Was Rabbiner und jüdische Ärzte zu alternativmedizinischen Behandlungsmethoden sagen von Rabbiner Raphael Evers
Akupunktur, Aromatherapie, Ayurveda, Bachblüten, Homöopathie, Handauflegung, Reiki und Reinkarnation: Heilmethoden, die zur Alternativmedizin gerechnet werden, erfreuen sich ungebrochener Popularität.
Einzelne Krankenkassen in Deutschland finanzieren seit Längerem homöopathische Behandlungen, obwohl deren Wirkung umstritten ist. Nur wenige der Hunderte von homöopathischen Arzneimitteln, die auf dem Markt sind, wurden auf ihre Wirksamkeit untersucht, und nur bei einer geringen Zahl ließ sich eine solche nachweisen.
Alternative
In den europäischen Ländern gibt es momentan in der Alternativmedizin mehr als 100.000 registrierte Therapeuten – und mindestens zweimal so viele nicht registrierte Behandler. Außer bei Fällen, in denen der Patient eindeutig nachweisen konnte, dass ihm durch die Behandlung Schaden zugefügt wurde, kann jeder ungestraft alternative Heilmethoden anwenden.
Die europäischen Gesetzgeber gehen davon aus, dass jeder Patient die Verantwortung für das eigene Leben trägt. Entscheidet er sich für eine alternativmedizinische Behandlung, dann ist das seine eigene Entscheidung. Doch wie steht das Judentum dazu?
Die Tora erteilt sowohl dem Arzt als auch dem Patienten grundsätzlich die Erlaubnis und den Auftrag, zu heilen und sich heilen zu lassen. Doch erlaubt oder duldet das jüdische Religionsgesetz, die Halacha, auch alternative Behandlungsmethoden?
Ein Patient in einer Notlage, vor allem bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung wie Krebs, wird alles Mögliche unternehmen, um die Situation zum Besseren zu wenden. Man kann aber unmöglich von einem solchen Patienten verlangen, dass er die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit einer Behandlung richtig einschätzen kann. Patienten, die an schweren Krankheiten leiden, befinden sich in einem Abhängigkeitsverhältnis, sind verängstigt und beunruhigt. Sie suchen Hilfe und Hoffnung. Doch leider gibt es sich unter den alternativen Heilern auch Quacksalber, die Notsituationen ausnutzen.
Laut dem in Deutschland geborenen jüdischen Mediziner Fred Rosner vom Queens Hospital in New York will mehr als die Hälfte aller Krebspatienten durch ergänzende alternativmedizinische Maßnahmen aktiv zur eigenen Heilung beitragen, oft schon im Anfangsstadium der Erkrankung.
Bekannt ist in diesem Zusammenhang ein Richterspruch von Rabbiner Yitzchak Zilberstein aus Bnei Brak in Israel. In dem konkreten Fall wünschte eine Frau unterstützend zu konventionellen Therapien zusätzlich eine homöopathische Behandlung. Ihr Ehemann wurde dazu verpflichtet, die alternative medizinische Behandlung zu ermöglichen und für die zum Teil erheblichen Kosten, die nicht von der Krankenversicherung getragen wurden, aufzukommen.
Laut Ansicht des Rabbiners hatte der Mann die Pflicht, seine Frau heilen zu lassen. Und wenn die Homöopathie eine – obwohl nicht zu erklärende – unterstützende Wirkung im Heilungsprozess auf diese Frau ausübt, ist das nach Ansicht von Rabbiner Zilberstein allein schon Grund genug, die Behandlung durchzuführen.
Der Arzt Avraham Sofer Avraham aus Jerusalem, der viel zu medizinisch-halachischen Themen publiziert hat, fragte einmal den 2013 verstorbenen, ebenfalls aus Jerusalem stammenden Rabbiner Yehoshua Yeshaya Neuwirth, ob es erlaubt sei, einem Krebspatienten im letzten Krankheitsstadium die Inanspruchnahme einer nicht anerkannten Therapie zu verweigern.
Auch wenn die Wirkung der gewählten Behandlung nicht nachgewiesen sei, so würde der Patient womöglich Hoffnung aus ihr ziehen und »Hoffnung lässt bekanntlich leben«, argumentierte Avraham. Rabbiner Neuwirth antwortete, dass man den Patienten nicht entmutigen sollte, eine alternative Behandlung zu versuchen, weil er sonst womöglich aus Verzweiflung früher sterben würde.
