Wenn aus Martin Moshe wird
ein Gastbeitrag von Tobias Kühn
Das Judentum missioniert nicht. Jude ist, wer eine jüdische Mutter hat. Es ist aber auch möglich, zum Judentum zu konvertieren. Seit 1945 haben sich mehrere Hundert Deutsche für einen Übertritt zum Judentum entschieden. Die Aufnahmekriterien sind streng. Und es kommt in jüdischen Gemeinden immer wieder zu Konflikten mit Konvertiten.
Jüdisch ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde. So sagt es die Halacha, das jüdische Religionsgesetz. Das Gesetz sagt aber auch, dass man jüdisch werden kann – durch einen Übertritt zum Judentum, einen sogenannten Gijur.
Schon die Rabbinen der Antike kannten das Phänomen, dass Angehörige anderer Religionen Juden werden wollten. Sie legten vor rund 1500 Jahren fest, wie damit umzugehen sei – und zwar im Talmud, einem der bedeutendsten Schriftwerke des Judentums.
"Wenn ein potentieller Konvertit zu einem jüdischen Gericht, einem Bejt Din, kommt und konvertieren möchte, dann sagen wir zu ihm: 'Was hast du erkannt, das dich veranlasst, zum Judentum überzutreten? Weißt du denn nicht, dass das jüdische Volk gequält, niedergedrückt und drangsaliert wird?' Wenn er erwidert: 'Ich weiß es, und ich bin es nicht wert, mich ihnen anzuschließen' – dann nehmen wir ihn sofort auf, und wir lehren ihn einige leichte und einige schwere Gebote. Wir beschneiden ihn, und wenn er von seiner Beschneidung genesen ist, dann tauchen wir ihn in der Mikwe, dem rituellen Bad, unter. Und wenn er vollständig untergetaucht ist und aus der Mikwe kommt, dann wird er in jeder Hinsicht wie ein Jude behandelt."
Sofort aufgenommen, so wie im Talmud empfohlen, wird heute niemand mehr. Die Aufnahmekriterien sind äußerst streng. Wer übertreten möchte, muss sich einer genauen Prüfung vor einem dreiköpfigen Rabbinatsgericht unterziehen. Zuvor muss der Kandidat jahrelang lernen. Er muss das eigene Leben der jüdischen Tradition anpassen, die Speisegesetze beachten und den Schabbat halten. Und er muss zumindest so viel Hebräisch lernen, dass er dem Gebet folgen kann.
Jedes Jahr konvertieren weltweit mehrere Tausend Menschen zum Judentum. Sie tun es aus freien Stücken, denn das Judentum missioniert nicht. Anders als das Christentum oder der Islam sucht das Judentum keine Konvertiten. Jeder solle für sich frei entscheiden, sagt Rabbiner Avichai Apel. Der gebürtige Israeli amtiert in Dortmund und sitzt seit vielen Jahren im Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.
"Es gibt die Möglichkeit, zum Judentum überzutreten. Aber es ist nicht unser Wunsch, an jemanden zu gehen, anzusprechen: Komm, sei ein Jude! Wenn ich als Jude geboren bin, dann habe ich die Pflicht, als Jude zu leben, das Judentum auszuüben und nach dem Judentum zu leben. Wenn ich nicht als Jude geboren bin, habe ich den freien Willen, mich zu entscheiden, wie ich mein Leben gestalten möchte. Bin ich getauft oder bin ich als Muslim geboren, darf ich dort auch bleiben, wo ich geboren bin."
Trotzdem wollen seit Jahrtausenden immer wieder Menschen Juden werden. Sie verlassen ihr Volk und ihre Religion. Schon die Bibel kennt den Übertritt: Jitro, der Schwiegervater von Moses, tut es. Oder auch die Moabiterin Ruth, der die Bibel ein ganzes Buch widmet. Ruth stammte aus einem Volk, das bei den Israeliten nicht gut angesehen war. Doch nach dem Tod ihres israelitischen Mannes verlässt sie ihr Zuhause, um mit ihrer Schwiegermutter Naomi ins Land Israel zu gehen.
