Günny Haim als Soldat 1963
Günny Haim als Soldat 1963

Impressionen über meine Militärzeit bei Zahal

 

 

Im November 1963 war es endlich soweit, ich musste oder durfte zum Militär (Zahal = Zwa Hagana LeIsrael zu Deutsch: Israelische Verteidigungsstreitkräfte, Englisch: Israel Defence Forces IDF). Da ich bei der Musterung für voll tauglich eingestuft wurde, war es klar, dass ich zu einer Kampfeinheit kommen würde. Man sagte mir, dass ich zu den Panzergrenadieren, Kanonieren, etc. gehen könnte. Es stünde mir natürlich frei mich alternativ freiwillig zu den Fallschirmjägern zu melden. Das hatte ich sowieso schon vor gehabt obwohl meine Ima (meine Mutter) mir davon abgeraten hatte. Zu dieser Zeit hatten die Fallschirmjäger die härteste und längste Grundausbildung. Das konnte mich aber nicht davon abhalten mich freiwillig zu melden. Ich wurde angenommen und war glücklich.

 

Als ich zu meinem ersten Urlaub meine Ima in Naharija besuchte ist sie fast aus allen Wolken gefallen. An der Uniform konnte man schon sehen zu welcher Einheit ich gehörte. Nun, sie hat sich damit abfinden müssen.

 

Die Grundausbildung war hart, sehr hart. Nur wenig Zeit verbrachten wir in der Basis, und auch dort gab es keine Häuser als Unterkunft sondern 10-Mann-Zelte. Es begann ja auch gerade die Winter- und Regenzeit. Die meiste Zeit verbrachten wir allerdings im „Feld“ in kleinen 2-Mann-Zelten. Morgens ging es um 06:00 Uhr los und es wurde bis abends, manchmal auch bis spät in die Nacht, „trainiert“. Langsam gewöhnte man sich an dieses Leben und es machte sogar noch Spaß. Wir fingen unter anderem mit kleineren Eilmärschen in voller Ausrüstung an. Zum Ende der Rekrutenzeit absolvierten wir einen 120 km Eilmarsch, natürlich in voller Kampfausrüstung. Wir benötigten dazu knapp 22 Stunden inklusive Pausen. Auch machten wir einen 40 km Marsch mit einer Trage. Ein Mann auf eine Trage und alle 10 Minuten Wechsel der Träger. Damit stellten wir damals einen neuen Rekord auf. Wir lernten den Gebrauch von Handfeuerwaffen, Maschinengewehren, Mörsern, kleinen Raketenabschusssystemen, Sprengstoffen, Nahkampf (Krav Maga); einfach alles was dazu gehört um ein „perfekter“ Soldat zu sein.

 

Als „krönenden“ Abschluss der Rekrutenzeit war das Fallschirmspringen angesagt. Hierzu absolvierten wir einen 3-wöchigen Kurs mit anschließenden 7 Sprüngen. Ich könnte jetzt viel über das Springen erzählen, bringt aber wirklich nichts. Man muss oder sollte es selbst erlebt haben. Zum ersten Sprung ging ich vollkommen unvoreingenommen. Der Sprunglehrer sagte: „Spring“ und ich sprang aus dem Flugzeug. Ein wunderbares Gefühl, nach dem Lärm der Motoren plötzlich Stille, ja himmlische Ruhe.

 

Nach den 7 Sprüngen, davon 2 Nachtsprünge, bekamen wir die lang ersehnten silbrigen Flügel auf blauem Grund an das Uniformhemd gesteckt. Wir waren alle sehr stolz.

 

In Manövern absolvierten wir noch etliche Sprünge und kleinere Kommandotätigkeiten. Einzelheiten darüber darf ich aus Gründen der Geheimhaltung nicht preisgeben. Insgesamt habe ich 64 Sprünge absolviert, allerdings nur Übungs- bzw. Manöversprünge.

 

Später wurde ich Ausbilder der neuen Rekruten. So geschah es, dass ich auch Yoni Netanjahu während seiner Rekrutenzeit ausbildete. Er wurde während der Operation Entebbe in Entebbe, Uganda getötet. Er war als Soldat in der Spezialeinheit Sajeret Matkal Anführer der Operation, die von Israel zur Befreiung der zum größten Teil israelischen Geiseln palästinensischer Terroristen der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und zweier deutscher Terroristen der Revolutionären Zellen entsandt wurde. Netanjahu war der einzige getötete israelische Militärangehörige der Befreiungsaktion.

