Kaschrut

 

Die Jüdischen Speisegesetze (hebr. כַּשְרוּת Kaschrut, in aschkenasischer Aussprache Kaschrus = rituelle Unbedenklichkeit) sind religionsgesetzliche Vorschriften für den Genuss von Speisen und Getränken. Nach diesen Vorschriften werden Lebensmittel unterschieden in solche, die für den Verzehr geeignet („koscher“) und Lebensmittel, die für den Verzehr nicht geeignet („nicht-koscher“ oder „treife“) sind. Der heutige Umgang mit der Kaschrut im Judentum ist sehr facettenreich und umfasst strikteste Einhaltung durch orthodoxe Juden bis hin zur völligen Nichtbeachtung durch säkulare Juden.

 

Die Jüdischen Speisegesetze haben ihr Fundament in der Thora, dem ersten Teil der Hebräischen Bibel, und wurden vor allem im rabbinischen Judentum zu einer der unverzichtbaren Säulen der Halacha, des jüdischen Religionsgesetzes. Entsprechend wurden im rabbinischen Judentum die Vorschriften, von der Thora ausgehend, weitergeführt und zu einem umfassenden Rechtskorpus ausgebaut, das auch im späteren Judentum bis heute diskutiert und fortgeführt wurde und wird. Von der Sache her sind folgende Aspekte für die Kaschrut grundlegend:

 

1. Die Unterscheidung von erlaubten und nicht erlaubten Tieren.

2. Das Verbot des Blutgenusses.

  3. Die Unterscheidung von „fleischig“ (bassari) und „milchig“ (chalawi).

  4. Die „neutralen“ Lebensmittel. 

 

Versuche der Erklärung der Kaschrut

 

1. Körperliche Schädigung

Rambam (Maimonides) erklärte z.B., dass alle in der Thora verbotenen Speisen dem menschlichen Körper schaden. Mit den Kaschrut-Vorschriften habe die Thora den Juden also einen Schlüssel gegeben, mit dem sie Gut von Schlecht unterscheiden können.

 

2. Seelische Schädigung

Rambam (Rabbi Mosche ben Nachman) hingegen erklärte, auch andere Völker essen die verbotenen Speisen, ohne dass sie Schaden daran leiden. Nein, die verbotenen Speisen schaden den Juden nicht körperlich, sondern seelisch. Seiner Ansicht nach sei es kennzeichnend, dass alle in der Thora für den Verzehr verbotenen Vögel Raubvögel sind (Adler, Falke, Habicht ...), während die zum Verzehr erlaubten (Hühner, Taube, Ente, Gans ... ) dagegen keine sind. Irgend etwas vom Raubvogel färbe auf den ab, der ihn verspeise. Auf diese Weise wird auch das Verbot des Blutgenusses verständlich: Der Genuss von Blut gewöhne an Grausamkeit und fördert mörderische, zerstörerische Sitten.

 

3. Absonderung

Demgegenüber gibt es jüdische Denker, die die Kaschrut-Vorschriften nicht mit einem vermeintlichen Schaden an Körper oder Seele begründen, sondern mit der Sorge um die Besonderheit, Selbstverständlichkeit und Erhaltung des jüdischen Volkes, mit denen seine Assimilierung unter anderen Völkern verhindert werden soll.

 

Koschere Tiere

 

Bereits die Thora unterscheidet im 3. Buch Mose (Kap. 11) die zum Verzehr gedachten Tiere in erlaubte (koschere) und nichterlaubte (nichtkoschere) Tiere. Nach dieser Regelung sind von den Großtieren nur solche als koscher zu betrachten, die zweigespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind (zum Beispiel Kühe). Damit ist beispielsweise Schweinefleisch als treife, das heißt als nicht koscher, einzustufen, da Schweine zwar gespaltene Hufe haben, aber nicht wiederkäuen. Auch Kamele sind nicht koscher, weil sie zwar wiederkäuen, aber keine (vollständig) gespaltenen Hufe haben. Von den im Wasser lebenden Tieren sind solche koscher, die Flossen und Schuppen haben. Entsprechend sind die meisten Süßwasserfische erlaubt, während z.B. der Aal oder der Stör nicht erlaubt sind, da diese keine Schuppen haben. Ebenfalls nicht erlaubt sind von den Meerestieren all diejenigen, die keine Fische sind, zum Beispiel Hummer, Langusten, Muscheln, Tintenfische und Schnecken. Ebenfalls als „treife“ gelten sämtliche Reptilien und Kriechtiere. Heuschrecken wurden dagegen in der Thora erlaubt, später aber vom rabbinischen Judentum verboten. Nach rabbinischen Vorschriften gilt, dass alle Produkte von koscheren Tieren ebenfalls als koschere Lebensmittel gelten. So ist die Milch eines koscheren Tieres (Kuh, Ziege) selbst koscher, während die eines nichtkoscheren Tieres (z. B. Pferd) nicht erlaubt ist. Ebenso ist der Kaviar vom Stör nicht erlaubt, da der Stör selbst nicht koscher ist. Eine Ausnahme bildet der Honig, der zwar als koscher gilt, dennoch aber von einem nichtkoscheren Tier (Biene) hervorgebracht wird.

