Judentum in Afrika

 

Das Judentum in Afrika hat drei unterschiedliche Ausprägungen:

 

  • Verstreut lebende afrikanische Gruppen, die eine Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft des alten Israel oder auf andere Weise zum Judentum – eigentlich „Israelitentum“ – behaupten und Bräuche pflegen, von denen man eine Verwandtschaft mit jüdisch-israelitischen Bräuchen annehmen kann. Allein die aus Äthiopien stammenden Beta Israel werden vom Staat Israel und der internationalen jüdischen Gemeinschaft als Juden anerkannt.
  • Die Sephardim und Mizrahim, die überwiegend in Nordafrika leben. Viele von ihnen sind nach Israel und Frankreich, aber auch nach Kanada, Brasilien und den USA ausgewandert.
  • Die Aschkenasim, die als europäische Kolonisten nach Afrika gekommen sind.

 

Afrikanische Gruppen

 

Beta Israel

 

Die äthiopischen Beta Israel oder Falascha wurden 1975 von der israelischen Regierung als „amtliche“ Juden anerkannt. Sie gelten nach einer Entscheidung des israelischen sephardischen Oberrabbiners (Rischon LeZion) Ovadja Josef als Nachkommen des Stammes Dan, eines der zehn verlorenen Stämme Israels. Historische und genetische Anhaltspunkte lassen jedoch einen anderen Ursprung vermuten.

 

Heute leben die meisten von ihnen in Israel, nachdem sie per Luftbrücken aus Äthiopien heraustransportiert wurden. Rabbi Yosef verfügte eine pro forma Konversion zum Judentum aller Beta Israel nach ihrer Ankunft im Staat Israel und eine Unterwerfungserklärung unter die Lebensweise der Halacha, bzw. Lehre und Praxis des orthodoxen rabbinischen Judentums. Zahlreiche rabbinische Behörden sehen die Konversion zum Judentum nicht als pro forma, sondern real an.

 

Die Praxis der Beta Israel unterscheidet sich in bestimmten Bereichen erheblich von denen anderer Formen des Judentums, da die Beta-Israel-Gemeinde in Äthiopien zumeist in Unkenntnis des Talmud gelebt hatte.

 

Sie besaßen jedoch ihr eigenes mündlich tradiertes Gesetz, das zuweilen dem der Karäer ähnelte. Jedoch interpretierten ihre Ältesten oder die Priesterkaste, die „kessim“ oder „qessotch“, das biblische Gesetz des Tanach in einer nicht vollständig abweichenden Weise von dem, was andere rabbinisch-jüdische Gemeinden in anderen Teilen der Welt praktizierten. In diesem Sinn verfolgen die Beta Israel eine dem Talmud ähnliche Tradition, obgleich sie zuweilen im Gegensatz zu Lehre und Praxis anderer jüdischer Gemeinden weltweit steht. Heute sind sie eine Gemeinde im Fluss und haben mit vielen kessim das „normative“ Judentum übernommen, während andere Traditionalisten auf der Beibehaltung ihrer eigenen und eindeutigen Form des Judentums bestehen, wie sie in Äthiopien und in Eritrea geübt wird.

 

Die nach Israel eingewanderte äthiopische jüdische Jugend passte sich zum einen der in Israel herrschenden Form des orthodoxen Judentums an, während sich andere am weltlichen Lebensstil in Israel orientierten.

 

Lemba

 

Die Lemba sind eine Volksgruppe im südlichen Afrika. Obgleich sie die Bantusprache wie ihre Nachbarn sprechen, pflegen sie spezifische religiöse Praktiken, die denen des Judentums ähnlich sind und auf einen Ursprung im Nahen Osten oder in Nordafrika deuten.

 

Interkulturelle Ehen mit Nicht-Lemba sind tabu, so dass es, besonders für männliche Nicht-Lemba schwer ist, Teil der Volksgruppe zu werden. Das Vorhandensein einer nichtproportionalen Zahl bestimmter Ketten auf dem Y-Chromosom, deutet auf eine genetische Verwandtschaft über den Aaron des Y-Chromosoms mit den Kohanim oder Priestern, einer eindeutigen israelitischen Untergruppe. Über diesen Y-Chromosomen-Marker verfügen über 50% der Männer in Israel, während etwa 85% der Lemba-Männer den Cohen Model Marker aufwiesen.