Es ist schwer, die geistige Heimat, in die man hineingeboren wurde, zu verlassen und sich in eine fremde Religion und Kultur, ja, in ein fremdes Volk einzuleben. Das verlangt Durchhaltevermögen – und psychische Stabilität. Mit dem Wechsel der Religion geht ein umfassender Wandel der gesamten Persönlichkeit einher. So etwas hält nicht jeder Mensch durch. Mancher Rabbiner fordert deshalb ein ärztliches Gutachten, bevor der Konversionsprozess beginnt.
"Meine Pflicht als Rabbiner ist es, denjenigen, der zum Übertritt kommt, zuerst abzulehnen und zu sagen: Nein, du brauchst das nicht! Auch persönlich, wenn ich jemanden treffe, der zum Judentum übertreten möchte, dann schicke ich ihn erst zu einem Psychologen oder Psychiater und bitte ihn: Bring mir eine Bescheinigung über deine Stabilität, über deine Seele!"
Was veranlasst Menschen, den schweren Weg ins Judentum auf sich zu nehmen? Was sind die Gründe dafür, dass sie konvertieren möchten? Die allermeisten tun diesen Schritt aus der festen Überzeugung, dass das Judentum für sie der richtige Weg ist, so schwer er auch sein mag. Es sind Menschen, die in ihrer bisherigen Religion – oder auch im Atheismus – keine Antworten gefunden haben auf ihre Fragen an das Leben und an das, was danach kommt. Manche finden ihren Weg zur Konversion über das Studium. So wie Noa Lerner.
Sie wuchs in den 70er-Jahren in der Nähe von Düsseldorf auf und wurde katholisch erzogen. Heute ist sie 50 und lebt als Jüdin in Berlin. Vor 15 Jahren trat sie, wie sie sagt, aus theologischen Gründen, zum Judentum über.
"Also, meine Motivation war tatsächlich, wirklich eine im weitesten Sinne theologische. In meinem Studium habe ich viel übers Judentum gelernt, und das hat mich sehr fasziniert. Und an einem gewissen Punkt wuchs es mir mehr ans Herz als meine katholische Sozialisation. Insgesamt hatte ich das Gefühl, im Judentum mehr spirituelle und gedankliche Freiheit zu finden. Und das hat mich überzeugt, das hat mich gereizt, das hat mich angezogen."
Nicht alle treten aus religiösen Gründen über. Manche möchten konvertieren, weil sie zwar einen jüdischen Vater, aber keine jüdische Mutter haben und deshalb in den Gemeinden nicht als Juden anerkannt werden. Außerdem gibt es Menschen, die übertreten möchten, weil sie einen jüdischen Partner haben.
Die Potsdamer Historikerin Barbara Steiner hat sich jahrelang mit dem Thema "Konversion" beschäftigt. Sie sieht noch einen weiteren Grund dafür, warum sich Menschen dem Judentum nähern. Einen Grund, der, wie sie meint, oft unterschätzt werde.
"Die haben eine biografische Krise erlebt, in dieser Krise kommen sie in Kontakt mit dem Judentum. Diese Form der Konversion, wie sie das Judentum verlangt, diese vollkommene Neuausrichtung des Lebens, eine Neuinterpretation der Biografie, sich wirklich von allem Alten zu lösen – das ist etwas, was dann für Menschen in einer Krise sehr interessant ist. Sie können dann von vorne anfangen, es ist wie ein klarer Schnitt."
Steiner kritisiert, Rabbiner würden diesen Punkt zu wenig beachten. Wer das Judentum als Lösung für seine Probleme entdeckt hat, der wisse doch genau, sagt Steiner, was er dem Rabbiner erzählen muss, um konvertieren zu dürfen.
"Also natürlich sind den Rabbinern Konvertiten am liebsten, die aus religiösen Gründen bei ihnen vorsprechen und sagen, ich möchte Jude werden, weil ich Monotheist sein möchte, weil ich die Halacha großartig finde, weil ich mehr Mizwot, also jüdische Gebote, einhalten möchte, die ich als Nichtjude nicht beachten kann. Da gibt es ja einiges, was einen Übertritt rechtfertigen könnte aus religiöser Perspektive. Ich glaube, dass dann übersehen wird, was eigentlich hinter dem Wunsch zu konvertieren steht."
