Die Kabbala (auch Kabbalah) ist die mystische Tradition des
Judentums. Sie wird seit Pico della Mirandola auch in nichtjüdischen Kreisen fortgeführt. Die Wurzeln der Kabbala finden sich in der Tora, der Heiligen Schrift des Judentums. Neben
jahrhundertelanger mündlicher Überlieferung dokumentiert die reichhaltige schriftliche kabbalistische Überlieferung verschiedene Elemente, darunter gnostische, neuplatonische und
christliche.
Die Bezeichnung Kabbala (hebr. קבלה) geht auf den hebräischen Wortstamm k-b-l zurück und
bedeutet „Überlieferung, Übernahme und Weiterleitung“. Die Träger dieser Überlieferung werden Ba’ala hakabala בעלה הקבלה oder Mekubalim מקובלים genannt, wobei in letzter Form wegen des
Passivs die Bedeutung des „von Gott aufgenommenen“ mitschwingt. Ursprünglich konnte das Wort Kabbala allgemein jegliche Überlieferung bezeichnen, insbesondere aber die Offenbarung der Tora
an Mose am Sinai. So beginnen die „Sprüche der Väter“ aus der Mischna: „Mose empfing (k-b-l) die Tora am Sinai und überlieferte sie…“ Ältere Kabbalisten trugen unspezifische und blumige
Namen wie Kenner der Gnadenschönheit (יודעי חן jodei chen) oder einfach Wissende (יודעים jodim), eine Bezeichnung, die auf Nachmanides zurückgeht, Vernunftbegabte
(משכלים maskilim) und Weise des Herzens (חכמי הלב chachamei
halew) und das Objekt selbst war (חכמה ניסתרה choma nistera) die
verborgene Weisheit. Im Hauptteil des Zohar wird das Wort „Kabbala“ nicht verwendet, erscheint aber in späteren Teilen wie Ra'aya Meheimna und dem Sefer ha-Tiqunim. Seit
Beginn des 14. Jahrhunderts hat die Bezeichnung Kabbala sämtliche Synonyme fast vollständig ersetzt.
Die Basis kabbalistischer Traditionen ist die Suche nach der Erfahrung
einer unmittelbaren Beziehung zu Gott. Nach kabbalistischer Ansicht hat Gott alles, was er im Universum geschaffen hat, auch am Menschen geschaffen. Hieraus ergibt sich das Weltbild der
wechselseitigen Entsprechungen von Oben und Unten. In diesen Spekulationsformen wird der kabbalistische Grundgedanke von Mikro- und Makrokosmos deutlich. Die ganze „untere“ Welt wurde demnach
nach dem Vorbild der „oberen“ gemacht und jeder Mensch an sich ist ein Universum im Kleinen. Der körperlichen Gestalt des Menschen kommt hierbei eine universelle Bedeutung zu, denn Gott selbst
wird in der Tradition der jüdischen Mystik mit letzter Konsequenz anthropomorph gedacht. Die Vollkommenheit des göttlichen Makrokosmos personifiziert sich hierbei im Menschen, welcher als
Mikrokosmos zwar unvollkommen, aber dennoch ein Abbild des himmlischen Urmenschen Adam Kadmon darstellt. Gott als das Grenzenlose und Ewige benötigt das von ihm geschaffene Mittlerwesen des
Menschen, um durch die zehn geistigen Kräfte seine göttliche Allmacht wirken zu lassen. Diese zehn Sefirot sind die göttlichen Urpotenzen, welche in der Form des kabbalistischen Weltenbaumes alle
Ebenen des Seins durchragen. Dieser Weltenbaum mit dem darin verbundenen Menschen stellt den verkörperten Organismus des Universums dar. Diese elementare Verflechtung des Menschen in ein
göttliches Universalsystem verdeutlicht nach kabbalistischer Ansicht auch das gegenseitige Beeinflussungspotential der göttlichen und der menschlichen Ebene.– Der Mensch steht unter dem
ganzheitlichen Einfluss universaler Kräfte, kann diese aber seinerseits beeinflussen. (Beispielhaft hierfür ist die kabbalistische Wortmagie, in welcher das Aussprechen von Worten eine
unmittelbare Einflussnahme auf das damit Bezeichnete nach sich ziehen soll.)
