Die Jüdische Diaspora (hebräisch: galut bzw. גלות) begann mit dem Untergang des Reiches Juda 586 v. Chr., nach dem ein Teil seiner Bevölkerung nach Ägypten umsiedelte, die meisten aber nach Babylon exiliert wurden. Die Babylonier siedelten die Judäer in geschlossenen Siedlungen an, sodass sie ihre Traditionen und ihren Glauben innerhalb einer andersgläubigen Bevölkerung bewahren konnten. Diese Lebensweise, Minderheit mit eigenem jüdischen Glauben und oft auch mit unterschiedlichem Rechtsstatus unter Andersgläubigen, ist das Charakteristische an der jüdischen Diaspora.
Von Babylonien und von Palästina aus verbreitete sich in den folgenden Jahrhunderten die jüdische Diaspora im syrischen Raum
und bis nach Kleinasien, im Norden Mesopotamiens, nach Osten und auch auf der arabischen Halbinsel und nach Zentralasien. In hellenistischer-römischer Zeit entstand die nach Babylonien größte
Siedlungsdichte in Ägypten. Kleinere Gemeinden gab es in der Kyrenaika und in fast allen bedeutenden Hafen- und Handelsstädten des östlichen Mittelmeerraumes, in Kleinasien bis zur
Schwarzmeerküste, und schließlich auch in Rom. Diese räumliche Verteilung entspricht grob gesehen dem Grenzverlauf der beiden rivalisierenden Großmächte im Osten und Westen, zuletzt dem Reich der
Parther und dem Römischen Reich, in deren Grenzgebieten die jüdischen Siedlungen entstanden.
Bereits vor der Zerstörung des Zweiten Tempels lebten mehr Juden in der Diaspora als in Israel. Auf verschiedene Weisen
gelangten Juden in diese Länder: die jüdische Oberschicht der Gelehrten wurde teils unter Zwang exiliert. Die Mehrheit der Menschen ging allerdings freiwillig, hauptsächlich aus wirtschaftlichen
Gründen, da ihnen die Möglichkeiten des Lebens dort attraktiv erschienen. Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme wurden nach dem babylonischen Exil nur sehr wenige Juden in die Verbannung
gezwungen. Juden entschieden sich aus verschiedenen Gründen für ein Leben in der Diaspora und gegen Israel.
Weit vor der ersten Tempelzerstörung gab es schon jüdische Handelsniederlassungen außerhalb des Landes Israel (vgl. 1 Kön
20,34). Gegen Ende der Periode des Ersten Tempels befanden sich Juden in Ägypten (vgl. Kap 43 und 44 des Jeremia-Buches). Der Text erwähnt, dass Juden nach der Zerstörung Juda verließen, um sich
in Ägypten anzusiedeln. Juden hatten sich jedoch schon eine gewisse Zeit vorher dort etabliert und lebten über ganz Ägypten verstreut. Im 6. Jahrhundert v. Chr. siedelte sich beispielsweise eine
in ägyptischen Diensten stehende judäische Militärkolonie in Elephantine an. Die Zerstörung Judas scheint auf die Menschen keinen so starken Eindruck gemacht zu haben wie auf den Propheten
Jeremia.
Auch das "babylonische Exil" war keine marternde Gefangenschaft. Als der Perserkönig Kyrus den Exilanten die Erlaubnis erteilte, nach Judäa zurückzukehren, machte nur eine Minderheit davon Gebrauch.
Das von den Römern verursachte "Exil" im Jahre 70 und danach war nicht der einzige Entstehungsgrund für die Diaspora. Der jüdische Geschichtswissenschaftler Salo Wittmayer Baron schätzt, dass es damals etwa zwei Millionen Juden in Palästina gab, aber vier Millionen Juden im Römischen Reich außerhalb Palästinas und mindestens eine weitere Million in Babylonien und in anderen Ländern, die von Rom nicht regiert wurden. Ihre Existenz verdankten die zahlreichen jüdischen Gemeinden der Diaspora nicht nur den damaligen Handelsniederlassungen, sondern auch dem ständigen Zuwachs an Konvertiten zum Judentum.
In Spanien wurden seit 1391 die Juden offiziell verfolgt und mussten zwischen Hinrichtung und Zwangstaufe wählen. Eine besondere Schärfe erhielten die Verfolgungen, als mit Einführung der Inquisition 1480 unter Ferdinand II. von Aragon und Isabella von Kastilien nicht mehr nur die Juden Ziel der Nachstellungen wurden, sondern auch jene, die zwar rein äußerlich zum Christentum konvertiert waren, um ihr Leben zu retten, die aber im Geheimen weiterhin ihrem alten Glauben die Treue hielten. Eine große Zahl dieser zwangskatholisierten spanischen und portugiesischen Juden wurde Opfer der Inquisition und starb auf dem Scheiterhaufen. Auf Betreiben des Großinquisitors Tomás de Torquemada wurden ab dem 31. März 1492, Alhambra-Edikt, alle Juden aus Spanien vertrieben. 1497 folgte auch ihre Ausweisung aus Portugal.