Andererseits beantwortete Rabbiner Schlomo Zalman Auerbach die Frage, ob eine Therapie ohne Aussicht auf Heilungschancen für eine Zedaka-Zuwendung infrage kommt, mit einem klaren Nein. Rabbiner Neuwirth war nicht einverstanden mit Rabbiner Auerbachs Urteil und argumentierte, dass auch die Förderung der Hoffnung auf Weiterleben einen guten, wohltätigen Zweck erfüllt.
Zedaka Rabbiner Josef Schalom Eljaschiew stellte sich in der Frage auf den Standpunkt, dass ein Spender auf jeden Fall für eine alternative Behandlung Zedaka geben darf, wenn er der festen Überzeugung ist, dass dem Erkrankten aufgrund der psychologischen Auswirkung dieser Therapie ein längeres Leben beschieden sein wird. Studien haben allerdings auch ergeben, dass viele Patienten, die Heilmethoden ohne nachweisbare Wirkungen in Anspruch nehmen, aus der oberen sozialen Mittelschicht kommen und es sich bei ihnen keinesfalls um terminale, sich im Endstadium befindliche Patienten handelt.
»Man ist oft enttäuscht von konventionellen Behandlungsmethoden. Das Bedürfnis nach intensiverer Betreuung, die Angst vor und negative Erwartungen gegenüber den schulmedizinischen Behandlungen führen dazu, dass die Alternativmedizin so einen großen Zulauf bekommt. Außerdem beruhen alternative Therapien auf komplett anderen Annahmen als die, die in den etablierten Behandlungsmethoden gelten«, schreibt der Arzt Fred Rosner.
So betonten die alternativen Behandler die Wichtigkeit der Selbstheilungskräfte und propagierten eine umfassende, ganzheitliche Herangehensweise an die Krankheit, die Körper, Geist und Seele, ja manchmal sogar das gesamte Leben des Patienten miteinbeziehe.
Gebet Doch anstatt zu Homöopathie oder Reiki Zuflucht zu nehmen, kann man auch im Gebet Hoffnung finden: Seit jeher kombinieren Juden die Inanspruchnahme wissenschaftlich fundierter Medizin mit religiösen Elementen oder der Suche nach spiritueller Heilung. Das Gebet sollte dabei nicht als Zeichen des Misstrauens gegenüber ärztlichem Können gedeutet werden.
Die meisten Menschen beten früher oder später für die Genesung eines Kranken oder für die Heilung einer Krankheit. Unser Erzvater Awraham betete für die Genesung Awimelechs (1. Buch Mose 20,17), und G’tt heilte ihn. König David betete für die Genesung seines Sohnes (II. Buch Samuel 12,16), doch sein Sohn starb. Vor der Einnahme von Medikamenten ist es sogar Pflicht, zu beten, damit man zeigt, dass man nicht nur auf die Wirkung der Medikamente vertraut, sondern auch – und vor allem – auf die Hilfe von oben.
Der Talmud zitiert Rabbi Eliezer: »Dawnen bewirkt mehr als gute Taten. Den Beweis hierzu können wir bei Mosche, unserem Lehrer, finden, der besonders viele gute Taten verrichtete, dessen Bitte um die Genesung seiner Schwester Miriam vom Aussatz aber erst nach einem kurzen, aber kräftigen Gebet erhört wurde.« Rabbi Eliezer fügte hinzu, dass das Gebet mehr Wirkung erziele als eine Opfergabe (Berachot 32b).
Sogar in schwierigsten Situationen sollte man das Beten fortsetzen. Der Talmud sagt, dass, selbst wenn ein scharfes Schwert an den Hals eines Mannes gelegt wird, er nicht aufhören sollte zu beten (Berachot 10a). Andererseits kann man als kranker Mensch nicht nur auf G’tt vertrauen, sondern man muss auch selbst Anstrengungen unternehmen, um zu genesen.
Abschließend ist zu sagen: Aus jüdischen Quellen können wir keine eindeutige Haltung zu der Frage ableiten, ob sich Patienten für konventionelle oder alternative Behandlungsmethoden entscheiden sollten. Was das Judentum allerdings nicht erlaubt, ist, dass der Patient, der eine schulmedizinische Behandlung ablehnt, seine Gesundheit gefährdet. Solange der Wirksamkeitsnachweis alternativmedizinischer Methoden nicht geliefert wird, sollte man also zuerst die Behandlungsvorschläge der konventionellen Medizin befolgen.
Der Autor ist Dajan beim Europäischen Beit Din, Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD).
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