 

Schächten

 

Ebenfalls auf der Thora basierend ist das Verbot des Blutgenusses. Obwohl dieses Verbot bereits in die sogenannten noachidischen Gesetze Eingang gefunden hat und entsprechend schon im 1. Buch Mose erwähnt wird, wird es später in der Thora häufiger wiederholt (so auch im 3. Buch Mose). Das rabbinische Judentum hat aus diesem Verbot weitreichende Vorschriften deduziert, die das Bereiten des (koscheren) Fleisches betreffen. So muss nach diesen Vorschriften das (koschere) Tier geschächtet werden, damit das Blut des Tieres möglichst vollständig herausfließt. Ebenso ist das (koschere) Fleisch vor der Zubereitung zu salzen und zu wässern, um das Blut im Fleisch weitgehend zu minimieren. Nach biblischer Vorstellung ist das Blut der Sitz der Seele und darf daher grundsätzlich weder vergossen noch verzehrt werden.

 

Fleischig und Milchig

 

Vor allem rabbinischen Ursprungs ist die grundsätzliche Unterscheidung von fleischigen (bassari) und milchigen (chalawi) Speisen. Danach sind fleischige Speisen nicht nur Fleischprodukte, sondern alle Lebensmittel, in denen Fleischprodukte verarbeitet sind, während milchige Lebensmittel all diejenigen sind, in denen Milch oder Produkte aus Milch enthalten sind. Diese Unterscheidung ist für die Kaschrut deshalb wichtig, weil der gleichzeitige Verzehr von fleischigen und milchigen Speisen verboten ist und milchige Speisen nach dem Verzehr von fleischigen erst nach einer geraumen Zeit (je nach Tradition unterschiedlich) gestattet sind (die umgekehrte Reihenfolge wird weniger streng gehandhabt wegen der schnelleren Verdauung milchiger Speisen). Vor allem im aschkenasischen Judentum hat sich zudem die Unterscheidung von fleischigem und milchigem Geschirr durchgesetzt, so dass fleischige Speisen nicht vom milchigen Geschirr (und umgekehrt) gegessen werden dürfen. Aus diesem Grund hat eine Küche von orthodoxen Juden meist zweifaches Geschirr und Besteck, zweifache Geschirrwäsche etc.

 

Neutrale Lebensmittel

 

Neben dieser Unterscheidung gibt es aber auch eine dritte Kategorie von Lebensmitteln, die man als parve, neutral bezeichnet. Hierzu gehören nicht nur sämtliche Obst-, Gemüse- und Getreidesorten, sondern auch Eier, Honig und Fisch. Diese neutralen Lebensmittel können sowohl zusammen mit fleischigen als auch mit milchigen Speisen verzehrt werden. Außerdem bedürfen neutrale Lebensmittel, sofern sie keine verarbeiteten Lebensmittel sind, keiner besonderen Beachtung mit Blick auf die Kaschrut.

Zertifizierung

Da die Speisevorschriften im orthodoxen Judentum strengstens eingehalten werden, sind nur die Lebensmittel erlaubt, die zertifiziert sind, um auch garantieren zu können, dass die Lebensmittel diesen Vorschriften entsprechen. Die Zertifizierungen, die sogenannten Hechscharim sind dort, wo die jüdische Population recht hoch ist (Israel, Vereinigte Staaten von Amerika, wie eine Art Siegel auf der Verpackung angebracht, oder in entsprechenden Geschäften (z. B. in Bäckereien, Metzgereien) ausgehängt. Die Überwachung der religiösen Vorschriften wird von einem sogenannten Maschgiach verantwortet. Da es stark darauf ankommt, welches Rabbinat die Hechscharim vergibt, gibt es durchaus konkurrierende Hechscharim. So wird ein bekannter Hechscher in den Vereinigten Staaten von der „Orthodox Union“ vergeben und auf den Lebensmitteln mit einem „OU“ gekennzeichnet. Konkurrierend dazu gibt es einen Hechscher, der von den konservativen Rabbinern vergeben wird. In Deutschland werden die Lebensmittel dagegen nicht eigens mit einem Hechscher versehen, vielmehr werden unbedenkliche Lebensmittel in einer Liste aufgeführt und quasi als koscher erklärt. Lediglich die wenigen Metzgereien, die es in deutschen Gemeinden gibt, stehen unter einer besonderen Aufsicht und sind zertifiziert.

