadurch erreichten die Rabbiner Zusammenhalt und einheitliche Religionsausübung der noch
bestehenden Judengemeinden in Palästina und in der Diaspora, aber auch die flexible situationsgerechte Auslegung der Tora. Historiker sehen darin eine entscheidende Bedingung für das Überleben
des Judentums in feindlicher Umwelt seit dem Tempel- und Staatsverlust.
Die Amoräer hatten die mündliche Kommentierung der Tora und deren
Sammlung fortgesetzt. Aus ihrer Tätigkeit entstanden gleichzeitig in Galiläa und Babylon der palästinische und babylonische Talmud. In ihm wurden bis 500 die Mischna mit der Gemara vereint. Zudem
kamen weitere Midraschim (freie Torapredigten) zur Tora und zu den jüdischen Jahresfesten (Megillot) hinzu.
In Babylon vertrat der seit dem 2. Jahrhundert nachgewiesene Exilarch
die autonomen Diasporagemeinden seit 628 (Ausrottung und Vertreibung der Juden aus Medina durch Mohammed) auch gegenüber dem islamischen Kalifat. Hinzu kamen die Schulhäupter der Lehrhäuser, die
Gaonen: Diese schufen vor allem eine umfangreiche Responsenliteratur über Fragen der Toraauslegung und alltäglichen Religionsausübung. Auch diese wurde bis etwa 1050 kodifiziert
(Halachot gedolot).
Die Karäer vertraten seit 750 die Alleingeltung der Tora gegen das am
Talmud orientierte Judentum. Daraufhin begannen die Rabbiner erneut das Hebräische zu studieren und die jüdischen Lehren zu systematisieren. Saadia Gaon (882-942), der Gaon von Sura, schrieb dazu
die erste jüdische Religionsphilosophie: Glaubenslehren und Erkenntnisgründe.
Um den Text des Tanach vor Fehldeutungen und Willkür zu schützen,
fixierten die Masoreten nach dem Konsonantentext bis etwa 1050 auch die Vokalisierung des Tanach im masoretischen Text. Zudem vertiefte sich mit spekulativer Literatur über Gott und die Engel die
Hinwendung zur jüdischen Mystik. Das von Stammvater Abraham hergeleitete apokryphe Sefer Jezira, ein erster Entwurf einer Buchstabenmystik, diente als Grundlage der Kabbala.
Der Islam wurde im frühen 7. Jahrhundert durch den Propheten
Mohammed auf der arabischen Halbinsel gegründet. Schon Jahrhunderte zuvor waren zahlreiche jüdische Gemeinden über Arabien verstreut, so dass schon zu dieser Zeit verschiedene Ausformungen des
Judentums der sesshaften Bevölkerung und auch den beduinischen Stämmen bekannt waren. Besonders verbreitet war das Judentum in Südarabien, wo jüdische Gruppen und Proselyten häufig anzutreffen
waren. Altsüdarabische Inschriften, die zum Teil erst in den 1950er Jahren entdeckt wurden, bezeugen die Berichte von vor-islamischen christlichen Schriftstellern über jüdische missionarische
Aktivitäten und Christenverfolgungen, besonders in Nadschran unter Yusuf Dhu Nuwas, den (konvertierten) jüdischen König von Himjar. Der Gottesname Rahman („Barmherziger“), ohne zusätzliches
Attribut, taucht in diesen Inschriften mehrmals auf und deutet auf jüdische Herkunft hin.
In den Jahren, die der Prophet Mohammed in Yathrib verbrachte, kam er
mit den jüdischen Stämmen, die in den Oasen dieser Gegend lebten, auf zahlreiche positive und negative Weisen in Kontakt, was zweifellos die von ihm verkündete strikte Form des Monotheismus und
die Ablehnung des christlichen Glaubensgrundsatzes von Jesus als Sohn Gottes gefördert hat. Obwohl die meisten Erzählungen der Bibel im Koran zu finden sind und die rechtlich bindende Form des
Islam auf Vorschriften beruht, die in der Bibel und im Talmud festgelegt wurden, kann der genuin arabische Charakter des Koran nicht genug betont werden, da der Islam durch Mohammed begründet und
verbreitet wurde. Die meisten eschatologischen Vorstellungen beruhen ebenfalls auf der gemeinsamen jüdisch-christlichen Überlieferung, auch wenn sie von christlichen Mönchen übertragen wurden. In
einem Hadith soll Mohammeds Frau Aischa die Überlieferung von der Bestrafung im Grab von zwei alten Frauen in Medina gehört haben. Nachdem Jerusalem als der Ort des Jüngsten Gerichts akzeptiert
wurde, wurden diesen Glaubensvorstellungen weitere jüdische Elemente hinzugefügt.
Viele Erzählungen aus den Qisas al-Anbiya, den „Prophetenlegenden“,
gehen zurück auf Kab al-Ahbar, einen Islamkonvertiten jüdischer Herkunft, der den Kalifen Omar auf seiner Reise nach Jerusalem begleitete, oder auch auf Wahb ibn Munabbih, ebenfalls einen
Konvertiten oder Sohn eines jüdischen Konvertiten. Die Hadith-Literatur, einschließlich der Legenden, zeigt eine erstaunliche Kenntnis von Halacha und Aggada, wie sie in Talmud und Midraschim
niedergelegt sind. Wie im Judentum gab es zunächst auch im Islam Widerstand gegen die Niederschrift der Aussagen und Lehrsprüche, die durch die Überlieferungskette Isnad übermittelt wurden. Der
Kalif Omar missbilligte die schriftliche Fixierung der Sunna mit den Worten: Wollt ihr eine (schriftliche) „mathnat“ wie die „mathnat“ (aram. für Mischna) der Juden?
Nicht in allen Fällen kann eine klare Abhängigkeit der islamischen
Lehren und Methoden vom Judentum postuliert werden. Die fundamentale Ähnlichkeit von Judentum und Islam, die beide auf religiösen Gesetzen beruhen, die sich in Prinzipien, Methoden und der
jeweiligen Rechtsauffassung niedergeschlagen haben, führte in späteren Jahrhunderten zu parallelen Entwicklungen. Die Geonim, die Leiter der zwei berühmten talmudischen Akademien von Sura und
Pumbedita, erhielten unzählige Fragen über das Verhalten in rechtlichen und sozialen Angelegenheiten; Zehntausende ihrer Responsen sind erhalten geblieben. Dieselbe Praxis herrschte bei den
muslimischen Muftis, einer Kategorie von Juristen, bei denen jeder Muslim eine Fatwa, ein rechtliches Urteil basierend auf dem religiösen Gesetz, erbitten konnte. Sowohl Fatwa als auch Responsen
besaßen rechtlich bindende Kraft. Es ist schwierig zu entscheiden, ob die Entwicklung dieser Rechtsliteratur in beiden Religionen unabhängig oder infolge gegenseitiger Beeinflussung
erfolgte.
Die islamische Kultur, die das Erbe der alten Griechen und des Hellenismus aufgenommen hatte, beeinflusste einige Aspekte der jüdischen Gedankenwelt und Wissenschaft nachhaltig. Nachdem die griechische und jüdische Kultur jahrhundertelang getrennt voneinander existiert hatten, kehrten die Werke der griechischen Philosophen und Naturwissenschaftler in den Gesichtskreis jüdischer Denker und Gelehrten durch arabische Übersetzungen (zum Teil aus früheren Übersetzungen in syrischer Sprache) zurück. Auf diese Weise lernten Saadia Gaon, Ibn Gabirol und Maimonides die Werke von Aristoteles, Platon und des Neuplatonismus kennen.
Die Geschichte der Juden im Mittelalter stand im Zeichen der
Herrschaft des Christentums und der Katholischen Kirche. Sie reichte von der Karolingerzeit bis zur Masseneinwanderung von Aschkenasim in Osteuropa nach den Kreuzzügen, Ghettoisierungen und
Pogromen in den Jahren der Pestpandemie in Mitteleuropa. Eine Sondersituation hatten die Juden im vom Islam eroberten Spanien.
Im Laufe des 1. Jahrtausends hatte sich allmählich das geistige
Zentrum des Judentums von Mesopotamien nach Europa, vor allem nach Spanien und in den nordfranzösischen Raum, verlagert. Schon zu Beginn des 1. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung waren auf der
Iberischen Halbinsel die ersten jüdischen Kolonien entstanden. In den Umbrüchen und Veränderungen, die der Zerfall des Weströmischen Reiches mit sich brachte, gerieten die Juden überall dort in
Bedrängnis, wo größere Bevölkerungsgruppen zum Christentum übertraten. So lebten die Juden unter den nach Spanien eingewanderten Westgoten in weitgehender Freiheit und unbehelligt, solange die
Westgoten Anhänger des Arianismus waren und die Lex Romana Visigothorum kaum Auswirkungen auf das alltägliche Zusammenleben hatte.
Als aber die Westgotenkönige im 6. Jahrhundert zum
römisch-katholischen Glauben übertraten, wurden die antijüdischen Bestimmungen dieses Gesetzes durchgeführt, deren Ziel die Zwangstaufe bzw. Vertreibung der Juden war. Zu Beginn des 8.
Jahrhunderts, nur wenige Jahre vor der Eroberung weiter Teile Spaniens durch die Araber 711, tauchten die ersten antijüdischen Verschwörungstheorien auf, wonach die in Spanien lebenden Juden
zusammen mit den Juden des Orients Aktionen gegen Staat und Kirche planten.
Die maurische Eroberung verhinderte eine weitere Eskalation der
antijüdischen Stimmung. Tatsächlich brachten die ersten Jahrhunderte der maurischen Herrschaft auf der Iberischen Halbinsel eine Zeit des Friedens für die jüdischen Einwohner, und dies, obwohl es
in den ersten Jahrzehnten immer wieder zu jüdischen und auch jüdisch-christlichen Aufständen gegen die Mauren kam. Zu jener Zeit lebte fast die Hälfte aller Juden auf der Iberischen
Halbinsel.
