Jüdische Identität

 

 

Vor wenigen Tagen feierten wir Chanukka: das Fest, an dem wir uns an die Wiedereinweihung des Tempels durch die Makkabäer und an das Wunder der Öllampe erinnern. Ein weiterer, vor allem in der Moderne betonter Aspekt ist die Hochachtung gegenüber der militärischen und staatsmännischen Leistung der Makkabäer.


Bei Chanukka geht es aber um mehr. Die Makkabäer zogen nicht in den Kampf, um andere Länder zu erobern oder andere Völker zu unterdrücken. Sie zogen in den Kampf, um das Recht der Juden auf ihren Glauben und auf ihre eigene jüdische Identität zu verteidigen. Ihr Sieg war kein Sieg für den flüchtigen Augenblick, sondern ermöglichte eine nachhaltige Weiterentwicklung des Judentums.


Diese Botschaft, die Chanukka innewohnt, kann man aber auch in einem breiteren Zusammenhang sehen. Der Kampf um Identität – mit vielen Mit­teln – ist ein elementarer Bestandteil unserer Tradition und Geschichte. Nehmen wir zum Beispiel Purim, das wir vier Monate nach Chanukka feiern. Purim ist ein Feiertag, der auf den ersten Blick Chanukka diametral entgegengesetzt ist. Jüdische Militärmacht hier, jüdische Hofdiplomatie da. Der höchste kaiserliche Beamte Haman, so die Geschichte von Purim, beschließt die Ermordung aller Juden im Reich, weil Mordechai, väterlicher Cousin der jüdischen Königin Esther, sich als Jude weigert, sich vor Haman niederzuwerfen. Solche Unterwerfung vor Menschen ist Mordechai nicht möglich, weil Juden sich nur Gott unterwerfen. Auch Mordechai geht es also um die Wahrung jüdischer Identität, für die man selbst große Risiken nicht scheuen darf.


Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels war es für Juden keineswegs leicht, Juden zu bleiben und ihr Judentum frei auszuleben. Nicht allen gelang das, viele aber konnten den Anfechtungen einer feindlichen Umwelt und brutaler Unterdrückung widerstehen. An dieser Stelle sei nur die Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel vor einem halben Jahrtausend erwähnt. Die große Mehrheit zog es vor, ihre Heimat in Spanien oder Portugal zu verlassen, anstatt dem Judentum den Rücken zu kehren. Andere ließen sich zum Schein taufen, hielten aber insgeheim und unter Lebensgefahr an der Religion ihrer Vorfahren fest. Man kann es auch so sagen: Unsere Geschichte ist zum großen Teil eine Geschichte des Kampfes um unsere Identität und um das Recht, diese auszuleben. Im Mittelalter – und bis ins 17. Jahrhundert – kämpfte übrigens das jüdische Königreich in Äthiopien auch militärisch um seine Unabhängigkeit.


Vor mehr als vier Jahrzehnten waren wir Zeuge eines anderen Kampfes um das Recht von Juden, Juden zu sein. Gemeint ist der von den sowjetischen Juden in den siebziger Jahren mit Unterstützung der jüdischen Welt geführte Kampf um die Ausreisefreiheit, war doch die Ausreise aus der UdSSR der damals einzige Weg, ungehindert jüdisch zu leben und das Judentum an die nächste Generation weiterzuleiten.

 

Heute sehen wir uns keinen ähnlich großen Herausforderungen ausgesetzt, doch müssen auch wir manchmal unsere Rechte verteidigen. Man denke nur an die sogenannte Beschneidungsdebatte, in der selbst ernannte Moralapostel in Deutschland vor drei Jahren die Brit Mila verbieten wollten. Oder an die anhaltende verleumderische Hetze gegen die Schchita – auch in Ländern, in denen das brutale Töten von Tieren zur Belustigung der Jäger erlaubt ist.


Will heißen: Auch wenn wir keine Makkabäer sind, tun wir gut daran, Chanukka nicht nur als Erinnerung an ein vor langer Zeit stattgefundenes Wunder und als ein Lichterfest aufzufassen, sondern auch als eine Erinnerung an unsere Verpflichtung, uns stets für unser Judentum einzusetzen. Ohne diesen Einsatz wären die Juden längst nur noch ein historischer Begriff.

 

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