Wie häufiger in der Mystik geht es dabei um den bewussten und selbst
gesteuerten Übergang in eine Ekstase, also um einen Weg, über das gewohnte Alltags-Ich hinauszugehen, dessen Beschränkungen zu transzendieren. Dazu gibt es verschiedene Techniken, die sich als
Geheimlehren, die studiert und erfahren werden, überliefern. Diese initiatische Erfahrung vermittelte sich anfänglich in einer zunächst rein mündlichen, später schriftlichen
Überlieferung. Deshalb wird in der Kabbala auch heute die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler als wesentlich herausgestellt.
Kabbalistische Erfahrung soll die Grenze zwischen Subjekt und Objekt
aufheben können. Ein Kabbalist durchbricht demnach die Mauer „härter als ein Diamant“ und erfährt die All-Einheit. Es gibt verschiedene kabbalistische Schriften und Schulen, aber keine Dogmatik
oder abprüfbaren Lehrinhalt, also keine allgemeingültige kabbalistische Lehre. Aber es gibt kabbalistische Techniken. Dementsprechend ist alle schriftliche Hinterlassenschaft der Kabbalisten
stark symbolisch.
Nach jüdischer Tradition gelangten nur vier Weise zu Lebzeiten ins
Paradies und von diesen kehrte allein Rabbi Akiba unversehrt zurück. Den meisten gelingen nur ein paar Tritte auf der Himmelsleiter oder das Öffnen einiger weniger Tore. Jedoch behalten alle ihre
besonderen erlangten Fähigkeiten und sollen sie nach außerbiblischer Tradition sogar vererben (deuterokanonisches Buch Jesus Sirach 4,16). So soll der Segen– Bəracha ברכה entstehen. Um Missbrauch dieser Kräfte zu verhindern,
werden Schüler vor ihrer Aufnahme geprüft. Um „Würdige“ von „Unwürdigen“ zu trennen, hat man die Kabbala in eine theoretische (קבלה עיונית kabbala
iunit) und eine praktische (קבלה מעשית kabbala
ma‘asit) unterteilt, wobei erstere das System darstellt,
und letztere magische und mantische Praktiken umschreibt wie Amulettwesen, Loswerfen etc.
Die ersten Träger kabbalistischer Tradition stammten aus dem
rabbinischen Judentum, insbesondere aus dem Schülerkreis des Rabbi Jochanan ben Sakkai und des Rabbi Akiba ben Josef, die beide in Judäa im 1. Jahrhundert n. Chr. wirkten. Nachdem das rabbinische
Judentum bindende gesetzliche Vorschriften in der Halacha festgelegt hatte, die zum größten Teil im Talmud überliefert sind, fanden religiöse Anregungen, welche die äußere Form des halachischen
Judentums nicht mehr abzuändern vermochten, ihren Ausdruck in der kabbalistischen Bewegung. Technische Inhalte dieser Tradition sind im aggadischen Teil des Talmud in Mythen über die biblische
Schöpfungsgeschichte (מעשה בראשית ma’ase
bereschit) sowie über die Visionen im 1. Kapitel des
Propheten Ezechiel vom göttlichen Thronwagen (מעשה מרכבה ma’ase merkawa)
überliefert. Insofern spricht man von Merkaba-Mystik. Ein Hinweis auf
die Ekstase, um die es geht, liefert das Wort Merkaba, welches sich vom Stamme rachav– רכב– reiten, fahren, entrücken ableitet.