Das 10. und 11. Jahrhundert brachten eine Hochblüte des sephardischen Judentums in Kultur und Wissenschaft. Eines der frühesten Zentren jüdischer Gelehrsamkeit und arabischer Kultur entstand in Córdoba. Hier wirkte der Arzt und Diplomat Chasdai ibn Schaprut (915-961). Auch die erste jüdische Gelehrtenschule Spaniens entstand in Córdoba, gegründet von dem aus Sura als Sklaven hierher gebrachten Moses ben Chanoch. Sein Schüler Josef ben Abitur übersetzte die Mischna ins Spanische. Aus Córdoba stammte auch der berühmteste jüdische Philosoph des Mittelalters, Moses Maimonides. Im Königreich Granada und Málaga wurde Samuel ha Nagid Wesir des Königs, eine Stelle die er fast 30 Jahre lang innehatte. Sein Zeitgenosse war der aus Málaga stammende Dichter Solomon ibn Gabirol (1021-1058), dessen geistliche Werke Eingang in die Liturgie fanden und dessen weltliche Gedichte, zumeist Liebesgedichte, einen Höhepunkt der mittelalterlich sephardischen Dichtung darstellen. Unter dem Pseudonym Avicebron übte sein postum erschienenes philosophisches Werk Mekor Chajim („Quell des Lebens“) einen großen Einfluss auf die christlichen Autoren seiner Zeit aus. Bahya ibn Paquda, der Begründer der jüdischen Moralphilosophie, über dessen Lebensdaten nichts bekannt ist, verfasste mit Chowot halewawot („Herzenspflichten“) eine der lange Zeit beliebtesten Erbauungsschriften über die jüdisch-talmudistische Frömmigkeit. Die Übersetzerfamilie Ibn Tibbon, in Spanien und Südfrankreich ansässig, übertrug bedeutende Werke der arabischen Literatur ins Hebräische.
Während der Zeit der Almoraviden und Almohaden wechselten Perioden
relativen Friedens und relativer Sicherheit für die Juden mit einer Reihe von Verfolgungen durch die maurischen Herrscher ab. Viele der verfolgten und vertriebenen Juden flüchteten in den
christlichen Teil Spaniens, nach Palästina oder nach Nordafrika. Die Bedeutung der arabischen Kultur und der weitgehenden Assimilation der jüdischen Bevölkerung an diese wird auch daran deutlich,
dass Moses Maimonides seinen More Nevuchim („Führer der Unschlüssigen“) zunächst in arabischer Sprache verfasste. Doch auch er musste vor den Verfolgungen durch die Almohaden mit seiner
Familie nach Nordafrika flüchten. Für die im maurischen Spanien zurückgebliebenen Juden verschlechterte sich die Lage in dem Maße, in dem die christliche Reconquista Teile Spaniens wieder
zurückeroberte.
Im christlichen Teil Spaniens war Toledo im 12. und 13. Jahrhundert ein Zentrum jüdisch-christlicher Kultur in Europa. Hier gründete Mitte des 12. Jahrhunderts der Erzbischof Don Raimundo die Übersetzerschule von Toledo, die aus Juden wie Christen gleichermaßen bestand und wesentlich an der Vermittlung antiker Philosophie und arabischer Naturwissenschaft im mittelalterlichen Europa Anteil hatte. Jüdische Gelehrte erlangten hohe Positionen in Staat und Gesellschaft. Josef ha Nasi ben Farrizueul, genannt Cidellus, wurde Leibarzt im Dienst des kastilischen Königs Alfons VI. Nach dessen Tod jedoch kam es zu größeren Judenverfolgungen in Kastilien. Barcelona wurde ein Zentrum talmudischer Gelehrsamkeit; im spanischen-provenzalischen Grenzgebiet entstand die Kabbala. Der eher judenfreundlichen Politik des Königs und des Adels stand im christlichen Spanien jedoch seit der Mitte des 13. Jahrhunderts eine judenfeindliche Einstellung von Kirche und Bürgerschaft gegenüber. Unter dem Einfluss des allgemeinen Konzils von Vienne (siehe Ökumenische Konzile) im Jahr 1311 forderte der spanische Klerus immer lauter die Entfernung der Juden aus allen Staatsämtern, die Trennung der christlichen von den jüdischen Lebensbereichen, die Aufhebung des Zeugnisrechtes für Juden und ihre öffentliche Kenntlichmachung durch besondere Kleiderattribute, wie dem Tragen eines Judenabzeichens. Am 6. Juni 1391 stürmte der seit Jahrzehnten durch antijüdische Propaganda von der Kanzel herab aufgeputschte Pöbel das jüdische Viertel Sevillas. Seine Bewohner wurden, wenn sie nicht den Tod fanden, als Sklaven verkauft oder der Zwangstaufe unterzogen. (Letztere wurde bereits seit der Zeit der Westgoten durchgeführt.) Die zwangsgetauften Juden – spanisch „conversos“ bzw. „Marranen“ („Schweine“), lateinisch „christiani novi“, hebräisch „annussim“ („Gezwungene“) genannt – sollten in den folgenden Jahrzehnten das Ziel blutiger Verfolgungen und Massaker sein. Sie wurden verbrannt und ermordet.
Trotz mannigfacher Verfolgungen erlebte das mittelalterliche Judentum auch in Mittel- und Nordeuropa eine Blütezeit, deren Folgen zum Teil bis heute nachwirken. An erster Stelle ist hier Raschi aus Troyes (1040-1105) zu nennen, Rabbiner und maßgeblicher Herausgeber und Kommentator des Talmud. Der auf ihn zurückgehende Talmud-Kommentar gilt bis heute als einer der bedeutendsten und wird in den meisten Ausgaben mit abgedruckt. Raschis Enkel Raschbam und Rabbenu Tam studierten bei ihrem Großvater und wurden ebenfalls bedeutende Bibel- und Talmudkommentatoren.
Im Mittelalter bildeten die christliche Kirche und der Staat eine
Einheit. Seit dem Hochmittelalter betrachteten Christen Juden als Angehörige einer fremden, veralteten Religion. Sie begegneten dieser religiösen Minderheit mit Misstrauen und Feindschaft. Wo
Krieg, Krankheit, Hunger auftraten, gaben die Menschen den Juden die Schuld. Massenmorde an Juden, Verbrennungen und Folterungen erhielten den kirchlichen Segen, wodurch die Täter von ihrem
schlechten Gewissen befreit wurden. Über Jahrhunderte durften Juden, die stark zusammenhielten, nur in bestimmten Wohnbezirken (Ghettos) leben. Sie waren in den Zünften der christlichen
Handwerker nicht zugelassen, konnten keine öffentlichen Ämter bekleiden und keinen Grundbesitz erwerben. Daher waren sie immer stärker in Handel und Geldgeschäften tätig.
Wegen des Zinsverbotes durften Christen kein Geld gegen Zinsen verleihen. Die Juden durften dies zwar ebenfalls nicht untereinander, sehr wohl aber den Nicht-Juden gegenüber. So übernahmen sie diese Marktlücke und kamen deswegen in den schlechten Ruf, Wucherer zu sein und zu hohe Zinsen zu nehmen; besonders wurde dies von Schuldnern, die ihren Kredit nicht zurückzahlen konnten, aufgebracht.
Für die christliche Kirche waren Juden nicht nur je nach Bedarf Einnahmequelle, „Gottesmörder“ oder „Brunnenvergifter“, sondern vor allem war diese Existenz verstreut lebender und leidender Juden Zeugnis göttlicher Offenbarung.
Bereits 1144 waren im englischen Norwich die ersten Beschuldigungen
wegen angeblichen rituellen Christenmordes aufgetaucht, die in der Enteignung und endgültigen Vertreibung der Juden aus England unter Eduard I. gipfelten, und 1215 verkündete Papst Innozenz III.
auf dem 4. Laterankonzil eine Reihe von antijüdischen Maßnahmen. Wie schon im arabischen Kodex Omar forderte auch er, dass sich Juden in der Öffentlichkeit durch bestimmte Farben und Kleidung
kenntlich zu machen hätten. Die antijüdischen kirchlichen Gesetze führten schließlich zum Verbot des Talmud und 1242 zu seiner öffentlichen Verbrennung in Paris. Zwar hob Innozenz IV. das
Talmudverbot wieder auf, doch konnte er die antijüdischen Tendenzen und Haltungen innerhalb der Kirche damit nicht verhindern bzw. abmildern. Zwischen 1298 und 1348 kam es zu zahlreichen blutigen
Pogromen vor allem in den deutschsprachigen Gebieten, so 1298 bis 1303 unter Führung von König Rintfleisch und zwischen 1336 und 1338 unter Führung des Raubritters König Armleder.
Am 17. September 1394 vertrieb Karl VI. (Frankreich) sämtliche Juden aus Frankreich.
Als in den Jahren 1348 bis 1353 die Pest in ganz Europa wütete – man
schätzt, dass während der verschiedenen Schübe, in denen die Pest immer wieder aufflammte, 25 Millionen Menschen in Westeuropa starben – wurden die Juden als vermeintliche Urheber der Seuche
verfolgt und der Brunnenvergiftung beschuldigt. Diese Pestausbrüche waren mit zahlreichen Pogromen verbunden.
Einen vorläufigen Höhepunkt der religiös begründeten Judenfeindschaft
bildeten die mittelalterlichen Kreuzzüge. Kreuzritter plünderten auf dem Weg ins Heilige Land jüdische Stadtviertel und Dörfer, vor allem im Rheinland. Viele Juden flüchteten in andere Regionen
Deutschlands und nach Osteuropa und nahmen ihre deutschen Namen und ihre Sprache, das Jiddische, mit.