 

Besonderheiten

 

Glattkoscher

 

Koscheres Fleisch wird manchmal auch als „glattkoscheres“ Fleisch angeboten. Dies bedeutet nicht, dass dieses Fleisch besonders streng koscher ist. Vielmehr steht ein rabbinischer Streit des Mittelalters bezüglich des Verdachtes auf ein untaugliches Tier dahinter, der durch die beteiligten Gemeinden nicht geklärt werden konnte. Deshalb meint „glattkoscher“ lediglich, dass hier einer bestimmten Tradition der Auslegung gefolgt wird.

 

Wein

 

Obwohl Wein ein pflanzliches Produkt ist und daher keiner spezifischen Kaschrut-Vorschrift unterliegt, ist es für orthodoxe Juden dennoch notwendig, nur Wein mit einem Koscher-Zertifikat zu trinken. Der Grund hierfür liegt in dem Umstand, dass Wein in anderen Religionen eine rituelle Bedeutung hatte und hat und daher der Gefahr unterliegt, im Rahmen von Götzendienst gebraucht zu werden. Daher ist es üblich geworden, dass nur der Wein, der in der Produktion von hierfür beauftragten Juden begleitet wird, als koscherer Wein gilt und entsprechend zertifiziert ist.

 

Milch

 

Da Milch in früheren Zeiten durchaus auch Milch von nicht erlaubten Tieren sein konnte, hat es sich eingebürgert, dass auch Milch bezüglich der Kaschrut genau beobachtet wird und nur Milch als koscher gilt, die ein entsprechendes Zertifikat aufweist. Da es heute allerdings gänzlich unüblich geworden ist, Kuhmilch mit Stutenmilch zu strecken (Stutenmilch ist mittlerweile sehr viel teurer), ist zertifizierte Milch nur noch in ultraorthodoxen Kreisen üblich.

 

Käse

 

Auch Käse gilt als ein sensibles Produkt im Blick auf die Kaschrut. Dies hat aber weniger mit der Problematik der Milch zu tun (s.o.), als vielmehr mit dem Herstellungsverfahren. Hartkäse benötigt zur Reifung nämlich das Lab, das früher stets tierisch war. Dies bringt das Problem mit sich, dass das Lab von einem nicht koscher geschächteten Tier genommen sein kann. (Dass fleischig und milchig vermischt werden, ist nicht wirklich ein Problem, da der fleischige Anteil nur sehr gering ist und toleriert werden kann). Heute wird Hartkäse aber oft mit mikrobiellem Lab hergestellt, so dass Käse immer weniger ein Kaschrutproblem darstellt.

Speisevorschriften für Pessach

 

Eine ganz andere Qualität von Kaschrut bringt das jüdische Pessach-Fest mit sich. Denn gemäß dem 2. Buch Mose ist es nicht erlaubt, während des sieben Tage dauernden Festes „Gesäuertes“ zu genießen oder gar zu besitzen. Das rabbinische Judentum hat auch hier ein ganzes System von Vorschriften deduziert, so dass heute alle Lebensmittel, in denen Getreide verarbeitet worden ist, für diese Zeit verboten ist (allein Matzemehl, vorschriftsmäßig verarbeitetes Getreide, darf enthalten sein). Im aschkenasischen Judentum wird erschwerend nicht nur Getreide aller Art verboten, sondern auch Hülsenfrüchte, Reis und Mais. Zudem sind auch das Geschirr und die Küchengeräte, von denen während dieses Festes Gebrauch gemacht wird und die vorher mit Getreide in Berührung gekommen sind, entweder separat oder eigens „gekaschert“, d. h. für Pessach geeignet gemacht.

 

Die Bedeutung der Speisevorschriften

 

Auch wenn heute die jüdischen Speisevorschriften von vielen Juden entweder überhaupt nicht oder nur eingeschränkt beachtet werden, so darf nicht vergessen werden, dass die Kaschrut, ähnlich wie der Schabbat, identitätsstiftend für das Judentum war und ist. Das Judentum hatte seit 70 n.Chr. kein religiöses Zentrum und keinen eigenen Staat mehr. Die Rabbinen schufen allein mit der Halacha, dem Religionsgesetz, die Voraussetzung dafür, dass sich Juden, egal in welchem Land sie lebten, egal welche Sprache ihre Muttersprache war, als ein zusammengehöriges „Volk“ verstehen konnten. In diesem Rahmen der Halacha bildete die Kaschrut eine wichtige Säule. Dies hat sich seit der Neuzeit und mit dem aufkommenden Reformjudentum grundlegend gewandelt, da sowohl die Assimilation an die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft wichtig geworden war (Emanzipation der Juden), als auch die Verbindlichkeit der Halacha in Frage gestellt wurde. Insofern ist heute die Kaschrut konsequenterweise kein verbindlicher Rechtskorpus des Reformjudentums, sondern der privaten Ausübung anheimgestellt, aber keineswegs bedeutungslos geworden.

 

 

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