 

Während es sicher ist, dass die Lemba Nachkommen der israelitischen Stämme sind, haben sie das Judentum jahrhundertelang nicht praktiziert. Obgleich eine beträchtliche Mehrheit der Lemba keinen Widerspruch sehen, ihr hebräisches Erbe gleichzeitig mit der Ausübung des Christentums oder des Islam zu proklamieren, gab es später eine Bewegung in Richtung des Mainstream-Judentum, und organisierte Maßnahmen, die sie unterstützten, Vollmitglieder der weltweiten jüdischen Gemeinschaft zu werden.

 

 Abayudaya

 

Die Abayudaya (=Kinder von Juda) leben am Fuß des Mount Elgon in Uganda. Sie sind eine etwa 1500 Mitglieder starke Gruppe, die seit 1919 zum Judentum konvertiert ist. Als Juden werden sie nur teilweise anerkannt.

 

Kanaanäisch-israelitische Gesellschaft Westafrikas

 

 Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts beherrschte die Vorstellung massiver Fremdeinflüsse das Bild, das man sich von der Geschichte Afrikas machte. Dabei spielte auch die Idee israelitischer Abwanderungen nach Afrika eine gewisse Rolle sowie Einflüsse der kanaanäischen Kultur, die durch die phönikische Expansion von 1000 bis 500 Jh. v. Chr. vermittelt wurden. Diese Ansätze wurden jedoch in nachkolonialer Zeit nur noch selten akzeptiert. In jüngerer Zeit nahm sie unter anderem Dierk Lange wieder auf und begründete sie neu. Andere Historiker Afrikas wie Christopher Ehret gehen weiterhin von der Isolation Afrikas von der antiken Weltgeschichte aus und ignorieren dementsprechend die Thematik der Israeliten im subsaharanischen Afrika.

 

Die spärlichen Berichte der arabischen Geographen zum mittelalterlichen Westafrika erwähnen jüdische Gemeinden lediglich für den Westen des Bilad al-Sudan im Bereich des heutigen Mali. Für das viel direkter von Abwanderungen aus dem alten Vorderen Orient betroffene Tschadseegebiet fehlen derartige Informationen. Hier lassen nur verschiedene innere Überlieferungen auf bedeutende israelitische Einflüsse schließen, deren Datierung auf Immigrationen im Anschluss an den Zerfall des assyrischen Weltreiches am Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. zurückführt.

 

Juden in Westafrika

 

Der in Palermo lebende Geograph al-Idrisi schreibt 1154 in Bezug auf das Gebiet des westlichen Nigerbogens, dass es dort die Städte Malal (Mali) und Do gäbe, die vier Tagereisen voneinander entfernt lägen. Die Einwohner der beiden Städte seien Juden, aber sie seien von Ignoranz und Unglauben befallen. Auch die Einwohner des geheimnisvollen Landes Qamnuriya, dessen Lage spekulativ mit dem Ghana-Reich in Verbindung gebracht wurde, sollten Juden gewesen sein, aber ihre Religion sei so verworren, dass sie letztendlich an gar nichts glaubten. Der zeitgleich mit al-Idrisi schreibende andalusische Geograph al-Zuhri bietet folgende Information: „Die Einwohner von Amima (Mema) bekennen sich zum Judentum. Man erreicht ihr Land über Gao und Wargla. Sie sind die ärmsten der Schwarzen. Sie lesen die Tora.“ Bei anderen mittelalterlichen arabischen Autoren finden sich nur wenige Erwähnungen von schwarzafrikanischen Juden. Diese wenigen Hinweise wurden gesammelt und häufig mit mündlichen Überlieferungen, die aus dem 20. Jahrhundert stammten, recht unkritisch in Geschichtsdarstellungen miteinander verbunden.

 

Es gibt eine maurische Tradition, nach der eine frühere, Bafour genannte Urbevölkerung neben anderen Zuschreibungen auch Juden gewesen seien, ebenso seien die Iggawen (mauretanische Griots) oder die Mallimin (Schmiede, beide auf der untersten sozialen Stufe) ursprünglich Juden gewesen. Solche Topoi dürften wie die in Reiseberichten verbreiteten Geschichten über Hundsköpfige und Amazonen ins Reich der Fabel gehören. Dagegen ist sehr wahrscheinlich, dass es jüdische Kaufleute aus dem Maghreb gab, die im 12. Jahrhundert im Saharahandel tätig waren.