Vermutlich sind Juden seit Ende des 7. Jahrhundert von Konstantinopel
kommend in der heutigen Ukraine ansässig. Bis in das 10. Jahrhundert können jüdisch-chasarische Siedlungen zurück verfolgt werden. In der Zeit zwischen 786 und 809 n.Chr. trat die gesamte
Oberschicht der Chasaren zum Judentum über. Die Chasaren werden daher gelegentlich auch „der 13. Stamm Israels“ genannt.
Die Zahl der Bekehrten belief sich angeblich auf etwa 4000 Menschen, die jüdische Lehre durchdrang also auch das gesamte Volk. Im Laufe der Zeit mischten sich Juden und turksprachige Chasaren. In den Jahrzehnten nach dem Einfall der Russen um 944 und durch innere Zwistigkeiten zerbrach das Chasaren-Reich schließlich. Während der Kiewer Rus erlebten die Juden eine weitere Blütezeit (980-1015).
Vom 12. bis zum 14. Jahrhundert wanderten zahlreiche Juden ins
Königreich Polen aus. Sie siedelten zunächst in den dem Deutschen Reich nahegelegenen Städten und Provinzen. Unter Mecheslav III. und weiteren Prinzen hielten Juden die Münze von Groß- und
Kleinpolen. 1264 erhielten die Juden durch den damaligen Herrscher Großpolens, Boleslav V. den Frommen, weitreichenden Schutz und Privilegien. Das sogenannte Statut von Kalisch, das sich eng an
die Privilegien, die Ottokar II. den mährener Juden gewährte, anlehnt, sah unter anderem vor, dass ein Rechtsstreit zwischen einem Juden und einem Christen vor dem Prinzen selbst oder dessen
Vertreter in der Provinz, dem Wojwoden, geführt wird. Rechtsstreite zwischen Juden wurden unter die Jurisdiktion eines jüdischen Richters gestellt. Auch sollte nach §32 der Statuten,
„Ritualmord“-Anklagen von sechs „Zeugen“ untersucht werden, von denen drei Christen und drei Juden sein sollten. Dank dieser und anderer für die Juden Polens positiven Gesetzgebung konnten sich
die jüdischen Gemeinden relativ sicher entwickeln. Diese Sicherheit war zum Nutzen beider Seiten, auch wenn schon bald Versuche unternommen wurden, diese Freiheiten einzuschränken (Synoden von
Breslau 1267 und Ofen 1279). Denn es waren jüdische Händler, die wichtige Handelslinien nach Westen und Osten eröffneten oder ausbauten und somit nicht unwesentlich zur Orientierung Polens nach
Westen beitrugen.
König Kasimir der Große bestätigte nicht nur die Privilegien, sondern
er erweiterte oder präzisierte sie in einigen Punkten und dehnte ihre Rechtsgültigkeit auch auf das Gebiet Kleinpolens aus. Jagiello, Großfürst Litauens, heiratete im Jahre 1386 die Kronerbin
Jadwiga. Nach seiner Taufe wurde er zum König gewählt. Sein gesamtes bis zu diesem Zeitpunkt heidnisches Fürstentum wurde zwangschristianisiert. Doch Witold, der Vetter des Königs, der zunächst
den Widerstand gegen Jagiello und dessen Politik der Christianisierung leitete, gewährte den jüdischen Gemeinden von Troki, Brest-Litowsk und Grodno weitreichende Privilegien, die letztendlich
einer Gleichstellung mit der sonstigen Bevölkerung gleichkamen.
Im Jahre 1399 erfolgte in Posen die erste bekannte Beschuldigung wegen Hostienfrevels. Der Rabbi der Gemeinde sowie dreizehn Gemeindeälteste und die Frau, die ihnen angeblich geweihte Hostien besorgt hatte, wurden öffentlich verbrannt. Die jüdische Gemeinde zu Posen wurde zur jährlichen Zahlung einer Geldstrafe an die Dominikaner verurteilt. 1407 wurde in Krakau die erste bekannte Ritualmordklage erhoben. Von der Kanzel der St. Barbara-Kirche verkündete der Priester Budek der Gemeinde, die Juden hätten ein christliches Kind in der Nacht ermordet und sein Blut für rituelle Zwecke verwendet. Der Mob stürmte die jüdischen Häuser und steckte sie in Brand. Viele jüdische Bürger wurden ermordet oder suchten Zuflucht in der Taufe. Alle Kinder der Ermordeten wurden zwangsgetauft.
Die Geschichte der Juden in der Neuzeit umfasst die Geschichte
jüdischer Gemeinschaften und Minderheiten seit der Reformation bis zur Gegenwart, die sich nach Kontinenten und einzelnen Ländersituationen sehr unterschiedlich entwickelte. Schwerpunkt dieses
Überblicksartikels ist die Entwicklung in Europa, die von der Zerstreuung der Sepharden (16. Jahrhundert) bis zur Neugründung des Staates Israel 1948 reicht.
Die Umwälzungen der Reformation im 16. Jahrhundert veränderten die
Lage der Juden in einigen Regionen Europas. Die Bedeutung der hebräischen Literatur für das europäische Geistesleben war bereits seit der Renaissance, in der einige Bibelhandschriften der
Masoreten wiederentdeckt wurden, gewachsen. Neben dem Tanach, der Hebräischen Bibel, wurden zunehmend auch der Talmud und andere jüdische Literatur studiert, was dem Judentum zu einigem Ansehen
verhalf. Martin Luthers Aufforderung von 1543, die Juden zu vertreiben oder ihnen Arbeitszwang aufzuerlegen, kamen die evangelischen Fürsten nicht nach. Unter dem Einfluss der protestantischen
Konkurrenz trat die antijudaistische Ritualmordlegende auch in katholischen Ländern zeitweise zurück.
Im Zeitalter der Gegenreformation und der Konfessionskriege, die im
Dreißigjährigen Krieg gipfelten, wurden Juden teils regional gegen hohe Abgaben geduldet, teils als vermeintliche Pestüberträger oder Verbündete der jeweiligen Glaubensfeinde verfolgt. Mit dem
Westfälischen Frieden 1648 wuchs jedoch in Europa die Einsicht, dass sich Glaubensfragen nicht durch Kriege entscheiden lassen. Während die Großkirchen zu einem Kompromiss fanden, wurden
religiöse Minderheiten weiterhin stark bedrängt. So gingen neue Ideen der Toleranz nicht von den Kirchen aus, sondern von religiösen Randgruppen und aufgeklärten Philosophen, z. B. John Locke und
Baron de Montesquieu. Dieser forderte als Erster die Gleichberechtigung der jüdischen mit der christlichen Religionsausübung. Antijüdische Polemiken waren nun selten und wurden manchmal sogar
verboten: so ein antijüdisches Pamphlet von Johann Andreas Eisenmenger.
Im 18. Jahrhundert entwickelte sich aus dem Naturrecht die Idee der
Menschenrechte. Damit konnte auch die Jüdische Emanzipation langfristig in das Blickfeld aufgeklärter Fürsten und Bürger kommen. Der Mensch wurde nicht länger nach seiner Religionszugehörigkeit
bewertet, sondern nach seiner Nützlichkeit für den Staat. Mehrere bedeutende Verfechter des Merkantilismus waren den Juden gegenüber jedoch weiterhin feindselig gesinnt (z. B. William Petty,
Johann Joachim Becher). So waren es jüdische Apologeten selbst, die für mehr Rechte der Juden mit utilitaristischen Argumenten eintraten, wie z. B. Simone Luzzatto, dessen Schriften auf
einflussreiche Denker wie Montesquieu wirkten.
Die Gegebenheiten für jüdische Gemeinden entwickelten sich unter den
sich verändernden gesellschaftlichen Zuständen sehr verschieden. Schon seit den Kreuzzügen des 13. und den Pestpogromen des 14. Jahrhunderts war in Osteuropa ein Zentrum autonomen jüdischen
Lebens entstanden; weitere Zentren entstanden nach der Vertreibung der Juden aus Spanien (1492) und Portugal (1497; sephardischen Zerstreuung) im Osmanischen Reich (seit 1517), in den
Niederlanden (seit 1581), in New Amsterdam (1626) und in England (Aufhebung des Einwanderungs- und Ansiedlungsverbots ab 1650).
In Spanien wurden seit 1391 die Juden offiziell verfolgt und mussten
zwischen Hinrichtung und Zwangstaufe wählen. Eine besondere Schärfe erhielten die Verfolgungen, als mit Einführung der Inquisition 1480 unter Ferdinand II. von Aragon und Isabella von Kastilien
nicht mehr nur die Juden Ziel der Nachstellungen wurden, sondern auch jene, die zwar rein äußerlich zum Christentum konvertiert waren, um ihr Leben zu retten, die aber im Geheimen weiterhin ihrem
alten Glauben die Treue hielten. Eine große Zahl dieser zwangskatholisierten spanischen und portugiesischen Juden wurde Opfer der Inquisition und starb auf dem Scheiterhaufen. Auf Betreiben des
Großinquisitors Tomás de Torquemada wurden ab dem 31. März 1492, Alhambra-Edikt, alle Juden aus Spanien vertrieben. 1497 folgte auch ihre Ausweisung aus Portugal.
Einige der vertriebenen Sephardim ließen sich zunächst in Brasilien
nieder. Da dort aber nur den Marranen der Aufenthalt erlaubt war und bald auch in den überseeischen Kolonien die Verfolgung durch die Inquisition eingeführt wurde, verließen viele Juden das Land
wieder. 1654 waren es brasilianische Marranen, die erstmals eine Gemeinde in der niederländischen Kolonie Neuamsterdam (heute New York City) gründeten. Dazwischen haben sie Kolonien in
Nordargentinien, Surinam, Kolumbien (Antioquia) und México. Diese Gruppen sind bis heute noch in ihren jüdischen Lebensweisen und kulturellen Elementen erkennbar, nicht zuletzt der Pflege der
Sprache, Ladino, mit dem typischen voseo (vos statt usted).