 

Nach der allgemein geltenden Militärzeit beendete ich diese. Ich hatte kein Bedürfnis eine Militärkarriere einzugehen. Damit begann meine Pflicht als Reservist, in der Regel zwischen 25 und 40 Tagen pro Jahr. Die Zeit als Reservist war immer eine schöne Abwechslung vom Alltag. Später habe ich mich dann doch noch für einige Jahre bei IDF und dem Mossad verpflichtet und beendete meine "Militärkarriere" als Hauptmann

 

 

Mein 6-Tage-Krieg

 

Generell bin ich kein Freund von Gewalt oder Krieg. Den Ausbruch des 6-Tage-Kriegs, den Israel begonnen hat, kann ich dennoch durchaus verstehen. Die Existenz des Landes wurde von den arabischen Staaten massiv bedroht. Israel hatte keine andere Wahl als sich zu wehren, die arabischen Armeen zu zerschlagen und Gebiete zu besetzen. Ich bin allerdings der Meinung, dass man die besetzten Gebiete, und nicht nur Sinai und den Gazastreifen, mit gewissen Grenzkorrekturen hätte zurückgeben müssen und sollen. Die Palästinenser in diesen Gebieten wurden von ihren arabischen „Brüdern“ noch vor Ausbruch des 6-Tage-Krieges wie Menschen „dritter Klasse“ oder noch schlimmer behandelt. Vornehmlich das Königreich Jordanien mache regelrecht Jagd auf Palästinenser und unterdrückte sie, wo es nur möglich war. Trotzdem waren sie „freier“ als jetzt unter israelischer Oberhoheit.

 

Zur Zeit des 6-Tage-Krieges war ich schon Reservist und bei einer Spähtruppe. Spähtruppen sondieren im Voraus das Gelände, die Formation des Gegners, wo er sich aufhält, wie stark er ist und so weiter und so fort. Wir waren in Eilat an der Grenze zum Sinai eingesetzt. Am Vorabend des 5. Juni 1967 überschritten wir die Grenze um ägyptische Panzereinheiten auszukundschaften. Jede Spähtruppe ist angehalten möglichst keine „Feindbegegnung“ zu haben. Dies würde dem Gegner ja nur helfen und er könnte so seine Formation und Stellung ändern. Unglücklicherweise stießen wir oder sie stießen auf uns, auf einen ägyptischen Spähtrupp, der das gleiche vorhatte wie wir. Außerdem waren wir angehalten von Schusswaffen keinen Gebrauch zu mache, da der Lärm uns nur verraten würde. Es kam also zu was es kommen musste – zum Nahkampf, Mann gegen Mann. Ein Kampf ohne Schusswaffen allerdings wurden Messer eingesetzt. Wir 8 Mann überlebten alle, von den Ägyptern keiner. Ich möchte nicht in Details übergehen, wie das ganze abgelaufen ist. Es war nicht schön und es hat in mir bleibende Eindrücke hinterlassen. Als 22-jähriger ist es nicht ganz so leicht damit fertig zu werden Menschenleben auf „dem Gewissen“ zu haben. Im Nahkampf versucht man seine eigene „Haut“ zu retten. Was ist es einfacher zu verkraften? In einem Jet sitzend Bomben abzuwerfen, die auch Frauen und Kinder treffen, oder eine Drohne zu steuern und die tödliche Last per Knopfdruck abzuschicken. Dabei passiert dann, was Politiker und Militärs zynisch „Kollateralschaden“ nennen. Es heißt dann auch, dass „Unschuldige“ ihr Leben lassen mussten. Wer ist unschuldig und was heißt unschuldig? Frauen und Kinder sind unschuldig und was ist mit Soldaten? Sind sie schuldig? Schuldig an was? Wie geht derjenige, der diese Dinge ausgelöst, damit um? Wie kann er das verarbeiten? Ist er nicht eher traumatisiert als derjenige, der im Kampf Mann gegen Mann sein Leben hat retten können? Ich habe viel darüber nachgedacht. Lange Jahre habe ich damit kämpfen müssen. Erst im Jahre 2003 habe ich das Ganze endgültig aufarbeiten können. Mittlerweile bin ich darüber hinweg, was natürlich nicht heißen soll, dass ich stolz darauf bin. Es stimmt mich immer noch traurig wenn ich daran denke oder, wie jetzt, darüber schreibe. Nur, wie ich immer sage, ich kann nichts, was ich in meinem Leben getan habe rückgängig machen.