 

Nach den arabischen Aufzeichnungen des Tarikh al-Fattash (ca. 1665) und Tarikh al-Sudan (ca. 1655) gab es jüdische Gemeinden in den alten Reichen Ghana, Mali und Songhai. Eine solche Gemeinde soll von einer Gruppe ägyptischer Juden gegründet worden sein, die scheinbar über die Sahara und die Sahelzone nach Mali einwanderte. Das Manuskript C des Tarikh al-Fattash beschreibt eine Bani Israel genannte Gemeinde, die 1402 im Seengebiet des Niger in Tendirma bestand, 333 Brunnen besaß und sieben Prinzen sowie ein Heer hatte.

 

Anderen Quellen zufolge wurden weitere jüdische Gemeinden der Region durch Wanderungsströme aus Marokko, Ägypten, Portugal und evtl. aus Gojjam, Äthiopien gegründet. Von einigen Gemeinden heißt es, sie bestünden aus einer Gruppe bestimmter Berberjuden wie die Tuareggruppe der Idaksahak oder Iddao Ishaak („Söhne des Isaak“). Zur Erklärung ihres Ursprung sind drei Möglichkeiten in Betracht zu ziehen: Sie waren Einwanderer aus vorchristlicher Zeit, sie flohen vor den arabisch-islamischen Invasionen Nordafrikas im 7. und 11. Jahrhundert n. Chr. nach Westafrika oder sie wurden von späteren Handelsreisenden aus Nordafrika beeinflusst.

 

Igbo-Juden in Nigeria

 

Etwa 30.000 der 30 Millionen Igbo (veraltet Ibo) von Nigeria praktizieren Teile des jüdischen Ritus und beanspruchen, Nachfahren nordafrikanischer, ägyptischer oder vorderorientalischer Juden zu sein. Dementsprechend nimmt man entweder einen antiken oder einen mittelalterlichen Ursprung an. Der Ethnologe Dierk Lange, der für die ebenfalls in Südnigeria lebenden Oyo-Yoruba eine teilweise Abstammung von den 722 v. Chr. aus dem israelitischen Nordreich deportierten Israeliten annimmt, vermutet einen ähnlichen Ursprung bei den israelitischen Elementen der Igbo.

 

Mangels einer offiziellen Zählung in der Region ist nicht bekannt, wie viele nigerianische Igbos sich selbst als Israeliten oder Juden bezeichnen. Z.Z. gibt es 26 Synagogen verschiedener Größe, schätzungsweise 30.000 Igbos üben irgendeine Form des Judentums aus.

  

Bnai Ephraim in Nigeria

 

Die Bnai Ephraim („Söhne von Ephraim“) leben unter dem Volk der Yoruba in Nigeria. Sie zählten 1930 ungefähr 2000 Personen in 400 Familien in 20 kleinen Dörfern im Ondo Distrikt in Südwestnigeria. Nach ihren Überlieferungen gelangten sie im 16. Jahrhundert nach der Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492 über Marokko nach Nigeria. Ihre Sprache ist eine Mischung des marokkanischen Arabisch mit Yoruba, jedoch mit aramäischen Elementen, wie ima für „Mutter“. In ihren Ansichten und den meisten Bräuchen unterscheiden sie sich nicht nennenswert von ihren Yoruba-Nachbarn, aber die Yoruba nennen sie Emo Yo Quaim – die „merkwürdigen Leute.“ Sie selbst nennen sich Bnai Ephraim und bewahren Kopien von Teilen der Torah in ihren Schreinen auf. Die Bnai Ephraim sind die einzige abgesonderte Volksgruppe unter den Yoruba.

 

Juden in Kamerun

 

Es gibt Vermutungen, dass das Judentum über Kaufleute aus Ägypten nach Kamerun kam. Quellen zufolge haben diese Gemeinden Bräuche wie die Trennung von Milch- und Fleischprodukten beachtet sowie einen Tefillin getragen. Auch wird behauptet, Juden wanderten auf ihrer Flucht vor der islamischen Eroberungen Nordafrikas in Kamerun ein.

 

Die Behauptung einer jüdischen Präsenz in Kamerun stammt von Rabbi Yisrael Oriel. Rabbi Oriel, früher Bodol Ngimbus-Ngimbus, wurde im Ba-Saa Stamm geboren. Das Wort Ba-Saa sei hebräisch für „auf der Reise“ und bedeute Segen. Rabbi Oriel behauptet die levitische Nachkommenschaft von Mose. Angeblich unternahm Rabbi Oriel 1988 seine Alija nach Israel und soll dort vom sephardischen Oberrabbiner zum ordiniert und zum Rabbiner der nigerianischen Juden ernannt worden sein.

