Rabbi Nachman von Bratslav (* 1772 in Medschybisch; † 16. Oktober 1810
in Uman) war ein chassidischer Zaddik.
Mütterlicherseits war er der Urenkel des Baal Schem Tow, dem Begründer
des Chassidismus. Väterlicherseits war er der Enkel von Rabbi Nachman von Horodenka, einem Schüler des Baal Schem Tow. Nachman wuchs in der chassidischen Atmosphäre seines Elternhauses auf,
heiratete früh und lebte im Hause seines Schwiegervaters. Später ließ er sich in Medwedewka, einem Dorf im Gouvernement Kiew nieder, wo er einen kleinen Kreis von Chassidim um sich
versammelte.
1798 begab er sich in Begleitung eines Jüngers auf eine Reise ins
Heilige Land. Im Laufe einiger Monate besuchte er unter anderem Haifa, Jaffa, Tiberias und Safed, musste aber nach dem Einmarsch Napoleons das Land überstürzt wieder verlassen. Während seines
Aufenthalts in einem Dorf in der Nähe von Schpola hatte er eine Auseinandersetzung mit Arie Leib, einem bejahrten chassidischen Zaddik, welcher Nachman sabbatianische und frankistische Ansichten
vorwarf. 1802 zog er nach Bratslav, wo er bis 1810 blieb. Nachdem sein Haus in Bratslav abgebrannt war, zog er nach Uman, wo er am 18. Tischri 5571 (16. Oktober 1810) während des Sukkotfestes an
Tuberkulose verstarb.
Nach dem Tode von Rabbi Nachman wurden seine Anhänger unter der Bezeichnung Bratslaver Chassidim oder auch „di tojten chassidim“ bekannt, da sie die
Wiederkehr R. Nachmans erwarten und Nachman keinen Nachfolger hatte und hat. In ihrem Ursprungsgebiet Podolien waren sie bis zu den frühen Jahren der Sowjetunion tätig. In Israel lebten die
meisten Bratslaver Chassidim zunächst in der Jerusalemer Altstadt, haben sich jedoch mittlerweile auch in Safed, Immanuel (im besetzten Westjordanland) und Bnei Brak niedergelassen.
Obwohl Nachman die Bedeutung der Tradition betonte und sich als letztes Glied einer Kette sah, die von Schimon ben Jochai über Isaak Luria bis zu seinem
Urgroßvater Baal Schem Tow reichte, enthalten seine Lehren zahlreiche Neuerungen. Gemäß Nachman wurde die Welt durch En Sof (wörtlich "kein Ende" oder "Unendliches"), „den Ungrund“
erschaffen, und wird nach dem absoluten göttlichen Willen beherrscht. Göttlichkeit ist überall enthalten, auch im Bösen, und zwar in Form von Qlipot („Schalen“). Auch ein Mensch, der im
Bösen versinkt, kann deshalb durch Reue zum Schöpfer zurückfinden. Die lurianische Doktrin des Tzimtzum („Rückzug“, „Selbstverschränkung“, siehe Kabbala) schafft ein Paradox. Einerseits
postuliert sie den Rückzug und das Verschwinden der Göttlichkeit unter Schaffung eines „Leeren Raumes“ oder „großen Offenheit“, andererseits wird damit göttliche Immanenz (Anwesenheit Gottes in
der Welt) angenommen. Diesen scheinbaren Widerspruch überwindet der Chassidim durch die Erkenntnis der wechselseitigen Abhängigkeit: die Kultivierung von Offenheit und Unvoreingenommenheit
schafft die Voraussetzungen, um Gottes „Wirksamkeit“ zu erfahren. Nach Ansicht von Nachman wird der Idealzustand von Tzimtzum erst in Zukunft erreicht. Die hauptsächliche Bedeutung dieser
Doktrin liegt aber darin, Zweifel an der Existenz des Schöpfers zu erwecken. Die Formulierung der Frage ist ein wichtiges Element in seiner Lehre und hängt vom ersten Willensakt des Schöpfers in
seiner Beziehung zum Menschen ab. Obwohl der Mensch tief in die Fänge des Zweifels geraten kann, liegt der letzte Zweck seines Falls in seinem Aufstieg („Und das Sinken geschieht um des Steigens
willen“ Zohar).
Nachmans Tzaddik-Theorie ist einzigartig, denn darin behauptet er, es gebe nur einen einzigen echten Tzaddik, nämlich Nachman selbst, für welchen
möglicherweise die Bestimmung als Messias vorgesehen ist. Ähnlich wie Moses verleihe der Tzaddik den Gebeten der Gemeinschaft erlösende Kraft. Gedanken des Tzaddik über häretische Fragen können
zum geistigen Aufstieg derjenigen führen, die zuvor dem Irrtum verfallen waren. Auch der Niggun (die chassidische Melodie) hat einen ähnlichen erlösenden Einfluss. Der Tzaddik lebt
sozusagen ewig, ob nun in dieser oder in der kommenden Welt. Ein Mensch ist verpflichtet, zum Tzaddik zu reisen, „denn das Wichtigste ist, was er aus dem Munde des Tzaddik hört“.
Nachmans Einstellung zum Menschen und zur Welt kann oberflächlich betrachtet pessimistisch erscheinen. Er glaubt, es gebe viele Hindernisse auf dem Weg des
Menschen in dieser Welt, die ohne weiteres Gehinnom zu nennen sei. Trotzdem stellt sich Nachman mit aller Kraft gegen die Verzweiflung. Die Anker, an die sich der Mensch im Leben festhalten kann,
sind Glaube, Ermutigung, Freude, Gesang, Tanz, ständige Selbstkritik, Gespräche mit dem Tzaddik und Sehnsucht nach einer direkten Beziehung zum Schöpfer. Eine wichtige Stellung in seinen Lehren
nimmt deshalb das Gebet ein. Dies beschränkt sich jedoch nicht auf die jüdische Gebetstradition; auch sei das Rezitieren der Psalmen wertlos, solange der Betende nicht mit Kawwana betet und sich
mit dem Inhalt identifiziert. Wichtig für den Dialog ist auch die Verpflichtung zur täglichen Absonderung von den Menschen in der Natur - hitbodedut - Isolation.
Die Bedeutung des Niggun, des gesungenen Gebets, ist nach Nachman nicht zu überschätzen. Es gebe ein vollständiges System von Niggunim, das dem Aufbau des Universums entspreche. Wer sich dem musikalischen Rhythmus anpassen kann, erzielt daraus großes Vergnügen und erreicht die Auslöschung des Selbst. In diesem Moment offenbart sich der Schöpfer demjenigen, der sich nach ihm sehnt, durch die verschiedenen Stufen in der Ordnung der Natur. Eine Möglichkeit zur geistigen Erhebung bietet sich dem Menschen im verheißenen Land , wo er Glaube und Weisheit erlangen kann. Zugang zu diesem verheißenen Land erlangt der Chassidim durch die Erkenntnis des Schöpfers durch das Geschaffene und durch die Gnade Gottes, es ist sowohl ein spirituelles als auch ein reales Land. Dies mag eine Erklärung zu Nachmans Ansicht liefern, er sei während seines ganzen Lebens von der weisheitsfördernden Kraft des Landes Israel gestützt worden, die ihn selbst zum „größten der Tzaddikim“ machte, wie er sich selbst bezeichnete.
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