Eines der frühesten kabbalistischen Werke ist das Sefer Jetzira, welches die Lehre der Sefirot (Sphären, Ziffern) entwirft. Diese kommen in der Darstellung des kabbalistischen Weltenbaumes zum Ausdruck. Als kabbalistischer Midrasch gilt das Sefer ha-Bahir, das den Inhalt des Sefer Jetzira referiert sowie das Buch Genesis auslegt.
Im hohen Mittelalter waren die Zentren kabbalistischer Bewegungen der
deutsche Chassidismus im Rheinland (Mitte des 12. bis Mitte des 13. Jahrhunderts) und vor allem die so genannte „prophetische Kabbala“ in Spanien, deren bedeutendste Vertreter Abulafia und
Gikatilla waren. Aus der Tradition des spanischen Judentums entstand gegen Ende des 13. Jahrhunderts die bedeutendste kabbalistische Schrift überhaupt: der Zohar (Sefer ha Zohar, hebr.
„Das Buch des Glanzes“). Als sein Autor gilt der spanische Kabbalist Mosche de Leon († 1305).
Der Zohar enthält in verschiedenen, teils sehr umfangreichen
Abhandlungen Auslegungen der Tora, Erzählungen zu mystischen Gestalten des Judentums, insbesondere zu Rabbi Schimon ben Jochai und seinen Schülern, sowie Spekulationen zu Zahlen und Buchstaben
als den Fundamenten der Welt. Der Zohar gilt wohl neben dem Tanach, der jüdischen heiligen Schrift, und dem Talmud als wichtigste Einzelschrift des Judentums.
Nach der Verfolgung und Vertreibung der Juden aus Spanien im Jahr 1492
wurde das Örtchen Safed in Galiläa zum Zentrum kabbalistischer Lehre. Hier wirkte vor allem Isaak Luria (1534–1572), der wesentliche Beiträge zur Auffassung von der Schöpfung der Welt
entwickelte. Dazu gehören Vorstellungen vom Adam Kadmon und einem „Sich-Zurückziehen“ Gottes, um der entstehenden Welt Platz zu schaffen (Tzimtzum), dem „Zerbrechen der Gefäße“ bei der Schöpfung
und dem Freiwerden der göttlichen Lichtfunken (Schvirat ha-Kelim), Spekulationen über das Unendliche (En Sof) und eine Lehre über die Seelenwanderung (Gilgul). Ziel aller Bemühungen des Menschen
ist es danach, in einem Prozess der Vervollkommnung (Tikun) den ursprünglichen heilen Zustand der Welt aus göttlicher Existenz wieder herzustellen.
Die in Safed entstandene Kabbala des Isaak Luria hat im Judentum
erheblichen Einfluss gewonnen. Viele Elemente dieser Lehre wurden auch im osteuropäischen Chassidismus des 17. und 18. Jahrhunderts wirksam. Unter behutsamer Einbeziehung messianischer Elemente
und einer gewissen Vereinfachung des ursprünglich sehr differenzierten Lehrgebäudes konnte die Kabbala große populäre Bedeutung in den chassidischen Zentren des Ostjudentums
entfalten.
Kabbalistische Tradition wird auch in der Gegenwart gepflegt und
weiter entwickelt, vor allem in den chassidischen Gemeinden der USA und in Israel. Als einer der bedeutenden Kabbalisten des 20. Jahrhunderts gilt Yehuda Ashlag.