 

Rabbi Oriel behauptet, 1920 hätten 400.000 „Israeliten“ in Kamerun gelebt, und er könne ihren jüdischen Status gemäß den mittelalterlichen rabbinischen Quellen beweisen. Bis 1962 habe sich die Zahl wegen Konversion zum Christentum und zum Islam auf 167.000 verringert. Sie wurden bisher nicht halachisch anerkannt.

 

Tutsi

 

Die etwa 2,5 Millionen Tutsi von Ruanda, Uganda und Burundi sind überwiegend römisch-katholischen Glaubens, mit einer erwähnenswerten Minderheit, die dem Islam anhängt. Seit den 1980er-Jahren ist jedoch in Kreisen von Tutsi-Intellektuellen eine Bewegung entstanden, die sich nach dem mythischen Land Hawila der Bibel (Gen 2,11 EU) benennt und für die Tutsi eine jüdische Abstammung postuliert.

 

Nach der Darstellung eines ihrer Wortführer, des Linguisten Jean („Yochannan“) Bwejeri, sollen die jüdischen Vorfahren der Tutsi schon seit mosaischer Zeit das vielfach in der Bibel erwähnte, von Bwejeri mit Hawila gleichgesetzte Königreich Kusch (Äthiopien) im Becken des Weißen Nil beherrscht und nach der Zerstörung dieses Reichs 1270 n. Chr. dann in das Gebiet der Großen Seen, ins heutige Burundi, Ruanda, in Teile von Uganda, Tansania und des Kongo gezogen sein. Bwejeri beruft sich unter anderem auf angebliche sprachliche Übereinstimmung zwischen der Sprache der Tutsi und dem Hebräischen sowie auf das Zeugnis von Eldad ha-Dani, einem jüdischen Reisenden des 9. Jahrhunderts, der jüdische Gemeinden in Tunis und Maghreb besuchte und sich dort, der mittelalterlichen Überlieferung zufolge, als Abkömmling des Stammes Dan und Einwohner eines von fünf benachbarten afrikanischen Reichen verlorener Stämme Israels im Lande Hawila ausgab.

 

Das von der Bewegung gegründete Havila-Institut in Brüssel hat nach eigenen Angaben rund 200 Mitglieder unter den ungefähr eintausend Tutsi-Flüchtlingen in Belgien. Es hat sich zur Aufgabe gesetzt, diejenigen Tutsi (Batutsi) Ruandas und Burundis zu unterstützen, die „trotz Christianisierung im 19. und Völkermord Ende des 20. Jahrhunderts eine Erinnerung an eine hebräische Vergangenheit bewahrt haben und sich als Nachkommen der Stämme Juda und Dan betrachten“. Aus der Sicht von Kritikern handelt es sich um eine extremistische Bewegung, die durch Konstruktion einer neuen Identität der Tutsi als eines auserwählten, anderen Ethnien überlegenen Volkes mit territorialen Ansprüchen auf ein Großreich Hawila die Konflikte der Region schürt.

 

Das Reich Kanem

 

Für das Reich Kanem östlich des Tschadsees belegt die Staatschronik, der Diwan, die große Bedeutung, die die Sefuwa-Herrscher des Reiches einer Abstammung aus Israel beimaßen. Danach soll ihr Stammvater Sef ein Nachkomme der 18 namentlich genannten biblischen Patriarchen von Adam bis Abraham gewesen sein. Unter dem Einfluss des postkolonialen Paradigmas der Historiographie Afrikas war man bisher der Ansicht, dass diese Namen aus dem arabischen Schrifttum entlehnt sein müssten. Verschiedene Besonderheiten der überlieferten Patriarchennamen, die als authentisch anzusehen sind, deuten jedoch auf eine innere, vorarabische schriftliche Überlieferung in Hebräisch. Auch der aus dem Sumerischen abgeleitete mündliche Zweitname der Chronik, Girgam, weist auf eine dem Arabischen vorhergegangene Schrifttradition des Tschadreiches Kanem-Bornu.