Steiner ist aufgefallen, dass in den 1950er- bis 70er-Jahren etliche Deutsche zum Judentum konvertiert sind, deren Eltern Nationalsozialisten waren. Durch die Konversion versuchten diese Menschen, sich von ihrem Elternhaus zu distanzieren. Es machte ihnen zu schaffen, in diesem schuldhaften Kontext zu leben. Und so sahen sie im Übertritt zum Judentum eine Möglichkeit, aus dieser Umgebung, ja Verstrickung herauszutreten. Steiner glaubt, dass einige Menschen in Deutschland auch heute noch aus einem ähnlichen Grund zum Judentum übertreten – auch wenn ihre Eltern und Großeltern selbst keine Nazis gewesen sind.
"Und natürlich kommt dann über die Beschäftigung mit dem Judentum und einer mehr oder weniger stark ausgeprägten philosemitischen Grundhaltung dann auch irgendwann der Wunsch, konvertieren zu wollen."
Der amerikanische Psychologe William James hat vor mehr als 100 Jahren darauf hingewiesen, es gebe einen Zusammenhang zwischen Krise, psychischer Belastung und religiöser Konversion. Den Übertritt sieht James dann als eine mögliche Strategie, diese Krise zu bewältigen.
"Wiedergeburt, religiöse Erfahrung, Erlangung von Gewissheit: Dies sind verschiedene Ausdrücke zur Bezeichnung des schrittweisen oder plötzlichen Prozesses, durch den ein bisher gespaltenes und sich schlecht, unterlegen und unglücklich fühlendes Selbst seine Ganzheit erlangt und sich jetzt, stärker gestützt auf religiöse Wirklichkeiten, gut, überlegen und glücklich fühlt."
Doch es ist heikel, wenn Deutsche deshalb zum Judentum übertreten, weil sie glauben, damit die Vergangenheit zu bewältigen. Es gibt Tage im Jahr, da fühlt sich manch ein Konvertit zurückgeworfen auf seine deutsche, nichtjüdische Vergangenheit. Vor allem dann, wenn man in jüdischen Gemeinden der Opfer des Holocaust gedenkt, der ermordeten Verwandten – ja, vor allem dann haben es jene Konvertiten schwer, die nicht aus religiösen Gründen Juden geworden sind, sondern weil sie sich entlasten wollten. Manche spüren dann voller Schmerz, dass es offenbar doch nicht möglich ist, die deutsche Vergangenheit hinter sich zu lassen.
"Am Gedenktag des Holocaust haben sie eine sehr schwierige Auseinandersetzung mit sich selbst. Pessach, Rosch Haschana, Purim – alle jüdischen Feiertage sind klar und deutlich, alles ist okay. An dem Holocaust-Gedenktag gibt es die Menschen, die gerade aus dieser Überzeugung, weil sie die Vergangenheit vergessen möchten, zum Judentum übergetreten sind, und die sollen jetzt mit uns allen sitzen, und wir sprechen über unsere Familien, über Opas, Omas, Uropas, Uromas, die ermordet sind. Und wir sprechen über die Täter. Wir sprechen über die Deutschen. Die Nazis. Und wir versuchen, eine Lehre zu ziehen. Und so ein Mensch sitzt dabei. Da merke ich sofort, wie er sich quält. Entweder sich sofort zu rechtfertigen und zu sagen: Ich gehöre nicht mehr dazu, ich bin Jude geworden. Oder wie es ihm auch wehtut, wenn er denkt: Was haben doch meine Vorfahren gemacht."
Rabbiner Avichai Apel empfiehlt Konvertiten, sich bewusst zu machen, dass sie einer Gemeinde beitreten, die von Leid und Verfolgung geprägt wurde. Einer Gemeinde, in der die Schoa, der Holocaust, präsent und für viele ein wichtiger Teil ihrer Identität ist. Konversion ist in den jüdischen Gemeinden ein ausgesprochen emotionales Thema.