 

Am 07. Juni 1967 wurden wir nach Sharm-el-Sheikh geflogen. Dort übernahmen wir das von den Ägyptern besetzte ehemalige Lager der UNEF und begannen mit der Suche nach versprengten Ägyptischen Einheiten. Bei dieser Gelegenheit fuhr mein Command-Car auf eine Mine auf. Es war ein ungekennzeichnetes Minengebiet aus der Suezkrise im Jahre 1956. Die Sprengkraft der Mine war durch Witterungseinflüsse geschwächt. Trotzdem flogen wir durch die Luft. Außer einigen Hautabschürfungen, Prellungen und leichte Verbrennungen war mir weiter nichts geschehen. Meinen Kameraden erging es ebenso. Allerdings war das Command-Car hinüber. Wir holten per Funk Hilfe herbei, markierten das Minenfeld und gingen weiter unserer Suche nach. Wir fanden etliche ägyptische Soldaten, die dem Verdursten nahe waren und versorgten sie erst einmal mit Wasser, Lebensmittel und, wenn notwendig auch ärztlich. Diese Gefangenen wurden dann nach Israel geflogen, wo sie in einem großen Gefangenenlager (Atlit, in der Nähe von Haifa) untergebracht wurden.

 

Wir fanden auch einen alten ägyptischen Soldaten, mir erschien er auf alle Fälle als alt, obwohl er erst Anfang Vierzig war. Nicht zu vergessen, ich war damals noch ein junger Spund von 22 Jahren. Dieser Mann bettelte und bat nicht ins Gefangenlager geschickt zu werden, er wollte unser „Diener“ sein. Er tat uns leid und so ließen wir ihn bei uns, er machte sauber, spülte und verrichtete alle möglichen Arbeiten mit großem Eifer und Fleiß. Wenn er Böses im Schilde geführt hätte, wäre es ihm ein Leichtes gewesen uns oder zumindest eine Teil von uns zu erschießen. Wir ließen nämlich recht sorglos unsere Waffen in der Unterkunft zurück. Er war eben ein grundanständiger Mensch, der, so erzählte er uns, nichts weiter wollte, als gesund zu seiner Familie zurückkehren. Was wir übrigens genau so wollten

 

In Sharm el-Sheikh gab es kein Trinkwasser, anfangs wurde für und das Wasser in großen Kanistern eingeflogen. Dann brachte man uns eine mobile Entsalzungsanlage, die das salzige Meerwasser zu Trinkwasser machte. Dieses Trinkwasser war fürchterlich bitter, man musste dem aus diesem Wasser zubereiteten Kaffee mehr Zucker als Kaffeepulver zufügen um es einigermaßen genießbar zu machen. Zum so trinken führten wir Unmengen von Brausepulver zu, selbst die gekochten Speisen schmeckten bitter.

 

 

Meine Eindrücke vom ersten Libanonkrieg 1982

 

Im 1. Libanonkrieg 1982 saßen wir am Vorabend des Einmarsches mit meinem Panzer-Brigade-Kommandeur, dem Oberbefehlshabenden von Zahal, Rafael Eitan, und dem damaligen Verteidigungsminister Ariel Sharon zusammen. Die Order, die Eli Geva (Panzer-Brigade-Kommandeur) erhielt lautete: So schnell wie möglich nach Beirut vorstoßen, nicht durch die Küstenregion, sonder so zu sagen "heimlich hinten herum". Israels Regierung hat immer wieder betont nur 40 km in den Libanon einzumarschieren um die "Fatah" zu vertreiben. Das war eine große Lüge, es sollte der ganze Libanon eingenommen werden und von der Fatah gesäubert werden. Kurz vor Beirut erhielt Eli Geva die Order in Beirut einzufallen, diesem widersetze er sich. Für die Öffentlichkeit hieß es, dass er das nicht machen wollte, weil er spielende Kinder in seinem Fernglas gesehen habe. Die Wahrheit ist aber eine andere, er sagte, dass er mit einer Panzerbrigade nicht in bebautes Terrain einfallen könne, da Panzer im bebauten Gebiet leicht zu "knacken" seien und er mit Rücksicht auf seine Soldaten nicht in Beirut einfallen werde. Er wurde daraufhin postwendend abgesetzt und sein Nachfolger führte selbstverständlich den Befehl aus. Es gab erhebliche Verluste bei meiner Einheit. Ich war damals als Reservist (Hauptmann, auf Hebräisch Seren) Kommandierender bei den Panzer-Spähtruppen dieser Brigade.

 

Über die Vorkommnisse des 1. Libanonkrieges habe ich diverse Vorträge gehalten. Zahal und Regierung waren not amused. Ich wurde aber auch keinen Repressalien ausgesetzt. Israel ist ein überaus demokratisches Land und man darf seine Meinung, auch wenn sie der Regierung oder anderen Gremien oder Instutionen nicht gefällt, äußern. Ich denke, dass genau das die Größe Israels ausmacht.