Athanasius Kircher prägte den Begriff „christliche Kabbala“. Die
Frage, ob es eine eigentliche christliche Kabbala im Sinn einer originären kabbalistischen Mystik mit christlichen Elementen jemals gegeben habe, kann nicht mit letzter Gewissheit beantwortet
werden. Kreative kabbalistische Denker vom Zuschnitt eines Isaak Luria, der mit seiner Vision eines Adam Kadmon einen ganz eigenen vitalen gnostisch-kabbalistischen Schöpfungsmythos schuf, fehlen
der christlichen Kabbala. Dagegen deutlich erkennbar ist eine ungemein fruchtbare Rezeption kabbalistischen Schriftgutes im Frühhumanismus. Allen voran ging Giovanni Pico della Mirandola in
Conclusiones philosophicae, kabbalisticae et theologicae sive theses CM („Philosophische, kabbalistische und theologische Schlussfolgerungen“, 1496) und mit seinem 1496 posthum
herausgegebenen Werk Oratio de hominis dignitate („Über die Würde des Menschen“, 1486). Johannes Reuchlin verband christliche Theologie, pythagoräische und neuplatonische Philosophie sowie
jüdische Mystik zu einer Synthese (De verbo mirifico, 1494; De arte cabalistica, 1517). Mit De Occulta Philosophia– Von der verborgenen Philosophie, Antwerpen, Paris und Köln,
1530–1533 gelang Agrippa von Nettesheim auf Anhieb ein frühhumanistischer „Bestseller“. Darin stellte er die kabbalistische Esoterik in den Dienst christlicher Dogmatik. Heinrich Khunraths
Amphitheatrum Sapientiae Aeternae Solius Verae („Amphitheater der einzigen wahren und ewigen Weisheit“, Hamburg 1495) ist eine Mischung aus christlicher Magie, Alchemie und Kabbala. Die
Cabbala denudata (2 Bände, 1677–1684; „Offenbarte Kabbala“) des Geistlichen Christian Knorr von Rosenroth stellt die erste größere Zohar-Übersetzung ins Lateinische dar. Wie weit die
Interessen dieses Theologen, Dichters und Hermetikers gehen, zeigt die von ihm kommentierte Übersetzung von G. della Portas Magia Naturalis (1680), aber besonders die enge Zusammenarbeit
mit dem Arzt und Alchemisten Franciscus Mercurius van Helmont, dem Sohn des paracelsistischen Iatrochemikers Johan Baptista van Helmont.
Kabbalistische Lehren und Motive finden seit Anfang des 20.
Jahrhunderts wachsende Aufmerksamkeit auch außerhalb des Judentums. Zunächst nur von Theologen und okkulten Kreisen wie der Theosophie oder dem Golden Dawn beachtet, dehnte sich die Bekanntheit
der Kabbala vor allem dank der Verbreitung von New Age und moderner Esoterik weiter aus.
Die Grenzen zwischen spekulativer Kabbala (theoretische Kabbala) und
Magie (praktische Kabbala) sind auch in der abendländischen Hermetik fließend. Wo Gershom Scholem noch in Alchemie und Kabbala Verbindungen zwischen jüdischen Kabbalisten, christlichen
Kabbalisten und Alchemisten dokumentiert, verschwimmen bei den Hermetikern des 19. Jahrhunderts sämtliche Trennlinien. Die Hermetiker integrieren nahezu vollkommen Alchemie und Kabbala. Kabbala
als Mittel der Initiation besteht auch bei ihnen. Die mündliche Weitergabe von Torakenntnissen und mystische Toradeutung (Sefer Jetzira, Sefer Bahir, Zohar) bleibt bei den Hermetikern
weitestgehend auf der Strecke.
Schon die Kabbala des Golden Dawn verband wenig mit jüdischer Kabbala und kabbalistischer Tanach-Hermeneutik. Kabbala nach Crowleys Ordo Templi Orientis (OTO) hat Crowleys Liber AL vel Legis zur Grundlage und entfernte sich völlig von jüdischer Kabbala.
Bei Kawwana – Kirche des Neuen Aeon ist die lurianische Kabbala eine
mehrerer Quellen.
Sogar Pop-Stars wie Madonna propagieren kabbalistisch-esoterische
Botschaften
Von heutigen jüdischen Kabbalisten wird diese Pop-Kabbala als Verfälschung kritisiert – dies umso mehr, als die orthodoxe jüdische Tradition empfiehlt, das Studium der Kabbala nicht vor dem 40. Lebensjahr zu beginnen.
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