Die Mehrzahl der sephardischen Juden floh jedoch ins Osmanische Reich,
nach Holland, Deutschland, Italien oder Griechenland. Von großer Bedeutung für die weitere kulturgeschichtliche Entwicklung in Europa wurden die nach Italien geflohenen Juden, da sie dank ihrer
profunden Kenntnisse antiker Autoren und antiker Philosophie einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung der Renaissance hatten.
Die größte jüdische Gemeinde Europas befand sich im 16. Jahrhundert
jedoch in Konstantinopel, dem späteren Istanbul. Die einwandernden Marranen trafen hier auf eine bereits bestehende lebendige jüdische Bevölkerung: Neben den Griechisch sprechenden Romanioten –
so nannten sich die Byzantiner – lebten hier eine kleinere Gruppe aschkenasischer Juden, eine große Gruppe osteuropäischer Juden, die vor den Verfolgungen aus Osteuropa ins Osmanische Reich
geflüchtet waren, sowie eine kleine Gemeinde von Karäern, die bedeutende Vertreter hervorbrachte.
In Deutschland spielten die Marranen eine wichtige Rolle bei der
Entstehung der jüdischen Aufklärung sowie allgemein im Emanzipationsprozess innerhalb der jüdischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert. Die meisten dieser Marranen waren erst Anfang des 17.
Jahrhunderts von Amsterdam und Antwerpen nach Deutschland, vor allem nach Hamburg, gekommen. Sie waren Nachfahren der ursprünglich aus Spanien und Portugal in die Niederlande geflüchtete
Conversos, die dort geschlossen zum Judentum zurückgekehrt waren.
Nach der protestantischen Reformation wurden manche Länder Europas
toleranter gegenüber den Juden. Erste Anzeichen gab es in England, wo das Commonwealth unter Oliver Cromwell den Juden ab 1650 die Einwanderung anbot. Einflussreiche Männer wie der Philosoph John
Locke und der Missionar Roger Williams luden sie zudem ein, sich in den englischen Kolonien Nordamerikas niederzulassen. In Frankreich verlieh die Nationalversammlung den Juden im Zuge der
Französischen Revolution 1791 das Wahlrecht.
Die meisten aschkenasischen Juden, die zur Zeit der Kreuzzüge und der
verschiedenen Pestepidemien in Mitteleuropa vor den Pestpogromen nach Osteuropa geflüchtet waren, ließen sich in Polen und Russland nieder. Um 1648 betrug ihre Zahl in Polen über 500.000, die
innerhalb des Königreichs ihre Autonomie bewahrten und das Land zu einem Zentrum des jüdischen Lebens machten. Zwischen 1648 und 1658 kam es zu Pogromen in der Ukraine, die nach dem Aufstand des
Kosakenführers Bohdan Chmelnyzkyj einsetzten. Siehe auch Sabbatai Zwi.
Der Zerfall des polnischen Staates und die Teilungen Polens führten zu
Beginn des 19. Jahrhunderts dazu, dass von nun an die ursprünglich einheitliche jüdische Bevölkerung Osteuropas in verschiedenen politischen Einflussgebieten lebte und sich auch verschieden
entwickelte. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung war durch die Teilungen zu Bürgern des Habsburgerreichs bzw. Preußens geworden. Doch der weitaus größere Teil lebte nun im zaristischen Russland,
wo die Ansiedlung nicht nur auf den so genannten Ansiedlungsrayon beschränkt war, sondern die Juden auch politisch nahezu rechtlos waren.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage der
jüdischen Bevölkerung in Osteuropa rapide. In Russland kam es zu zahlreichen Pogromen, die ihren Höhepunkt gegen Ende des Jahrhunderts erreichten und bis zur Russischen Revolution 1917 immer
wieder aufflammten. Zwischen 1890 und dem Ende des 1. Weltkriegs emigrierten als Folge der Pogrome rund zwei Millionen Juden aus Russland in die Vereinigten Staaten. Lebten zur Zeit des
Nordamerikanischen Unabhängigkeitskriegs um 1780 schätzungsweise 2.000 Juden in den USA, so war ihre Zahl um 1880 schon auf annähernd 250.000 angestiegen. Während der nächsten vierzig Jahre
reisten nochmals drei Millionen Juden ein, vor allem aus Osteuropa. Der große Strom versiegte erst 1924 mit der Einführung der Einwanderungsbeschränkungen. Nach 1933 waren die Vereinigten Staaten
dann ein wichtiger Zufluchtsort für die vor dem Terror des Nationalsozialismus flüchtenden Juden aus ganz West- und Osteuropa. Trotzdem wurden nicht alle Juden in den USA aufgenommen. Manche
Flüchtlingsschiffe wurden abgewiesen und mussten wieder umkehren.
Andere Kolonien ehemaliger osteuropäischer Juden waren bereits früh
auch in Kanada, Südamerika (insbesondere in Argentinien) sowie in Palästina entstanden.
Die Ideale der Aufklärung, die unter den europäischen
Bildungsschichten während des 18. Jahrhunderts aufkamen, hatten widersprüchliche Auswirkungen. Auf der einen Seite respektierte man das Individuum unabhängig von seiner Religion und Abstammung
als „menschliches Wesen“, war aber andererseits nicht bereit, historisch gewachsene Gruppen anzuerkennen, die nicht beabsichtigten, ihre Identität aufzugeben. Juden, die in die Gesellschaft
aufgenommen werden wollten, zugleich aber Juden bleiben wollten, wurden der Heuchelei verdächtigt. Während Lessings Ideal von Toleranz die Identität des Menschen respektierte („Sind Christ und
Jude eher Christ und Jude als Mensch?“ (Nathan)), verlangte Herder von den Juden, sich anzupassen so dass sie „nach europäischen Gesetzen leben und zum Besten des Staates beitragen“.
Neben der Befürchtung, die Juden könnten, wenn sie ihre Identität
bewahren, einen Staat im Staate bilden, kamen auch antikirchliche Bestrebungen zum Tragen. So versuchten Deisten und Religionsgegner die Fundamente der christlichen Kirchen anzugreifen, indem sie
behaupteten, das Alte Testament sei eine jüdische Fälschung. Zahlreiche antisemitische Stereotypen wurden neu belebt und von führenden Denkern ins Feld geführt: „ein unwissendes und barbarisches
Volk, das seit langem den schmutzigen Geiz mit dem verachtungswürdigen Aberglauben verbindet“ (Voltaire). Fichte sah keine andere Möglichkeit als „in der Nacht ihnen die Köpfe abzuschneiden und
andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei.“
Auch andere Bestrebungen zielten auf die „Besserung“ der Juden ab. Man
bekannte sich zur Verantwortung für die Verfolgung, Isolation und Diskriminierung der Juden. Die entwickelten Integrationsmodelle (z. B. von C.W.Dohm) sollten Nachteile in Bildung und Beruf zu
verringern, waren aber von den alten Vorurteilen geprägt. Sie liefen außerdem stets darauf hinaus, die Faktoren, welche die Juden von ihrer Umwelt unterschieden, auf ein Minimum zu
beschränken.
Anfang des 19. Jahrhunderts bildete sich in Deutschland eine an der
jüdischen Aufklärung Haskala orientierte Reformbewegung des Judentums, die eine religiöse Erneuerung hervorrief, die noch heute vor allem in Nordamerika fortbesteht. Israel Jacobson, Hoffaktor
von Jérôme Bonaparte, gründete 1810 als erster in Seesen (und später in Kassel) eine reformorientierte Schulsynagoge. Es bildeten sich in Berlin und Hamburg Gemeinden, die Reformsynagogen bauten,
die sich Tempel nannten.
Seit der Französischen Revolution im Jahr 1789 erhielten die Juden in Europa nach und nach die Bürgerrechte und wurden zunehmend rechtlich gleichgestellt. Sie waren jetzt mehr oder minder anerkannte Mitbürger, die eben nur einer anderen Religion angehörten. In Deutschland fühlten sie sich als deutsche Bürger jüdischen Glaubens. Viele Juden traten sogar zum Christentum über. Zum Teil wurden jüdische Familien auch in den erblichen Adelsstand erhoben, zum Beispiel die Oppenheims oder die Familie Hirsch auf Gereuth, die in Bayern bereits 1815 in den Erbadelsstand erhoben wurden. Die Rothschilds wurden in Österreich 1822 in den Erbadelsstand erhoben, in England wurde erst 1885 mit Nathaniel de Rothschild der erste praktizierende Jude zum Lord erhoben. Ihr Bekenntnis zu Deutschland zeigten sie mit ihrer Teilnahme an den Befreiungskriegen 1813 bis 1815, am Deutsch- Französischen Krieg 1870/71 und am ersten Weltkrieg. Im Laufe des 19. Jahrhunderts passten sich die Juden nahezu vollständig an ihre christliche Umwelt an und galten fast als gleichberechtigte Mitbürger. Sie waren Mitglieder bei Feuerwehren oder Schützenvereinen oder stellten Bürgermeister. Teilweise akzeptierten die Christen auch die religiösen Sitten der Juden. Sie nahmen z. B. an Einweihungen von Synagogen teil oder verlegten – wie die Stadt Oberkirchen 1854 – den Markttag, wenn er auf einen jüdischen Feiertag fiel. Die Juden blieben in der Minderheit, sie stellten weniger als zwei Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung. Doch die Zahl der jüdischen Ärzte, Rechtsgelehrten, Maler, Dichter, Musiker und Regisseure war überproportional hoch. Der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy, die Arbeiterführer Karl Marx und Rosa Luxemburg, der Arzt und Psychiater Sigmund Freud, der Physiker Albert Einstein sind nur einige von vielen jüdischen Persönlichkeiten, die das deutschsprachige Geistes- und Kulturleben über die Landesgrenzen hinaus belebten. Unter 40 deutschen Nobelpreisträgern bis 1933 waren 11 Juden. Im 1. Weltkrieg kämpften jüdische Offiziere und Soldaten mit und es wurden einige mit hohen Orden ausgezeichnet.