 

Folgendes ereignete sich auch und es zeigt, dass sich die Medien in keinster Weise geändert haben. Meine Panzereinheit legte irgendwo im Inneren des Libanon eine kleine Pause ein. Die Panzer standen in einem Kreis um einen freien Platz und ihre Kanonen waren, so ist es bei Pausen eben üblich, nach unten gerichtet und zeigten ohne besondere Absicht auf die Mitte des Platzes. Dann kam ein älterer Mann mit seinem Enkel vorbei und die beiden setzten sich genau in die Mitte des Platzes um auszuruhen. Es sah schon komisch aus, viele Panzerkanonen quasi auf die beiden gerichtet. Wie es der Zufall will kamen just in diesem Moment zwei Fahrzeuge des ZDF (als solche gekennzeichnet und auch als Presse (Press) versehen. Die Fahrzeuge hielten an und die Crew wollte das natürlich filmen. Damit konnte man dann beweisen, dass die „bösen“ Israelis vor nichts zurückschrecken. Ich fuhr mit einem Jeep zu den Fahrzeugen und verlangte den Verantwortlich zu sprechen. Ich machte ihm klar, dass er hier auf keinen Fall Filmaufnahmen machen werde. Er war erstaunt jemanden zu treffen, der ein perfektes Deutsch sprach und meinte, dass er aufgrund der Akkreditierung als Presse Aufnahmen machen könne wo und wann er wolle. Ich bat ihn das zu unterlassen. Er machte allerdings keine Anstalten der Bitte Folge zu leisten. Ich gab den Panzern ein Zeichen und diese bewegten ihre Kampftürme und die Kanonen zeigten auf die ZDF-Autos. Dem Verantwortlichen gab ich zu verstehen, dass es nur eines Zeichens meinerseits bedürfe um mal eine Granate auf den ZDF-Konvoi abzufeuern, natürlich erst nachdem ich mich entfernt hätte. Diese Sprache schien er zu verstehen. Er meinte noch, dass er sich über den Vorfall beschweren würde. Ich sagte ihm, dass mir das an einem gewissen Körperteil vorbeigehe. Er trollte sich mit seinem Tross. Ich habe nie etwas darüber gehört, scheinbar hielt er es für besser sich nicht zu beschweren. Leider kann ich mich nicht an den Namen des ZDF-Mannes erinnern.

 

 

Nachtrag

 

Aufgrund des Krieges in der Ukraine und des Verhaltens der russischen Soldaten (Plünderungen und Vergewaltigungen) möchte ich zu diesem Thema noch etwas hinzufügen.

 

Im 6-Tage-Krieg hatte meine Einheit keine Berührungen mit der Zivilbevölkerung Ägyptens. Anders war das allerdings im ersten Libanonkrieg.

 

Nachdem meine Panzereinheit in Beirut eingedrungen war zogen wir uns „zur Ruhe“ in die Hügel oberhalb Beiruts zurück. Hier lebten die etwas wohlhabenderen und reichen Bürger Beiruts. Sie hatten dort ihre Häuser und Villen. Sie hatte alle ihre Domizile verlassen. Unsere Aufgabe war es unter anderem zu prüfen ob sich Fatah-Kämpfer dort verschanzt hatten. Wir sollten die Häuser daraufhin überprüfen. Ein Großteil der Häuser war unverschlossen und diese betraten wir auch. Wir waren angehalten nur unverschlossene Häuser zu betreten und keine Türen mit Gewalt zu öffnen. In den Wohnungen befanden sich zum Teil Wertgegenstände und Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs. Wir durften unter keinen Umständen etwas zerstören oder sogar plündern. Daran haben wir uns auch gehalten, nicht wegen der Strafen, die uns gedroht hätten, sondern aus Gründen des Respekts vor fremdem Eigentum. Es gab und gibt in der israelischen Armee einen Ehrencodex das Leben und das Eigentum der Zivilbevölkerung zu achten.

 

Natürlich hatten wir direkt in Beirut auch Kontakt mit der Zivilbevölkerung, deren Leben es zu schützen galt. Viele jüngere und auch ältere Frauen waren darunter. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen diese zu belästigen oder gar zu vergewaltigen.

 

Einer jungen Frau, die von Beirut in den Süden Libanons wollte, weil dort ihre Familie lebte, erlaubte ich dieses obwohl eigentlich die Order bestand, dass niemand von Beirut in den Süden reisen durfte. Ihre Erklärungen klangen mehr als glaubhaft sodass ich sie in den Süden zu ihrer Familie fahren ließ.

 

Es muss also nicht sein, dass sich Soldaten wie Schweine verhalten. Das liegt natürlich auch daran wie man als Soldat ausgebildet wird und wie in gewissen, manchmal auch sehr schwierigen Situationen, gehandelt werden kann und muss.

 

 

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