 

Die Schriftquellen der inneren Überlieferung berichten übereinstimmend von der Zerstörung des Mune-Nationalheiligtums durch den radikalislamischen Reformkönig Dunama II. (1203–1242). Obgleich sie fest in der islamischen Tradition stehen, kritisieren sie diese Gewalttat, die die Einheit der politischen Führungsschicht des Reiches vernichtete. Der wichtigste Chronist des Tschadreiches, der Großimam Ibn Furtu, bezeichnet 1578 die 350 Jahre zuvor erfolgte Zerstörung des Mune als monumentalen Fehler mit Konsequenzen, unter denen das Volk bis zu seiner Zeit zu leiden hätte. Bei der Darlegung der Bedeutung des Mune erwähnt er beiläufig, dass es sich um die Bundeslade des israelitischen Königs Saul handelte. Sie habe für die Einwohner des Tschadreiches die gleiche religiöse Bedeutung wie die Sakina (Bundeslade) für den Propheten Muhammad.

 

Einen weiteren Hinweis auf die Bedeutung des israelitischen Tradition für die Einwohner des Tschadreiches, die heutigen Kanuri, bietet die mündliche Überlieferung, der zufolge die Herrschaft über das Tschadreich auf Bremi, d.h. Abraham, zurückführe. Sef und Dugu, die Stammväter der beiden Führungsklans des Tschadreiches, seien seine Zeitgenossen. Daraus ist zu ersehen, dass nicht nur die herrschende Dynastie der Sefuwa, sondern das gesamte Staatswesen von Kanem-Bornu in einer israelitischen Tradition verwurzelt ist. Dennoch war Kanem, wie aus den Beschreibungen der arabischen Geographen hervorgeht, kein rein israelitischer oder gar jüdischer Staat. Das Ineinanderwirken israelitischer und kanaanäischer Elemente machten ihn zu einem Staat der kanaanäisch-israelitischen Tradition.

 

Die Hausastaaten

 

Im Gegensatz zum Großreich Kanem-Bornu zeichneten sich die Hausastaaten durch ihre Aufteilung in verschiedene Stadtstaaten aus. Der im Nordwesten gelegene kleine Stadtstaat Daura galt als traditionelles Zentrum dieser Staatenwelt. Hier wird auch die für alle Hausastaaten maßgebliche Bayajidda-Legende überliefert, die als kanaanäisch-israelitische Gründungscharta der Hausastaaten anzusehen ist. Ihr wichtigstes kanaanäisches Element besteht in der Drachentötung. Als ihr zentrales israelitisches Erbe ist die namentlich leicht entstellte Abraham-Sara-Hagar-Erzählung anzusehen, wonach die Staatenwelt des Zentralsudan zur einen Hälfte aus der Nachkommenschaft des älteren Sohnes der Hagar/Bagwariya und zur anderen aus der Nachkommenschaft des legitimeren Sohnes der lokalen Königin, der Sara/Magajiya, hervorgegangen sei.

 

Man könnte der Ansicht sein, es handle sich bei der Hausatradition um eine oberflächliche Erzählung, die nur zufällige Ähnlichkeiten mit der Abraham-Erzählung des Alten Testaments aufweist. Bemerkenswert ist jedoch, dass in beiden Fällen auf die regionale Völkerwelt Bezug genommen wird: hier die „sieben Hausa-“ und die „sieben Banza-Staaten“, dort die zwölf Stämme Israels und die zwölf Stämme der Araber. Zudem finden wir in beiden Fällen auch innere Vertreter der verpönten Außenseitergruppe: hier die verstreuten Azna-Klans innerhalb der „sieben Hausa“ und dort die verstreuten Leviten innerhalb der Stämme Israels. Die tiefe Verankerung der Hausa- und Azna-Klans innerhalb der Hausastaaten und der Hausagesellschaft legen einen Ursprung in der Gründungszeit dieser Staaten nahe, die gleichfalls in der Periode der phönikischen Expansion anzusetzen ist.

 

Die einzige Chronik aller Hausa-Staaten, die Kano-Chronik, bestätigt die Verankerung der Hausa-Geschichte in der israelitischen Tradition. Danach war der Gründer des Kano-Staates kein Geringerer als der israelitische König David, der hier den lokalen Namen Bagauda trägt. Weitere Namen der legendären Tradition der Stadt können mit Moses, Joschua und Salomo identifiziert werden. Offensichtlich war den frühen Chronisten daran gelegen, die Geschichte ihrer Stadt parallel zu Jerusalem darzustellen: So wie das jebusitisch-kanaaäische Jerusalem von David und den Israeliten erobert wurde, so wurde auch die lokale, polytheistische Gemeinde von Kano durch den wie ein Muslim auftretenden Bagauda belagert und letztlich von seinem Nachfolger eingenommen.