Dieser Artikel befasst sich mit der Geschichte des heutigen Staates Israel seit seiner Gründung im Jahr 1948.
Die Geschichte des Staates Israel als moderner demokratischer Staat im Nahen Osten begann nicht erst mit seiner Gründung im
Jahr 1948. Ihr gingen Bemühungen von Vordenkern des Zionismus über einen Zeitraum von mehr als 100 Jahren voraus, die eine Rückkehr von Juden in das Gelobte Land ermöglichen und später
einen souveränen Nationalstaat mit eigenem Staatsgebiet für die verfolgten und benachteiligten Juden Europas schaffen wollten.
Die Sehnsucht nach einer Rückkehr in das Gebiet, wo die Israeliten seit etwa 1200 v. Chr. ansässig waren, wurde im
babylonischen Exil nach dem Untergang der Königreiche von Juda und Israel zum festen Bestandteil der religiösen Zukunftshoffnung aller Juden. Sie blieb nach der Zerstörung Jerusalems durch die
Römer im Jahre 70 n. Chr. und der Zerstreuung in die Diaspora Jahrtausende lang lebendig.
Wenn auch Israel immer eine allgemeine jüdische Idee war, darf dies nicht mit Zionismus verwechselt werden. Vor dem
Auftauchen des Zionismus glaubten die meisten Juden, dass die Rückkehr nach Israel mit der Ankunft des Messias kommen werde, sprich nach göttlicher Intervention. Es gab zwar Bewegungen, die
meinten, Juden sollten schon früher versuchen, zurückzukehren; diese blieben aber bis mindestens ins 19. Jahrhundert hinein in der Minderheit.
Während heute die meisten Juden den Zionismus mehr oder weniger unterstützen, war er zur Zeit seiner Entstehung sehr
umstritten, und die große Mehrheit der Juden lehnte ihn ab. Die deutschen Reformjuden des 19. und frühen 20. Jahrhunderts waren als deutsche Patrioten Antizionisten und lehnten jede Konzeption
des Jüdisch-Seins jenseits der Religion ab. Im Gegensatz dazu wollten die säkularen Zionisten, deren Schwerpunkt in Osteuropa lag, das Judentum mit Nachdruck als ethnische Gruppe verstanden
wissen – viele der zionistischen Führer lehnten das Judentum im Sinne von Glauben ab, sahen sich aber dennoch weiterhin als Vertreter einer jüdischen Nationalität.
Viele Chassidim und andere ultra-orthodoxe Juden betrachteten die Rückkehr nach Israel vor der Ankunft des Messias als
Sakrileg. Erst seit dem Holocaust sind prozionistische Strömungen im Judentum in der absoluten Mehrheit. Das Reformjudentum, das konservative Judentum und die moderne Orthodoxie sind starke
Befürworter des Zionismus und sogar die Haredim (ultra-orthodoxe Juden) wechselten ihre Position von Antizionisten zu Nichtzionisten, also einer neutralen Position dem Zionismus
gegenüber.
Seit der Gründung der zionistischen Bewegung durch Theodor Herzl am ersten Zionistenkongress 1897 in Basel wurden praktische
Schritte unternommen, die internationale Unterstützung für eine jüdische Heimstätte in Palästina zu erlangen, das damals ein Teil des Osmanischen Reiches war.
Die Balfour-Deklaration von 1917 sicherte die Unterstützung der britischen Regierung für eine Schaffung einer jüdischen
Heimstätte in Palästina zu, die auch von einer Reihe anderer Staaten gestützt wurde. Im Jahre 1922 übertrug der Völkerbund dem Vereinigten Königreich das Mandat über Palästina (damit auch über
das heutige Jordanien).
Die jüdische Einwanderung in den 1920er Jahren wuchs langsam, um dann in den 1930er beträchtlich anzusteigen. Diese durch die
Unterdrückung und Verfolgung durch die Nationalsozialisten bedingte Einwanderungswelle wurde im Jahre 1939 durch die Briten teils gewaltsam gestoppt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem beinahe kompletten Genozid an den europäischen Juden durch die
Nationalsozialisten wuchs die internationale Unterstützung für die zionistische Sache, wodurch die britischen Bemühungen, die Einwanderung einzudämmen, überwunden wurden. Die Briten kündigten an,
sich aus dem britischen Mandatsgebiet zurückziehen zu wollen, und die Vollversammlung der Vereinten Nationen beschloss mit der Resolution 181 vom 29. November 1947 die Teilung Palästinas in einen
arabischen und einen jüdischen Staat, wobei Jerusalem unter UN-Verwaltung stehen sollte. Die meisten Juden in Palästina akzeptierten den Beschluss, während ihn die meisten Araber dort
zurückwiesen.
Bereits vor der Teilung kam es seitens der arabischen Bevölkerung zu Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung in Palästina -
abgesehen von "Inseln" der friedlichen Koexistenz zwischen beiden Bevölkerungsteilen. Dramatisch änderte sich das nach der Teilung. Während die überwiegende Mehrheit der Juden mit der Teilung in
einen jüdischen und einen arabischen Staat einverstanden waren, räumte die Mehrzahl der Araber einem arabischen, aber keinem jüdischen Staat ein Existenzrecht ein – die Wurzel des arabischen bzw.
palästinensischen Widerstandes. Die arabische Bevölkerung begann, sich gegen die Existenz des jüdischen Staates zur Wehr zur setzen mit dem Ziel, einen palästinensischen Staat nicht nur auf dem
Gebiet der ihr von den Vereinten Nationen zugesprochenen Hälfte Palästinas zu errichten, sondern sich auf dem gesamten Territorium auszubreiten.
Während es gegen die britische Mandatsverwaltung in Palästina wenig Widerstand seitens der Palästinenser gegeben hatte,
entflammte heftigster Widerstand gegen die Bildung bzw. Existenz eines jüdischen Staates auf einem Teil des Territoriums. Als der Jischuw sich – vor dem Teilungsbeschluss von 1947 – gegen die
britische Mandatsverwaltung zur Wehr setzen und den Arabern anbieten wollte, gemeinsam mit ihnen gegen die britische Mandatsverwaltung und für eine autonome Regierung Palästinas zu kämpfen,
lehnten die Araber dieses Angebot mit der Begründung ab, sie würden nicht mit Juden gemeinsam kämpfen, und zogen es vor, weiterhin die britische Mandatsverwaltung zu akzeptieren.
Am 14. Mai 1948 zogen sich die letzten britischen Streitkräfte aus Palästina zurück, und David Ben Gurion verlas die
israelische Unabhängigkeitserklärung. Noch in der Gründungsnacht erklärten Ägypten, Saudi-Arabien, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien dem jungen Staat den Krieg.
Israel trieb im Israelischen Unabhängigkeitskrieg die Armeen erfolgreich zurück. Die israelische Armee konnte einige der
Gebiete erobern, die laut Teilungsplan den Arabern oder Jerusalem zugefallen wären, das in diesem Plan als Corpus separatum vorgesehen war. Der Krieg dauerte 15 Monate und brachte eine
50-prozentige Erweiterung des israelischen Gebiets (einschließlich Westjerusalems). Zwischen Februar und Juli 1949 wurde zwischen Israel und vier arabischen Staaten die Waffenstillstandsabkommen
von 1949 unterzeichnet, doch die Gewalttätigkeiten setzten sich über die Jahre an den Grenzen fort. Im Juni 1948 führten Auseinandersetzungen um die Entwaffnung des Schiffs Altalena zu schweren
Kämpfen zwischen der israelischen Regierung unter Ben Gurion und Vertretern des Irgun, darunter Menachem Begin.
Kurz nach dem Krieg begann die Flucht bzw. Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus den nun Israel zugeteilten Gebieten.
Die Geburtsstunde Israels gilt für die Palästinenser als Katastrophe (Nakba). Die jüdischen Flüchtlinge siedelten zu großen Teilen in den Staat Israel über; viele der arabischen Flüchtlinge und
ihre Nachkommen leben bis heute in Flüchtlingslagern, die von der UNRWA betrieben werden.
Unter der Federführung der Vereinten Nationen wurden im Jahre 1949 auf Rhodos vier Waffenstillstandserklärungen zwischen
Israel und auf der anderen Seite Ägypten, Jordanien, dem Libanon und Syrien unterzeichnet, mit der Grünen Linie als Grenze zwischen den Staaten. Das Westjordanland einschließlich des Ostteils von
Jerusalem mit der Altstadt wurde von Jordanien besetzt (Juden hatten, obwohl dies laut Waffenstillstandsabkommen mit Jordanien ihr Recht war, keinen Zugang zur Klagemauer und zum Tempelberg) und
der Gazastreifen kam unter ägyptische Verwaltung. Ein Friedensabkommen konnte bisher nur mit Ägypten (1979) und mit Jordanien (1994) abgeschlossen werden.
Weil zwischen Israel und seinen Nachbarn kein Friede zustande kam, versuchte die israelische Regierung die Beziehungen mit
Ländern in Fernost zu verbessern. So wurden etwa am 15. Mai 1952 diplomatische Beziehungen mit der japanischen Regierung aufgenommen. Ähnliches versuchte man mit den Regierungen Indiens und der
Volksrepublik China zustande zu bekommen, scheiterte in den 1950ern jedoch damit.
