Isaac Bashevis Singer und ich im Singer-Park
Isaac Bashevis Singer und ich im Singer-Park

Isaac Bashevis Singer

 

Frampol, Krzeszow, Goraj und Bilgoraj sind wenig bedeutende, von dichten Wäldern umgebene Kleinstädte im Südosten Polens. Wohl kaum wäre ihr Name in fernere Erdenwinkel gelangt, hätten sie nicht einem Nobelpreisträger als literarische Topographie gedient. Der jiddische Erzähler Isaac Bashevis Singer, geboren am 14.Juli 1904 in der Nähe von Warschau, verbrachte prägende Jahre seiner Jugend in Bilgoraj, wo Jakub Zylbermann, der Großvater mütterlicherseits, ein weithin bekannter Rabbiner war. Bilgoraj und seine Nachbarorte lieferten Singer später den Stoff für Geschichten über chassidische Wunderrabbis und eher gewöhnliche Ehebrecher. Auch erzählte Singer alte jüdische Legenden neu, etwa in der Novelle von der Zerstörung der Stadt Krzeszow oder in dem Roman «Satan in Goraj», wo Menschen, verführt von einem falschen Messias, lebende Tiere verspeisen, sich dem Inzest hingeben und wüste Orgien feiern.

 

Kleine Lesergemeinde

 

«Einem Verfasser von Pornographie kann man kein Denkmal setzen», empört sich Marian Jagusiewicz. Der Vorsitzende des Bürgerkomitees in Bilgoraj betätigt sich seit Monaten als Sprachrohr einer Anti-Singer-Koalition. Konservative, Nationalisten und Katholiken wollen gemeinsam verhindern, dass eine bisher namenlose Straße dem 1991 in Florida verstorbenen Literaturnobelpreisträger gewidmet wird. Die Idee zu einer Isaac- Bashevis-Singer-Straße entstand vor zwei Jahren. Wissenschaftler der Marie-Curie-Universität in Lublin organisierten aus Anlass von Singers 99.Geburtstag ein kleines Festival. Mit Lesungen, Konzerten und Gesprächen stellten sie einen Schriftsteller vor, der den meisten Einheimischen unbekannt war, so unbekannt wie manches Kapitel aus der Geschichte ihrer Region, in der vor dem Zweiten Weltkrieg vielerorts mehr Juden als katholische Polen lebten.

 

Singers polnische Lesergemeinde bildet bis heute einen kleinen, eher elitären Kreis. Der Bürgermeister von Bilgoraj, Janusz Roslan, Mitte fünfzig, Deutschlehrer von Beruf und passionierter Freund der schönen Künste, gehört dazu. Im Februar dieses Jahres hat Roslan im Stadtrat beantragt, endlich eine Straße nach Isaac Bashevis Singer zu benennen, mitten im Zentrum, dort, wo einst das jüdische Viertel lag. Im September 1939, nach dem Überfall Deutschlands auf Polen, stand das überwiegend aus Holz gebaute Bilgoraj in Flammen. Auch das von Singer gern beschriebene Haus der Zylbermanns brannte ab. Der Schriftsteller war 1935 in die USA ausgewandert. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Juden von Bilgoraj von den Nazis vor ihrer Haustür erschossen oder ins nahe gelegene Todeslager Belzec verschleppt. Einer kleinen Minderheit gelang die Flucht in die Sowjetunion, und nur ganz wenige kehrten nach dem Krieg in die alte Heimat zurück.

 

Im kommunistischen Nachkriegspolen war die jüdische Geschichte des Landes weitgehend tabu. Zugleich schwelten alte antisemitische Vorurteile weiter. Bei Gelegenheit wurden sie geschürt, bald von Führern der Kommunistischen Partei, wenn es ihnen opportun erschien, das Nationale zu betonen, bald von den Gegnern der herrschenden Ordnung, wenn ihnen das Stereotyp vom jüdischen Kommunismus nützlich vorkam. Singers jiddische Bücher wurden damals, anders als nach der Wende, kaum ins Polnische übersetzt.

 

Die Straße, um die Freunde und Feinde Singers in Bilgoraj streiten, ist auch kurz vor dem 101.Geburtstag des Schriftstellers noch ein namenloser, unbefestigter Weg von rund 150 Metern Länge. Die Isaac-Bashevis-Singer-Straße sollte, erklären der Bürgermeister und seine politisch eher linksliberalen Freunde, nicht nur eine Ehrung sein, sondern zugleich ein tieferes Interesse an der Geschichte der Stadt wecken, von dem diese profitieren könnte. Aus Bilgoraj würde ein Schauplatz jüdischer Weltliteratur.

 

Das aber ist nicht im Sinne der konservativ-klerikalen Mehrheit im Stadtrat, und so hat diese den Antrag des Bürgermeisters erst einmal mit einem Gegenvorschlag torpediert. Danach soll die Straße den Namen von Stefan Kardinal Wyszynski erhalten. Der langjährige Vorsitzende der polnischen Bischofskonferenz, der sich stets als geschickter Stratege im Machtpoker mit den Kommunisten erwies, wurde dafür nach der Wende mit Straßennamen allerorten geehrt, allerdings noch nicht in Bilgoraj. Ob man aber einer so bedeutenden Persönlichkeit wie Wyszynski einen nicht viel mehr als 150 Meter langen Weg widmen sollte, fragte der Bürgermeister fast schon listig nach. «Von mir aus kann sie kurz sein, wir nehmen, was wir bekommen», kommentiert unbeirrt Marian Jagusiewicz, der Vorsitzende des Bürgerkomitees.

 

Ein makelloser Mensch

 

Das Komitee hat gemeinsam mit der Liga für die polnische Familie und der Allpolnischen Jugend ein Flugblatt verteilt, in dem von Perversionen und Obszönitäten in den Büchern Isaac Bashevis Singers die Rede ist, vor allem aber von politischen Gefahren im neuen Europa. «Wir haben nichts gegen normale, friedliebende Juden, doch sollten wir uns der Gefahr und der Ungerechtigkeit bewusst sein, die von eroberungslüsternen jüdischen und antipolnischen Kreisen in der Europäischen Union ausgehen», heißt es in dem Flugblatt. Mit Antisemitismus habe das alles gar nichts zu tun, erklärt Jagusiewicz, zumal nicht, wenn es um Isaac Bashevis Singer gehe. Denn es seien schließlich jüdische Kritiker in den Vereinigten Staaten gewesen, die den jiddischen Autor als «Klosettpornographen» erkannt hätten.

 

Und der Nobelpreis, den Singer 1978 für sein Lebenswerk erhielt? Jagusiewicz winkt ab. Das schwedische Nobelkomitee sei schon lange nicht mehr das, was es einmal war. Ein Mensch, nach dem man eine Straße benennt, erklärt der Vorsitzende des Bürgerkomitees in Bilgoraj entschieden, muss makellos sein. Dann verliert er angesichts weiterer Fragen des Journalisten ein wenig die Geduld. «Vielleicht gibt es Platz für Singer in Lublin - oder in Israel. Aber nicht in Bilgoraj.

 

Nachtrag: Mittlerweile gibt es in Biłgoraj ein kleines Sträßchen, das nach Isaac Bashevis Singer genannt ist, auch gibt es einen kleine nach ihm benannten Park mit einer Statue von ihm.