 

Die Yoruba-Staaten

 

Während der Kolonialzeit waren Versuche, die Entstehung der Yoruba-Staaten aus Ägypten oder dem Vorderen Orient zurückzuführen, gang und gäbe. Unter dem Druck des postkolonialen Paradigmas wurden diese Versuche allesamt aufgegeben. Erst in letzter Zeit gibt es erneut Bestrebungen, die Verknüpfungen zwischen der Geschichte der Yoruba und der Antiken Welt zu thematisieren. Dabei fallen zunächst die Parallelen zwischen dem Pantheon der Yoruba und der kanaanäisch-phönikischen Götterwelt ins Auge. So erscheint der Hochgott Olodumare durchaus als eine Replik Els, Obatala als ein Pendant Jahwes und Melqarts und Yemoja als Entsprechung der Meeresgottheit Jamm/Tiamat. Diese Vergleiche geben eine generelle Parallelität mit der kanaanäisch-israelitischen Götterwelt zu erkennen, erlauben jedoch keine Schlussfolgerungen über präzise historische Zusammenhänge.

 

Die in Ile-Ife beheimatete große Schöpfungsmythologie der Yoruba bestätigt die Verwandtschaft mit der kanaanäisch-semitischen Welt. Danach entstand die Erde auf dem Urozean im Zusammenhang mit einem Streit zwischen dem Schöpfergott Obatala und dem Urgott Oduduwa. Der Streit ist noch heute Gegenstand genereller kultdramatischer Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der verschiedenen Kultgruppen der Stadt im Rahmen des Itapa-Neujahrsfestes. Da die Palastgruppen gleichfalls in diesen Streit involviert sind, muss es sich auch in diesem Fall um Vorstellungen handeln, die bis in die Gründungszeit des Stadtstaates von Ile-Ife zurückreichen.

 

Die Oraltraditionen des weiter nördlich gelegenen großen Königreichs Oyo der Yoruba ermöglichen eine einigermaßen genaue Datierung der über Ägypten nach Westafrika gelangten kanaanäisch-israelitischen Staatstradition. Nach einer Anknüpfung an die Götterwelt bezieht sich die Überlieferung zunächst auf den israelitischen Ahnherren Isaak (Ajaka) und dann auf das kurze Interregnum des assyrischen Eroberers Salmanassar III. (858-824 v. Chr.), der als Schango erinnert wird. Weitere Einzelheiten der israelitischen Geschichte wurden bis vor Kurzem in Form einer Schädelverehrung im Palast von Oyo wachgehalten. Dieser Kultus betraf ursprünglich die getöteten Prinzen der Omriden-Dynastie, die der jahwistischen Revolution des Jehu 841 v. Chr. zum Opfer gefallen waren. Nach dieser Interpretation identifizierten sich die frühen Könige von Oyo mit der noch stark kanaanäisch geprägten israelitischen Dynastie der Omriden. Der streng monotheistische Jehu war ihnen zuwider. Die Absetzung ihrer Vorfahren nach Westen und ihre Migration nach Westafrika erfolgte nach dem Zerfall des assyrischen Weltreiches am Ende des 7. Jahrhunderts v. Chr. Aus der dynastischen Tradition der Oyo-Yoruba ist zu ersehen, dass diese Überlieferungen durch die Abwanderung vormals deportierter Israeliten im Anschluss an den Sturz des assyrischen Weltreiches 612 v. Chr. nach Westafrika gelangten.

 

Moderne Gemeinschaften

 

In Kenia

 

 Eine verhältnismäßig kleine aufstrebende Gemeinde hat sich in Laikipia, Kenia gegründet und ihren christlichen Glauben gegen das „reine Judentum“ verlassen. Es gibt gegenwärtig schätzungsweise 5000 Mitglieder. Diese Gruppe unterhält Beziehungen zur Bewegung der „Schwarzen Hebräer“. Ihre anfangs christlich-messianische Haltung sahen sie später als inkompatibel mit dem Judentum an und warten jetzt darauf, im reinen Judentum unterwiesen zu werden. Einige jüngere Kinder dieser Gemeinde sind in die Abayudaya-Schulen in Uganda geschickt worden, um im Judentum und anderen Themen unterwiesen zu werden.

 

Haus Israel in Ghana

 

Das Haus von Israel ist eine Gemeinde von Sefwi Wiawso und von Sefwi Sui in Westghana, die die Nachkommenschaft ihrer Sefwi-Vorfahren von Juden behauptet, die südwärts zur Elfenbeinküste abwanderten. Die ununterbrochene jüdische Praxis dieser Gemeinde geht jedoch nur auf die frühen 1970er zurück.