Am 5. Juli 1950 verabschiedete die Knesset das Rückkehrgesetz, das allen Juden in der Welt das Recht gab, nach Israel
einzuwandern. Schon vor der Verabschiedung dieses Gesetzes kamen Einwanderer in Scharen nach Israel, was große finanzielle und logistische Probleme verursachte. Einige von ihnen wurden dabei vom
israelischen Staat unterstützt, so kamen von 1947 bis 1950 etwa 250.000 Holocaust-Überlebende ins Land. Die „Operation fliegender Teppich“ brachte zwischen 1949 und 1950 etwa 49.000 jemenitische
Juden nach Israel. Die Operation war nach dem Einverständnis der Briten möglich geworden, ihr waren Pogrome in Aden vorausgegangen. Viele dieser Einwanderer waren orthodoxe Juden in großen
Familien, oft waren es Bewohner vom Lande, die erst von der Möglichkeit der Auswanderung informiert werden mussten. Gegen diese Aktion gab es auch Widerstände aus den Reihen der Mapam, wegen der
befürchteten Kosten der Integration. Die Neueinwanderer wurden in den im Unabhängigkeitskrieg verlassenen arabischen Dörfern, in britischen Kasernen oder Zeltlagern untergebracht.
Am 25. Januar fanden die ersten Wahlen zur Knesset statt und am 11. Mai 1949 wurde Israel das 59. Mitglied der
UN.
Wegen der finanziellen Schwierigkeiten des neu gegründeten Staates galten seit 1949 Gesetze, die den Lebensstandard gering halten sollten, diese wurden erst 1959 endgültig abgeschafft.
Nachdem Gamal Abdel Nasser 1952 in Ägypten an die Macht gekommen war, verbesserten sich die amerikanisch-ägyptischen
Beziehungen. Dies wurde von einigen als Bedrohung für Israel angesehen. Es kam zu einem Zwischenfall, der später, als alle Fakten aufgedeckt waren, die israelische Öffentlichkeit schockierte und
zum Sturz der Regierung unter Ben Gurion führte. Die Lawon-Affäre beschäftigte die israelische Innenpolitik noch für eine Dekade.
Einige Persönlichkeiten der israelischen Regierung schmiedeten gemeinsam mit dem Militärgeheimdienst ein Komplott, um die
Beziehungen zwischen den USA und Ägypten zu unterminieren. Diese Gruppe führte Bombenanschläge gegen US-amerikanische Regierungs- und Zivileinrichtungen in Ägypten durch. Ziele waren eine
US-amerikanische Bibliothek in Alexandria und Kairo, ein MGM-Kino und andere US-amerikanische Geschäftsgebäude. Diese Aktionen wurden 1954 beendet, als zwei Agenten, die versucht hatten eine
Bombe zu platzieren, gefangen genommen wurden. Die Zelle brach darauf zusammen, die meisten ihrer Mitglieder wurden von den Ägyptern inhaftiert, zwei wurden mit dem Tode bestraft. Wegen der
schlechten Behandlung, die diese zumeist sephardischen Juden durch Ägypten erfuhren, sahen sich Kritiker darin bestätigt, dass die israelische Regierung unter der Mapai die Sepharden
diskriminiere, da sie sich nicht stark genug für die Gefangenen eingesetzt habe.
In der folgenden Untersuchung behauptete Brigadier Binyamin Gibli, Verteidigungsminister Pinchas Lawon habe mündlich den Befehl zur Ausführung der Operation gegeben. Der damalige Generalstabschef Mosche Dajan behauptete dasselbe. Lawon musste zurücktreten und Ben Gurion übernahm sein Amt. 1960, nach neuen Beweisen, die durch einen geheimen Prozess im Jahre 1958 gegen einen der Doppelspionage Verdächtigten ans Tageslicht gekommen waren, verlangte Lawon von Ben Gurion seine Entlastung. Ben Gurion wies diese Forderung zurück, weil er nicht glauben mochte, dass Offiziere der von ihm mit gegründeten Armee eine so unehrenhafte Aktion, wie Lawon etwas anzuhängen, durchführen könnten. Im Jahre 1960 stellte ein Komitee aus sieben Ministern, das den Fall untersuchen sollte, dennoch fest, dass ein Dokument, das von Mosche Dajan und Schimon Peres (zu diesem Zeitpunkt Verteidigungsminister) dazu benutzt worden war, um die Verantwortung für die 1954er-Aktion auf Lawon zu schieben, gefälscht war. Eine folgende Anhörung ergab, dass neben Dajan und Peres auch der Brigadier Abraham Givli verstrickt war. Die Schlüsse des Komitees wurden von der Regierung akzeptiert und, obwohl versucht wurde, die Details des Falles auf Grund der nationalen Sicherheit geheim zu halten, führte die Lawon-Affäre zu einem zweiten Skandal. Ben Gurion trat mit dem Argument zurück, die Regierung sei aus politischen Erwägungen zu diesem Urteil gegen die „Jungen Wilden“ gelangt und könne in diesem Fall nicht entscheiden.
Bei den folgenden Wahlen im Jahre 1961 erklärte Ben Gurion, dass er nur dann den Regierungsauftrag übernehme, wenn Lawon vom Vorsitz über die Histadrut entlassen würde. Seine Forderungen wurden akzeptiert, aber 1963 trat er abermals wegen des Skandals zurück. Seine Versuche, das Problem in den Jahren 1964–1965 durch die Mapai zu lösen, wandten sich gegen ihn, und Ben Gurion war gezwungen, sie zu verlassen.
Im Jahre 1956 steigerte sich der Konflikt zwischen Israel und Ägypten zur Sueskrise. Ägypten schickte Guerilla-Einheiten auf
israelisches Gebiet, was häufige Einfälle von Israel in ägyptische Gebiete zur Folge hatte. Ägypten blockierte den Golf von Akaba und schloss den Sueskanal für die israelische Schifffahrt, Israel
war damit vom Handel mit Asien und Afrika ausgeschlossen. Außerdem wurde der Kanal von Ägypten nationalisiert, was den Zorn Frankreichs und Großbritanniens weckte, die die Schifffahrtsroute
bisher kontrollierten. Die beiden ehemaligen Kolonialmächte traten mit Israel in geheime Verhandlungen ein, um den Kanal gewaltsam wieder unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Oktober 1956 kam es
zu einem Bündnis von Syrien, Jordanien und Ägypten. In Übereinstimmung mit der Vereinbarung (die erst sehr viel später zugegeben wurde) fiel Israel im Oktober 1956 in den Gazastreifen und die
Sinai-Halbinsel ein. Die israelischen Truppen erreichten nach kurzer Zeit den Kanal, worauf britische und französische Einheiten unter dem Vorwand, die Ordnung wieder herzustellen, in den Krieg
eintraten.
Die israelischen, französischen und britischen Einheiten trugen zwar den Sieg davon, wurden aber durch den Druck der USA und der Sowjetunion dazu gezwungen, im März 1957 den Rückzug anzutreten, da diese den Krieg nicht billigten. Die Vereinten Nationen richteten die UN Emergency Force (UNEF) ein, um den Frieden in der Region zu gewährleisten.
Im Mai 1960 wird Adolf Eichmann in Buenos Aires (Argentinien) von Agenten des Mossad aufgespürt und nach Israel entführt. Ein
Auslieferungsantrag an Israel wurde von der Bundesrepublik nicht gestellt. Der Eichmann-Prozess endet mit der ersten und einzigen Verurteilung zum Tode durch ein israelisches Gericht. Nach
monatelanger Vorbereitung wurde am 21. Februar 1961 durch Generalstaatsanwalt Gideon Hausner Anklage gegen Eichmann erhoben und am 10. April begann vor dem Jerusalemer Bezirksgericht die
Verhandlung unter dem Vorsitz von Mosche Landau. Eichmanns Anklage bestand aus den vier Hauptpunkten Verbrechen gegen das jüdische Volk; Verbrechen gegen die Menschlichkeit;
Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation, er bekannte sich „im Sinne der Anklage [für] nicht schuldig“. Verteidigt wurde er von Robert Servatius.
Mit dem Prozess sollte ein Exempel statuiert werden und der Weltöffentlichkeit einerseits die beklemmende Lage, in der Israel sich befand, klargemacht und andererseits die Entschlossenheit, mit
der Israel sich zu verteidigen gedachte, verdeutlicht werden. Dem Prozess war tatsächlich große Aufmerksamkeit beschieden und Artikel wie der von Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem,
wurden von Historikern heftig diskutiert. Am 31. Mai 1962 wurde von Präsident Jitzhak Ben Zwi das letzte Gnadengesuch abgelehnt und wenige Stunden später das Todesurteil vollstreckt. Die Asche
wurde im Sinne einer Schandstrafe, wie sie früher bei besonders schwerwiegenden Staatsverbrechern verhängt wurde, gegen den Protest der Angehörigen auf dem Meer verstreut.
Ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen bildet die Raketenaffäre von 1962 bis
1965. Dabei handelte es sich um eine Affäre bei der in erster Linie die Staaten Ägypten, BRD und Israel betroffen waren. Es ging darum, dass (u.a.) deutsche Staatsbürger an Rüstungsprojekten in
Ägypten mitarbeiteten. Deutsche Experten waren, neben dem Flugzeugbau, an der Entwicklung von Mittelstreckenraketen beteiligt, von denen sich der Staat Israel direkt bedroht fühlte. Diese
Vorgänge belasteten das Verhältnis der beiden Staaten Bundesrepublik Deutschland und Israel, die sich zu diesem Zeitpunkt aufeinander zu bewegten. Besonders brisant war die Tatsache, dass
einzelne der Experten bereits während der Zeit des Nationalsozialismus am deutschen Raketenbau beteiligt waren. Das Thema fand in beiden Ländern, aber vor allem in Israel, große Öffentlichkeit
und wurde kontrovers diskutiert. Die Bundesregierung versuchte schließlich unterschiedliche Maßnahmen zu unternehmen, um das Problem zu beseitigen. Bis zum Jahre 1965 hin, als die Bundesrepublik
und Israel erstmals diplomatische Beziehungen aufnahmen, hatte die Angelegenheit jedoch immer stärker an Bedeutung verloren, da die deutschen Experten sich sukzessive aus Ägypten
zurückzogen.