Manche Gemeindemitglieder, die als Juden geboren wurden, begegnen Konvertiten mit einer gewissen Distanz. Für einige Übergetretene ist das schwer zu ertragen. Es kommt dann vor, dass sie ihre nichtjüdische Herkunft ausblenden oder gar verheimlichen. Sie tun so, als seien sie Juden von Geburt an. Noa Lerner, die Berliner Konvertitin, hält das für eine schlechte Idee.
"Erstens glaube ich: Das funktioniert nicht. Und so sehr ich mittlerweile genervt bin durch das 'Du darfst nichts sagen, denn du bist erst 42 oder 10 oder 15 Jahre jüdisch', so sehr finde ich es auch legitim, dass geborene Juden einen winzigen Rest an Distanz haben zu uns Konvertiten. Und ich versuche, mich immer auch in die Lage dieser Leute zu versetzen, und ich kann das sehr gut verstehen. Ich kann sehr gut verstehen, dass dieser Rest Distanz dableibt – wiewohl ich ihn als Misstrauen sehr unflätig finde."
Einen Konvertiten an seine nichtjüdische Herkunft zu erinnern, ist ausdrücklich verboten. Man solle ihn nicht kränken und nicht bedrücken, schreiben schon die Rabbiner der Antike. Dass sie es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder betonen mussten, lässt vermuten, dass die Ermahnung notwendig war. Offenbar hielten sich schon früher etliche geborene Juden nicht daran. Rabbi Mosche ben Maimon, der Rambam, einer der größten jüdischen Philosophen, schrieb im 12. Jahrhundert:
"Wer einen Konvertiten liebt, erfüllt zwei Gebote: Zum einen betont die Thora ausdrücklich: 'Liebe die Konvertiten!' Zum anderen gleicht das Gebot, Konvertiten zu lieben, dem Gebot, Gott zu lieben. Denn es heißt in der Thora: 'Liebe den Ewigen, deinen Gott!' Und es heißt: 'Der Heilige, gepriesen sei Er, liebt den Konvertiten.'"
Viele Übergetretene haben das Judentum im Laufe der Geschichte bereichert. Etliche bekannte Rabbiner oder ihre Vorfahren waren selbst Konvertiten. Der Vater von Rabbi Akiba etwa, einem der bedeutendsten Vertreter des rabbinischen Judentums aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Oder der berühmte Thora-Übersetzer Ónkelos, der Prophet Ovádja oder Rabbi Me’ir, einer der Verfasser der Mischna, der ersten größeren Niederschrift der mündlichen Tora. Traditionstreue Juden beten jeden Tag dafür, dass Gott auch zu den Konvertiten barmherzig sein möge:
"Über die Frommen und Gottgeweihten und die Alten deines Volkes, des Hauses Israel, und über die Fremdlinge, die sich aus Frömmigkeit zu dir bekehren, und über uns möge dein Erbarmen rege werden, Ewiger, unser Gott!"
Trotzdem werden Konvertiten in den jüdischen Gemeinden nicht immer mit offenen Armen empfangen, auch wenn die Akzeptanz in den vergangenen Jahren etwas zugenommen hat. Die meisten Gemeindemitglieder in Deutschland sind Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Dort war das Judentum eher eine Frage der ethnischen als der religiösen Zugehörigkeit. Manche Zuwanderer tun sich deshalb schwer, Konvertiten überhaupt als Juden zu betrachten. Sie fragen sich: Wie kann man aus Fisch Fleisch machen?
Ein weiteres Problem, das etliche Konvertiten umtreibt, ist die Tatsache, dass orthodoxe Rabbiner diejenigen nicht als Juden anerkennen, die vor einem liberalen Rabbinatsgericht übergetreten sind. Manchmal, so der Vorwurf, seien Übergetretene allerdings selbst daran schuld, wenn sie sich in den Gemeinden nicht aufgenommen fühlten. Denn viele Konvertiten wissen besser Bescheid über die jüdische Religion als die meisten geborenen Juden. Um überzutreten, mussten sie jahrelang lernen. Weil sie sich bewusst entschieden haben, jüdisch zu werden, sind sie oft engagierter als geborene Juden. In den Gemeinden führen Übereifer oder Besserwisserei mitunter zu Konflikten.