 

Juden von Rusape in Simbabwe

 

Die Juden von Rusape, Simbabwe behaupten eine althebräische Stammesverwandtschaft; demnach seien die meisten Völker der Schwarzafrikaner (besonders die Bantu) tatsächlich althebräischen Ursprungs. Jedoch geht die jüdische Aktivität in der Rusape Gemeinde lediglich auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück; in diesem Fall auf 1903. Obwohl diese Gemeinde nicht mehr an Jesus als Messias wie die Christen glaubt, glaubt sie, Jesus sei ein Prophet gewesen, da jedoch alle Menschen Propheten seien, habe Jesus keinen besonderen Status. Zurzeit bewegt sich die Gemeinde in Richtung des Mainstream-Judentum. Sie glaubt, die Mehrheit der afrikanischen Völker seien Nachkommen der zwölf verlorenen Stämme Israels und die meisten Afrikaner übten hebräisches Brauchtum.

 

Sephardim und Mizrahim

 

Von den lange Zeit ansässigen jüdischen Gemeinden in Marokko, Tunesien und den spanischen Städten Ceuta und Melilla sowie der starken jüdischen Gemeinde in Djerba, Tunesien, sind nur noch Reste verblieben. Wie in der übrigen arabischen Welt sind die meisten seit Ausrufung des Staates Israel ausgewandert bzw. vertrieben worden zumeist nach Israel, Frankreich oder Spanien. Der größte Zustrom von Juden nach Afrika erfolgte nach der spanischen Reconquista und der bald danach erfolgten Vertreibung der Juden aus Spanien, Portugal und Sizilien 1492. Viele dieser sephardischen Juden ließen sich in Nordafrika nieder.

 

São Tomé und Príncipe

 

König Manuel I. von Portugal verbannte um 1500 ca. 2000 jüdische Kinder nach São Tomé und Príncipe. Die meisten von ihnen starben, aber Anfang der 1600er „stellte der örtliche Bischof voller Ekel fest, dass noch jüdische Bräuche auf der Insel gepflegt wurden und kehrte nach Portugal zurück wegen seiner Verärgerung über sie.“ Obgleich das jüdische Brauchtum über die Jahrhunderte verblasste, achten teilweise Menschen in São Tomé und Príncipe ihre Herkunft aus dieser Bevölkerungsgruppe. Ähnlich wurden zahlreiche portugiesische Juden nach ihrer Zwangskonversion zum Katholizismus nach São Tomé verbannt.

 

Mali

 

In Mali leben einige tausend Menschen unzweifelhaft jüdischer Herkunft in Timbuktu. Im 14. Jahrhundert wanderten viele Mauren und Juden auf der Flucht vor den Spaniern nach Süden in die Gegend von Timbuktu, damals Teil des Songhaireiches. Unter ihnen war die Kehath- (Ka'ti) Familie, Nachkommen des Ismael Jan Kot vom Al-yahudi von Scheida, Marokko. Die Söhne dieser bedeutenden Familie gründeten drei Dörfer bei Timbuktu, die noch heute bestehen – Kirshamba, Haybomo und Kongougara. 1492 kam Askia Muhammed im einst toleranten Gebiet von Timbuktu an die Macht und stellte die Juden vor die Alternative Konversion zum Islam oder Vertreibung. Das Judentum in Mali wurde verboten, wie im gleichen Jahr im katholischen Spanien. Der Historiker Leo Africanus schrieb 1526: „Der König (Askia) ist ein erklärter Feind der Juden. Er verbietet ihnen, in der Stadt zu wohnen. Wenn er hört, ein Berber-Kaufmann besuche sie oder treibe Handel, beschlagnahmt er seine Waren.“

 

Die Kehath-Familie konvertierte mit den übrigen Nichtmuslimen. Die Cohens, die vom marokkanischen islamisierten jüdischen Händler El-Hadj Abd-Al-Salam Al Kuhin abstammen, kamen im 18. Jahrhundert in die Region Timbuktu, die Familie Abana Anfang des 19. Jahrhunderts. Nach Prof. Michel Abitbol im Center for the Research of Moroccan Jewry in Israel reiste Rabbi Mordoche Aby Serour Ende des 19. Jahrhunderts mehrmals als wenig erfolgreicher Straußenfedern- und Elfenbeinhändler nach Timbuktu. Ismael Diadie Haidara, Historiker aus Timbuktu, fand althebräische Texte unter den historischen Aufzeichnungen der Stadt. Bei genealogischen Untersuchen erfuhr er, dass er selbst von marokkanisch-jüdischen Händlern der Abana-Familie abstammte. Als er Älteste in den Dörfern seiner Verwandten interviewte, entdeckte er, dass das Bewusstsein der jüdischen Identität der Familie aus Furcht vor Verfolgung als Geheimnis bewahrt blieb.