Die Ausgangslage: 1966 war die Zahl der Übergriffe arabischer Terroristen auf 41 gestiegen, und schon in den ersten vier
Monaten des Jahres 1967 kam es zu 37 Angriffen.
15. Mai 1967 – Ägyptische Streitkräfte besetzten am Jahrestag der israelischen Unabhängigkeitserklärung die demilitarisierte
Zone des Sinai. Unterstützt wurden sie auch dabei von exilpalästinensischen Kampfeinheiten.
16. Mai – Nasser fordert die seit 1956 stationierten UN-Truppen (UNEF) auf, das Grenzgebiet zu Israel zu
verlassen.
18. Mai – Syrischen Truppen bereiteten sich auf Kampfhandlungen auf den Golanhöhen vor.
18. Mai – Der UNO-Generalsekretär Sithu U Thant kam Nassers Forderung widerstandslos nach und zog die UN-Truppen, die bisher
als Puffer zwischen Israel und seinem Nachbarn gedient hatten, ab. Radio Kairo meldete am 18. Mai: „Ab heute gibt es keine internationalen Friedenstruppen mehr, die Israel beschützen. Unsere
Geduld ist zu Ende. Wir werden uns nicht mehr bei den Vereinten Nationen über Israel beklagen. Ab jetzt herrscht der totale Krieg gegen Israel, und er wird zur Auslöschung des Zionismus
führen.“.
20. Mai – Der syrische Verteidigungsminister Hafez Assad verkündet: „Unsere Streitkräfte sind absolut gerüstet, nicht nur
die Aggression zurückzuschlagen, sondern auch einen Befreiungsschlag zu starten und die zionistische Präsenz aus unserer arabischen Heimat hinauszusprengen. Die syrische Armee, den Finger am
Abzug, ist sich einig … als Militär bin ich der festen Überzeugung, dass die Zeit gekommen ist, in eine Vernichtungsschlacht hineinzugehen.“
22. Mai – Die ägyptische Armee sperrt die Straße von Tiran (dem Zugang zum Golf von Akaba), erneut für die israelische Schifffahrt.
30. Mai – Auch Jordanien schließt mit Ägypten einen Militärpakt. Daraufhin verkündet Nasser: „Die Heere von Ägypten,
Jordanien, Syrien und Libanon sind an den Grenzen Israels aufmarschiert … sie werden die Herausforderung annehmen. Hinter uns stehen die Armeen des Irak, Algeriens, Kuwaits, des Sudan und der
gesamten arabischen Welt. Das wird die ganze Welt in Erstaunen versetzen. Heute wird sie erkennen, dass die Araber zum Kampf bereit sind. Die Stunde der Entscheidung ist da. Die Zeit der
Erklärungen ist vorbei, die des Handelns gekommen“.
Am 4. Juni trat der Irak dem Militärbündnis von Ägypten, Jordanien und Syrien bei und der irakische Präsident Abdur Rahman
Aref kommentierte: „Die Existenz Israels ist ein Fehler, der korrigiert werden muss. Dies ist die Gelegenheit, die Schmach auszulöschen, die man uns seit 1948 angetan hat. Unser Ziel ist klar:
Israel von der Landkarte wegzufegen.“
Am 5. Juni begann die israelische Luftwaffe mit einem Erstschlag den Sechstagekrieg und griff gleichzeitig Luftbasen in Ägypten, Jordanien und Syrien an. König Hussein von Jordanien ordnete daraufhin den Angriff auf Israel an. Bis zum 11. Juni waren alle arabischen Streitkräfte geschlagen und die Parteien hatten einem Waffenstillstand, wie er durch die UN-Sicherheitsresolutionen 253 und 236 gefordert wurde, zugestimmt.
Israel gewann die Kontrolle über die Sinai-Halbinsel, den Gazastreifen, die Golanhöhen und das Westjordanland einschließlich
Jerusalems. Am 22. November 1967 nahm der Sicherheitsrat die Resolution 242 an, die Israel verpflichtete, sich aus den eroberten Gebieten zurückzuziehen.
Während der Jahre 1969–1970 wurde der Abnutzungskrieg geführt, ein dauerhafter Beschuss israelischer Stellungen entlang des
Sueskanals durch Ägypten und israelischen Gegenangriffen. Anfang 1969 kam es zwar zu ernsthaften Kämpfen zwischen Israel und Ägypten, doch im August 1970 waren die dauerhaften Bemühungen der
Vereinigten Staaten erfolgreich, ein Interimsabkommen zu schließen, das den Kanal öffnen und einen Teilabzug der Truppen erreichen sollte.
Am 6. Oktober 1973 (dem jüdischen Versöhnungstag) begannen die Armeen Syriens und Ägyptens mit einem simultanen
Überraschungs-Angriff auf Israel den Jom-Kippur-Krieg, in dem die israelische Armee zunächst schwere Niederlagen erlitt. Nach drei Wochen des Kampfes wurden die Invasoren jedoch zurückgeschlagen,
das Land zurückerobert und es wurden UN-Friedenstruppen in einigen Gebieten stationiert.
Im Ergebnis war die israelische Gesellschaft nach dem Krieg nachhaltig über die eigene Verwundbarkeit geschockt und die
israelische Regierung begann Verhandlungen über die Sicherheit an den Staatsgrenzen. Golda Meir und Mosche Dajan wurden in der Öffentlichkeit stark kritisiert und bei den kriegsbedingt vom
Oktober auf den 31. Dezember verschobenen Knesset-Wahlen konnte sich die israelische Arbeitspartei nur noch knapp behaupten. Im Frühjahr des darauffolgenden Jahres trat der Generalstabschef David
Elasar, sowie eine Reihe weiterer hoher Offiziere und Generäle zurück, als eine gerichtliche Untersuchungskommission ihren Rücktritt verlangte. Auch Golda Meir sah sich daraufhin gezwungen
zurückzutreten, was automatisch den Rücktritt des gesamten Kabinetts bedeutete. Ihr Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden der Arbeitspartei und im Amt des Ministerpräsidenten wurde Jitzhak
Rabin, der innerparteiliche Rivale Rabins, Schimon Peres wurde Verteidigungsminister. Damit hatten die sogenannten „Jungen Wilden“, die junge Generation der Arbeitspartei, die Macht
übernommen.
Am 18. Januar 1974 wurde, von Henry Kissinger verhandelt, mit der ägyptischen Regierung ein Abkommen zur Entflechtung der
Truppen geschlossen, und am 31. Mai eines mit der syrischen Regierung. International hatte der Krieg ein arabisches Öl-Embargo für die Staaten, die mit Israel handelten, zur Folge. Daraufhin
erklärte am 22. November die japanische Regierung, sie werde ihre Beziehungen mit Israel überdenken, wenn dieses sich nicht aus allen im Sechstagekrieg eroberten Gebieten zurückzöge.
Erste Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft bestanden seit 1964 in Form eines Handelsabkommens. In den 1970ern begann
Israel mit von der EG und den USA empfohlenen Reformen im Geld- und Finanzwesen sowie Handelsliberalisierungsmaßnahmen. Infolgedessen wurde im Jahre 1975 ein Handels- und Kooperationsabkommen mit
der EG geschlossen. Innerhalb dessen kam es 1989 zu einer Freihandelszone im gewerblichen Bereich außerdem wurden Israel damit Zollpräferenzen im Agrarbereich eingeräumt. Hier kam es infolge
allerdings zu Konflikten in Bezug auf Waren, die nicht ausschließlich aus den israelischen Kernlanden stammten. Am 20. November 1995 wurde schließlich ein Assoziationsabkommen abgeschlossen, das
das Abkommen von 1975 ersetzte. Neben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gibt es auch Formen des wissenschaftlichen und kulturellen Austausches. Eine besondere Rolle spielt der Barcelona-Prozess
in dem Israel mit anderen, arabischen Mittelmeeranrainern an einem Tisch sitzt.
Im Jahre 1977 gewann der Likud-Block nach der 30-jährigen Regierungszeit der Arbeitspartei die Wahlen zur Knesset und stellte
erstmals die Regierung. Als Grund hierfür wurde seine integrative Politik denjenigen Juden gegenüber, die aus der arabischen Welt stammten, angeführt. In November 1977 überwand der ägyptische
Präsident Anwar Sadat die 30-jährige Feindschaft mit Israel und besuchte auf Einladung von Ministerpräsident Menachem Begin Jerusalem. Mit seinem zweitägigen Besuch, bei dem er auch vor der
Knesset sprach, schaffte der ägyptische Präsident ein neues psychologisches Klima im Nahen Osten, und ein Frieden zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn schien erstmals eine Option zu
sein. Sadat erkannte das Existenzrecht Israels an und legte mit seinem Besuch die Grundlage für direkte Verhandlungen zwischen Ägypten und Israel. Sadat fiel später einem Attentat ägyptischer
Militärs zum Opfer, die seine Friedensbemühungen ablehnten.
Im September 1978 lud der damalige US-Präsident Jimmy Carter Sadat und Begin nach Camp David ein und am 11. September einigten sich die beiden Seiten auf Rahmenbedingungen für einen Frieden zwischen den beiden Ländern und einen umfassenden Frieden im Nahen Osten. Bei dem Treffen wurden Prinzipien für zukünftige Verhandlungen mit arabischen Ländern festgelegt. Außerdem wurden hier vage Leitlinien für ein vorübergehendes Regime im Westjordanland und Gaza beschlossen. Der Vertrag wurde am 26. März 1979 von Begin und Sadat mit Carter als Zeugen unterzeichnet, die drei wurden später mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Im Sinne des Vertrages übergab Israel im April 1982 den Sinai an Ägypten, zuvor wurden dort bereits angelegte Siedlungen
abgebaut. Diesen Abbau führte Ariel Scharon gründlich und teilweise gegen den Widerstand der jüdischen Siedler durch. 1989 einigten sich die beiden Staaten auf eine Lösung für Taba, einen
Ferienort am Golf von Akaba.