Einige der vertriebenen Sephardim ließen sich zunächst in Brasilien nieder. Da dort aber nur den Marranen der Aufenthalt erlaubt war und bald auch in den überseeischen Kolonien die Verfolgung durch die Inquisition eingeführt wurde, verließen viele Juden das Land wieder. 1654 waren es brasilianische Marranen, die erstmals eine Gemeinde in der niederländischen Kolonie Neuamsterdam (heute New York City) gründeten. Dazwischen haben sie Kolonien in Nordargentinien, Surinam, Kolumbien (Antioquia) und México. Diese Gruppen sind bis heute noch in ihren jüdischen Lebensweisen und kulturellen Elementen erkennbar, nicht zuletzt der Pflege der Sprache, Ladino, mit dem typischen voseo (vos statt usted).
Die Mehrzahl der sephardischen Juden floh jedoch ins Osmanische Reich, nach Holland, Deutschland, Italien oder Griechenland.
Von großer Bedeutung für die weitere kulturgeschichtliche Entwicklung in Europa wurden die nach Italien geflohenen Juden, da sie dank ihrer profunden Kenntnisse antiker Autoren und antiker
Philosophie einen entscheidenden Einfluss auf die Entstehung der Renaissance hatten.
Die größte jüdische Gemeinde Europas befand sich im 16. Jahrhundert jedoch in Konstantinopel, dem späteren Istanbul. Die
einwandernden Marranen trafen hier auf eine bereits bestehende lebendige jüdische Bevölkerung: Neben den Griechisch sprechenden Romanioten – so nannten sich die Byzantiner – lebten hier eine
kleinere Gruppe aschkenasischer Juden, eine große Gruppe osteuropäischer Juden, die vor den Verfolgungen aus Osteuropa ins Osmanische Reich geflüchtet waren, sowie eine kleine Gemeinde von
Karäern, die bedeutende Vertreter hervorbrachte.
In Deutschland spielten die Marranen eine wichtige Rolle bei der Entstehung der jüdischen Aufklärung sowie allgemein im
Emanzipationsprozess innerhalb der jüdischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert. Die meisten dieser Marranen waren erst Anfang des 17. Jahrhunderts von Amsterdam und Antwerpen nach Deutschland, vor
allem nach Hamburg, gekommen. Sie waren Nachfahren der ursprünglich aus Spanien und Portugal in die Niederlande geflüchtete Conversos, die dort geschlossen zum Judentum zurückgekehrt
waren.
Nach der protestantischen Reformation wurden manche Länder Europas toleranter gegenüber den Juden. Erste Anzeichen gab es in
England, wo das Commonwealth unter Oliver Cromwell den Juden ab 1650 die Einwanderung anbot. Einflussreiche Männer wie der Philosoph John Locke und der Missionar Roger Williams luden sie zudem
ein, sich in den englischen Kolonien Nordamerikas niederzulassen. In Frankreich verlieh die Nationalversammlung den Juden im Zuge der Französischen Revolution 1791 das Wahlrecht.
Die meisten aschkenasischen Juden, die zur Zeit der Kreuzzüge und der verschiedenen Pestepidemien in Mitteleuropa vor den Pestpogromen nach Osteuropa geflüchtet waren, ließen sich in Polen und Russland nieder. Um 1648 betrug ihre Zahl in Polen über 500.000, die innerhalb des Königreichs ihre Autonomie bewahrten und das Land zu einem Zentrum des jüdischen Lebens machten. Zwischen 1648 und 1658 kam es zu Pogromen in der Ukraine, die nach dem Aufstand des Kosakenführers Bohdan Chmelnyzkyj einsetzten. Siehe auch Sabbatai Zwi.
Der Zerfall des polnischen Staates und die Teilungen Polens führten zu Beginn des 19. Jahrhunderts dazu, dass von nun an die
ursprünglich einheitliche jüdische Bevölkerung Osteuropas in verschiedenen politischen Einflussgebieten lebte und sich auch verschieden entwickelte. Ein Teil der jüdischen Bevölkerung war durch
die Teilungen zu Bürgern des Habsburgerreichs bzw. Preußens geworden. Doch der weitaus größere Teil lebte nun im zaristischen Russland, wo die Ansiedlung nicht nur auf den so genannten
Ansiedlungsrayon beschränkt war, sondern die Juden auch politisch nahezu rechtlos waren.
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts verschlechterte sich die Lage der jüdischen Bevölkerung in Osteuropa rapide. In Russland kam es
zu zahlreichen Pogromen, die ihren Höhepunkt gegen Ende des Jahrhunderts erreichten und bis zur Russischen Revolution 1917 immer wieder aufflammten. Zwischen 1890 und dem Ende des 1. Weltkriegs
emigrierten als Folge der Pogrome rund zwei Millionen Juden aus Russland in die Vereinigten Staaten. Lebten zur Zeit des Nordamerikanischen Unabhängigkeitskriegs um 1780 schätzungsweise 2.000
Juden in den USA, so war ihre Zahl um 1880 schon auf annähernd 250.000 angestiegen. Während der nächsten vierzig Jahre reisten nochmals drei Millionen Juden ein, vor allem aus Osteuropa. Der
große Strom versiegte erst 1924 mit der Einführung der Einwanderungsbeschränkungen. Nach 1933 waren die Vereinigten Staaten dann ein wichtiger Zufluchtsort für die vor dem Terror des
Nationalsozialismus flüchtenden Juden aus ganz West- und Osteuropa. Trotzdem wurden nicht alle Juden in den USA aufgenommen. Manche Flüchtlingsschiffe wurden abgewiesen und mussten wieder
umkehren.
Andere Kolonien ehemaliger osteuropäischer Juden waren bereits früh auch in Kanada, Südamerika (insbesondere in Argentinien) sowie in Palästina entstanden.
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