 

Mosambik

 

Historisch existierte eine jüdische Gemeinde in Maputo, Mosambik, die aber in der Unabhängigkeitszeit fast vollständig verschwand. Zum Ende des Bürgerkrieges erlangte die jüdische Gemeinde ihr ursprüngliches Synagogengebäude zurück. In den 2000er Jahren wurde diese saniert und 2013 neu geweiht. Seitdem finden dort wieder regelmäßig Gottesdienste statt.

 

Aschkenasim

 

Es gibt bedeutende, meist aschkenasische jüdische Gemeinden in Südafrika. Diese Juden kamen zumeist vor dem Zweiten Weltkrieg aus Litauen, andere haben Wurzeln in Großbritannien, Deutschland und Osteuropa. Zu ihnen zählen die kleinen europäischen jüdischen Gemeinden in Namibia (Südwestafrika), Simbabwe (Südrhodesien), Lesotho (Basutoland), Swasiland, Botswana (Betschuanaland), Zaire (Belgisch-Kongo), Kenia, Malawi (Njassaland), Sambia (Nordrhodesien); diese hatten normalerweise Synagogen und sogar offizielle jüdische Schulen in den Hauptstädten dieser Länder gegründet.

 

Übersicht nach Staaten

 

Anerkannte Juden in den afrikanischen Staaten:

 

Staat

Gesamtbevölkerung

‰ Anteil

Juden

Ägypten

80 335 036

0,0012 ‰

100

Äquatorialguinea

551 201

0

keine

Äthiopien

76 511 887

0,0013 ‰

100

Algerien

33 333 216

0,003 ‰

100

Angola

12 263 596

0

keine

Benin

8 078 314

0

keine

Botswana

1 815 508

0,055 ‰

100

Burkina Faso

14 326 203

0

keine

Burundi

8 390 505

0

keine

Demokratische Republik Kongo

65 751 512

0,0015 ‰

100

Dschibuti

496 374

0

Keine

Elfenbeinküste

18 013 409

0

keine

Eritrea

4 906 585

0,0002 ‰

1

Gabun

1 454 867

0

keine

Gambia

1 688 359

0

keine

Ghana

22 931 299

0,035 ‰

800

Guinea

9 947 814

0

keine

Guinea-Bissau

1 472 780

0

keine

Kamerun

18 060 382

0

keine

Kap Verde

423 613

0

keine

Kenia

36 913 721

0,0108 ‰

400

Komoren

711 417

0

keine

Republik Kongo

3 800 610

0

keine

Lesotho

2 125 262

0

keine

Liberia

3 195 931

0

keine

Libyen

6 036 914

0

keine

Madagaskar

19 448 815

0,005 ‰

100

Malawi

13 603 181

0

keine

Mali

11 995 402

0,004 ‰

50

Marokko

33 757 175

0,168 ‰

5 700

Mauretanien

3 270 065

0

keine

Mauritius

1 250 882

0,032 ‰

40

Mosambik

20 905 585

 

20

Namibia

2 055 080

0,056 ‰

115

Niger

12 894 865

0

keine

Nigeria

135 031 164

0,00074 ‰

100

Ruanda

9 907 509

0

keine

Sambia

11 477 447

0

keine

São Tomé und Príncipe

199 579

0

keine

Senegal

12 521 851

0

keine

Seychellen

81 895

0

keine

Sierra Leone

6 144 562

0

keine

Simbabwe

12 311 143

0,062 ‰

764

Somalia

9 118 773

0

keine

Sudan

39 379 358

0

keine

Südafrika

43 997 828

1,648 ‰

72 500

Swasiland

1 133 066

0

keine

Tansania

39 384 223

0

keine

Togo

5 701 579

0

keine

Tschad

9 885 661

0

keine

Tunesien

10 276 158

0,146 ‰

1 500

Uganda

30 262 610

0,025 ‰

750

Westsahara

382 617

0

keine

Zentralafrikanische Republik

4 369 038

0

keine

Zusammen

934 253 429

0,094 ‰

87 720

 Quelle: www.ajcarchives.org, Stand 2005

 

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