In den ersten Jahren nach der Unabhängigkeit war die Grenze Israels mit dem Libanon eher ruhig verglichen mit den Grenzen zu
den anderen Nachbarn. Nachdem die palästinensischen Fedajin 1970 aus Jordanien vertrieben worden waren und in den südlichen Libanon einsickerten, begannen sich die Kampfhandlungen an Israels
nördlicher Grenze zu häufen. Im März 1978, nach einer Reihe von Anschlägen im Norden Israels durch eingedrungene PLO-Kämpfer, marschierten israelische Truppen unter dem Namen Operation Litani in
den Libanon ein. Nachdem der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 425 den israelischen Rückzug verlangte und die Entsendung von friedenserhaltenden Truppen in den Libanon (die UNIFIL) angekündigt
hatte, zog Israel seine Truppen zurück.
Am 7. Juni 1981 zerstörte die israelische Luftwaffe den irakischen Atomreaktor Osirak kurz vor seiner Inbetriebnahme, um die
Entwicklung einer arabischen Atombombe zu verhindern.
Im Juli 1981, nach weiteren Kämpfen zwischen Israel und der PLO half Philip C. Habib, der Sondergesandte des amerikanischen
Präsidenten Ronald Reagan, eine Feuerpause zwischen den Parteien zu bewirken. Währenddessen startete die PLO Raketen- und Artillerie-Angriffe auf Nord-Israel. Gleichzeitig kämpfte sie gegen
christliche und schiitische Libanesen.
Im Juni 1982 antwortete Israel hierauf mit einem Einmarsch in die südliche Hälfte des Libanon, um die PLO zu vertreiben, die Aktion wurde als Operation „Frieden für Galiläa“ bezeichnet. Während die Israelis noch zu Beginn von einigen Libanesen begrüßt wurden, lehnten später nahezu alle Libanesen die Besatzung strikt ab. Schwere israelische Verluste und der Mangel an klaren Zielen bewirkten auch in der israelischen Öffentlichkeit eine zunehmende Ablehnung des Krieges. Innerhalb von sechs Monaten nach Beginn des Krieges zog Israel die Truppen von den meisten libanesischen Gebieten ab, behielt allerdings ein bis zu 16 Kilometer tiefes Gebiet entlang der Grenze weiterhin besetzt, bis zum Litani. Diese „Sicherheitszone“ wurde erst im Jahre 2000 während der Amtszeit von Ministerpräsident Ehud Barak aufgegeben. Strittig ist das Gebiet der Scheeba-Farmen, die der Libanon für sich beansprucht, von dem Israel aber sagt, es sei syrisches Gebiet.
Im August 1982 zog sich die PLO aus dem Libanon zurück. Unter der Vermittlung der USA kam es im Mai 1983 zu einem Abkommen
zwischen Israel und dem Libanon, das die Voraussetzungen für den israelischen Abzug setzte. Die Ratifizierungsunterlagen wurden allerdings niemals ausgetauscht und im März 1984 annullierte der
Libanon, unter starkem syrischem Druck, das Abkommen.
Wegen der israelischen Besetzung des Gazastreifens und des Westjordanlandes, begannen die Palästinenser 1987 einen Aufstand, die Intifada. Israel antwortete mit dem Einsatz von Militär und Polizei, konnte die Kämpfe aber nicht beenden. Die erste Intifada endete etwa 1993.
1990 marschierte der Irak in Kuwait ein, was einen Krieg des Iraks gegen eine große Gruppe von Alliierten unter der Führung
der USA zur Folge hatte. Saddam Hussein versuchte die öffentliche Meinung in den arabischen Staaten anzufachen, indem er Israel mit 30 Scud-Raketen angriff, um damit die arabischen Staaten aus
der Kriegskoalition (und eventuell auf seine Seite) zu drängen. Jassir Arafat stellte sich öffentlich auf die Seite Saddam Husseins. Unter dem Druck der USA verzichtete Israel auf Gegenschläge,
stattdessen wurde akzeptiert, dass die USA die Angriffe abzuwehren versuchten.
Im Jahre 1989 begann die Masseneinwanderung von jüdischen Menschen aus der Sowjetunion. Zuvor hatte die Sowjetunion ca. 3
Millionen ausreisewilligen jüdischen Bürgern die Emigration verweigert bzw. nur gegen Geldzahlungen gestattet. Insgesamt wanderten bis zum Jahr 2003 über eine Million Menschen aus
Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion nach Israel ein. Ihre Integration stellt die israelische Gesellschaft vor zunehmend größere Probleme, da ein beträchtlicher Anteil der Einwanderer sich
selbst nicht als Juden betrachtet. Es gibt zahlreiche Zeitungen, Radio- und TV-Sender in russischer Sprache. Von religiöser Seite wurden gelegentlich Zweifel daran erhoben, ob es sich wirklich
bei allen Emigranten um Juden im Sinne der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, handelt.
Im Oktober 1991 eröffneten die Präsidenten der USA und der Sowjetunion gemeinsam ein historisches Treffen in Madrid, an dem
israelische, libanesische, jordanische, syrische und palästinensische Politiker teilnahmen. Dieses Treffen war das Fundament für eine Reihe weiterer bilateraler und multilateraler
Friedensverhandlungen in der Region.
Im Jahre 1991 nahm die UN-Vollversammlung die „Zionismus-ist-Rassismus“-Resolution zurück.
Am 13. September 1993 unterzeichneten Israel und die PLO eine Prinzipienerklärung vor dem Weißen Haus. Die Erklärung war ein
großer konzeptioneller Durchbruch unter dem Madrider Rahmenwerk, denn sie legte eine ambitionierte Zielliste vor, die die Übergabe von Befugnissen von Israel an die palästinensische
Autonomiebehörde regeln sollte. Sie legte den Mai 1999 als geplantes Datum für einen endgültigen Status des Westjordanlandes und des Gazastreifens fest. Israel und die PLO unterzeichneten
daraufhin am 4. Mai 1994 das Gaza-Jericho-Abkommen und am 29. August desselben Jahres wurde das Agreement on Preparatory Transfer of Powers and Responsibilities (Abkommen zur vorbereitenden
Übertragung von Amtsgewalt und Verantwortung) geschlossen, das den Übergabeprozess vorzeitig begann.
Am 25. Juli 1994 wurde zwischen Israel und Jordanien die Washingtoner Erklärung, die formal den Kriegszustand beendete, der seit 1948 zwischen den beiden Ländern bestand, unterzeichnet. Am 26. Oktober desselben Jahres wurde schließlich ein offizieller Friedensvertrag unterzeichnet, der von Präsident Bill Clinton sowie Außenminister Warren Christopher bezeugt wurde. Israel trat einen kleinen Teil umstrittenen Landes an Jordanien ab und die beiden Länder eröffneten offizielle diplomatische Beziehungen mit offenen Grenzen und freiem Handel.
Am 28. September 1995 wurde von Ministerpräsident Jitzhak Rabin und PLO-Vorsitzendem Jassir Arafat das historische
„Israelisch-palästinensische Interimsabkommens über die Westbank und den Gaza-Streifen (Oslo II)“ in Washington unterzeichnet. Das Abkommen, das von den Präsidenten der USA, Russlands, Ägyptens
und Norwegens und der Europäischen Union bezeugt wurde, bezog die vorherigen Abkommen ein und ersetzte sie. Sie markiert den Abschluss der ersten Stufe der Verhandlungen zwischen Israel und der
PLO.
Das Abkommen erweiterte die palästinensische Selbstverwaltung durch die Einrichtung einer allgemein gewählten Legislative. Es
sah Wahlen und die Einrichtung dieser Körperschaft, die Übertragung von Kompetenzen, den israelischen Rückzug aus größeren palästinensischen Siedlungsgebieten im Westjordanland,
Sicherheitsvereinbarungen, und Kooperation auf verschiedenen Gebieten vor.
Die Verhandlungen über einen endgültigen Status begannen am 5. Mai 1996 in Taba (Ägypten). Wie in der Prinzipienerklärung von
1993 vereinbart worden war, sollten diese Gespräche den Status Jerusalems, das palästinensische Flüchtlingsproblem, israelische Siedlung im Westjordanland und Gazastreifen, endgültige
Sicherheitsvereinbarungen, die Grenzen, die Beziehungen und die Kooperation mit benachbarten Staaten und andere Fragen von gemeinsamem Interesse behandeln.
Der Friedensprozess im Nahen Osten wurde am 4. November 1995 jäh in Frage gestellt, als Ministerpräsident Jitzhak Rabin einem
Attentat des jüdischen Rechtsextremisten Yigal Amir zum Opfer fiel.
Im Februar 1996 wurden von Rabins Nachfolger Schimon Peres vorgezogene Neuwahlen ausgerufen. Diese im Mai 1996 gehaltenen
Wahlen, die erstmals die Direktwahl des Ministerpräsidenten brachten, gewann der Likud-Vorsitzende Benjamin Netanjahu und sein Mitte-Rechts-Bündnis, die sozialdemokratische
Arbeitspartei/Meretz-Regierung unter Peres wurde geschlagen.
Trotz seiner bekannten Vorbehalte gegenüber dem Oslo-Abkommen behauptete Ministerpräsident Netanjahu, er würde mit ihrer Durchführung fortfahren. Letztlich stellte seine Amtsperiode allerdings einen Rückschritt im Friedensprozess dar. Strittig ist, inwieweit das auf seine Politik oder auf die verstärkt einsetzenden Terroranschläge zurückzuführen war.
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