"Ich versuche, mich in bestimmten Fragen zurückzuhalten. Wenn liturgische Dinge diskutiert werden, habe ich, glaube ich, mich noch nie dazu geäußert. Ich habe versucht, mich einzubringen, soweit es gewünscht war, soweit es zugelassen war. Ich habe an Stellen versucht, Beiträge zu liefern, aber dabei immer wieder im Kopf behalten: Wie wirkt es auf jemanden, der eine andere Familiengeschichte hat?"
Nicht nur in den Gemeinden stoßen Konvertiten auf Akzeptanzprobleme. Auch im Freundeskreis und in der Herkunftsfamilie wirft es mitunter Fragen auf, wenn aus Martin plötzlich Mosche wird. Alles hängt davon ab, welche Einstellung gegenüber dem Judentum in der Familie dominiert, sagt die Historikerin Steiner.
"Wenn sie aber tatsächlich aus einem fundamentalchristlichen Elternhaus oder einem Elternhaus kommen, das irgendwie dem Judentum eher ablehnend gegenübersteht, dann wird’s natürlich eng. Dann kommen Konflikte. Es ist nicht einfach, das auszuhalten. Und es ist auch nicht einfach für die Familien, das auszuhandeln und dann da einen Weg zu finden, das Familienmitglied, das sich als Jude neu orientieren will, zu integrieren."
Noa Lerner hatte Glück. Ihre Eltern reagierten verständnisvoll auf die Entscheidung, zum Judentum überzutreten. Bis heute ist sie ihnen dafür dankbar.
"Die haben mich gefragt, warum ich das mache, am Anfang. Ich habe mit ihnen längere Gespräche darüber geführt. Und sie haben dann gesagt: Gut, wenn’s deine Entscheidung ist. Es ist nicht unser Weg. Aber wenn du glaubst, dass du das tun sollst – okay, mach!"
Aus den jüdischen Gemeinden in Deutschland sind Konvertiten heute nicht mehr wegzudenken. Viele sind sehr engagiert, etliche haben es sogar an die Gemeindespitzen geschafft. Dass ein Konvertit eine führende Funktion übernimmt, ist unter geborenen Juden jedoch nicht unumstritten. Viele hätten es gern, wenn sich die Übergetretenen in den Gemeinden etwas zurückhielten – zumindest in den ersten Jahren. Dafür plädiert auch Avichai Apel, der orthodoxe Rabbiner.
"Ein Mensch, der übergetreten ist, der diesen Prozess geschafft hat, hat oft starke Eigenschaften. Er hat etwas geschafft, was andere Menschen nicht geschafft haben. Manchmal möchte dieser Mensch sofort auch in die Regierung kommen, der Vorstand sein. Da sagen wir: Mit Geduld! Erst muss man das Judentum miterleben. Erst muss man die Mentalität erleben. Man kann nicht von oben sofort beginnen. Ich muss aber eines sagen: Es gibt Übergetretene, die das Amt der Regierung in der Gemeinde übernommen haben – es gibt auch Rabbiner, die übergetreten sind – und die dem Judentum sehr viel Gutes gebracht haben."
Dass Konvertiten dem Judentum Gutes bringen, glaubte auch der Reformrabbiner Leo Baeck. 1949, vier Jahre nach dem Holocaust, als das Judentum in Trümmern lag, sagte er bei einer Zusammenkunft der Weltvereinigung des progressiven Judentums in London:
"Sollten wir nicht wieder neu anfangen? Sollten wir nicht Missionare nach Asien, in den Fernen Osten und in andere Länder zu den Leuten senden, die da auf uns warten? Wir brauchen diesen Zuwachs – um unserer selbst willen."
Leo Baeck, der große alte Mann aus Berlin, der das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hatte, war fast der einzige, der unbefangen von jüdischer Mission sprach. Sein Aufruf verhallte. Das Judentum versteht sich nach wie vor als eine Religion, die nicht missioniert und keine Konvertiten sucht.
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